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BGH Beschluss v. - 2 StR 446/24

Instanzenzug: Az: 325 KLs 2/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes sowie wegen versuchten Raubes jeweils in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die unausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

21. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3a) Am befand sich der Angeklagte an einer Bahnhaltestelle in B. und trat an den ihm unbekannten, dort wartenden K. heran, der gerade sein Telefon bediente. Er äußerte, er brauche das Telefon, riss es K. aus der Hand und schlug ihm mit der Faust gegen den Hals. Das Telefon fiel zu Boden, der Angeklagte nahm es und ging weg, blieb aber auf dem Bahnsteig. K. war aufgelöst und zitterte, eine Passantin kümmerte sich um ihn und rief die Polizei. Noch während die Beamten zum Tatort unterwegs waren, ging der Angeklagte zu K. und gab ihm das mit einem Fingerabdruckcode gesperrte Telefon mit der Äußerung zurück, angesichts der Sperre könne er damit nichts anfangen. Gegenüber den anschließend eintreffenden Polizeibeamten äußerte der Angeklagte, er habe K. das Telefon „abziehen“ wollen, um Musik zu hören und zu telefonieren.

4b) Zwei Tage später, am , stand der nur mit Unterhemd, Socken und Boxer-Shorts bekleidete Angeklagte an einer Straßenbahnhaltestelle in Köln und setzte sich neben den ihm unbekannten, dort wartenden Nebenkläger, der seine Tasche neben sich abgestellt hatte. Der Angeklagte griff mit der Hand nach der Tasche und versuchte, sie an sich zu nehmen, um sie für sich zu behalten. Der Nebenkläger zog die Tasche zurück, legte sie auf seinen Schoß und hielt sie fest. Der Angeklagte riss weiter daran und versetzte dem Nebenkläger mit der Faust einen Schlag ins Gesicht. Sein Plan, nun die Tasche greifen zu können, scheiterte daran, dass drei Passanten ihn verbal angingen und festhielten. Dabei erkannte der Angeklagte, dass er die Tasche aufgrund des Dazwischentretens Dritter nicht mehr an sich bringen werde, ließ ab und äußerte gegenüber einem der Passanten, bei dem Nebenkläger handele es sich um einen Zuhälter. Die herbeigerufene Polizei stellte beim Angeklagten körperliche Auffälligkeiten in Form von Zittern, Unruhe und Schwanken fest. Er äußerte, bei Personen auf der anderen Straßenseite handele es sich um Zuhälter, auch der Nebenkläger sei Zuhälter und handele mit Kokain, daher habe er es verdient.

5c) In der Folge befand sich der Angeklagte in Untersuchungshaft in der JVA K., wo er in einer sogenannten Schlichtzelle untergebracht war. Am Nachmittag des verhielt er sich längere Zeit laut, hämmerte und trat gegen die Tür und versuchte, die Fensterscheibe des Haftraums zu zerstören. Als er nicht mehr randalierte, wollten zwei Justizbedienstete sich das Haftraumfenster ansehen. Auf deren Aufforderung, herauszukommen, reagierte der Angeklagte nicht. Als die Beamten den Haftraum betraten, trat und schlug er auf die Beamten ein, die dadurch verletzt wurden.

6d) Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, es sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten jeweils aufgrund der bei ihm bestehenden psychotischen Erkrankung in Form einer hebephrenen Psychose ohne Wahnsymptome in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei.

72. Diese Erwägungen zur Schuldfähigkeit halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

8a) Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist nicht nur die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist, sondern es sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2023, 271 mwN). Erforderlich ist eine konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegung dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur , StV 2019, 239, 240 Rn. 10 mwN). Schließt sich der Tatrichter – wie hier – dem Sachverständigen an, muss er die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise im Urteil mitteilen und sich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen (st. Rspr.; vgl. nur , StV 2024, 220, 221 Rn. 11 mwN).

9b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

10aa) Soweit sich das Landgericht den Ausführungen des Sachverständigen zur differentialdiagnostischen Abgrenzung der hebephrenen Psychose zu einer paranoiden Psychose anschließt, sind diese Erwägungen nicht nachvollziehbar. Die Aussage, beim Angeklagten lägen zwar wahnhafte Gedanken vor, „diese stell[t]en sich jedoch nicht als über die Maße[n] bizarr und komplett realitätsfremd dar“, ist mit den Feststellungen zur Tat vom nicht in Einklang zu bringen, wonach der Angeklagte sein Verhalten gegenüber dem ihm bis dahin völlig unbekannten Nebenkläger damit begründete, dieser sei ein Zuhälter, der mit Kokain handele. Dies hätte schon deshalb näherer Erörterung bedurft, weil der Sachverständige ausweislich der Feststellungen zur Krankengeschichte mit seiner Diagnose von zwei neueren fachärztlichen Diagnosen abgewichen ist, die – ohne dass deren Begründung mitgeteilt wird – vom Vorliegen einer paranoiden Psychose beim Angeklagten ausgingen.

11bb) Das Urteil ermöglicht dem Senat überdies nicht die Nachprüfung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei der Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten bei dem jeweils konkreten Tatgeschehen ausgewirkt hat. Insofern fehlt es an differenzierten Ausführungen zu den in Ablauf, Zielrichtung und Auswirkungen jeweils sehr deutlich voneinander abweichenden Taten.

12cc) Darüber hinaus erschließt sich angesichts der Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit nicht, warum es im Anschluss an den Sachverständigen eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit lediglich nicht auszuschließen vermocht hat und nicht zum Ergebnis sicher verminderter bzw. aufgehobener Steuerungsfähigkeit gelangt ist. Insofern halten die Urteilsgründe fest, beim Angeklagten bestünden infolge einer hebephrenen Psychose „erhebliche Defizite zu einer selbstkritischen, reflektierenden Auseinandersetzung und einer emotionalen Regulation“, was „zu einer geminderten Fähigkeit zur Impulskontrolle“ führe, die das Alltagsleben präge. Es bestehe eine „deutliche […] Minderung seiner Fähigkeiten zur Impulskontrolle“ sowie eine „deutlich gesenkte Schwelle zu dissozialen Verhaltensweisen, welche Auswirkungen auf die emotionale Steuerungsfähigkeit des Angeklagten“ habe. Zudem gebe es bei der Tat vom ein „gemeinsames Auftreten von dissozialen Impulsen […], die nicht hinreichend gehemmt werden können“.

133. Die Sache bedarf deshalb hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten, zweckmäßigerweise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die Feststellungen mit auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Die Aufhebung des Urteils erfasst auch den Adhäsionsausspruch, da der zuerkannte Anspruch in der Straftat gründet, auf die sich die Aufhebung bezieht (§ 353 Abs. 1 StPO; , StV 2019, 437; zur zweckmäßigen Tenorierung des Feststellungsausspruchs Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 313 Rn. 8).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160125B2STR446.24.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-91164