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BGH Beschluss v. - V ZB 59/24

Instanzenzug: Az: I-21 U 56/24vorgehend Az: 11 O 141/22

Gründe

I.

1    Die Beklagten haben gegen ein ihnen am zugestelltes Urteil des Landgerichts, durch das ein Versäumnisurteil vom aufrechterhalten worden ist, fristgerecht Berufung eingelegt. Unter dem sind sie darauf hingewiesen worden, dass die Berufung nicht innerhalb der am abgelaufenen Frist begründet worden sei. Daraufhin haben sie mit Schriftsatz vom Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung auf eine plötzliche Erkrankung ihres Prozessbevollmächtigten verwiesen, die diesen daran gehindert habe, den bereits am gefertigten Fristverlängerungsantrag zu versenden. Mit Beschluss vom hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Am haben die Beklagten die Berufung begründet.

2    Gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags und die Verwerfung der Berufung als unzulässig wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3    Das Berufungsgericht meint, Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, weil die Beklagten eine ohne ihr Verschulden eingetretene Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch mit Blick auf den krankheitsbedingten Ausfall ihres Prozessbevollmächtigten nicht glaubhaft gemacht hätten. Zwar sei zu der Fertigung eines Fristverlängerungsantrags am , der aufgrund einer bis zum andauernden akuten Erkrankung nicht mehr habe versandt werden können, vorgetragen und eine eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Prozessbevollmächtigten beigefügt worden. Daraus ergebe sich aber allenfalls, dass den Prozessbevollmächtigten am an der Nichtversendung des Fristverlängerungsantrags kein Verschulden traf. Für die noch innerhalb laufender Berufungsbegründungsfrist liegenden Folgetage, also bis zum , sei dies dagegen nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Vielmehr lasse sich der eidesstattlichen Versicherung der Ehefrau entnehmen, dass der Prozessbevollmächtigte am seinen Urlaub angetreten habe. Sei er aber in der Lage gewesen, am zu verreisen, spreche dies gegen eine bis zum andauernde, zur Arbeitsunfähigkeit führende Gesundheitsbeeinträchtigung. Deshalb sei davon auszugehen, dass der Fristverlängerungsantrag spätestens am hätte signiert und versandt werden können; eine entsprechende Überprüfung des Postausgangs habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers mindestens fahrlässig versäumt. Aus der eidesstattlichen Versicherung seiner Ehefrau ergebe sich nur, dass er bei Urlaubsantritt der Auffassung gewesen sei, alles erledigt zu haben.

III.

4    Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Indem das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen hat, hat es den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Aus diesem Grund erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

5    1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung jedes Schriftsatzes, der innerhalb einer gesetzlichen oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht. Danach darf das Gericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden. Es ist unerheblich, ob es die Sache für entscheidungsreif hält, weil der Antragssteller innerhalb der Frist zu den Wiedereinsetzungsgründen ergänzend vortragen kann und darf (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 15/22, NJW 2023, 2883 Rn. 10 mwN).

6    2. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht außer Acht gelassen.

7    a) Die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung beträgt nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Sie beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO), hier also frühestens mit dem unter dem erteilten Hinweis. Damit war die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO am noch nicht abgelaufen; sie endete frühestens am Montag, den .

8    b) Aufgrund der verfrühten Verwerfung der Berufung blieben der vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist eingegangene Schriftsatz vom sowie die zugleich eingereichte eidesstattliche Versicherung vom bei der Entscheidung unberücksichtigt. Unerheblich ist insoweit, dass der Schriftsatz vom eine Reaktion auf die Verwerfungsentscheidung des Berufungsgerichts darstellte; er ist jedenfalls, worauf es entscheidend ankommt, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist eingegangen (vgl. Senat, Beschluss vom  - V ZB 310/10, NJW 2011, 1363 Rn. 6). Infolgedessen kann dahinstehen, ob die Formulierung „Urlaub antreten“, mit der die Beklagten nach ihrem ergänzenden Vorbringen nicht den Beginn einer Urlaubsreise ihres Prozessbevollmächtigten zum Ausdruck bringen wollten, erkennbar unklar oder ergänzungsbedürftig war und insoweit ohnehin die Notwendigkeit eines Hinweises durch das Berufungsgericht bestanden hätte (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 68/16, NJW-RR 2019, 502 Rn. 7 f. mwN).

9    c) Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht in Kenntnis des Schriftsatzes vom anders entschieden hätte (zu dieser Voraussetzung Senat, Beschluss vom - V ZB 15/22, NJW 2023, 2883 Rn. 12 mwN). Auf die Bewilligung einer erstmaligen Fristverlängerung, die die Anforderungen aus § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO wahrt, hätten die Beklagten als Rechtsmittelführer jedenfalls vertrauen dürfen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 42/10, NJW-RR 2011, 285 Rn. 8; , NJW 2017, 2041 Rn. 12; Beschluss vom - VI ZB 47/17, NJW-RR 2018, 569 Rn. 8).

IV.

10    1. Der Senat kann nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Dabei kann der nicht berücksichtigte Vortrag der Beklagten aus dem die Berufungsbegründung rechtzeitig (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) nachholenden Schriftsatz vom nebst beigefügter eidesstattlicher Versicherung zugrunde gelegt werden. Aufgrund der dargelegten und glaubhaft gemachten Umstände liegt kein den Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden vor. Die Sache ist zur Durchführung des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

11    a) Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Ein Einzelanwalt - wie hier - muss für seine Vertretung sorgen. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er einen solchen Ausfall vorhersehen kann. Wird er unvorhergesehen krank, muss er nur das unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 9 mwN).

12    b) Gemessen daran war die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unverschuldet. Weder der Versand des am gefertigten Fristverlängerungsantrags noch die Kontrolle des Postausgangs waren dem unvorhergesehen erkrankten Prozessbevollmächtigten bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am möglich und zumutbar. Darauf, dass es an Vorbringen der Beklagten zur Sicherstellung einer Vertretung ihres Prozessbevollmächtigten für den Fall eines vorhersehbaren krankheitsbedingten Ausfalls fehlt, kommt es nicht an.

13    aa) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat anwaltlich versichert, dass er an Sarkoidose leide, die insbesondere die Lunge befalle und unter anderem zu selbst mit Morphium nicht zu lindernden kolikartigen Schmerzen im oberen Brustbereich sowie dazu führe, dass er weder stehen noch gehen könne und der Kreislauf einzubrechen drohe. Diese Symptome träten plötzlich auf; erfahrungsgemäß könne man ihm dabei in der Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses nicht helfen. Am habe er den Fristverlängerungsantrag, um den er sich wegen seines bevorstehenden Urlaubs habe kümmern wollen, noch fertigen können, sei dann aber aufgrund einer akuten Schmerzattacke gehindert gewesen, diesen zu versenden. Er habe nur noch auf dem Boden liegen können und sich schließlich von seiner - dies eidesstattlich versichernden - Ehefrau abholen lassen. Zu Hause sei er unter Schmerzen und aufgrund der Erschöpfung eingeschlafen. Erst am sei er relativ wiederhergestellt und davon überzeugt gewesen, den Fristverlängerungsantrag noch abgeschickt zu haben. Er habe einer stress-, erschöpfungs- und schmerzbedingten Hirnleistungsstörung unterlegen.

14    bb) Damit ist, wovon auch das Berufungsgericht noch ausgegangen ist, zunächst glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am an der Versendung des Fristverlängerungsantrags unverschuldet gehindert war. Es besteht aber auch im Übrigen kein Anlass, die anwaltlich versicherten Angaben zu einer Wiederherstellung (erst) am und zu der - krankheitsbedingt irrtümlichen - Überzeugung, den Fristverlängerungsantrag noch versandt zu haben, in Zweifel zu ziehen. Den von dem Berufungsgericht angenommenen Widerspruch zu einer am angetretenen Urlaubsreise haben die Beklagten im Schriftsatz vom dahin aufgelöst, dass ihr Prozessbevollmächtigter nicht verreist war, sondern den Urlaub wegen der schon länger andauernden Erkrankung der Ehefrau ohnehin zuhause verbringen wollte. Nach alledem kann dem Prozessbevollmächtigten die unterbliebene Kontrolle des Postausgangs vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ebenfalls nicht als schuldhaft vorgeworfen werden.

15    2. Der die Berufung verwerfende Beschluss wird mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos. Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 138/19, NJW 2020, 3041 Rn. 15 mwN).

Brückner                           Göbel                           Haberkamp

                     Laube                            Grau

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:100425BVZB59.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-90950