Instanzenzug: Az: 7 U 887/22vorgehend LG Mainz Az: 1 O 258/21
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte zu 3 (im Folgenden: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.
2Er erwarb im August 2017 von einem Dritten ein neues Wohnmobil. Das von der Beklagten hergestellte Basisfahrzeug Fiat Ducato ist mit einem 2,3 l-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet. Für den Typ des Basisfahrzeugs hatte eine Behörde der Italienischen Republik, das Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (MIT), eine EG-Typgenehmigung erteilt. Die Emissionskontrolle erfolgt nach dem Vorbringen des Klägers insbesondere unter Verwendung eines "Thermofensters" sowie unter Abschaltung der Abgasreinigung nach einem Zeitfenster ("Timer").
3Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
6Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Selbst wenn es sich bei dem "Thermofenster" um eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte, folge eine solche Haftung der Beklagten daraus noch nicht. Hierfür bedürfe es vielmehr weiterer Umstände, an denen es vorliegend ebenso fehle wie an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz der Beklagten. Die Verwendung weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen im klägerischen Fahrzeug sei nicht genügend dargetan.
7Auch scheide ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus, weil die Beklagte kein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe, nachdem dem MIT die von dem Kläger beanstandeten Funktionen seit Jahren bekannt gewesen seien, es diese nach Überprüfung, die zureichend gewesen sei, nicht als unzulässig angesehen und keine Maßnahmen getroffen, insbesondere keinen Rückruf veranlasst habe. Zudem halte der Berufungssenat an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der §§ 6, 27 EG-FGV liege.
8Selbst wenn die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen angenommen würden, scheitere ein Schadensersatzanspruch des Klägers schließlich an einem fehlenden Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB. Denn dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug drohe weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung, nachdem die zuständige Behörde nach Überprüfung keinen Rückruf des Fahrzeugs veranlasst habe.
II.
9Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
10 Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
112. Doch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung im Hinblick auf das "Thermofenster" ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.
12a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kommt den Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV der Charakter von Schutzgesetzen zu, ohne dass es einer über die Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben hinausgehenden Kompetenz des Verordnungsgebers zur Schaffung einer deliktischen Haftungsgrundlage bedurfte (vgl. VIa ZR 1425/22, VersR 2024, 1306 Rn. 18 mwN; Urteil vom - VIa ZR 598/23, juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 1608/22, juris Rn. 9).
13Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
14b) Mit den von dem Berufungsgericht angestellten Erwägungen zur Frage eines die Beklagte treffenden Fahrlässigkeitsvorwurfs kann ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Dem steht - wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat - schon entgegen, dass der Fahrzeughersteller, will er sich zur Widerlegung der Verschuldensvermutung ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 f.) auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen, einen Irrtum konkret darlegen und beweisen muss ( aaO, Rn. 63), und zwar in Bezug auf die nach § 31 BGB Verantwortlichen (vgl. VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 14). Feststellungen hierzu sind dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Die von der Revisionserwiderung gegen die Annahme einer gegen den Hersteller streitenden Verschuldensvermutung erhobenen Einwände geben dem Senat keinen Anlass, von seiner insoweit gefestigten Rechtsprechung abzuweichen (vgl. VIa ZR 598/23, juris Rn. 20).
15c) Ebenso wenig kann die Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB mit der Begründung abgelehnt werden, es fehle an einem Schaden, weil dem von dem Kläger erworbenen Fahrzeug weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung drohe, nachdem die zuständige Behörde nach Überprüfung keinen Rückruf des Fahrzeugs veranlasst habe. Vielmehr hat der Senat nach Erlass des Berufungsurteils sowohl entschieden, dass eine Verringerung des objektiven Werts des Fahrzeugs infolge seiner Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zu einem Fahrzeug der betreffenden Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden kann, als auch die für die Schätzung des Schadens geltenden Maßstäbe geklärt ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41 und 71 ff.; zu Wohnmobilen VIa ZR 1425/22, VersR 2024, 1306 Rn. 25 ff.). Daran hält der Senat ungeachtet der in der Revisionserwiderung vorgebrachten Einwände fest (vgl. bereits , WM 2023, 1839 Rn. 32).
III.
161. Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 562 ZPO aufzuheben, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Urteil vom - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 26 ff.; Urteil vom - VIa ZR 598/23, juris Rn. 24; Urteil vom - VIa ZR 1608/22, juris Rn. 11
17Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
182.
19Urteil vom - VIa ZR 598/23, juris Rn. 28 am EndeUrteil vom (VIa ZR 598/23, juris Rn. VIa ZR 1608/22, juris Rn. 13
20die erforderlichen -Urteil vom - VIa ZR 598/23, juris Rn. 30; Urteil vom - VIa ZR 1608/22, juris Rn. 14
Katzenstein F. Schmidt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:300425UVIAZR1653.22.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-90946