Erteilung digitaler Entgeltabrechnungen
Leitsatz
Der gesetzliche Anspruch auf Erteilung einer Entgeltabrechnung begründet eine Holschuld, die der Arbeitgeber grundsätzlich dadurch erfüllen kann, dass er die Abrechnung in Textform in ein passwortgeschütztes digitales Mitarbeiterpostfach einstellt.
Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 3 Ca 163/23 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 9 Sa 575/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob Entgeltabrechnungen durch Einstellen in ein digitales Mitarbeiterpostfach wirksam erteilt werden können.
2Die Klägerin ist im Einzelhandelsbetrieb der Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Für den Konzernverbund, dem die Beklagte angehört, regelt eine Konzernbetriebsvereinbarung vom (KBV Mitarbeiterpostfach) die Einführung und Anwendung eines digitalen Mitarbeiterpostfachs. Darin heißt es auszugsweise:
3Ab März 2022 stellte die Beklagte der Klägerin auf Grundlage der KBV Mitarbeiterpostfach Entgeltabrechnungen nur noch elektronisch zur Verfügung. Dem widersprach die Klägerin und verlangte erfolglos, ihr die Entgeltabrechnungen weiterhin postalisch zu übersenden.
4Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch auf Erteilung von Entgeltabrechnungen sei nicht durch die Bereitstellung elektronischer Entgeltabrechnungen im digitalen Mitarbeiterpostfach erfüllt worden. Einer Verwendung des Mitarbeiterpostfachs als Empfangsvorrichtung hätte sie vor Inbetriebnahme zustimmen müssen. Dem stehe jedoch ihr ausdrücklich erklärter Widerspruch entgegen. Die fehlende Einwilligung sei auch nicht durch die KBV Mitarbeiterpostfach ersetzt worden, die gegen die Vorgaben des § 108 Abs. 1 GewO verstoße.
5Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
6Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag darauf gestützt, § 108 Abs. 1 GewO schreibe für die Erteilung von Abrechnungen nicht deren Zugang iSd. § 130 Abs. 1 BGB vor. Es genüge, wenn der Arbeitnehmer über ein digitales Mitarbeiterpostfach auf seine Entgeltabrechnungen zugreifen könne. Der auf Grundlage der KBV Mitarbeiterpostfach verwendete Cloud-Service stelle eine für den Zugang eines elektronischen Dokuments geeignete und ausreichende Empfangsvorrichtung dar, die vergleichbar einem Briefkasten zum Machtbereich des Arbeitnehmers gehöre.
7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
8Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Es hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe den Anspruch der Klägerin aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO auf Erteilung der Entgeltabrechnungen für die streitgegenständlichen Monate nicht durch die Einstellung in das digitale Mitarbeiterpostfach erfüllt. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das digitale Mitarbeiterpostfach durch die KBV Mitarbeiterpostfach bei der Beklagten wirksam eingeführt worden ist. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
9I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen in „Papierform“. Sie kann nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO lediglich Entgeltabrechnung in Textform verlangen. Die Erfüllung des Anspruchs setzt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht voraus, dass die Entgeltabrechnung dem Arbeitnehmer entsprechend § 130 Abs. 1 BGB in Textform zugehen muss. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin der Übermittlung ihrer Entgeltabrechnungen über das digitale Mitarbeiterpostfach zugestimmt hat und ihr fehlendes Einverständnis durch die KBV Mitarbeiterpostfach ersetzt worden ist.
101. § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO bestimmt, dass dem Arbeitnehmer bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen ist. Sie muss mindestens Angaben über den Abrechnungszeitraum und die Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten (§ 108 Abs. 1 Satz 2 GewO). Hinsichtlich der Zusammensetzung sind insbesondere Angaben über Art und Höhe der Zuschläge, Zulagen, sonstige Vergütungen, Art und Höhe der Abzüge, Abschlagszahlungen sowie Vorschüsse erforderlich (§ 108 Abs. 1 Satz 3 GewO).
112. Ein Schuldverhältnis erlischt nach § 362 Abs. 1 BGB, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Das Bewirken der geschuldeten Leistung besteht in der Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolgs. Die Erfüllungswirkung tritt grundsätzlich bei jeglicher erfüllungsgeeigneter, inhaltlich dem Schuldverhältnis entsprechender Leistung ein ( - Rn. 10, 12, BAGE 165, 336). Die Leistung muss mithin inhaltlich, zeitlich und örtlich dem Schuldverhältnis entsprechen (Erman/Buck-Heeb BGB 17. Aufl. § 362 Rn. 7).
123. Der Arbeitgeber kann seiner Verpflichtung aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO grundsätzlich nachkommen, indem er die Entgeltabrechnung in Textform in ein digitales Mitarbeiterpostfach einstellt. Die Erfüllung des Anspruchs setzt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht voraus, dass die Entgeltabrechnung dem Arbeitnehmer entsprechend § 130 Abs. 1 BGB in Textform zugeht. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin der Übermittlung ihrer Entgeltabrechnungen über das digitale Mitarbeiterpostfach zugestimmt hat und ihr fehlendes Einverständnis durch die KBV Mitarbeiterpostfach ersetzt worden ist.
13a) Die im digitalen Mitarbeiterpostfach gespeicherte elektronische Entgeltabrechnung genügt der gesetzlich vorgeschriebenen Textform.
14aa) Die gesetzliche Textform ist nach § 126b Satz 1 BGB gewahrt, wenn auf einem dauerhaften Datenträger eine lesbare Erklärung abgegeben wird, in der die Person des Erklärenden genannt ist. Ein dauerhafter Datenträger ist gemäß Satz 2 der Vorschrift jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben.
15bb) Die in das digitale Mitarbeiterpostfach der Beklagten eingestellten Abrechnungen erfüllen diese Voraussetzungen. Es stellt einen dauerhaften Datenträger in diesem Sinne dar. Das digitale Mitarbeiterpostfach enthält nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts einen sicheren Speicherbereich für den einzelnen Arbeitnehmer, auf den allein dieser mittels Eingabe des Benutzernamens und seines persönlichen Passworts zugreifen kann, so dass die Beklagte keine Möglichkeit hat, die dort einmal eingestellten Informationen zu ändern. Es genügt daher den Anforderungen an eine fortgeschrittene Website, die ein sicherer Datenträger iSd. § 126b Satz 1 BGB sein kann (sog. „sophisticated Website“, vgl. EFTA-Gerichtshof - E-4/09 - Rn. 66; - [Content Services] Rn. 42 ff.; Erman/Arnold BGB 17. Aufl. § 126b Rn. 7; Staudinger/Hertel [2023] BGB § 126b Rn. 34 jeweils mwN; offengelassen in - Rn. 22, 25 mit Ausführungen zur sog. „ordinary Website“ [Rn. 19]).
16cc) Die Einstellung der Abrechnungen in das Online-Portal ist auch in örtlicher Hinsicht eine dem Schuldverhältnis entsprechende Leistung. Bei dem Anspruch auf Erteilung einer Abrechnung nach § 108 Abs. 1 GewO handelt es sich um eine Holschuld, bei der Leistungshandlung und -erfolg in der Sphäre des Arbeitgebers liegen.
17(1) Arbeitspapiere sind vom Arbeitnehmer grundsätzlich in der Niederlassung des Arbeitgebers (§ 269 Abs. 2 BGB) abzuholen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich für den Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses erkannt und diesen Grundsatz allgemein auf Arbeitspapiere erstreckt (vgl. - zu 1 a der Gründe, BAGE 79, 258). Dazu zählen Dokumente, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer über das Arbeitsverhältnis oder einzelne seiner Elemente aufgrund privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen zu erteilen hat (GMP/Schlewing/Dickerhoff-Borello 10. Aufl. ArbGG § 2 Rn. 78; ErfK/Ahrendt 25. Aufl. ArbGG § 2 Rn. 19). Dies trifft auf Entgeltabrechnungen im Arbeitsverhältnis zu, die der Arbeitgeber nach den gesetzlichen Vorgaben des § 108 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GewO erstellen muss. Erteilt der Arbeitgeber Entgeltabrechnungen auf elektronischem Wege, unternimmt er alles seinerseits für den Eintritt des Leistungserfolgs Erforderliche, wenn er dem Arbeitnehmer die digitale Verfügungsmöglichkeit über das Dokument verschafft.
18(2) Das von der Beklagten betriebene Online-Portal fungiert im Rahmen der Erteilung von Entgeltabrechnungen als elektronische „Ausgabestelle“, auf die sämtliche Arbeitnehmer nicht nur über einen privaten Internetzugang, sondern auch - falls ihnen ein solcher nicht zur Verfügung steht - während ihrer Arbeitszeit in den Betriebsräumen der Beklagten über einen dort zur Verfügung gestellten Rechner individuellen - passwortgeschützten - Zugriff haben. Durch sie verschafft die Beklagte den Beschäftigten die digitale Verfügungsmöglichkeit über die Abrechnungen. Sie sind in der Lage, diese nach Maßgabe der KBV Mitarbeiterpostfach für zwölf Monate und damit während eines für den Zweck von Entgeltabrechnungen angemessenen Zeitraums zur Kenntnis zu nehmen und - ggf. bei der Beklagten - auszudrucken oder anderweitig zu sichern.
19b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Zugang der Entgeltabrechnung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB keine für die Erfüllung des Anspruchs aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO erforderliche Voraussetzung. Bei Entgeltabrechnungen handelt es sich um Wissenserklärungen, auf die § 130 Abs. 1 BGB weder direkt noch entsprechend Anwendung findet. Dies ergibt sich weder daraus, dass die Entgeltabrechnung gemäß § 108 Abs. 1 GewO zu erteilen ist, noch aus der gesetzlich vorgesehenen Textform noch aus deren Rechtscharakter.
20aa) Das Zugangserfordernis folgt nicht daraus, dass die Lohnabrechnung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO in Textform „zu erteilen“ ist. Dieser Begriff wird seinem Wortsinn nach als „zuteilwerden lassen, zukommen lassen“ (vgl. Duden Deutsches Universalwörterbuch 10. Aufl. Stichwort „erteilen“) verstanden und lässt damit nicht darauf schließen, dass die Abrechnung dem Arbeitnehmer zugehen muss. Nichts anderes folgt auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz. § 108 Abs. 1 GewO dient nicht der Umsetzung der Richtlinie. Die Vorschrift enthält auch keine nähere Differenzierung hinsichtlich eines Übermittlungsverfahrens, aus der sich ergäbe, dass sich der Arbeitnehmer im Rahmen des Empfangs der Abrechnung passiv verhalten kann (vgl. zu Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 97/7/EG - [Content Services] Rn. 32 ff.; aA Kremer/Schmidt CR 2014, 228, 229).
21bb) Auch aus der gesetzlich vorgesehenen Textform der Lohnabrechnung ergibt sich kein Erfordernis des Zugangs nach § 130 BGB. § 126b Satz 1 BGB setzt lediglich die Abgabe einer Erklärung in der näher bezeichneten Art und Weise voraus, nicht aber deren Zugang. Eine Erklärung ist abgegeben, wenn sie in der vorgeschriebenen Form an den Adressaten gerichtet wurde und der Erklärende alles getan hat, was für ihr Wirksamwerden erforderlich ist. Empfangsbedürftige Erklärungen müssen dafür nicht nur erstellt werden, sondern auch in der vorgeschriebenen Form dem Empfänger zugehen. Ein Zugangserfordernis im Zusammenhang mit elektronisch übermittelten Erklärungen wird dementsprechend nicht aus § 126b BGB, sondern unmittelbar aus § 130 BGB abgeleitet (vgl. Staudinger/Hertel [2023] BGB § 126b Rn. 33; Erman/Arnold BGB 17. Aufl. § 126b Rn. 9; MüKoBGB/Einsele 10. Aufl. BGB § 126b Rn. 11, 12).
22cc) Eine Entgeltabrechnung muss schließlich nicht gemäß § 130 Abs. 1 BGB zugehen, weil sich aus ihrer Erteilung keine unmittelbaren Rechtswirkungen ergeben.
23(1) Nach § 130 Abs. 1 BGB wird die einem anderen gegenüber in dessen Abwesenheit abgegebene Willenserklärung - erst - in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm zugeht. Diese Vorschrift, die unmittelbar nur für empfangsbedürftige Willenserklärungen gilt, wird auf geschäftsähnliche Handlungen entsprechend angewendet. Hierzu zählen insbesondere Mitteilungen und Anzeigen, an die das Gesetz Rechtsfolgen knüpft ( - zu II 1 b der Gründe; vgl. Staudinger/Singer/Benedict [2021] BGB § 130 Rn. 14; Weiss/Brückerhoff ZIP 2021, 885, 887; Grüneberg/Ellenberger 84. Aufl. BGB Überbl. v. § 104 Rn. 6).
24(2) Angaben in einer Entgeltabrechnung stellen grundsätzlich keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen, sondern Wissenserklärungen dar (vgl. (A) - Rn. 39; - 9 AZR 881/16 - Rn. 16; - 5 AZR 307/11 - Rn. 16). Eine Abrechnung bezweckt die Information über die erfolgte Zahlung und dient der Transparenz. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er gerade den ausgezahlten Betrag erhält ( - Rn. 41; - 10 AZR 496/21 - Rn. 45, BAGE 179, 174; - 1 AZR 130/14 - Rn. 29; - 5 AZR 665/06 - Rn. 18 mwN, BAGE 120, 373). Willens- oder gesetzesinduzierte Rechtsfolgen, die ihre Eigenschaft als geschäftsähnliche Handlung bedingen, sieht das Gesetz nicht vor. Weitere an die Erteilung der Entgeltabrechnung anknüpfende Rechtsfolgen bedürfen daher zusätzlicher individual- oder tarifvertraglicher Bestimmungen. Ohne entsprechende Regelungen, die der Erteilung der Lohnabrechnung weitergehende Rechtsfolgen zuweisen, stellt sich die Frage, ob die Erklärung in (ggf. entsprechender) Anwendung von § 130 Abs. 1 BGB erst mit Zugang wirksam wird, nicht (vgl. BeckOGK/Gomille Stand BGB § 130 Rn. 18.3). Soweit zB die einer tarifvertraglichen Ausschlussregelung unterfallende Entgeltforderung nach ständiger Rechtsprechung als durch den Arbeitgeber streitlos gestellt gilt, soweit sie in der Entgeltabrechnung ausgewiesen ist (vgl. - Rn. 30; - 5 AZR 521/09 - Rn. 18, BAGE 135, 197), folgt dies nicht aus § 108 Abs. 1 GewO. Die Rechtsfolge ergibt sich aus dem Zweck der Ausschlussfrist, den Arbeitnehmer anzuhalten, die Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen und den Schuldner innerhalb der maßgebenden Fristen darauf hinzuweisen, ob und welche Ansprüche im Einzelnen zusätzlich erhoben werden ( - aaO).
254. Die Beklagte hat die Abrechnungen „bei Zahlung“ und damit auch zur rechten Zeit erteilt (vgl. dazu - Rn. 45, BAGE 179, 174; - 5 AZR 665/06 - Rn. 18 mwN, BAGE 120, 373).
26II. Obwohl damit der Anspruch aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO auf Entgeltabrechnung in Textform durch Einstellung eines elektronischen Dokuments in ein digitales Mitarbeiterpostfach erfüllt werden kann, ist der Senat an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Auf Grundlage der getroffenen Tatsachenfeststellungen lässt sich nicht beurteilen, ob das digitale Mitarbeiterpostfach aufgrund der mit dem Konzernbetriebsrat getroffenen Vereinbarung wirksam eingeführt worden ist und somit als technisches Medium für die Erfüllung der Abrechnungsansprüche genutzt werden darf. Dazu ist die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG festzustellen.
271. Das digitale Mitarbeiterpostfach ist Bestandteil einer technischen Einrichtung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, dessen Einführung und Nutzung der vorherigen Zustimmung durch das zuständige Betriebsratsgremium bedarf.
28a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an (st. Rspr., vgl. - Rn. 30, BAGE 177, 237). Das Mitbestimmungsrecht beschränkt sich nicht auf die Einführung und Anwendung einer solchen technischen Einrichtung, sondern erstreckt sich auch auf deren Änderung (Fitting BetrVG 31. Aufl. § 87 Rn. 255; ErfK/Kania 25. Aufl. BetrVG § 87 Rn. 59).
29b) Das Personalabrechnungs- und Informationssystem („PAISY“) verarbeitet die individualisierten, dh. auf einen bestimmten Arbeitnehmer bezogenen Daten, die zur Erstellung der Entgeltabrechnungen erforderlich sind. Dies betrifft somit zB Arbeits-, Krankheits-, Urlaubs- und unentschuldigte Fehlzeiten sowie zuschlagspflichtige Zeiten aus dem Abrechnungszeitraum und damit das Verhalten der Arbeitnehmer. Die Anbindung des digitalen Mitarbeiterpostfachs an das Personalabrechnungs- und Informationssystem über eine Schnittstelle stellt eine mitbestimmungspflichtige Erweiterung der technischen Einrichtung dar.
302. Das Mitbestimmungsrecht wurde durch Abschluss der KBV Mitarbeiterpostfach ausgeübt. Die Vereinbarung sollte zugleich die Rechtsgrundlage für die Einführung und Anwendung des digitalen Mitarbeiterpostfachs sein. Dazu ist sie jedoch nur geeignet, wenn es sich bei Einführung und Betrieb des digitalen Mitarbeiterpostfachs um eine Angelegenheit handelt, die in die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats fällt. Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Konzernbetriebsrat originär zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können. Zudem kann er gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kraft Auftrags zuständig sein, wenn der Gesamtbetriebsrat ihn mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder beauftragt, eine Angelegenheit für ihn zu behandeln. Zur Regelungszuständigkeit des Konzernbetriebsrats hat das Landesarbeitsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bisher keine Tatsachenfeststellungen getroffen. Dies wird es in der fortgesetzten Berufungsverhandlung nachzuholen haben.
31III. Die Zurückverweisung ist nicht deshalb entbehrlich, weil sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweisen würde (§ 561 ZPO). Die Regelungen der KBV Mitarbeiterpostfach verstoßen weder gegen Datenschutzrecht noch erweisen sie sich als unverhältnismäßig.
321. Die digitale Zurverfügungstellung der Entgeltabrechnungen ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil sie datenschutzrechtlich nicht erforderlich wäre. Sie beschränkt sich auf Daten, die auch bei einer Erteilung in Papierform übermittelt würden. Die darin liegende Datenverarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 DSGVO iVm. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG erforderlich, weil sie der Erfüllung der in § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO angeordneten Pflicht des Arbeitgebers dient (vgl. ausf. dazu - Rn. 62 ff., BAGE 181, 1). Auch die Bereitstellung elektronischer Entgeltabrechnungen durch einen externen Anbieter begegnet keinen grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken. Dieser fungiert hier als Auftragsdatenverarbeiter iSd. Art. 28 Abs. 3 DSGVO. Dafür, dass die sich aus der Norm ergebenden Anforderungen an eine Auftragsverarbeitung nicht erfüllt wären, bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte.
332. Die Regelungen der KBV Mitarbeiterpostfach über die Erteilung der Entgeltabrechnungen auf elektronischem Wege sind nicht unverhältnismäßig.
34a) Die Betriebsparteien sind beim Abschluss ihrer Vereinbarungen gemäß § 75 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BetrVG an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden und damit auch zur Wahrung der grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte verpflichtet ( - Rn. 30). Dazu zählt auch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit. Zwar wird diese, soweit sie über den Kernbereich der Persönlichkeit hinausgeht, ihrerseits durch die verfassungsmäßige Ordnung beschränkt, zu der auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen gehören. Zugleich sind jedoch die einzelnen Grundrechtsträger vor unverhältnismäßigen Grundrechtsbeschränkungen durch privatautonome Regelungen zu schützen ( - Rn. 23, BAGE 120, 308; - 1 AZR 551/99 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 95, 221).
35b) Das zulässige Ausmaß einer Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die von den Betriebsparteien getroffene Regelung muss geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Geeignet ist die Regelung dann, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann. Erforderlich ist sie, wenn kein anderes, gleich wirksames, aber die Handlungsfreiheit weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Angemessen ist sie, wenn sie verhältnismäßig im engeren Sinn erscheint. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe; die Grenze der Zumutbarkeit darf nicht überschritten werden ( - Rn. 24, BAGE 120, 308).
36c) Diese Binnenschranken werden durch die Regelungen in der KBV Mitarbeiterpostfach nicht überschritten. Konzernbetriebsrat und Konzernmutter haben einen nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO iVm. § 126b BGB legitimen Übermittlungsweg gewählt, der einen schnellen, direkten und datenschutzkonformen Zugang zu den Abrechnungen unter Reduzierung eines Papieraufkommens gewährleistet. Dabei greifen sie nicht unverhältnismäßig in die private Lebensführung der Beschäftigten ein. Kein Beschäftigter muss sich privat eine IT-Infrastruktur anschaffen, um auf seine Entgeltabrechnungen zugreifen zu können. Den berechtigten Belangen der Beschäftigten wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass der Arbeitgeber es Arbeitnehmern, für die nicht die Möglichkeit besteht, über ein privates Endgerät Zugriff auf die im digitalen Mitarbeiterpostfach hinterlegten Dokumente zu nehmen, zu ermöglichen hat, die Unterlagen einzusehen und auszudrucken.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:280125.U.9AZR48.24.0
Fundstelle(n):
BB 2025 S. 371 Nr. 7
DStR-Aktuell 2025 S. 11 Nr. 6
ZIP 2025 S. 5 Nr. 7
VAAAJ-90908