Revisionszulassung wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit
Leitsatz
NV: Die Revision ist wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung) zuzulassen, wenn das Finanzgericht eine offensichtlich entscheidungserhebliche Vorschrift evident außer Acht gelassen hat.
Gesetze: AO § 152; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Streitig ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags aufgrund der verspäteten Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2020 (Streitjahr). Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind für das Streitjahr zusammenveranlagte Eheleute. Sie übermittelten ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr verspätet an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—).
2 Das FA setzte mit Bescheid vom neben Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag einen Verspätungszuschlag in Höhe von 320 € fest. Die Kläger legten gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags (erfolglos) Einspruch ein. Im angefochtenen klageabweisenden Urteil führt das Finanzgericht (FG) zu § 152 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) aus, es handele sich um eine gebundene Norm. Beide Kläger seien aufgrund der gewählten Zusammenveranlagung verpflichtet gewesen, eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr abzugeben. Die Voraussetzungen von § 152 Abs. 3 AO hätten nicht vorgelegen. Der Verspätungszuschlag sei nach § 152 Abs. 5 AO in der richtigen Höhe festgesetzt worden. Das angefochtene Urteil enthält zu § 152 Abs. 4 AO und dessen Verhältnis zu § 152 Abs. 2 AO keine Ausführungen.
Gründe
II.
3 Die Revision ist zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die angefochtene Entscheidung ist greifbar gesetzeswidrig.
4 1. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO unter anderem zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung geführt hat, die angefochtene Entscheidung mithin an einem qualifizierten Rechtsfehler leidet, der im allgemeinen Interesse einer Korrektur durch das Revisionsgericht bedarf. Die Entscheidung des FG muss dabei jedoch in einem solchen Maße fehlerhaft sein, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom - VI B 58/16, BFH/NV 2017, 763, Rz 3; vom - X B 184/12, BFH/NV 2013, 1257).
5 Greifbare Gesetzeswidrigkeit ist anzunehmen, wenn das FG eine offensichtlich entscheidungserhebliche Vorschrift evident außer Acht gelassen hat (vgl. , BFH/NV 2003, 1597).
6 2. So liegt es hier in Bezug auf § 152 Abs. 4 AO. Das finanzgerichtliche Urteil setzt sich mit dieser Norm nicht auseinander, obwohl diese im Streitfall offensichtlich einschlägig ist. Nach dem Wortlaut der Norm („Sind mehrere Personen zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet, .“) fällt die Abgabe der Einkommensteuererklärung von zusammenveranlagten Eheleuten darunter. Denn auch im Fall der Zusammenveranlagung sind mehrere Personen zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet (vgl. zur Erklärungspflicht beider Ehegatten , BFH/NV 2009, 1592). Das FG hat zwar die Zusammenveranlagung der Kläger unter dem Aspekt behandelt, dass auch die Klägerin aufgrund der Zusammenveranlagung im Sinne von § 152 AO zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet gewesen sei. Mit § 152 Abs. 4 AO selbst und der hiernach zu treffenden Ermessensentscheidung (Auswahlermessen) befasst sich das FG aber nicht.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:B.220425.VIIIB26.24.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-90844