Betreuungssache: Voraussetzungen der Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in eine geschlossene Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung; Unterbringung über die Dauer der Zwangsbehandlung hinaus; Bedeutung einer entgegenstehenden Patientenverfügung
Leitsatz
1. Ist auszuschließen, dass der Betreute eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird, ist die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in eine Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen und diese gemäß § 1832 Abs. 2 BGB rechtswirksam genehmigt wird (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 463/23, FamRZ 2024, 1580).
2. Eine Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung ist auch über die angeordnete Dauer einer Zwangsbehandlung hinaus möglich, wenn der Tatrichter davon ausgehen kann, dass die notwendige Heilbehandlung in der Folgezeit sichergestellt ist. Dies kann der Fall sein, wenn zu erwarten ist, dass sich der Betroffene im Anschluss an die Zwangsbehandlung fortan freiwillig behandeln lässt oder eine weitere Zwangsbehandlung gerichtlich genehmigt werden kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 257/22, FamRZ 2023, 468).
3. Eine Patientenverfügung i.S.v. § 1827 Abs. 1 Satz 1 BGB steht der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme entgegen, wenn sie wirksam errichtet wurde, eine Regelung zu Zwangsbehandlungen enthält und auch in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 232/21, FamRZ 2023, 1059).
Gesetze: § 1827 Abs 1 S 1 BGB, § 1831 Abs 1 Nr 2 BGB, § 1832 Abs 1 S 1 Nr 3 BGB, § 1832 Abs 1 S 1 Nr 4 BGB
Instanzenzug: LG Dresden Az: 2 T 585/24vorgehend AG Dresden Az: 405 XVII 53/24
Gründe
I.
1Die Betroffene wendet sich gegen die gerichtliche Genehmigung ihrer Unterbringung und einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.
2Die Betroffene, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, war seit 2021 mehrfach nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften geschlossen untergebracht. Am errichtete sie eine Patientenverfügung, in der es unter anderem heißt: „Weitere Verfügung zur allgemeinen Medikamentengabe auch ohne bevorstehenden Sterbeprozess: Aufgrund einer fraglich diagnostizierten Vorerkrankung (ohne standardisierte Erkennungsmerkmale) lehne ich grundsätzlich die Einnahme von Neuroleptika und Antidepressiva ab, außer im Fall von später diagnostiziertem Parkinson“.
3Auf Antrag ihrer Betreuerin hat das auf der Grundlage eines auf den datierenden Sachverständigengutachtens die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer sozialtherapeutischen Wohnstätte bis längstens und die Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmedikation bis längstens genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen mit der Maßgabe, dass eine Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Wohnstätte nicht genehmigt wird, zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung, soweit darin die Beschwerde der Betroffenen gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung zurückgewiesen worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Hinsichtlich der zeitlich abgelaufenen Entscheidung über die ärztliche Zwangsmaßnahme hat die von der Rechtsbeschwerde beantragte Rechtswidrigkeitsfeststellung nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Norm des § 62 FamFG zu erfolgen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom - XII ZB 498/22 - FamRZ 2023, 1234 Rn. 2 mwN).
51. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
6Die Voraussetzungen für die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zur Heilbehandlung lägen vor. Die notwendige Heilbehandlung der an einer schizoaffektiven Störung leidenden Betroffenen sei derzeit ohne Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung nicht möglich. Da sie nicht krankheitseinsichtig sei, bestehe die Gefahr, dass sie nach der Entlassung aus der Klinik ihre Medikamente wieder absetze. Die festgesetzte Dauer für die Unterbringung sei nicht zu beanstanden, da diese, wie sich aus den ärztlichen Stellungnahmen ergebe, notwendig sei. Die Unterbringung sei auch über den Zeitraum der bisher genehmigten Zwangsbehandlung hinaus zulässig, da davon auszugehen sei, dass nach diesem Zeitpunkt weiterhin die Voraussetzungen vorlägen, unter denen die Zwangsbehandlung genehmigt werden könne.
7Die Patientenverfügung stünde der Zwangsbehandlung nicht entgegen. Da für den Zeitraum September 2022 ausgeschlossen werden könne, dass die Betroffene nicht geschäftsfähig gewesen sei, müsse die Patientenverfügung zwar als wirksam erachtet werden. Sie sei aber kein Ergebnis rationaler Überlegung, weil die Betroffene nicht in der Lage sei, die Frage der Behandlung rational abzuwägen. Zudem negiere die Betroffene ihre Krankheit, weshalb sie nicht erkennen könne, dass eine Heilung notwendig sei. Insofern könne dahingestellt bleiben, ob für die Patientenverfügung vom , die immerhin kurz nach ihrer Entlassung, also in einem noch der Einsicht zugänglichen Zustand erfolgte, davon auszugehen sei, dass die Betroffene sie - zumal angesichts der immer häufiger werdenden Unterbringungen - auch für den Fall des sich verschlechternden Zustandes abgeben würde.
82. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9a) Die materiellen Voraussetzungen für eine Genehmigung der Unterbringung zur Heilbehandlung gemäß § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB bis zum liegen auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen nicht vor.
10aa) Unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen für die Unterbringung eines Betreuten zur Durchführung einer Heilbehandlung gemäß § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung nach dieser Vorschrift von vornherein nur dann genehmigungsfähig, wenn eine erfolgversprechende Heilbehandlung auch durchgeführt werden kann. Dies setzt entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betreuten oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung voraus. Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher möglich, wenn zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Betreute in der Unterbringung behandeln lassen wird, sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht, er aber (lediglich) die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht. Ist dagegen auszuschließen, dass der Betreute eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird, ist die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen und diese gemäß § 1832 Abs. 2 BGB rechtswirksam genehmigt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 463/23 - FamRZ 2024, 1580 Rn. 17 und vom - XII ZB 257/22 - FamRZ 2023, 468 Rn. 15 mwN zu § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB aF).
11bb) Gemessen daran kann eine bis zum befristete geschlossene Unterbringung der Betroffenen auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht auf § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt werden.
12(1) Nach den getroffenen Feststellungen ist die Betroffene zu einer freiwilligen Medikamenteneinnahme nicht bereit. Eine Heilbehandlung der Betroffenen ist daher voraussichtlich nur aufgrund einer ärztlichen Zwangsbehandlung möglich. Die vom Amtsgericht genehmigte Zwangsmedikation war jedoch bis zum befristet. Diese konnte daher eine rechtlich tragfähige Grundlage für die Unterbringung zu einer gegen den natürlichen Willen der Betroffenen durchzuführenden Heilbehandlung allenfalls für diesen Genehmigungszeitraum bilden.
13Allerdings ist eine Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch über die angeordnete Dauer einer Zwangsbehandlung hinaus möglich, wenn der Tatrichter davon ausgehen kann, dass die notwendige Heilbehandlung in der Folgezeit sichergestellt ist. Dies kann der Fall sein, wenn zu erwarten ist, dass sich der Betroffene im Anschluss an die Zwangsbehandlung fortan freiwillig behandeln lässt oder eine weitere Zwangsbehandlung gerichtlich genehmigt werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 257/22 - FamRZ 2023, 468 Rn. 17 mwN). Hier liegt jedoch keine dieser Voraussetzungen vor.
14Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen ist die Betroffene jedoch weiterhin nicht bereit, freiwillig die für die Behandlung ihrer Erkrankung erforderlichen Medikamente einzunehmen. Dies belegt auch der Inhalt der Patientenverfügung vom . Soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, nach Ablauf der zuletzt genehmigten ärztlichen Zwangsmedikation lägen die Voraussetzungen für eine weitere Zwangsbehandlung der Betroffenen vor, trägt die gegebene Begründung dieses Ergebnis nicht. Das Beschwerdegericht führt hierzu lediglich aus, es sei davon auszugehen, dass nach Ablauf des Zeitraums der bislang vom Amtsgericht genehmigten Zwangsbehandlung weiter die Voraussetzungen vorlägen, unter denen die Zwangsbehandlung genehmigt werden könne. Insbesondere sei eine Zwangsbehandlung trotz der vorliegenden Patientenverfügung noch möglich. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass insoweit die erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen dazu fehlen, ob die Erwartung gerechtfertigt ist, nach Ablauf der bereits genehmigten Zwangsbehandlung lägen auch die weiteren Voraussetzungen des § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB vor.
15(2) Die Unterbringungsgenehmigung hat jedoch insgesamt - also auch für den bis zum reichenden Zeitraum - keinen rechtlichen Bestand. Denn die Ausführungen, mit denen das Beschwerdegericht eine Bindungswirkung der von der Betroffenen am errichteten Patientenverfügung, mit der sie sich gegen die zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika und Antidepressiva ausgesprochen hat, verneint hat, sind nicht tragfähig.
16Nach § 1832 Abs. 1 Nr. 3 BGB kann der Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann einwilligen, wenn diese dem nach § 1827 BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entspricht. Eine Patientenverfügung iSv § 1827 Abs. 1 Satz 1 BGB steht deshalb der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme entgegen, wenn die Patientenverfügung wirksam errichtet wurde, eine Regelung zu Zwangsbehandlungen enthält und auch in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 232/21 - FamRZ 2023, 1059 Rn. 15 zu Art. 6 BayMRVG).
17Obwohl das Beschwerdegericht die Bedeutung einer Patientenverfügung für die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme im Grundsatz erkannt hat, hat es die Bindungswirkung der Patientenverfügung vom mit einer rechtsfehlerhaften Begründung verneint. Gemäß § 1827 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung maßgeblich, ob der Betroffene im Zeitpunkt ihrer Errichtung einwilligungsfähig ist, mithin über die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verfügt. Auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Sinne des § 104 BGB kommt es damit nicht an (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 554/20 - FamRZ 2021, 1573 Rn. 19). Das Beschwerdegericht hat hingegen (sogar) das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit geprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, deren Vorliegen - und damit auch das der Einsichtsfähigkeit - sei trotz der Erkrankung nicht auszuschließen. Hierzu in unauflösbarem Widerspruch steht jedoch, dass das Beschwerdegericht die Patientenverfügung mit der Begründung für unbeachtlich hält, diese sei kein Ergebnis rationaler Überlegung. Denn damit geht es offensichtlich davon aus, dass es der Betroffenen im maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit gefehlt hat.
18b) Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass die Instanzgerichte die Einwilligung der Betreuerin in die Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme genehmigt haben, ohne dabei die Patientenverfügung der Betroffenen vom ausreichend zu berücksichtigen.
19Das Beschwerdegericht hat sich zwar mit der Patientenverfügung befasst. Wie bereits dargelegt, hat es jedoch deren Bindungswirkung mit einer nicht tragfähigen Begründung abgelehnt. In dem amtsgerichtlichen Beschluss wird hierzu lediglich ausgeführt, die Patientenverfügung vom sei als nicht wirksam anzusehen, da davon auszugehen sei, dass ihr keine freie Willensentscheidung zu Grunde gelegen habe. Tragfähige Feststellungen für diese Annahme hat das Amtsgericht indes nicht getroffen.
203. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.
21a) Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist die Entscheidung aufzuheben, soweit darin die Beschwerde der Betroffenen gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung zurückgewiesen worden ist. Insoweit ist die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif und daher nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht zurückzuverweisen.
22b) Hinsichtlich der Entscheidung über die ärztliche Zwangsmaßnahme ist auf den Antrag der Betroffenen entsprechend § 62 Abs. 1 FamFG durch den Senat auszusprechen, dass die durch Zeitablauf erledigten Entscheidungen der beiden Vorinstanzen hierzu die Betroffene in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität und dem vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt haben (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 18 mwN).
23Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 20 mwN).
244. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Klinkhammer
Krüger
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:050225BXIIZB547.24.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-90828