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BAG Urteil v. - 10 AZR 76/24

Zulässigkeit der Berufung - ordnungsgemäße Berufungsbegründung

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 7 Ca 648/14 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 426/23 SK Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu entrichten.

2Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet und verlangt von der Beklagten Beiträge für 20 gewerbliche Arbeitnehmer und fünf Angestellte für den Zeitraum Dezember 2009 bis Dezember 2013.

3Die nicht originär tarifgebundene Beklagte unterhielt im streitgegenständlichen Zeitraum einen Gewerbebetrieb mit Sitz in M. Im Handelsregister war die Beklagte mit dem Unternehmensgegenstand „Alle Dienstleistungen rund um das Segment Kanalreinigung und -reparatur, Dichtigkeitsprüfung und TV-Untersuchungen im Abwasserkanal sowie die Übernahme und Fortführung des Geschäftsbetriebs der K GmbH i.L.“ eingetragen. In den Jahren 2009 bis 2013 wurden Arbeiten rund um die Wartung und Sanierung von Rohrleitungen und Kanalrohren für öffentliche und private Auftraggeber erbracht.

4Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte falle unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV und sei daher zur Leistung von Beiträgen verpflichtet. Sie führe bauliche Instandhaltungs- und Sanierungstätigkeiten aus.

5Vor dem Arbeitsgericht hat er beantragt,

6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und vorgetragen, die von ihr arbeitszeitlich überwiegend durchgeführten Rohrinspektions- und -reinigungsarbeiten seien nicht als baulich zu qualifizieren.

7Nachdem die Beklagte erstinstanzlich mit Urteil vom antragsgemäß verurteilt worden war, ist während des Berufungsverfahrens mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet, ein Sachwalter bestellt und Eigenverwaltung angeordnet worden; der Rechtsstreit war nach § 240 ZPO unterbrochen. Nachdem die Beklagte Bruttolöhne für die gewerblichen Arbeitnehmer gemeldet hatte, hat der Kläger am für die Streitzeiträume nur einen Betrag in Höhe von 405.607,50 Euro zur Insolvenztabelle angemeldet. Diese Forderung ist vom Sachwalter sowie der Beklagten als Amtswalterin am bestritten worden. Mit Schriftsatz vom hat die Beklagte den Rechtsstreit aufgenommen. Mit Schriftsatz vom hat der Kläger die Klage teilweise - bis auf den Betrag iHv. 405.607,50 Euro - zurückgenommen.

8Die Beklagte hat zuletzt beantragt,

9Der Kläger hat beantragt,

10Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Feststellung, dass der Widerspruch begründet ist.

Gründe

11Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet, da ihre Berufung gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts mangels ausreichender Begründung unzulässig war.

12I. Nachdem der Rechtsstreit aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten nach § 240 Satz 1 ZPO zunächst unterbrochen worden war, hat die Beklagte ihn - nach Anmeldung der strittigen Forderung zur Insolvenztabelle (§§ 174 ff. InsO), Bestreiten der Forderung durch die Beklagte als Amtswalterin sowie Umstellen der Anträge auf Feststellung der (Un-)Begründetheit des Widerspruchs gegen die angemeldete Forderung - wirksam nach §§ 85, 86, 180 Abs. 2 InsO (vgl.  - Rn. 17) iVm. § 179 Abs. 2, § 270 Abs. 1 InsO aufgenommen.

13II. Die Revision ist schon deshalb unbegründet, da die Berufung der Beklagten nicht ausreichend begründet und daher unzulässig war.

141. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach der Berufungseinlegung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat (st. Rspr., vgl. zuletzt  - Rn. 12 mwN). Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss eine Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder es zu wiederholen (st. Rspr., zB  - Rn. 10; - 10 AZR 512/18 - Rn. 15 mwN). Stützt das Arbeitsgericht seine Entscheidung auf mehrere unabhängige, jeweils selbständig tragende Erwägungen, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen, andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig ( - Rn. 12).

152. Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung unzulässig. Die Beklagte setzt sich in der Berufungsbegründung nicht hinreichend mit dem angegriffenen Urteil des Arbeitsgerichts auseinander. Es wird nur eine der beiden tragenden Erwägungen angegriffen.

16a) Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung doppelt tragend begründet. Zum einen hat es angenommen, die Beklagte habe schon nicht erheblich bestritten, unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV zu fallen, da die von ihr nach eigenen Angaben zeitlich überwiegend ausgeführten Rohr- und Kanalreinigungsarbeiten einschließlich damit im Zusammenhang stehender Prüf- und Kontrollarbeiten Rohrleitungsbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV seien. Zum anderen hat es seine Entscheidung damit begründet, bei den Prüf- und Reinigungstätigkeiten an Kanalrohren handle es sich, auch wenn ihnen mangels Sanierungsbedarfs oder mangels Beauftragung keine Sanierungstätigkeit nachfolge, um bauliche Tätigkeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Das gelte insbesondere, wenn sie von einem Betrieb verrichtet würden, der - wie die Beklagte - im Fall festgestellten Sanierungsbedarfs bei entsprechender Beauftragung auch selbst erforderliche Sanierungsarbeiten vornehme. Prüftätigkeiten an Rohrleitungen verfolgten das Ziel, festzustellen, ob Schäden vorhanden seien und damit Sanierungsbedarf bestehe. Solche Arbeiten gehörten zu den Instandhaltungsarbeiten an einer Kanalrohranlage. Ein Betrieb, der diese Arbeiten ausführe, verfolge bauliche Zwecke. Das zeige auch der Ausbildungsrahmenplan für den baulichen Beruf des Kanalbauers. Dass die von der Beklagten ausgeführten Reinigungstätigkeiten nicht stets oder zwingend in einer eigenen Sanierungstätigkeit der Beklagten mündeten, stehe nicht entgegen. Der arbeitstechnische Zweck eines Betriebs ändere sich nicht dadurch, dass bauliche Sanierungsarbeiten mangels Sanierungsbedarfs in einzelnen Fällen nicht durchgeführt werden müssen oder anschließend durch eine andere Firma verrichtet werden.

17b) Die Berufungsbegründung geht zwar in der Sache - wenn auch ohne Auseinandersetzung mit § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV - auf die erste tragende Begründung des Arbeitsgerichts ein. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme wird behauptet, auf solche baulichen Arbeiten würden lediglich 20 % bis 30 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit entfallen. Mit dem zweiten tragenden Argument des Arbeitsgerichts, dass im Streitzeitraum arbeitszeitlich überwiegend bauliche Tätigkeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV gegeben waren, findet aber keine hinreichende Auseinandersetzung statt. Es wird nicht erkennbar, aus welchen Gründen diese rechtliche Einordnung fehlerhaft sein soll. Zwar wiederholt die Beklagte ihre Auffassung, überwiegend isolierte Reinigungsarbeiten durchgeführt zu haben, welche - unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom (- 10 AZR 669/13 -) - von der Rechtsprechung „auch anerkannt seien und baulichen Arbeiten nicht zuzuschlagen seien“. Das Reinigen sei Selbstzweck, diene nicht baulichen Zwecken und es werde auch nicht unmittelbar auf den Rohrkörper eingewirkt. Es fehlt aber an einem Eingehen auf das entscheidende Argument des Arbeitsgerichts, maßgeblich sei der betriebliche Gesamtzweck der Tätigkeiten eines auch die Sanierung vornehmenden Betriebs, der darin liege, Kanalrohre zu reinigen, zu überprüfen, Schäden und Sanierungsbedarf festzustellen und - bei entsprechendem Auftrag - zu beseitigen.

18Außerdem fehlt es an einer Auseinandersetzung mit dem Argument des Arbeitsgerichts, die Einordnung als baugewerbliche Leistung zeige sich auch an dem Ausbildungsrahmenplan für den baulichen Beruf des Kanalbauers. Insoweit hat die Beklagte lediglich dargelegt, im Ausbildungsrahmenplan der Fachkraft für Rohr-, Kanal- und Industrieservice sei ebenfalls explizit die Rohrreinigung geregelt. Dieser „Ausbildungsrahmenvertrag“ sei für den Betrieb der Beklagten sach- und fachnäher. Warum dieser Ausbildungsrahmenplan bei einem Betrieb, der auch Sanierungsarbeiten durchführt, aber die speziellere - und insoweit maßgebliche - Ausbildungsverordnung sein soll, wird allerdings nicht ausgeführt.

19III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:190325.U.10AZR76.24.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-90764