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BGH Beschluss v. - III ZB 12/24

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 8 U 1644/23vorgehend Az: 9 O 1905/22

Gründe

I.

1    Der Kläger nimmt die Beklagte als Vermittlerin von Kapitalanlagen auf Schadensersatz in Anspruch.

21.    Das seine Klage abweisende Urteil des Landgerichts wurde seiner vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwältin W.      , am zugestellt. Diese legte am Berufung ein und begründete das Rechtsmittel nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum (Montag) mit Schriftsatz vom selben Tage. Der Schriftsatz ging am um 7.20 Uhr beim zuständigen Oberlandesgericht Dresden ein.

3    Nachdem dieses zunächst Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und die Beklagte auf die Berufung erwidert hatte, beantragte Rechtsanwältin W.         am (hilfsweise) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

4    Dazu versicherte sie anwaltlich unter Vorlage eines ärztlichen Attests vom sowie eines Prüfprotokolls und einer Eingangsbestätigung aus der beim Export aus dem beA-System gebildeten zip-Datei, sie habe am Tag des Fristablaufs aufgrund einer Knieverletzung mit ihrem Laptop im "Homeoffice" gearbeitet und dabei über das Internet auf den Kanzleiserver zugegriffen. Sie habe die Berufungsbegründung fertiggestellt und um 22.56 Uhr aus ihrem beA-Postfach versandt - ihrer damaligen Überzeugung nach - an das von ihr in der Empfängermaske ausgewählte zuständige Oberlandesgericht Dresden. Nachdem im Ordner "Gesendet" des beA-Postfachs die erfolgreiche Übermittlung angezeigt worden sei, habe sie noch einen ebenfalls zu versendenden Fristverlängerungsantrag in einer anderen Sache gefertigt. Beim Versuch, diesen anschließend in der e-Akte des Anwaltsprogramms auf dem Kanzleiserver zu speichern, habe sie festgestellt, dass die Internetverbindung zwischenzeitlich abgebrochen sei, was auf ihrem Laptop durch das Erscheinen eines Weltkugelsymbols angezeigt worden sei. Daraufhin habe sie bis gegen 24.00 Uhr mehrfach erfolglos versucht, die Verbindung über die Internet- und Netzwerkeinstellungen an ihrem Computer sowie durch Aus- und Einschalten des Laptops und des Routers wiederherzustellen. Ohne Internetverbindung habe sie auch nicht das Prüfprotokoll zur Übermittlung der Berufungsbegründung aus dem beA-Postfach herunterladen, ausdrucken und die Übermittlungsdaten auf ihre Richtigkeit prüfen können. Dies habe sie vielmehr erst am nächsten Morgen gegen 7.00 Uhr nachholen können, nachdem sich die Internetverbindung habe wiederherstellen lassen. Nach dem Herunterladen der zip-Datei der übermittelten Daten und dem Ausdruck des Prüfprotokolls habe sie feststellen müssen, dass die Berufungsbegründung am Vorabend um 22.56 Uhr tatsächlich unerklärlicherweise an das unzuständige Oberlandesgericht Nürnberg übersandt worden sei. Daraufhin habe sie deren Übermittlung an das Oberlandesgericht Dresden umgehend nachgeholt.

5    Auf richterlichen Hinweis, dass dem Wiedereinsetzungsbegehren nicht zu entsprechen sein dürfte, wies Rechtsanwältin W.          mit Stellungnahme vom unter anderem darauf hin, dass ihr eine rechtzeitige Ersatzeinreichung - die sie aufgrund ihrer Überzeugung, die Berufungsbegründung erfolgreich an das Oberlandesgericht Dresden übermittelt zu haben, gar nicht erwogen habe - mangels Verfügbarkeit eines analogen Telefaxgeräts im "Homeoffice" nicht möglich gewesen sei. Sie habe auch nicht noch am gegen 23.00 Uhr eine andere Rechtsanwältin aus ihrer Kanzlei kontaktieren müssen. Ein etwaiges Verschulden ihrerseits an der Fehlübersendung der Berufungsbegründung habe sich jedenfalls nicht kausal ausgewirkt, da sie ohne den nur wenige Minuten nach 22.56 Uhr plötzlich eingetretenen Internetausfall die Übermittlung ordnungsgemäß hätte prüfen können und dann noch etwa 55 Minuten Zeit gehabt hätte, um rechtzeitig vor 24.00 Uhr die Übermittlung der Berufungsbegründung an das richtige Empfängergericht nachzuholen.

62.    Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen.

7    Eine Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungsbegründungsfrist komme auch mit Blick auf die angeführten Geschehnisse am Abend des nicht in Betracht. Der Kläger habe nicht genügend glaubhaft gemacht, dass die verspätete Übermittlung der Berufungsbegründung an das zuständige Oberlandesgericht Dresden nicht durch ein ihm zurechenbares Anwaltsverschulden verursacht worden sei (S. 10). Es erschließe sich nicht, dass eine ordnungsgemäße Eingangskontrolle stattgefunden habe. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte im unmittelbaren Anschluss an den Übermittlungsvorgang die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO abrufen und eingehend kontrollieren müssen. Stattdessen habe sie nach ihren Darlegungen zunächst noch andere Schriftsatzvorgänge über das beA-Postfach abwickeln wollen, wobei es erst im Zuge dieser weiteren Übermittlungsvorgänge zu technischen Störungen gekommen sei. Nach dem geschilderten Geschehensablauf sei nicht auszuschließen, dass bei einer unmittelbar anschließenden Eingangskontrolle ein Abruf des Prüfprotokolls des unzuständigen Oberlandesgerichts Nürnberg noch möglich gewesen wäre und der Übermittlungsfehler rechtzeitig hätte festgestellt werden können, weshalb die vorgetragenen Zweifel am Kausalzusammenhang nicht durchgreifen würden. Dessen ungeachtet könne das Vorbringen zu aufgetretenen technischen Störungen die Prozessbevollmächtigte des Klägers ohnehin nicht entschuldigen (S. 12). Diese Ausführungen erlaubten nicht zureichend, auf eine nicht in ihren Verantwortungsbereich fallende plötzliche technische Fehlfunktion zu schließen. Hinzu komme, dass sie gehalten gewesen sei, in der verbleibenden Zeit, d.h. innerhalb der von ihr angegebenen 55 Minuten, andere Prüf- beziehungsweise Übermittlungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen und zu nutzen, was sie sorgfaltswidrig unterlassen habe (S. 13). Insbesondere sei nicht glaubhaft gemacht, dass sie nicht ein in der Kanzlei vorhandenes analoges Telefaxgerät habe nutzen können. Auch sei nicht dargelegt, dass es in der verbliebenen Zeit nicht möglich gewesen sei, den Laptop mit einem anderweitigen Internetzugang zu verbinden (S. 14).

8    Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

9    Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Insbesondere ist keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich. Eine entscheidungserhebliche Verletzung der verfassungsrechtlich garantierten Ansprüche des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch den angefochtenen Beschluss liegt nicht vor.

101.    Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die bis zum verlängerte Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt worden ist, weil der Begründungsschriftsatz erst am Folgetag beim zuständigen Oberlandesgericht Dresden eingegangen ist. Dagegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.

112.    Da der Kläger ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht ausgeräumt hat, hat das Berufungsgericht zu Recht seinen Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen.

12    a) Zwar kommt es nicht darauf an, dass sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht von einem Verschulden hinsichtlich der am letzten Tag der Frist um 22.56 Uhr erfolgten fehlerhaften Übersendung der Berufungsbegründung an das unzuständige Oberlandesgericht Nürnberg zu entlasten vermocht hat. Insoweit spricht vielmehr nach dem von ihr vorgelegten Prüfprotokoll nebst Export-Datei alles dafür, dass sie im beA-Postfach das falsche Empfängergericht ausgewählt hat. Dass dies auf keine Unaufmerksamkeit ihrerseits zurückzuführen ist, ergibt sich aus ihrem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht. Denn sie hat in ihrer anwaltlichen Versicherung lediglich ausgeführt, dass sie angenommen habe, das zuständige Oberlandesgericht Dresden in der Empfängermaske ausgewählt zu haben und sich nicht erklären könne, wie es zu der fehlerhaften Übermittlung an das Oberlandesgericht Nürnberg gekommen sei. Allerdings liegt die maßgebliche Ursache für die Fristversäumung nicht in der - zeitlich vorangehenden - Adressierung an das falsche Oberlandesgericht, sondern darin, dass - zeitlich nachfolgend - die Übersendung an das richtige Oberlandesgericht nicht überprüft und die sich dabei ergebende Fehlübermittlung nicht korrigiert worden ist.

13    b) Dass sie daran unverschuldet gehindert gewesen wäre, ist - wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat - (ebenfalls) nicht glaubhaft gemacht worden. Ein der Partei zuzurechnendes Anwaltsverschulden im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO an der Versäumung einer Frist liegt vor, wenn die für eine Prozessführung erforderliche, übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts außer Acht gelassen worden ist, nicht aber die äußerste, nach den Umständen mögliche Sorgfalt (vgl. , juris Rn. 15; Urteil vom - VII ZR 160/84, NJW 1985, 1710 f und Versäumnisurteil vom - VI ZR 218/78, VersR 1979, 960). Bei Anlegung dieses Maßstabs hat das Berufungsgericht zwar mit seiner Begründung die an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten zu stellenden Anforderungen überspannt (siehe aa). Dies hat sich aber im Ergebnis nicht ausgewirkt (siehe bb).

14    aa) Eine Überdehnung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten liegt im vorliegenden Fall darin, dass das Berufungsgericht der Prozessbevollmächtigten des Klägers angelastet hat, nicht sofort nach dem Versand der Berufungsbegründung um 22.56 Uhr auch die vom Justizserver automatisch erstellte Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO im beA-System abgerufen und kontrolliert, sondern erst noch einen Fristverlängerungsantrag in einer anderen Sache gefertigt zu haben.

15    (1) Die anwaltliche Sorgfalt erfordert es, beim Versand von fristgebundenen Schriftsätzen per beA im Rahmen der Überprüfung ihrer ordnungsgemäßen Übermittlung zu kontrollieren, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Hat der Rechtsanwalt eine automatisierte Eingangsbestätigung erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich gewesen ist. Bleibt sie aus, muss ihn dies zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen (vgl. Senat, Beschluss vom - III ZB 13/22, NJW 2023 mwN). Danach ist es zwar unerlässlich, dass der Rechtsanwalt die vom Justizserver generierten Eingangsbestätigungen für die von ihm übermittelten fristgebundenen Schriftsätze (überhaupt) abruft und kontrolliert und damit den Übermittlungsvorgang insgesamt abschließt. Allerdings bleibt es seiner eigenen Arbeitsorganisation überlassen, wann er dies tut, sofern er nicht wiederum durch die Wahl dieses Zeitpunkts die anwaltliche Sorgfalt verletzt. Dies ist hier entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht der Fall.

16    (2) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Entschließt er sich, ihn selbst bei Gericht einzureichen, übernimmt er damit die alleinige Verantwortung für die Einhaltung der Frist und hat auch in diesem Fall geeignete Maßnahmen zu treffen, um einen fristgerechten Eingang des Schriftsatzes zu gewährleisten. Reicht er ihn nicht rechtzeitig bei Gericht ein, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn der Rechtsanwalt alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei einem normalen Verlauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt wird. Schöpft er - wie hier - eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag aus, hat er wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos zudem erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom - III ZB 54/18,  NJW-RR 2018, 1529 Rn. 9 und vom - III ZB 24/14, FamRZ 2015, 323 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 14/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 9; vom - XII ZB 335/17, NJW-RR 2018, 312 Rn. 13 und vom - IV ZB 23/15, juris Rn. 13). Nutzt ein Rechtsanwalt zur Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes ein Telefaxgerät, hat er bei ordnungsgemäßer Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und korrekter Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übertragung begonnen hat, dass unter gewöhnlichen Umständen mit deren Abschluss vor 24.00 Uhr am Tag des Fristablaufs gerechnet werden konnte. Dabei hat er die Belegung des Empfangsgeräts des Gerichts durch andere eingehende Sendungen - insbesondere in den Abend- und Nachtstunden - in Rechnung zu stellen und zusätzlich zu der eigentlichen Sendedauer eine ausreichende Zeitreserve einzuplanen, um gegebenenfalls durch Wiederholung der Übermittlung den Zugang des Schriftsatzes bis zum Fristablauf zu gewährleisten. Dieser zeitliche "Sicherheitszuschlag" wird allgemein mit ungefähr 20 Minuten bemessen (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom , aaO Rn. 10 und vom , aaO Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom , aaO Rn. 10 f; vom , aaO Rn. 14 und vom , aaO Rn.14; , juris Rn. 3 und BVerfGE 135, 126 Rn. 36; BVerwG, NVwZ 2023, 1913 Rn. 16 f; BFH, BeckRS 2015, 96129 Rn. 7).

17    (3) Entsprechendes gilt im vorliegenden Fall, da die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 19 und vom - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 21) und auch im elektronischen Rechtsverkehr Verzögerungen beispielsweise durch eine Vielzahl vor Mitternacht eingehender und vom System zu verarbeitender Nachrichten, Software-Updates oder Schwankungen bei der Internetverbindung einzukalkulieren sind (vgl. BVerwG, aaO Rn. 18). Ob dabei ebenfalls eine zeitliche Reserve in der Größenordnung von 20 Minuten zu fordern ist, kann dahinstehen (ebenfalls offengelassen vom BVerwG, aaO Rn. 19). Denn jedenfalls war die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers angegebene Zeitspanne von ungefähr 55 Minuten als Sicherheitszuschlag ausreichend, die ihr ohne den nur wenige Minuten nach 22.56 Uhr erfolgten Internetausfall noch zur Verfügung gestanden hätte, um die Eingangsbestätigung abzurufen und zu kontrollieren, die Fehlübersendung zu bemerken und die Übermittlung der Berufungsbegründung an das richtige Empfängergericht nachzuholen. Da insoweit die anwaltliche Sorgfalt nicht verletzt ist, kommt es nicht auf die Spekulation an, ob es ihr möglicherweise bei sofortiger Überprüfung der beA-Eingangsbestätigung (und Bemerken des Übermittlungsfehlers) noch vor dem Ausfall der Internetverbindung gelungen wäre, die Berufungsbegründung an den richtigen Empfänger zu übermitteln.

18    (4) Danach steht dem Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht schon entgegen, dass seine Prozessbevollmächtigte den korrekten Zugang der Berufungsbegründung nicht unmittelbar im Anschluss an deren Versendung überprüft, sondern zuvor noch - für insgesamt wenige Minuten - einen Fristverlängerungsantrag in einer anderen Sache gefertigt und versenden hat wollen. Denn nach den dargestellten Rechtsprechungsmaßstäben war der anwaltlichen Sorgfalt dadurch Genüge getan, dass Rechtsanwältin W.        nach ihrer arbeitsorganisatorischen Planung unter gewöhnlichen Umständen, d.h. insbesondere bei ununterbrochener Internetverbindung, die Kontrolle der Eingangsbestätigung der Berufungsbegründung etwa gegen 23.05 Uhr abgeschlossen und ihr damit noch eine erhebliche Zeitreserve vor Ablauf der Frist zur Verfügung gestanden hätte, deren Fehlübersendung durch eine nochmalige Übermittlung an das zuständige Empfängergericht zu "reparieren". Eine sofortige Versandkontrolle wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn sie mit einem alsbaldigen Ausfall der Internetverbindung hätte rechnen müssen oder aus ihrer Sicht die für eine eventuelle Wiederholung des Versands verbleibende Zeitspanne aus anderen Gründen zu knapp geworden wäre, was weder ersichtlich noch vom Berufungsgericht festgestellt worden ist.

19    bb) Dass die Vorinstanz insoweit gleichwohl von einem die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist hindernden Sorgfaltspflichtverstoß ausgegangen ist, hat sich indes nicht entscheidungserheblich ausgewirkt. Denn die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs ist selbständig tragend auch darauf gestützt, dass das Vorbringen des Klägers zum Ausfall der Internetverbindung und zu den von seiner Prozessbevollmächtigten entfalteten Bemühungen zu deren Wiederherstellung unzureichend ist und damit nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass das Unterbleiben einer rechtzeitigen "Reparatur" des Übermittlungsfehlers auf einem Verschulden ihrerseits beruht. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

20    (1) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Fehlfunktion technischer Einrichtungen den Rechtsanwalt nur dann entlastet, wenn die Störung plötzlich und unerwartet aufgetreten ist und weder durch regelmäßige Wartungen der Geräte hätte verhindert werden können noch auf einem Bedienfehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760 Rn. 15 und 17 und vom - I ZB 35/22, juris Rn. 13). Dies ist substantiiert und nachvollziehbar vorzutragen und glaubhaft zu machen, wobei außer der Art des Defekts und der Maßnahmen zu seiner Behebung (vgl. , FamRZ 2004, 1276, 1277 und Ls. 2) auch dargelegt werden muss, dass die Fristwahrung nicht auf anderem Wege - also im elektronischen Rechtsverkehr durch eine gemäß § 130d Satz 2 ZPO zulässige Ersatzeinreichung etwa per Telefax - möglich war (vgl. aaO Rn. 19).

21    (2) Ob das Berufungsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung danach zu Recht beanstandet hat, es werde "lediglich in allgemeiner Form...mitgeteilt", dass am nach 22.56 Uhr das Internet ausgefallen sei, wofür "nachvollziehbare Belege…fehlen" (S. 13), kann dahinstehen. Dazu ist lediglich anzumerken, dass mit einem - nach allgemeiner Lebenserfahrung gelegentlich durchaus auftretenden - Abbruch der Internetverbindung die Art der technischen Störung hinreichend genau beschrieben (anders als etwa mit einem "Computerdefekt", vgl. dazu aaO) und durch die abgegebene anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht sein dürfte. Ebenso offenbleiben kann, ob ein Rechtsanwalt in seiner Kanzlei - oder sogar im "Homeoffice" - auch nach Einführung des verbindlichen elektronischen Rechtsverkehrs noch ein analoges Telefaxgerät und damit eine letztlich veraltete Technik für aufgrund technischer Störungen möglicherweise erforderlich werdende Ersatzeinreichungen vorhalten muss, wovon das Berufungsgericht anscheinend ausgegangen ist (S. 14).

22    (3) Denn jedenfalls hat die Vorinstanz, die die Schilderungen zu den Bemühungen um die Wiederherstellung der Internetverbindung als "rudimentär" bewertet hat (S. 13), im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass sie sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Internetverbindung erfolglos ergriffen hat beziehungsweise solche Maßnahmen aus konkret bezeichneten Gründen nicht hat ergreifen können. Zwar sind insoweit keine übertriebenen Anforderungen zu stellen, zumal ein Internetausfall vielfältige und sogar von IT-Fachleuten nicht immer sicher identifizierbare Ursachen haben kann (z.B. ungünstige Wetterbedingungen, Kabelbrüche durch Straßenbauarbeiten, technische Probleme im Verantwortungsbereich des Internetanbieters, Defekte oder Störungen des Routers, Konfigurations-, Software- oder Hardwareprobleme innerhalb des lokalen Netzwerks oder des Endgeräts), wobei Internetabstürze durch Fehler bei der Bedienung etablierter und massenhaft verwendeter Anwenderprogramme eher unwahrscheinlich sein dürften. Von einem Rechtsanwalt als professionellem Anwender kann jedoch erwartet werden, dass er diejenigen ganz einfachen, ohne besondere technische Kenntnisse auch von Laien umsetzbaren und weitgehend allgemein geläufigen Sofortmaßnahmen zur Wiederherstellung einer Internetverbindung kennt und ergreift, wie sie auch in Checklisten zur Vorgehensweise bei Internetstörungen etwa in Anwenderhandbüchern und Publikumszeitschriften sowie von Internetanbietern und Telekommunikationsunternehmen empfohlen werden (siehe beispielsweise https://www.computerbild.de/artikel/cb-Tipps-Internet-Internet-stuerzt-staendig-ab-31491417.html [abgerufen am ] oder https://www.verivox.de/internet/stoerung). Dazu gehört nicht nur das von der Prozessbevollmächtigten des Klägers nach ihren Angaben jeweils ohne Erfolg vorgenommene Aus- und Einschalten des Routers und des Computers sowie die Überprüfung von dessen Internet- und Netzwerkeinstellungen, sondern jedenfalls auch die Kontrolle, ob die Netzwerkkabel am Router und (bei einer LAN-Verbindung) am Computer noch richtig eingesteckt sind. Dazu ist hier nichts vorgetragen worden. Insbesondere hat Rechtsanwältin W.        nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie überprüft habe, ob sich die Kabelverbindungen gelöst hätten. Da es schon insoweit an einem ausreichenden Wiedereinsetzungsvorbringen fehlt, muss nicht abschließend entschieden werden, ob auch die einfach zu bewerkstelligende Errichtung eines WLAN-Hotspots über ein gegebenenfalls vorhandenes Smartphone und dessen Nutzung als Ersatz-Internetverbindung zu den vorgenannten Maßnahmen gehört, zu denen im Wiedereinsetzungsverfahren hätte vorgetragen werden müssen (so OVG Münster, BeckRS 2022, 23282 Rn. 5).

Herrmann                                                       Arend

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:240425BIIIZB12.24.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-90687