Suchen
BGH Beschluss v. - 1 StR 482/24

Instanzenzug: LG Bochum Az: II-2 KLs 17/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ der Angeklagte die von ihm betriebene W.                                 GmbH, deren Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter er war, von unbekannt gebliebenen Hintermännern, vor allem von „            S.     “, jedenfalls im Zeitraum von April 2018 bis Dezember 2018 in „Mehrwertsteuerbetrugsketten“ einbinden. Beim Handel mit Speichermedien ließ er der W.                                  GmbH von unter der D.     GmbH und der H.                 GmbH ausgestellte Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis übergeben, obwohl er erkannte, dass diese beiden Gesellschaften tatsächlich keine Verfügungsmacht über die Waren hatten und nicht Vertragspartner der W.                                  GmbH waren, sondern als Briefkastenfirmen nur vorgeschoben wurden. Da der Angeklagte wusste, dass die Hintermänner die wahren Lieferanten waren, erkannte er auch, dass die vorgenannten Rechnungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten. Dennoch machte er für die W.                                  GmbH bei Abgabe der neun Umsatzsteuervoranmeldungen zu Unrecht die Vorsteuer aus den entsprechenden Eingangsrechnungen geltend. Denn er wollte für die W.                                 GmbH die mit den Hintermännern vereinbarte Gewinnmarge von 3 % pro Lieferung (risikolos) vereinnahmen und damit an diesen Geschäften beteiligt bleiben. Die W.                                     GmbH veräußerte die Speichermedien an in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässige Unternehmen (innergemeinschaftliche Lieferungen), sodass sich aus diesen Geschäften Vorsteuerüberhänge ergaben. Die Speicherkarten standen für neue Karussellgeschäfte zur Verfügung. Für die beiden Briefkastenfirmen (missing trader) ließen die Hintermänner gemäß dem Tatplan keine Umsatzsteuererklärungen abgeben, um die von der W.                                  GmbH geleistete Umsatzsteuer behalten zu können.

3Da die W.                             GmbH die Umsatzsteuerbeträge bis zur Erstattung durch das Finanzamt vorstrecken musste, wollte der Angeklagte die damit verbundenen Liquiditätsschwierigkeiten durch Beteiligung der SH Telekommunikation GmbH, vertreten durch den Zeugen Stroman, verringern. Die     T.                               GmbH trat teilweise als weitere Lieferantin zwischen die H.                   GmbH und die W.                               GmbH, räumte dieser längere Zahlungsziele ein und ließ sich für diese Beteiligung an der Vorfinanzierung mit einem Prozent vom Gewinnaufschlag entlohnen. Insgesamt machte der Angeklagte zugunsten der W.                                GmbH folgende Vorsteuerbeträge zu Unrecht geltend: für April 2018 47.364,72 €, für Mai 2018 220.403,80 €, für Juni 2018 267.212,20 €, für Juli 2018 240.934,25 €, für August 2018 493.953,26 €, für September 2018 226.677,71 €, für Oktober 2018 1.997.092,62 €, für November 2018 2.478.725,83 € und für Dezember 2018 682.614,90 €. Das Finanzamt zahlte das für November 2018 geltend gemachte Vorsteuerguthaben nicht aus, wodurch sich die Liquiditätsschwierigkeiten der W.                                  GmbH verschärften.

42. Die Revision ist teilweise begründet.

5a) Das Urteil genügt überwiegend nicht den an die Darstellung einer Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, 4 Satz 1 AO) zu stellenden Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Dies führt hier dazu, dass der Senat nicht nachprüfen kann, ob das Landgericht in den Fällen 1 bis 7 und 9 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei Tatvollendung angenommen hat, und nötigt insoweit zur Urteilsaufhebung.

6aa) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Tat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann. Nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 337 StPO). Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) wird materiell-rechtlich durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften ausgefüllt, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerhinterziehung geführt hat. Auch hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen; st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 125/23 Rn. 3; vom – 1 StR 236/21 Rn. 12 und vom – 1 StR 159/19 Rn. 7 f.; jeweils mwN).

7Dies bedeutet für die Hinterziehung von Umsatzsteuer in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, dass das Tatgericht den wesentlichen Inhalt der abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen oder -jahreserklärungen festzustellen hat, insbesondere also den Umfang der steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen sowie die Summe der geltend gemachten Vorsteuerbeträge. Für die „Ist“-Steuer muss zu erkennen sein, ob sich aus den Angaben eine Umsatzsteuerzahllast (§ 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 zweiter Halbsatz Variante 3 AO; § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG: Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung) oder ein Vorsteuerguthaben ergab. Denn im letztgenannten Fall bedarf es zur Tatvollendung gemäß § 168 Satz 2 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 AO der Zustimmung des Finanzamts (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 336/22 Rn. 5 und vom – 1 StR 229/22 Rn. 18 mwN).

8bb) Hier hat das Landgericht jeweils nur einen Ausschnitt aus den Umsatzsteuervoranmeldungen mitgeteilt, nämlich den Umfang der zu Unrecht gezogenen Vorsteuer. Daneben tätigte die W.                                   GmbH aber mit dem Vertrieb von Mobiltelefonen und der Vermittlung von Telekommunikationsverträgen in weitem Umfang Geschäfte, die in keinem Zusammenhang mit den Umsatzsteuerbetrugsketten standen. Es ist daher nicht ersichtlich, in welchem der acht Fälle sich aus der jeweiligen Voranmeldung nach Saldierung eine (zu niedrige) Umsatzsteuerzahllast oder eine zustimmungspflichtige Vorsteuervergütung ergab; erst recht bleiben die jeweiligen Gesamtbeträge offen. Auch die Abgabedaten werden nicht mitgeteilt. Die pauschale Annahme des Landgerichts (etwa UA S. 51 erster Absatz, UA S. 7 erster Absatz), sofern eine Zustimmung erforderlich gewesen sei, habe das Finanzamt eine solche erteilt, ist für den Senat nach alledem nicht überprüfbar. Dass mit dem Umfang der unberechtigten Vorsteuerabzüge als „absolute Größe“ zugleich der Betrag der Steuerhinterziehung als Differenz zwischen Soll- und Ist-Steuer feststeht, sei es in der Form der Steuerverkürzung oder in der Form der unberechtigten Steuervorteilserlangung, genügt daher nicht.

9b) Im Übrigen hat das Urteil Bestand.

10aa) Der vorgenannte Darstellungsmangel wirkt sich im Versuchsfall (Fall 8 der Urteilsgründe) weder im Schuldspruch noch zur Strafe aus. Denn das Landgericht ist bereits von einem (fehlgeschlagenen) Versuch (§ 370 Abs. 2 AO, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) ausgegangen. Zudem ist der Schuldumfang rechtsfehlerfrei bestimmt, auch wenn der genaue Betrag des mit der Voranmeldung geltend gemachten Vorsteuerüberhangs nicht festgestellt ist. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (insbesondere UA S. 15) ist zu entnehmen, dass das bezifferte Vorsteuerguthaben deutlich im Millionenbereich gelegen haben muss und zeitnah zum Ablauf des Voranmeldezeitraums November 2018 nicht ausgezahlt wurde; denn der Liquiditätsengpass der W.                                    GmbH verschärfte sich zum Jahreswechsel 2018 auf 2019 erheblich. Ohnehin ist für die rechtsfehlerfreie Bestimmung des Schuldumfangs jedenfalls beim Verteiler („distributor“) in der Umsatzsteuerbetrugskette nicht ausschlaggebend, in welchem Umfang er seine Umsatzsteuerzahllasten reduzierte oder gar Vorsteuervergütungen vereinnahmte. Denn für ihn ist seine Beteiligung an der Umsatzsteuerhinterziehung durch eine Refinanzierung geprägt: Er streckt im Verhältnis zum missing trader die Umsatzsteuer vor, die er sich nachträglich vom Finanzamt erstatten lässt. Die zu verteilende Tatbeute sammeln die Betreiber der Umsatzsteuerbetrugskette beim missing trader ein. So sind auch hier keine Rückflüsse der geleisteten Umsatzsteuerbeträge an die W.                                GmbH festgestellt; ihr Vorteil bestand, wie ausgeführt, in der Gewinnmarge von 3 % pro Lieferung.

11Nach alledem bleibt die für den Fall 8 der Urteilsgründe verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten von der Urteilsaufhebung im Übrigen unberührt. Die zugehörigen Strafzumessungserwägungen erweisen sich ebenso als rechtsfehlerfrei wie die Annahme der Regelwirkung des § 370 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 AO nach einer Gesamtabwägung und anschließende Strafrahmenverschiebung wegen Versuchs gemäß § 23 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB.

12Die übrigen Feststellungen haben ebenfalls Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Insbesondere die Feststellung des Tatvorsatzes, namentlich der Kenntnis von der Einbindung in die Umsatzsteuerbetrugsketten (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 83/20 Rn. 5 und vom – 1 StR 635/19, BGHR UStG § 15 Abs. 1 Vorsteuerabzug, Versagung 2 Rn. 8; jeweils mwN), fußt auf einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung, vor allem auf der Kommunikation des Angeklagten mit den bezüglich des neuen durch einen raschen Umsatz geprägten Vertriebszweigs und der unbekannten Lieferanten misstrauisch gewordenen Mitarbeitern der W.                            GmbH und der     T.                                 GmbH. Letztendlich hat es hier auch nicht der Auflistung sämtlicher inkriminierter Eingangsrechnungen bedurft. Es besteht unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe und des Geschehensablaufs kein Anhalt, dass dem Landgericht bei Addition der Einzelbeträge (bezogen auf die jeweilige als Lieferantin ausgewiesene Gesellschaft) ein Fehler unterlaufen wäre. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird die Feststellungen zum Inhalt der Umsatzsteuervoranmeldungen, zu deren Abgabedaten, zu den Daten und der Art der Zustimmung des Finanzamts nachzuholen haben und kann im Übrigen weitere Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

13bb) Zur Rüge, mit welcher der Angeklagte die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) durch rechtsfehlerhafte Bescheidung seines Beweisantrags auf sachverständige Auswertung des Warenwirtschaftssystems der W.                                 GmbH beanstandet, ist ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts auszuführen:

14Die Ausführungen des Landgerichts unter III. des Beschlusses tragen ersichtlich die Ablehnung des Beweisantrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO). Dabei hat der Antrag nur insoweit der Bescheidung bedurft, als der Beschwerdeführer behauptet hat, die Speicherkarten seien im Warenwirtschaftssystem der W.                             GmbH als Lieferungen der D.       GmbH und der H.              GmbH erfasst worden. Dass die Eingangsrechnungen nicht als Scheinrechnungen einzuordnen sein sollen, ist ein Beweisziel. Genau in diesem Sinne hat das Landgericht den Antrag rechtsfehlerfrei ausgelegt. Ein Sachverständiger hätte nur das Warenwirtschaftssystem auswerten, aber ersichtlich nichts zu den konkreten Umständen der Lieferungen sagen können. Im Folgenden hat das Landgericht mit ausreichender Begründungstiefe (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 340/23 Rn. 7 f. und vom – 3 StR 516/18 Rn. 7; jeweils mwN) dargelegt, dass die D.     GmbH und H.                 GmbH als ‚inaktive Scheinfirmen‘ sowie mangels für sie und in ihrem Namen handelnder Personen keine Verfügungsmacht (vgl. § 3 Abs. 1 UStG) über die Speicherkarten haben konnten, daher nicht Vertragspartner wurden und der Angeklagte bereits mangels Benennung des wahren Lieferanten (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG; dazu , BFHE 264, 76 Rn. 20 ff. mwN) über keine zum Vorsteuerabzug berechtigende Eingangsrechnungen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG) verfügte, auch wenn in der Lagerbuchhaltung der W.                                 GmbH – zur weiteren Verschleierung – die beiden Gesellschaften als Lieferant erfasst gewesen sein sollten. Damit hat das Landgericht die behauptete Tatsache in ihrem vollen Sinngehalt ohne Einengung oder Verfälschung in die Beweiswürdigung eingestellt, das Einordnen der ausgewiesenen Lieferanten als nicht handlungsfähige Briefkastenfirmen aber als gewichtiger erachtet. Dies alles lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein etwaiger Widerspruch zu den Urteilsgründen, namentlich UA S. 25 f., in denen das Landgericht davon ausgeht, dass in der Lagerbuchhaltung der Lieferant nicht erfasst werden konnte, ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht von der Stoßrichtung der Verfahrensrüge umfasst (Seiten 8 bis 12 der Revisionsbegründung; vgl. auch Seite 3 der Revisionsbegründung und die Gegenerklärung vom ).

Jäger                         Wimmer                         Bär

             Leplow                          Allgayer

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:190225B1STR482.24.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-90533