Instanzenzug: Az: 113 KLs 16/23 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf allein der Schuldspruch:
21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen veröffentlichte der Angeklagte im April 2020, während der ersten Infektionswelle der COVID-19-Pandemie, über sein von jedem Nutzer einsehbares „Facebook“-Profil eine karikaturhaft wirkende Abbildung, die das Eingangstor zu einem Lager zeigte. Oberhalb des Zugangs war der geschwungene Schriftzug „Impfen macht frei“ angebracht. Das Eingangstor war augenscheinlich an dasjenige des Konzentrationslagers Auschwitz mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ angelehnt. Das Tor flankierten zwei schwarz gekleidete, soldatisch anmutende Wächter, die jeweils eine überdimensionierte, mit einer grünen Flüssigkeit gefüllte Spritze in den Armen hielten. Im Inneren des Lagers waren zwei blumengeschmückte Bildnisse zu erkennen, nämlich das Portrait eines überzeichnet dargestellten Chinesen sowie ein solches des „Microsoft“-Gründers und Gesundheitsmäzens Bill Gates. Die Abbildung trug den Untertitel „Die Pointe des Coronawitzes“.
3Vor dem Hintergrund der sich aufheizenden gesellschaftlichen Debatte über die staatlichen Maßnahmen zum Schutz gegen das SARS-CoV-2-Virus war die Veröffentlichung geeignet, gewalttätige Reaktionen derjenigen hervorzurufen, die sich als Opfer der Coronaschutzmaßnahmen sahen und sich insbesondere nicht gegen das Virus impfen lassen wollten. Zudem war sie geeignet, bei in Deutschland wohnhaften Überlebenden des Holocausts und Nachkommen der Holocaustopfer ein Klima der Angst und Verunsicherung zu verbreiten. Diese Umstände waren dem Angeklagten bewusst. Er nahm sie billigend in Kauf.
42. Das Landgericht hat das festgestellte Verhalten als Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB in der Tathandlungsvariante des Verharmlosens beurteilt. Dies hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Im Einzelnen:
5a) Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art öffentlich verharmlost, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
6aa) Das Tatbestandsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Täter das betreffende Geschehen in tatsächlicher Hinsicht herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt bagatellisiert beziehungsweise relativiert. Dabei werden alle denkbaren Spielarten agitativer Hetze ebenso wie verbrämter diskriminierender Missachtung erfasst. Es kann sich mithin insbesondere sowohl um ein quantitatives als auch um ein qualitatives Abwerten handeln (s. , BGHSt 46, 36, 40, 42; vom – 2 StR 365/04, BGHR StGB § 130 Abs. 3 Verharmlosen 2; 6 A 3.08, BVerwGE 134, 275, 282 f.; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 130 Rn. 82).
7bb) Der tatsächliche Gehalt einer – sprachlichen wie bildlichen – Äußerung ist im Wege der Auslegung zu bestimmen; dies ist Tatfrage des Einzelfalls und damit Sache des Tatgerichts. Dem Revisionsgericht ist eine eigene Würdigung versagt. Kommt das Tatgericht zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, etwa weil die tatrichterlichen Erwägungen lückenhaft sind, Sprach- und Denkgesetze verletzen oder gegen Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind. Verbleiben Zweifel am Inhalt der Äußerung oder ist sie mehrdeutig, gebietet eine am Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausgerichtete Interpretation, auf die günstigere Deutungsmöglichkeit abzustellen, wenn diese nicht ihrerseits ausgeschlossen ist (s. , BGHR StGB § 130 Abs. 3 Leugnen 2 Rn. 5; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 130 Rn. 190, jeweils mwN).
8cc) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die vom Landgericht eingehend dargelegte Wertung nicht zu beanstanden, die untertitelte Abbildung verschleiere und bagatellisiere das historisch einzigartige Unrecht der in Konzentrationslagern vollzogenen Vernichtung von Millionen europäischen Juden und anderen vom nationalsozialistischen Regime verfolgten Gruppen in seinem wahren Gewicht.
9Im Kern hat die Strafkammer diese Deutung damit begründet, dass mit der Darstellung eine qualitative Gleichsetzung der zur Tatzeit bestehenden und zu erwartenden staatlichen Maßnahmen zum Schutz gegen das Coronavirus sowie der Benachteiligungen derjenigen, die sich den staatlichen Maßnahmen widersetzen und nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen wollen, mit diesem historisch einzigartigen Unrecht vorgenommen werde. Im heutigen rechtsstaatlichen Deutschland seien indes keine vergleichbaren Repressalien gegen nicht impfbereite Personen gegeben oder zu erwarten gewesen.
10Andere Deutungsmöglichkeiten hat die Strafkammer ausgeschlossen. Insbesondere sei die Darstellung nicht dahin zu verstehen, dass die gegenwärtigen und zukünftig zu befürchtenden Eingriffe in die Rechte der sich Coronaschutzmaßnahmen widersetzenden Menschen lediglich im Sinne einer überzogenen Dramatisierung aufgewertet würden. Vielmehr werde – insbesondere – der Eindruck erweckt, der NS-Völkermord sei bloß ein vergleichbares Übel gewesen. Eine Überzeichnung eigener Betroffenheit sei hier von der damit verbundenen missachtenden Abwertung des Schicksals der Opfer dieses Unrechts nicht zu trennen.
11Gegen diese Auslegung ist von Rechts wegen nichts zu erinnern (zu verwandten Fällen s. , juris Rn. 20 ff.; [2] 121 Ss 140/22 [44/22], juris Rn. 10 ff.; zustimmend SSW-StGB/Lohse, 6. Aufl., § 130 Rn. 36; berichtend Stegbauer, NStZ 2023, 400, 404; zu dem unmittelbaren Bezug auf das Konzentrationslager Auschwitz auch Hoven/Obert, NStZ 2022, 331, 333 f.). Dem Gewährleistungsinhalt des Grundrechts der Meinungsfreiheit hat die Strafkammer bei ihrer Interpretation beanstandungsfrei Rechnung getragen. Jedenfalls auf dieser einzelfallbezogenen Grundlage steht der qualitativen Abwertung des NS-Völkermordes im Sinne einer Bagatellisierung von dessen Unwertgehalt nicht entgegen, dass zugleich die Auswirkungen von Coronaschutzmaßnahmen überzogen dramatisiert dargestellt werden sollten (zur tatrichterlichen Beurteilung vgl. , BeckRS 2024, 15772 Rn. 26; für eine generelle Untrennbarkeit Rackow, ZIS 2010, 366, 374 f.; dagegen im Einzelfall kritisch Hoven/Obert aaO, S. 334 f.).
12b) Das Landgericht hat ebenso ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Veröffentlichung der untertitelten Abbildung geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören.
13aa) Öffentlicher Friede ist ein Zustand allgemeiner Rechtssicherheit sowie das begründete Vertrauen der Staatsbürger in die Fortdauer dieses Zustands. Eine Störung dieses Friedens erfordert, dass berechtigte – mithin konkrete – Gründe für die Befürchtung vorliegen, ein Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet (s. , NJW 2025, 380 Rn. 22 mwN). Die Eignung zur Friedensstörung kann, namentlich bei einer Leugnung und Billigung im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB, indiziert sein; bei einer Verharmlosung ist sie hingegen selbständig festzustellen (s. , NJW 2018, 2861 Rn. 23; , BGHSt 63, 66 Rn. 18; vom – 3 StR 32/24, aaO; Matt/Renzikowski/Altenhain, StGB, 2. Aufl., § 130 Rn. 25). Meinungsäußerungen können dieses Merkmal erfüllen, wenn sie über die Überzeugungsbildung des Adressaten hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (s. BVerfG, Beschlüsse vom – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300, 332; vom – 1 BvR 2083/15, aaO, Rn. 27; , BGHR StGB § 130 Abs. 1 Friedensstörung 2 Rn. 54; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 130 Rn. 138; kritisch Roth, GSZ 2022, 123, 127 f.).
14bb) Das Landgericht hat zur Friedensgefährdung rechtsfehlerfreie Feststellungen getroffen und die aufgezeigten Maßstäbe zutreffend darauf angelegt.
15(1) Auf der Grundlage seiner Auslegung hat es sich davon überzeugt, dass die Veröffentlichung der untertitelten Abbildung geeignet war, gewalttätige Reaktionen derjenigen hervorzurufen, die sich als Opfer der Coronaschutzmaßnahmen sahen und sich insbesondere nicht gegen das Virus impfen lassen wollten.
16Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es dabei – wiederum unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG – den Inhalt der Darstellung, die Art und Weise ihrer Veröffentlichung sowie die politische Situation und die Stimmungslage in der Bevölkerung zum Tatzeitpunkt bedacht. Nachvollziehbar hat es zum einen darauf abgehoben, die Abbildung insinuiere, den Betroffenen staatlicher Coronaschutzmaßnahmen werde gleiches Unrecht zugefügt wie den Opfern des NS-Völkermordes, weshalb sie geeignet sei, ihre Betrachter aggressiv zu emotionalisieren. Zum anderen hat es der Darstellung jedenfalls vertretbar Appellcharakter dahin beigemessen, sich gegen staatliche Maßnahmen rechtzeitig, auch gewaltsam, zur Wehr zu setzen, bevor es zu einem staatlichen Impfzwang komme. Denn durch die Gleichsetzung künftiger Belastungen von Ungeimpften im rechtsstaatlichen Deutschland mit der Situation der europäischen Juden und anderen vom NS-Regime verfolgten Gruppen im Nationalsozialismus werde nicht impfbereiten Personen eine bevorstehende Position der absoluten Entrechtung attestiert, gegen die sie mit und ohne Gewalt Widerstand leisten dürfen und unter Umständen sogar müssen. Vor diesem Hintergrund habe die Abbildung die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und könne in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen (zu einem ähnlichen Fall vgl. , juris Rn. 46).
17(2) Die Strafkammer hat zudem die Überzeugung gewonnen, dass die Veröffentlichung des Weiteren geeignet war, bei in Deutschland wohnhaften Überlebenden des Holocausts und Nachkommen der Holocaustopfer ein Klima der Angst und Verunsicherung zu verbreiten. Denn die Abbildung degradiere den NS-Völkermord „zu einem austauschbaren Vergleichsobjekt für unliebsame und als belastend empfundene“ Maßnahmen, die indes nicht im Ansatz vergleichbar seien (ebenso BayObLG, Beschlüsse vom – 207 StRR 32/23, NStZ-RR 2023, 174, 176; vom – 207 StRR 80/23, StV 2024, 353 Rn. 21; vom – 203 StRR 287/23, NJW 2023, 3525 Rn. 10). Dies könne Hemmschwellen gegen antisemitische Übergriffe senken und das Sicherheitsgefühl der vom Holocaust betroffenen Gruppen beeinträchtigen, weil die Anerkennung der Schwere und Außergewöhnlichkeit dieses Unrechts gleichsam ein Schutzwall gegen solche Übergriffe bilde.
18Das Argument, der NS-Völkermord werde zu einem seine Einzigartigkeit missachtenden Vergleichsobjekt gemacht, verliert nicht entscheidend an Gewicht, wenn in Bedacht genommen wird, dass die Coronaschutzmaßnahmen nicht nur als belastend empfunden wurden, sondern vielfach tatsächlich mit erheblichen Rechtseingriffen verbunden waren.
19(3) Der rechtlichen Würdigung, wonach die beschriebenen potentiellen Risiken von gewalttätigen Reaktionen und – insoweit vom Landgericht nur ergänzend eingestellt – Beeinträchtigungen des Sicherheitsgefühls die Eignung zur Friedensstörung begründen, ist beizutreten.
20cc) Wenngleich es nicht mehr tragend darauf ankommt, tritt hinzu, dass die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt hat, mit der Veröffentlichung der Abbildung werde außerdem das Narrativ einer kapitalistischen jüdischen Weltverschwörung weitergetragen. Durch die Darstellung zweier blumengeschmückter Bildnisse im Inneren des Lagers, die einen Chinesen sowie den „Microsoft"-Gründer und Gesundheitsmäzen Bill Gates zeigten, drücke die Abbildung aus, dass diese Personen das Lager beherrschten und von dem dargestellten Impfzwang profitierten. Da Bill Gates jedoch regelmäßig, insbesondere im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, mit dem antisemitischen Verschwörungsmythos einer finanzstarken, jüdischen Elite in Verbindung gebracht werde, sei die Abbildung dahin zu verstehen, dass jene Personengruppe die Bevölkerung mittels des Coronavirus und der dagegen gerichteten staatlichen Schutzmaßnahmen zum Zweck des eigenen Profits unterdrücke.
21Zwar hat das Landgericht diese Feststellung lediglich im Rahmen der Strafzumessung getroffen und gewürdigt. Indes ist ausgeschlossen, dass sie ihm aus dem Blick geraten ist, als es sich damit befasst hat, ob die Abbildung eine emotionalisierende Wirkung entfaltet.
22c) Auch im Übrigen weisen die Feststellungen und Wertungen der Strafkammer, namentlich zum subjektiven Tatbestand, keinen revisiblen Mangel auf.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:040225B3STR468.24.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-90444