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BGH Urteil v. - V ZR 105/24

Leitsatz

1. Bei der Beurteilung, ob eine bauliche Veränderung (hier: Klimaanlage) einen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligt und deshalb nicht gestattet werden darf, sind im Grundsatz nur die unmittelbar mit der baulichen Veränderung verbundenen Auswirkungen, nicht aber Auswirkungen des späteren Gebrauchs (hier: tieffrequenter Schall) zu berücksichtigen. Anders kann es nur sein, wenn bereits bei der Gestattung für die Wohnungseigentümer evident ist, dass der spätere Gebrauch zwangsläufig mit einer unbilligen Benachteiligung eines oder mehrerer Wohnungseigentümer einhergehen wird.

2. Die Bestandskraft eines Beschlusses, mit dem einem Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung gestattet wird, schließt gegen den Bauwilligen gerichtete Abwehransprüche anderer Wohnungseigentümer wegen Immissionen im räumlichen Bereich ihres Sondereigentums infolge der Nutzung der baulichen Veränderung nicht aus.

3. Ein bestandskräftiger Gestattungsbeschluss hindert die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht daran, die Nutzung der baulichen Veränderung auf der Grundlage der für die Hausordnung eingeräumten Beschlusskompetenz zu regeln; derartige Nutzungsregelungen müssen nicht zugleich mit der Gestattung beschlossen werden.

Gesetze: § 906 BGB, § 1004 Abs 1 BGB, § 14 Abs 2 Nr 1 WoEigG, § 19 Abs 2 Nr 1 WoEigG, § 20 Abs 1 WoEigG, § 20 Abs 4 Alt 2 WoEigG

Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth Az: 14 S 3411/23 WEGvorgehend Az: 28 C 6699/22 WEG

Tatbestand

1     Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) und Eigentümerin einer Wohnung im vierten Obergeschoss, die sie zusammen mit ihrem Ehemann bewohnt. Durch Beschluss vom wurde dem Eigentümer der Penthouse-Wohnung im achten Obergeschoss der Einbau eines näher bezeichneten Split-Klimagerätes auf eigene Kosten gestattet; zugleich wurde festgelegt, dass das Außengerät auf Dämpfsockeln zur Körperschallentkoppelung zu montieren und wo es an der Fassade anzubringen ist.

2     Die gegen diesen Beschluss gerichtete Anfechtungsklage ist vor Amts- und Landgericht ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Gründe

I.

3    Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in ZMR 2024, 785 veröffentlicht ist, entspricht der angefochtene Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung. Insbesondere werde die Klägerin nicht i.S.d. § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG unbillig benachteiligt. Die gestattete Klimaanlage halte die Grenzwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) ein. Eine von der Klägerin befürchtete Beeinträchtigung durch tieffrequenten Schall könne erst nach der Installation der Klimaanlage festgestellt werden, weil es insoweit an einem wissenschaftlich gesicherten Verfahren für die Prognose fehle. Deswegen bedürfe es auch der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nicht, da dieses Beweismittel ungeeignet sei. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Wohneinheit der Klägerin liege auch nicht so greifbar nahe, dass die GdWE dem antragstellenden Wohnungseigentümer vor Beschlussfassung die Beschaffung weiterer Informationen hätte aufgeben müssen. Sollte der Betrieb der Klimaanlage nach der Installation unzumutbare Störungen verursachen, stehe der Klägerin ein Unterlassungsanspruch gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG, § 1004 BGB zu.

II.

4    Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

5    1. Die Kompetenz der Wohnungseigentümer, einem Sondereigentümer eine bauliche Veränderung - hier: den mit einer Kernbohrung durch die im Gemeinschaftseigentum stehende Außenfassade verbundenen Einbau des Split-Klimageräts - durch Beschluss zu gestatten, folgt aus § 20 Abs. 1 WEG (näher Senat, Urteil vom - V ZR 244/22, NJW 2024, 1030 Rn. 12 ff.). Beschließen die Wohnungseigentümer die Gestattung einer baulichen Veränderung, die ein Wohnungseigentümer verlangt, ist der Beschluss auf die Klage eines anderen Wohnungseigentümers nur für ungültig zu erklären, wenn die beschlossene Maßnahme die Wohnanlage grundlegend umgestaltet (§ 20 Abs. 4 Alt. 1 WEG) bzw. einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligt (§ 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG) oder der Beschluss an einem anderen (allgemeinen) Beschlussmangel leidet. Ob ein Anspruch auf die Gestattung - nach § 20 Abs. 2 oder Abs. 3 WEG - bestand, ist bei einer Anfechtungsklage gegen einen dem Verlangen eines Wohnungseigentümers stattgebenden Beschluss ohne Bedeutung (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 33/23, NJW 2024, 1419 Rn. 9).

6    2. Daran gemessen begegnet der Gestattungsbeschluss keinen Bedenken.

7    a) Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Amtsgerichts eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage i.S.d. § 20 Abs. 4 Alt. 1 WEG. Gegen diese revisionsrechtlich ohnehin nur beschränkt nachprüfbare Würdigung (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 22/24, NJW-RR 2025, 13 Rn. 11) wendet sich die Revision auch nicht.

8    b) Eine unbillige Benachteiligung i.S.d. § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG verneint das Berufungsgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei.

9    aa) Gemäß § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG dürfen bauliche Veränderungen, die einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, nicht beschlossen und gestattet und können auch nicht verlangt werden. Eine unbillige Benachteiligung eines Wohnungseigentümers setzt voraus, dass die beabsichtigte Maßnahme bei wertender Betrachtung und in Abwägung mit den mit der baulichen Veränderung verfolgten Vorteilen einem verständigen Wohnungseigentümer in zumutbarer Weise nicht abverlangt werden dürfte (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 244/22, NJW 2024, 1030 Rn. 44 mwN). Demgegenüber genügt es nicht schon, dass sich ein verständiger Durchschnittseigentümer nach der Verkehrsanschauung nachvollziehbar durch die bauliche Veränderung beeinträchtigt fühlen kann. Auch Umstände, die zwangsläufig mit der Maßnahme verbunden sind, können für sich allein nicht zur Bejahung eines unbilligen Nachteils führen. Maßgeblich ist insoweit eine objektive Sicht (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 22/24, NJW-RR 2025, 13 Rn. 16 f.). Letztlich muss die bauliche Veränderung zu einer treuwidrigen Ungleichbehandlung der Wohnungseigentümer führen, indem die Nachteile einem oder mehreren Wohnungseigentümern in größerem Umfang zugemutet werden als den übrigen (BT-Drucks. 19/18791 S. 66).

10    bb) In diesem Zusammenhang besteht weitgehend Einigkeit, dass auch die Auswirkungen des späteren bestimmungsgemäßen Gebrauchs einer baulichen Veränderung - hier vor allem: die mit dem Betrieb der Klimaanlage verbundenen Immissionen - in die wertende Betrachtung, ob eine unbillige Benachteiligung i.S.d. § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG vorliegt, einfließen (vgl. etwa LG Frankfurt am Main, ZWE 2024, 378 Rn. 13; Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 20 Rn. 373, 379; MüKoBGB/Rüscher, 9. Aufl., § 20 WEG Rn. 35; Grüneberg/Wicke, BGB, 84. Aufl., § 20 WEG Rn. 21; Hogenschurz in Jennißen, WEG, 8. Aufl., § 20 Rn. 93a; Neumann in Münchener Handbuch des Wohnungseigentumsrechts, 8. Aufl., § 17 Rn. 93; Leidner, ZWE 2024, 380, 381; Häublein, ZWE 2022, 372, 373). Dabei wird teilweise angenommen, dass schon aus dem Risiko erheblicher Lärmstörungen eine unbillige Benachteiligung folgen könne (vgl. LG Frankfurt am Main, ZWE 2024, 378 Rn. 15 ff.; Hügel/Elzer, WEG, 4. Aufl., § 20 Rn. 157; Pramataroff-Bordt, FD-MietR 2024, 813727; Drasdo, NJW-Spezial 2024, 514). Andere wollen, wie das Berufungsgericht, nur solche Auswirkungen berücksichtigen, die zwangsläufig und untrennbar mit dem Betrieb einer Klimaanlage verbunden sind (vgl. Leidner, ZWE 2024, 380, 381 f.; Häublein ZWE 2022, 372, 373); teilweise wird darauf verwiesen, dass sich nachteilige Immissionen in aller Regel nach Inbetriebnahme regeln lassen und es deshalb keinen Grund gibt, schon die Installation des Geräts zu verhindern (vgl. AG Ludwigshafen, ZWE 2022, 371 Rn. 12; Häublein ZWE 2022, 372, 373).

11    cc) Letzteres hält der Senat für zutreffend. Daraus ergibt sich für die gerichtliche Überprüfung der einem Wohnungseigentümer auf seine Kosten mehrheitlich gestatteten baulichen Veränderung (§ 20 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 WEG) Folgendes: Bei der Beurteilung, ob eine bauliche Veränderung einen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligt und deshalb nicht gestattet werden darf, sind im Grundsatz nur die unmittelbar mit der baulichen Veränderung verbundenen Auswirkungen - hier also die Kernbohrung durch die im Gemeinschaftseigentum stehende Außenfassade sowie Art und Ort der Anbringung des näher bezeichneten Klimageräts -, nicht aber Auswirkungen des späteren Gebrauchs zu berücksichtigen. Anders kann es nur sein, wenn bereits bei der Gestattung für die Wohnungseigentümer evident ist, dass der spätere Gebrauch zwangsläufig mit einer unbilligen Benachteiligung eines oder mehrerer Wohnungseigentümer einhergehen wird.

12    (1) Im Rahmen von § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG sind die gegenläufigen Interessen von bauwilligem und überstimmtem Wohnungseigentümer abzuwägen (s.o. Rn. 9). Dem wird es am ehesten gerecht, bei der gerichtlichen Überprüfung der mehrheitlichen Gestattung einer baulichen Veränderung im Grundsatz nur auf die unmittelbar mit der baulichen Veränderung als solche verknüpften Vor- und Nachteile abzustellen. Denn im Regelfall bestehen objektiv nachvollziehbare Interessen des bauwilligen Wohnungseigentümers, der eine bauliche Veränderung auf seine Kosten (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WEG) durchführen möchte und deshalb Gestattung verlangt. Heizt sich etwa eine Wohneinheit bei hierzulande üblichen Temperaturen im Sommer derart auf, dass beispielsweise an gesunden Schlaf nur schwer zu denken ist, oder ist eine Gewerbeeinheit mangels Anpassung an moderne Standards kaum noch zu verpachten, kann es von Vorteil sein, auf eigene Kosten bauliche Veränderungen zur Verbesserung der Situation anzugehen. Ergeben sich allerdings aus der geplanten Maßnahme als solche nachteilige Auswirkungen - bei Installation eines Klimageräts etwa aus Art und Ort der Anbringung folgende Verschattungen - können und müssen diese im Vorfeld der Gestattung gegen die Vorteile der baulichen Veränderung abgewogen werden.

13    (2) Haben die überstimmten Wohnungseigentümer (nur) Bedenken wegen mit der späteren Nutzung verbundener Benachteiligungen, kann dem anderweitig Rechnung getragen werden, und zwar auch dann, wenn der Gestattungsbeschluss nicht angefochten wird.

14    (a) Die Bestandskraft eines Beschlusses, mit dem einem Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung gestattet wird, schließt gegen den Bauwilligen gerichtete Abwehransprüche anderer Wohnungseigentümer wegen Immissionen im räumlichen Bereich ihres Sondereigentums infolge der Nutzung der baulichen Veränderung nicht aus. Es ist deshalb zumindest irreführend, wenn teilweise die Rede davon ist, dass der Beschluss über die Gestattung einer baulichen Veränderung zugleich ihre Benutzung legitimiere (so Häublein ZWE 2022, 372, 373). Die Nutzungsbefugnis folgt vielmehr daraus, dass die errichtete bauliche Anlage zu Sondereigentum wird oder zu Gemeinschaftseigentum, dessen Nutzungen im Fall von § 21 Abs. 1 Satz 2 WEG ebenfalls allein dem Bauwilligen gebühren (unzutreffend daher AG Hamburg-St. Georg, ZWE 2022, 135 Rn. 16). Selbstverständlich muss aber der die bauliche Anlage nutzende Wohnungseigentümer die einschlägigen (gesetzlichen) Vorgaben - insbesondere zum Immissionsschutz - einhalten (s.a. Hogenschurz in Jennißen, WEG, 8. Aufl., § 20 Rn. 93a). Von diesen kann die GdWE durch einen Gestattungsbeschluss auch nicht befreien.

15    (b) Nutzt ein Wohnungseigentümer eine gestattete bauliche Veränderung unter Missachtung von - beispielsweise - Lärmschutzbestimmungen oder führt die Nutzung zu einem sonstigen Nachteil, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 WEG), schützt ihn die vorherige (bestandskräftige) Gestattung der baulichen Veränderung deshalb nicht vor sich daraus ergebenden (Unterlassungs)Ansprüchen (vgl. Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 20 Rn. 374; s.a. Senat, Urteil vom - V ZR 330/17, NJW-RR 2019, 519 Rn. 25; Urteil vom - V ZR 295/16, NZM 2020, 664 Rn. 18).

16    (aa) Vielmehr können - wie das Berufungsgericht zutreffend sieht - Wohnungseigentümern, die von der Nutzung einer gestatteten baulichen Veränderung in ihrem Sondereigentum nachteilig betroffen sind, Abwehransprüche nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG bzw. § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 906 BGB zustehen. Um diese Ansprüche durchzusetzen, bedarf es auch keines Tätigwerdens der oder eines vorgelagerten Vorgehens gegen die GdWE; vielmehr kann der nachteilig in seinem Sondereigentum betroffene Wohnungseigentümer sie unmittelbar gegen den störenden Wohnungseigentümer geltend machen (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 106/21, NZM 2022, 378 Rn. 11; Urteil vom - V ZR 41/19, NZM 2021, 613 Rn. 15; Urteil vom - V ZR 295/16, NZM 2020, 664 Rn. 18).

17    (bb) Es ist sodann Sache des störenden Wohnungseigentümers, die Störung zu beheben; zu einer vollständigen Aufgabe der Nutzung oder sogar einer Beseitigung einer gestatteten baulichen Veränderung wegen aus ihrer Nutzung folgender nachteiliger Auswirkungen wird es dabei im Regelfall allerdings nicht kommen, weil der Betrieb einer üblichen Anforderungen entsprechenden Klimaanlage jedenfalls in gewissen Grenzen hingenommen werden muss. Zumeist wird die Störungsabwehrklage nur dazu führen, dass die Einwirkungen zeitlich begrenzt werden müssen, damit sie benachbarte Wohnungseigentümer nicht i.S.d. § 906 BGB wesentlich beeinträchtigen (für häusliches Musizieren Senat, Urteil vom - V ZR 143/17, NJW 2019, 773 Rn. 14; zu Immissionen durch Tabakrauch Senat, Urteil vom - V ZR 110/14, NZM 2015, 448 Rn. 18).

18    (3) Es bedarf entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht im Hinblick auf mögliche Immissionen auch keiner flankierenden Nutzungsregelungen schon bei Fassung des Gestattungsbeschlusses, um den Anforderungen von § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG oder allgemein ordnungsmäßiger Verwaltung gerecht zu werden. Vielmehr kann die GdWE solche Regelungen, hinsichtlich derer ihr grundsätzlich ein Ermessensspielraum zusteht und die den nach § 14 WEG zulässigen Gebrauch konkretisieren (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 163/14, NZM 2015, 595 Rn. 14), ebenso nach Fertigstellung und Inbetriebnahme einer baulichen Veränderung durch Bestimmungen der Hausordnung treffen, wenn sich das als erforderlich erweisen sollte (vgl. zu Ruhezeiten Senat, Beschluss vom - V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 293 f.). Ein bestandskräftiger Gestattungsbeschluss hindert die GdWE nicht daran, die Nutzung der baulichen Veränderung auf der Grundlage der für die Hausordnung eingeräumten Beschlusskompetenz (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 WEG) zu regeln; derartige Nutzungsregelungen müssen nicht zugleich mit der Gestattung beschlossen werden.

19    (4) Für dieses Verständnis von § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG streitet nicht zuletzt der Gesetzeszweck.

20    (a) Der Gesetzgeber des am in Kraft getretenen Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) wollte dem vorhandenen Sanierungsbedarf von Wohnungseigentumsanlagen begegnen. Die zuvor bestehenden Hürden für eine bauliche Veränderung sollten abgesenkt und es sollte den Wohnungseigentümern ermöglicht werden, den baulichen Zustand ihrer Anlagen einfacher an die sich stetig ändernden Gebrauchsbedürfnisse anzupassen. Eine „Versteinerung“ des baulichen Zustands sollte verhindert werden (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 26 f.). Die Erreichung dieses Ziels würde erschwert, wenn eine von der Mehrheit gestattete bauliche Veränderung im Rahmen der Prüfung von § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG auch an Auswirkungen der späteren Nutzung zu messen wäre. Eventuell schwierige Prognosen über gegebenenfalls bei dem Betrieb auftretende Auswirkungen, die im Übrigen ganz maßgeblich vom späteren Nutzungsverhalten des die Gestattung begehrenden Wohnungseigentümers abhängen werden, würden der Mehrheit der Wohnungseigentümer zugewiesen und ihnen damit vielfach die mit der Gesetzesänderung einhergehenden Vereinfachungen wieder genommen. Die Berücksichtigung nur von unmittelbar mit der baulichen Veränderung zusammenhängenden Auswirkungen wahrt hingegen die Möglichkeit, die Maßnahme - auf das (Kosten-)Risiko des bauwilligen Sondereigentümers (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WEG) - zu gestatten, auch wenn die bauliche Anlage später zur Vermeidung erst aus dem Betrieb folgender Nachteile nur eingeschränkt genutzt werden können sollte.

21    (b) Die Intention des Gesetzgebers, für den bauwilligen Wohnungseigentümer Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 62), steht dieser Herangehensweise nicht entgegen. Denn anders als nach bisherigem Recht führt der nach dem WEMoG bestehende Beschlusszwang einerseits dazu, dass die Wohnungseigentümer über alle baulichen Veränderungen im Vorfeld informiert werden. Auf der anderen Seite muss der bauwillige Wohnungseigentümer nicht mehr befürchten, erfolgreich auf Unterlassung oder Beseitigung wegen unmittelbar mit der (beabsichtigten) baulichen Veränderung an sich verbundener Nachteile - also solchen, die nicht mit ihrer Benutzung zusammenhängen - in Anspruch genommen zu werden, wenn er dem Beschlusszwang genügt und der Gestattungsbeschluss bestandskräftig wird (vgl. zuletzt Senat, Urteil vom - V ZR 1/24, juris Rn. 23 ff.). Von seinen immissionsschutzrechtlichen Pflichten entbindet der Gestattungsbeschluss den bauwilligen Wohnungseigentümer aber nicht (s.o. Rn. 14).

22    (5) Nur dann, wenn bereits bei der Gestattung der baulichen Veränderung evident ist, sich also auf den ersten Blick aufdrängt, dass eine spätere Nutzung zwangsläufig mit einer unbilligen Benachteiligung des von der Mehrheit überstimmten Wohnungseigentümers einhergehen wird, steht § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG der Gestattung der für sich genommen nicht zu beanstandenden baulichen Veränderung entgegen. So ist es hier aber nicht. Weitere Feststellungen sind in diesem Zusammenhang nicht zu treffen.

23    (a) Grundsätzlich wird eine in diesem Sinne evident unbillige Benachteiligung durch Lärmimmissionen bei der Gestattung des Einbaus von Klimaanlagen eher fernliegen. Sind solche Geräte für den heimischen Markt zugelassen, werden sie im Regelfall anerkannten Standards genügen. So ist auch hier festgestellt (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen, dass das in Rede stehende Gerät die Vorgaben der TA Lärm einhält, die sich im Schwerpunkt mit mittel- und hochfrequentem Schall (Frequenzbewertung A) befassen und auch im Wohnungseigentumsrecht als Anhaltspunkt herangezogen werden können (vgl. zu § 14 WEG BeckOKG/Falkner [], § 14 WEG Rn. 128 ff.; Hügel/Elzer, WEG, 4. Aufl., § 14 Rn. 38 ff.; zu § 906 BGB Senat, Urteil vom - V ZR 152/18, NZM 2020, 811 Rn. 34 ff. mwN).

24    (b) Anders mag es allenfalls sein, wenn etwa die Anbringung so geplant ist, dass sich eine Benachteiligung einzelner Wohnungseigentümer durch Immissionen im Vergleich zu anderen objektiv aufdrängt, ohne dass dem Vorteile des Bauwilligen gegenüber stünden. Denkbar könnte dies etwa sein, wenn ein Klimagerät in unmittelbarer Nähe zum Schlafzimmerfenster des benachbarten Sondereigentümers montiert werden soll, obwohl andere, für den Bauwilligen ebenso geeignete und keinen anderen Wohnungseigentümer benachteiligende Möglichkeiten der Anbringung bestehen. Solche Benachteiligungen macht die Klägerin jedoch nicht geltend.

25    (c) Gestützt ist die Klage vielmehr auf eine Benachteiligung durch tieffrequenten Schall. Eine solche drängt sich aber nicht auf den ersten Blick auf und ist deshalb nicht im vorstehenden Sinne evident.

26    (aa) Die TA Lärm sieht unter Nr. 7.3 in Verbindung mit Nr. A.1.5 des Anhangs zur TA Lärm und der DIN 45680, Ausgabe März 1997, samt des zugehörigen Beiblatts 1 für Geräusche, die vorherrschende Energieanteile im Frequenzbereich unter 90 Hz besitzen (tieffrequente Geräusche), eigene Mess- und Bewertungsregeln vor. Demnach ist das Auftreten tieffrequenter Geräusche „im Einzelfall nach den örtlichen Verhältnissen“ zu beurteilen. Eine Regelung über die Prognose tieffrequenter Geräusche enthalten die TA Lärm und die DIN 45680 dagegen, wie das Berufungsgericht richtig sieht, nicht, da das Auftreten tieffrequenter Schallimmissionen sehr von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und damit von der Errichtung abhängt (vgl. .AK, juris Rn. 75 ff. mwN; , juris Rn. 30; HessVGH, Beschluss vom - 9 B 2156/13, juris Rn. 43; OVG Lüneburg, Beschluss vom - 12 LA 60/09, juris Rn. 7; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 5 K 1335/20, juris Rn. 52; Feldhaus/Schenk/Tegeder in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 2. Aufl., Bd. 4, B 3.6 (TA Lärm Nr. 7) Rn. 29 ff.; aA wohl Müller-Wiesenhaken/Kubicek, ZfBR 2011, 217, 220). Schon deshalb scheidet eine für die die Gestattung beschließenden Wohnungseigentümer evidente unbillige Benachteiligung der Klägerin wegen tieffrequenten Schalls im Vorfeld von Installation und Inbetriebnahme der Klimaanlage aus.

27    (bb) Hinzu kommt, dass sich zwischen der von der Klägerin und ihrem Ehemann genutzten Wohnung und dem Penthouse des bauwilligen Wohnungseigentümers drei Stockwerke befinden und in dem Gestattungsbeschluss eine Anbringung auf Dämpfsockeln vorgesehen ist. Es drängt sich vor diesem Hintergrund nicht auf den ersten Blick auf, dass die Sondereigentumseinheit der Klägerin gleichwohl wegen der behaupteten Übertragung tieffrequenten Schalls über das Mauerwerk bei der späteren Nutzung im Vergleich zu anderen unbillig betroffen sein wird. Der Einholung des von der Klägerin beantragten Sachverständigengutachtens bedurfte es in diesem Zusammenhang folgerichtig nicht.

28    (cc) Schließlich hat auch die von der Revision unter Verweis auf entsprechenden Klägervortrag vorgebrachte gesundheitliche Konstitution der Klägerin (und ihres Ehemannes) außer Betracht zu bleiben; denn das Vorliegen einer unbilligen Benachteiligung gegenüber anderen Wohnungseigentümern - und damit auch die Frage, ob eine aus der späteren Nutzung der baulichen Veränderung folgende unbillige Benachteiligung evident ist - ist objektiv zu beurteilen (s.o. Rn. 9). Daraus, dass der Gesetzgeber den Belangen behinderter Wohnungseigentümer im Zusammenhang mit der Neuregelung baulicher Veränderungen besondere Beachtung geschenkt hat (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 66), ergibt sich nichts anderes. So ist zwar der im gesamtgesellschaftlichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von in § 20 Abs. 2 WEG geregelten Maßnahmen - unter anderem zur Förderung der Barrierefreiheit - bei der Prüfung, ob § 20 Abs. 4 WEG einer Beschlussfassung über eine bauliche Veränderung entgegensteht, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen (für die grundlegende Umgestaltung i.S.d. § 20 Abs. 4 Alt. 1 WEG bereits Senat, Urteil vom - V ZR 33/23, NJW 2024, 1419 Rn. 16). Die gesundheitliche Vorbelastung eines Wohnungseigentümers allein führt aber nicht dazu, dass Auswirkungen, die sich nicht aus der baulichen Veränderung an sich, sondern erst aus ihrem späteren Gebrauch ergeben, als evident unbillig benachteiligend i.S.d. § 20 Abs. 4 Alt. 2 WEG zu beurteilen und deshalb schon bei der Gestattung zu berücksichtigen wären. Auch in diesem Zusammenhang können widerstreitende Interessen insbesondere durch zeitliche Nutzungsbeschränkungen zum Ausgleich gebracht werden, wenn und soweit sich das im laufenden Betrieb als erforderlich erweisen sollte (s.o. Rn. 18).

29    c) Entgegen der Auffassung der Revision musste die GdWE dem bauwilligen Wohnungseigentümer vor Beschlussfassung schließlich auch nicht die Beschaffung weiterer Informationen zu eventuellen (evidenten) Benachteiligungen durch den späteren Gebrauch des Klimageräts aufgeben. Dahinstehen kann, ob unzureichende Informationen überhaupt zu einer Anfechtbarkeit eines Gestattungsbeschlusses führen können (vgl. Bärmann/Dötsch, WEG, 23. Aufl., § 20 Rn. 125 f., 130 f. mwN). Hier lagen den Wohnungseigentümern bei Beschlussfassung jedenfalls nähere (technische) Angaben zu dem Klimagerät sowie zu Ort und Art seiner Anbringung vor.

III.

30    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280325UVZR105.24.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-90244