Instanzenzug: Az: I-10 U 3/21vorgehend LG Wuppertal Az: 4 O 16/20
Tatbestand
1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2017 einen Mercedes-Benz V 250d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2 Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Prozesszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Er hat ferner die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge insoweit weiter.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Aus dem klägerischen Vortrag zur Verwendung einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) ergebe sich kein sittenwidriges Handeln der Beklagten. Selbst wenn die KSR so ausgestaltet sei, dass die relevanten Abgaswerte unter den Bedingungen des für die Zulassung maßgeblichen Fahrzyklus anders als im Normalbetrieb stets eingehalten würden, genüge dies nicht, um den Vorwurf eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten zu begründen. Anders als bei einer Umschaltlogik verhalte sich das klägerische Fahrzeug - identische Bedingungen vorausgesetzt - auf dem Prüfstand ebenso wie im Realbetrieb. Die durch den Kläger vorgetragenen Erkenntnisse aus Gutachten in Parallelverfahren seien nicht übertragbar, da sich diese Gutachten nicht auf Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs beziehen würden und auch die Betroffenheit des klägerischen Fahrzeugs von einem amtlichen Rückruf des KBA erlaube für sich genommen nicht den Rückschluss auf ein sittenwidriges Handeln der Beklagten.
6Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere bereits am fehlenden Schutzgesetzcharakter der vorstehenden Vorschriften.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch die Verwendung einer KSR im klägerischen Fahrzeug verneint hat. Die darauf bezogene Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Substantiierungsanforderungen für die entscheidungserhebliche und unter Beweis gestellte Behauptung des Einsatzes der KSR als prüfstandsbezogener und damit auf Täuschung angelegter Abschalteinrichtung in offensichtlicher Weise überspannt, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug ent-gegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die Berufungsentscheidung ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Brenneisen Messing
Katzenstein F. Schmidt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:010425UVIAZR111.21.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-90239