Instanzenzug: LG Arnsberg Az: II-2 KLs 22/23
Gründe
1Das Landgericht hat beide Angeklagten der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen, den Angeklagten T. darüber hinaus des „vorsätzlichen unerlaubten“ Handeltreibens mit Cannabis und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit „vorsätzlicher“ Körperverletzung. Es hat den Angeklagten S. unter Einbeziehung eines Vorerkenntnisses zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und den Angeklagten T. zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und sind im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Der Schuldspruch wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung im Fall II.1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Das Landgericht hat die Versagung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch nicht rechtsfehlerfrei begründet. Es hat insoweit lediglich im Rahmen seiner Strafzumessungserwägungen ausgeführt, dass es sich um einen „vollendungsnahen, fehlgeschlagenen Versuch“ handele. Diese äußerst knappe und bereits für sich genommen schwer verständliche Bewertung wird weder von den Feststellungen getragen noch ist sie hinreichend beweiswürdigend unterlegt.
3a) Ein Fehlschlag, der einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch entgegensteht, ist gegeben, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an, den sog. Rücktrittshorizont (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 22 mwN). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor. Dabei ist für die Beurteilung auch dann, wenn – wie hier – mehrere die Tat gemeinschaftlich begehen (§ 24 Abs. 2 StGB), allein die persönliche Sicht jedes einzelnen Beteiligten maßgeblich (BGH, aaO, Rn. 23 mwN). Ist der Versuch danach nicht fehlgeschlagen, so kommt auch in dieser Konstellation ein strafbefreiender Rücktritt von einem noch unbeendeten Versuch durch einvernehmliches bloßes Aufgeben der weiteren Tatausführung durch alle Tatbeteiligten in Betracht (vgl. Rn. 60 mwN).
4b) Welche Vorstellung die Angeklagten im Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg der räuberischen Erpressung jeweils hatten, als sie von dem Geschädigten abließen, und worauf eine diesbezügliche Überzeugung der Kammer beruht, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
5aa) Nach den Feststellungen zu Fall II.1. der Urteilsgründe fassten die Angeklagten den gemeinsamen Plan, den Geschädigten „auszurauben bzw. durch die Anwendung körperlicher Gewalt zur Herausgabe von etwaigen Wertgegenständen – möglicherweise auch Betäubungsmitteln – zu nötigen“. Sie hielten ihn fest und der Angeklagte T. forderte ihn auf, ihnen alles zu geben, was er habe. Hierbei ging es den Angeklagten „offenbar“ nicht um das von dem Geschädigten mitgeführte Mobiltelefon und Portemonnaie, da sie beides letztlich nicht an sich nahmen, obwohl sie Gelegenheit dazu hatten. Nachdem der Geschädigte der Aufforderung nicht nachgekommen war, zog der Angeklagte S. ein Messer und äußerte, dass er ihn „abstechen“ werde. Sodann stach er mehrfach auf den Geschädigten ein und verletzte ihn schwer. Als der Geschädigte zu Boden gestürzt war, durchsuchte der Angeklagte T. dessen Jackentaschen, „wobei er nicht fündig wurde“. Beide Angeklagten schlugen und traten zudem zu einem nicht näher aufgeklärten Zeitpunkt im Verlauf des Geschehens auf den Geschädigten ein. Nachdem der Angeklagte S. einige Male auf den Geschädigten eingestochen hatte, forderte der Mitangeklagte ihn auf, von diesem abzulassen, und beide flüchteten, wobei ihnen die schweren Verletzungen des Geschädigten bewusst waren. Bei dem Geschädigten wurde bei einer „späteren“ polizeilichen Durchsuchung eine geringe Menge Amphetamin (2,53 g) gefunden.
6Beweiswürdigende Ausführungen zu einem etwaigen strafbefreienden Rücktritt enthalten die Urteilsgründe nicht.
7bb) Das vom Landgericht nicht ausdrücklich festgestellte Vorstellungsbild der Angeklagten nach der letzten Ausführungshandlung („Rücktrittshorizont“) ergibt sich danach auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils, denn mangels sicherer Feststellungen dazu, auf welche Gegenstände des Geschädigten die Tat abzielte, bleibt schon objektiv unklar, in welcher Hinsicht diese (aus Sicht der Angeklagten) gescheitert war. Die – ihrerseits nicht weiter belegte – Feststellung, dass der Angeklagte T. beim Durchsuchen der Jackentaschen des Geschädigten „nicht fündig“ geworden sei, macht konkrete Feststellungen und Belege zu dem Grund, aus dem die Angeklagten schließlich von dem Geschädigten abließen, nicht entbehrlich, zumal die Jugendkammer sich nicht einmal sicher zu überzeugen vermochte, dass die dem Geschädigten belassenen Gegenstände, nämlich dessen Mobiltelefon und Portemonnaie sowie möglicherweise auch eine geringe Menge Amphetamin, nicht zu der erstrebten Tatbeute gehörten.
8c) Der dargelegte Rechtsfehler führt hinsichtlich beider Angeklagten zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1. der Urteilsgründe, die sich auf die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung erstreckt (vgl. Rn. 6).
9Der Senat hebt zugleich sämtliche zur subjektiven Tatseite in diesem Fall getroffenen Feststellungen auf; eine Beschränkung auf Feststellungen zum Rücktrittshorizont der Angeklagten kommt wegen des engen Zusammenhangs zum (sonstigen) inneren Tatbestand nicht in Betracht. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden hingegen von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können durch das neue Tatgericht gegebenenfalls widerspruchsfrei ergänzt werden.
102. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1. entzieht den Strafaussprüchen die Grundlage.
11Ergänzend bemerkt der Senat hierzu, dass er die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift gegen die Zumessung der Jugendstrafen geäußerten rechtlichen Bedenken nicht teilt. Soweit das Landgericht zu der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung ausgeführt hat, dass die Tat nach allgemeinem Strafrecht mit Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren und „bei einer fakultativen Strafrahmenverschiebung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB“ mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden gewesen wäre, weil ein minder schwerer Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB nicht gegeben sei, liegt ein durchgreifender Verstoß gegen die insoweit gebotene Prüfungsreihenfolge (vgl. zu ihr Rn. 5 mwN) nicht vor. Der Senat entnimmt den Erwägungen, auf die sich die Jugendkammer bei der Ablehnung eines minder schweren Falles gestützt hat – namentlich dass ein „vollendungsnaher“ Versuch vorgelegen habe –, dass sie die Möglichkeit, einen minder schweren Fall unter Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes des Versuchs anzunehmen, nicht aus dem Blick verloren hat. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass sich die Ober- und die Untergrenze für die zu verhängende Jugendstrafe bei den heranwachsenden Angeklagten in dem hier in Rede stehenden Fall allein aus § 18 Abs. 1, § 105 Abs. 3 Satz 1 JGG ergeben. Die Strafdrohungen des allgemeinen Strafrechts sind nur insoweit von Bedeutung, als in ihnen eine Bewertung des äußeren Tatunrechts zum Ausdruck kommt, das bei der Bestimmung der zurechenbaren Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters mit in Ansatz zu bringen ist. Dies gilt namentlich dort, wo sich die Tat, nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt, als minder schwerer Fall darstellen würde oder vertypte Milderungsgründe gegeben wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 362/24 Rn. 4; vom – 3 StR 98/24 Rn. 14; vom – 5 StR 138/24 Rn. 4 mwN). Dabei handelt es sich aber stets nur um eine Parallelwertung, die anschließend in die jugendstrafrechtliche Betrachtung zu integrieren ist. Die für die Strafrahmenwahl im Erwachsenenstrafrecht möglicherweise bedeutsame Frage, ob ein vertypter Strafmilderungsgrund zur Annahme eines minder schweren Falles führt oder lediglich eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 StGB auslöst, ist in diesem Zusammenhang daher nur insoweit von Bedeutung, als in ihrer Beantwortung im konkreten Fall eine für die jugendstrafrechtliche Betrachtung relevante Abstufung des Tatunwertes zum Ausdruck kommt. Dies war hier ersichtlich nicht der Fall. Denn das Landgericht hat als Anordnungsgrund für die Verhängung von Jugendstrafe bei beiden Angeklagten ausschließlich die bestehenden schädlichen Neigungen angenommen und die Höhe der Strafen jeweils ausdrücklich in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Der Senat schließt daher jedenfalls aus, dass sich der vom Generalbundesanwalt angenommene Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt haben könnte.
123. Im Umfang der Aufhebungen bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung sieht der Senat Anlass zu folgenden Hinweisen:
13a) Soweit das Landgericht im Fall II.3. der Urteilsgründe Feststellungen zum tatsächlichen THC-Gehalt des in einer vom Angeklagten T. betriebenen Cannabisplantage gefundenen Pflanzenmaterials getroffen und diese Wirkstoffmenge in der Strafzumessung gewürdigt hat, kommt es stattdessen maßgeblich auf die – mit sachverständiger Hilfe zu ermittelnde – Ertragserwartung an (vgl. Rn. 8 mwN). Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, hierzu ergänzende, den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen zu treffen und diese, gegebenenfalls unter Beachtung des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO), zu würdigen.
14b) Wird – wie hier bezüglich des Angeklagten S. geschehen – ein früheres rechtskräftiges und noch nicht erledigtes jugendgerichtliches Urteil einbezogen, ist eine weitere Entscheidung, die ihrerseits bereits in dieses einbezo-gen wurde, ebenfalls unter Aufnahme in den Tenor einzubeziehen (vgl. Rn. 13 mwN).
Quentin Sturm Maatsch
Scheuß Marks
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:120325B4STR523.24.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-90236