Instanzenzug: Az: 7 Ni 29/20 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 018 508 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom angemeldet worden ist und ein Waffenverschlusssystem betrifft.
2Patentanspruch 1, auf den 22 Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:
Waffenverschlusssystem (8) mit
- einem Verschlussträger (16) und
- einem wenigstens eine Fluid-Durchtritts-Öffnung (50, 52, 54, 56, 58, 60) sowie einen Schließfederkolben (22) aufweisenden Schließfedermechanismus,
dadurch gekennzeichnet, dass der Verschlussträger (16) und der Schließfederkolben (22) derart zusammenwirkend ausgelegt sind, dass der Schließfederkolben (22) bei zurücklaufendem Verschlussträger (16) Flüssigkeit aus der wenigstens einen Fluid-Durchtritts-Öffnung (50, 52, 54, 56, 58, 60) verdrängt.
3Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Die Beklagte hat das Streitpatent mit einem Hauptantrag und sieben Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.
4Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit es nicht mehr verteidigt worden ist, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung strebt die Klägerin weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents an. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Streitpatent ergänzend mit ihren erstinstanzlichen Hilfsanträgen.
Gründe
5Die zulässige Berufung ist unbegründet.
6I. Das Streitpatent betrifft ein Waffenverschlusssystem.
71. Nach der Beschreibung des Streitpatents sind Gasdrucklader selbstladende Feuerwaffen, bei denen der Verschluss fest verriegelt ist. Bei Abgabe eines Schusses werde ein Teil des Treibgases durch eine oder mehrere Gasentnahmen aus dem Rohr abgeleitet und einem Selbstlademechanismus zugeführt.
8Gasdrucklader hätten den Vorteil, dass die Verriegelung des Verschlusses sicher und konstruktiv einfach aufrechterhalten bleibe, bis das Projektil den Lauf verlassen habe. Das Treibgas wirke erst dann auf den Selbstlademechanismus, wenn das Projektil die Gasentnahme passiert habe.
9Allgemein hätten Feuerwaffen den Nachteil, dass sie bei einem Einsatz aus einer Flüssigkeit heraus nicht funktionssicher, zumeist überhaupt nicht funktionsfähig seien. Die Flüssigkeit dringe in das Waffeninnere, insbesondere in das Verschlusssystem ein und könne die zur Zündung erforderlichen Elemente so stark abbremsen, dass beispielsweise der Schlagbolzen die zur Schussauslösung erforderliche Energie nicht mehr aufbringe.
102. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, Funktionsstörungen einer Waffe, die in Flüssigkeit eingetaucht war, zu vermeiden.
113. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in der in erster Linie verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 eine Waffe vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben):
0. Waffe, nämlich Gasdrucklader, mit einem Waffenverschlusssystem (8) mit
1. einem Verschlussträger (16) und
2. einem Schließfedermechanismus, der aufweist:
2.1 wenigstens eine Fluid-Durchtritts-Öffnung (50, 52, 54, 56, 58, 60) sowie
2.2 einen Schließfederkolben (22).
3. Der Verschlussträger (16) und der Schließfederkolben (22) sind derart zusammenwirkend ausgelegt, dass der Schließfederkolben (22) bei zurücklaufendem Verschlussträger (16) Flüssigkeit aus der wenigstens einen Fluid-Durchtritts-Öffnung (50, 52, 54, 56, 58, 60) verdrängt.
124. Einige Merkmale bedürfen der näheren Erläuterung.
13a) Von zentraler Bedeutung für das angestrebte Ziel ist die in Merkmal 2.1 vorgesehene mindestens eine Fluid-Durchtritts-Öffnung.
14Diese Öffnung muss nach den Merkmalen 4 und 5 einen Funktionshohlraum mit der Umgebung so verbinden, dass eingetretene Flüssigkeit, die die Funktion beeinträchtigt, einfach und schnell nach außen ableitbar ist.
15aa) Daraus ergibt sich, wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, dass die Öffnungen aufgrund ihrer Anzahl und Ausgestaltung dazu führen müssen, dass die Waffe trotz eingedrungener Flüssigkeit funktionsfähig bleibt.
16Dies muss nicht zwingend dadurch geschehen, dass jegliche Flüssigkeit aus der Waffe abgeleitet wird. Merkmal 5 erfordert aber, dass eine Ableitung insoweit möglich ist, als eingedrungene Flüssigkeit die Funktion des Verschlusssystems beeinträchtigt.
17bb) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts wird der verteidigte Gegenstand durch die Anforderung, dass die Ableitung einfach und schnell möglich sein muss, zusätzlich eingeschränkt.
18Anders als der erteilte Anspruch 19, der eine Zeitspanne von maximal drei Sekunden vorgibt, sieht Anspruch 1 zwar keine feste Zeitgrenze vor. Aus der Funktion von Merkmal 5, die Waffe funktionsfähig zu halten, ergibt sich aber, dass die Ableitung von funktionsbeeinträchtigender Flüssigkeit innerhalb einer Zeitspanne möglich sein muss, die einen sinnvollen Einsatz der Waffe ermöglicht. Wie das Oberlandesgericht Düsseldorf im Verletzungsrechtsstreit zu Recht angenommen hat, handelt es sich hierbei typischerweise um einen Zeitraum von Sekunden.
19Eine Möglichkeit zur einfachen Ableitung setzt ferner voraus, dass allenfalls eine geringe Anzahl von Bedienereingriffen erforderlich ist, etwa ein einmaliges manuelles Nachladen oder Spannen des Abzugsmechanismus, wie dies die Beschreibung (Abs. 42) als mögliche Ausgestaltung aufzeigt.
20cc) Zu Recht ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass nur ein Funktionshohlraum und eine Öffnung zwingend vorhanden sein müssen.
21(1) Das in der Beschreibung geschilderte Ausführungsbeispiel weist zwei Funktionshohlräume (38, 48) auf, die in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 dargestellt sind.
22Im hinteren Bereich der Waffe ist in einem Hohlraum (48) der in Merkmal 2 vorgesehene Schließfedermechanismus angeordnet. Dieser spannt den in Merkmal 1 vorgesehenen Verschlussträger (16) mittels einer Schließfeder (20) nach vorne. Die Schließfeder (20) verläuft in einem Führungsrohr (27) innerhalb eines Gehäuses (26). Im Führungsrohr (27) ist der in Merkmal 2.2 vorgesehene Schließfederkolben (22) beweglich angeordnet (Abs. 37).
23Der Hohlraum (48) ist durch fünf Öffnungen mit dem Außenraum verbunden. Zwei Öffnungen (52, 54) verlaufen radial in Rastöffnungen (64), die der Fixierung der Schulterstütze dienen. Drei Öffnungen (56, 58, 60) verlaufen axial nach hinten und durch die Schulterstütze hindurch (Abs. 42).
24Ein weiter vorne angeordneter Funktionshohlraum (38) dient der Führung des Schlagbolzens (40). Dieser ist von einem Führungszylinder (44) teilweise umgeben und gegen den Druck einer Feder (42) vorgespannt (Abs. 40).
25Der Hohlraum (38) wird durch eine Öffnung (50) mit dem Außenraum verbunden. Durch diese Öffnung kann Flüssigkeit in und durch den Magazinschacht (6) oder ein darin eingelegtes Magazin nach unten austreten (Abs. 42).
26Diese Ausgestaltung hat den Vorteil, dass der Schlagbolzen unabhängig vom Nachlademechanismus betätigt werden kann, und gewährleistet so die Abgabe von zumindest einem Schuss (Abs. 24). Die Öffnungen im Bereich des Schließfedermechanismus ermöglichen das automatische Nachladen der Waffe und damit ihren weiteren Einsatz (Abs. 42).
27(2) Patentanspruch 1 sieht eine Ausgestaltung mit zwei Funktionshohlräumen und diesen jeweils zugeordneten Fluid-Durchtritts-Öffnungen nicht zwingend vor. Nach den Merkmalen 4 und 2.1 genügen vielmehr jeweils ein Hohlraum und eine Öffnung.
28(3) Merkmal 3 konkretisiert diese Anforderung dahin, dass jedenfalls eine Öffnung vorhanden sein muss, durch die der Schließfederkolben (22) bei zurücklaufendem Verschlussträger (16) Flüssigkeit verdrängen kann.
29Bezogen auf das Ausführungsbeispiel bedeutet dies, dass zumindest der Funktionshohlraum (48) und eine der darin vorgesehenen Öffnungen vorhanden sein muss. Sofern weitere Hohlräume vorhanden sind, deren Funktion durch Wassereintritt beeinträchtigt wird, müssen zwar auch diese den Anforderungen aus den Merkmalen 4 und 5 genügen. Patentanspruch 1 gibt aber nicht zwingend vor, dass solche Hohlräume vorhanden sind.
30(4) Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich auch aus der Gegenüberstellung der Merkmale 5 und 3 nicht, dass die Waffe mindestens zwei Funktionshohlräume und zwei Fluid-Durchtritts-Öffnungen aufweisen muss.
31Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, schließen sich die Anforderungen aus den Merkmalen 5 und 3 nicht gegenseitig aus. Sie können vielmehr durch ein und dieselbe Öffnung erfüllt werden.
32(a) Der in Merkmal 5 normierten Anforderung, dass Flüssigkeit einfach und schnell nach außen ableitbar ist, ist schon dann Genüge getan, wenn eingedrungene Flüssigkeit passiv, also ohne Zutun des Waffenführers oder eines Waffenmechanismus abfließen kann, wie dies die Beschreibung für die am Hohlraum (38) angeordnete Öffnung (50) schildert.
33Merkmal 5 ist aber auch dann verwirklicht, wenn die die Funktion beeinträchtigende Flüssigkeit einfach und schnell durch den Schließfederkolben verdrängt werden kann, wie dies Merkmal 3 vorsieht.
34(b) Unabhängig davon besteht die Möglichkeit, einen Hohlraum und eine darin angeordnete Öffnung so auszugestalten, dass sowohl ein passives Abfließen als auch eine Verdrängung durch den Schließfederkolben möglich ist.
35Die Beschreibung schildert ein passives Abfließen ohne Zutun des Waffenführers oder eines Waffenmechanismus nicht nur für die am Schlagbolzen-Funktionsraum (38) angebrachte Öffnung (50), sondern für alle in Figur 2 dargestellten Öffnungen (50-60) (Abs. 42). Im Zusammenhang mit Figur 5, die die drei axialen Öffnungen (56, 58, 60) zeigt, wird nochmals ausgeführt, im Funktionsraum (48) befindliche Flüssigkeit werde durch den Schließfederkolben (22) auch durch die drei genannten Öffnungen nach außen verdrängt oder laufe dort passiv ab (Abs. 45).
36(c) Dass Merkmal 2.1 auch das Bezugszeichen (50) verwendet, führt entgegen der Auffassung der Berufung nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
Im Patentanspruch aufgeführte Bezugszeichen beschränken den Gegenstand des geschützten Patents grundsätzlich nicht auf Ausgestaltungen, die den Darstellungen entsprechen, in denen diese Bezugszeichen verwendet werden (, GRUR 2006, 316 Rn. 11 - Koksofentür).
37b) Die in Merkmal 6 vorgesehenen Bauteile, die eine Bewegung des Verschlussträgers (16) und mit diesem des Schließfederkolbens (22) bewirken, sind in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt.
38aa) Nach Merkmal 6 wird der Verschlussträger (16) von einer Gasabnahmestange (30) angetrieben. Auf diese wirkt ein kurzer Gaskolben (36), der in einem kurzen Gaszylinder (34) angeordnet ist. Die von Zylinderwand, Zylinderboden und Kolben umschlossene Kammer ist über einen Kanal (28) mit dem vorderen Bereich des Rohrs (2) verbunden. Bei Eintritt von Gas beschleunigt der bewegliche Kolben (36) die mit ihm verbundene Stange (30), die den Verschluss (16, 18) öffnet (Abs. 39).
39bb) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergibt sich aus der in Merkmal 6 normierten Anforderung, dass der Gaskolben (36) und der Gaszylinder (34) kurz sein müssen, nicht, dass es sich um ein so genanntes short-stroke-System handeln muss.
40Die Bezeichnung "short stroke" verwendet das Streitpatent für Systeme, bei denen der Weg des Gaskolbens kürzer ist als der des Verschlussträgers (Abs. 7). Dies setzt voraus, dass der Kolben und der Verschlussträger nicht fest miteinander verbunden sind.
41An anderer Stelle bezeichnet die Beschreibung ein short-stroke-System mit einem kurzen Gaskolben als bevorzugt (Abs. 31). Im Zusammenhang mit dem erteilten Anspruch 22, aus dem Merkmal 6 stammt, wird jedoch ausgeführt, in diesem System (d.h. mit kurzem Gaskolben, kurzem Gaszylinder und Gasabnahmestange) könnten die Gasstange und der Verschlussträger miteinander gekoppelt sein oder auch nicht (Abs. 32).
42Daraus ergibt sich, wie die Berufung zu Recht geltend macht, dass Merkmal 6 auch dann erfüllt ist, wenn Gaskolben, Gasabnahmestange und Verschlussträger denselben - kurzen - Weg zurücklegen.
43II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
44Der in erster Linie verteidigte Gegenstand gehe nicht über den Inhalt der eingereichten Unterlagen hinaus und führe nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs. Schon der Anmeldung sei zu entnehmen, dass auch die Öffnungen im Bereich des Schließfedermechanismus Flüssigkeit einfach und schnell nach außen ableiten.
45Der Einwand fehlender Klarheit könne nicht geltend gemacht werden, weil die verteidigte Fassung ausschließlich Merkmale enthalte, die bereits in den erteilten Patentansprüchen vorgesehen seien. Unabhängig davon entsprächen diese Merkmale dem Klarheitserfordernis.
46Der verteidigte Gegenstand sei neu.
47Die US-amerikanische Patentschrift 6 848 351 (PE14) offenbare nicht die Merkmale 5 und 6. Der von einem Verschlussträger angetriebene Schließfederkolben verdränge zwar Flüssigkeit aus einer Durchtrittsöffnung. Es fehle aber an einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung, dass dabei die die Funktion des Verschlusssystems beeinträchtigende Flüssigkeit nach außen ableitbar sei. Ferner sei nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, dass es sich um ein short-stroke-System handle.
48Die US-amerikanische Patentschrift 3 553 876 (PE11) offenbare ein Unterwassergewehr, das nicht als Gasdrucklader im Sinne der Merkmale 0 und 6 ausgebildet sei. Das Gewehr weise ein Verschlussrohr auf, das der Führung einer Schlagstange diene und mit einer oder mehreren Fluid-Durchtritts-Öffnungen zum Abbau von darin angesammeltem Wasser versehen sei. Beim Zurücklaufen der Schlagstange verdränge eine Mutter Wasser durch eine stirnseitige im Griff angeordnete Fluid-Durchtritts-Öffnung.
49PE14 gehe von Gewehren des Typs M16/M4 aus und schlage vor, diese mit einem Gaskolben und einer Gasabnahmestange zu versehen, um den Reinigungsaufwand zu reduzieren. Ausgehend davon sei kein Anlass ersichtlich, eine weitere Umkonstruktion zu einem short-stroke-System vorzunehmen. Zudem fehle es an einem Anlass, die in PE14 lediglich in Figur 18 gezeigte Fluid-Durchtritts-Öffnung so auszubilden, dass die die Funktion des Waffenverschlusssystems beeinträchtigende Flüssigkeit nach außen ableitbar sei.
50Eine Zusammenschau von PE14 und PE11 habe den verteidigten Gegenstand ebenfalls nicht nahegelegt. PE14 und PE11 offenbarten unterschiedliche Konzepte. Für PE14 komme es entscheidend auf die Druckverhältnisse im Gasdrucklader an. Diese spielten für das Unterwassergewehr der PE11 keine Rolle, weil dieses manuell nachgeladen werde. Der Fachmann, ein Bachelor der Fachrichtung Maschinenbau mit Erfahrungen in der Konstruktion von Handfeuerwaffen, erhalte daraus keine Lösung für ein Funktionsproblem bei automatisch nachgeladenen Waffen.
51III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
521. Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass der in erster Linie verteidigte Gegenstand nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht und die vorgenommene Änderung nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führt.
53a) Entgegen der Auffassung der Berufung ist schon der Anmeldung zu entnehmen, dass es genügt, wenn eine im Bereich des Schließfederkolbens (22) angeordnete Öffnung so ausgebildet ist, dass im dortigen Funktionshohlraum befindliche Flüssigkeit durch den Kolben (22) nach außen verdrängt wird oder passiv abläuft (S. 13 Z. 24-30; S. 14 Z. 16-20).
54Vor diesem Hintergrund ist nicht erheblich, dass der in der Anmeldung formulierte Anspruch 1 nur die Merkmale 4 und 5 vorsah, nicht aber das Merkmal 3. Der Inhalt der Anmeldung wird durch darin formulierte Ansprüche nicht beschränkt. Maßgeblich ist der gesamte Inhalt der eingereichten Unterlagen.
55b) Entgegen der Auffassung der Berufung ist den erteilten Ansprüchen 1 und 2 ebenfalls nicht zu entnehmen, dass sich die Merkmale 5 und 3 auf unterschiedliche Funktionshohlräume beziehen.
56Nach der erteilten Fassung hat das Zusammenspiel von Anspruch 1, der nur mindestens eine Fluid-Durchtritts-Öffnung gemäß Merkmal 3 vorsieht, und dem darauf zurückbezogenen Anspruch 2, der zusätzlich mindestens einen Funktionshohlraum mit mindestens einer Fluid-Durchtritts-Öffnung gemäß den Merkmalen 4 und 5 vorschreibt, allerdings zur Folge, dass es ausreicht, wenn eine Öffnung nur die in Merkmal 3 definierten Eigenschaften aufweist und eine andere Öffnung die Eigenschaften aus den Merkmalen 4 und 5. Auch nach dieser Fassung erfasst Anspruch 2 jedoch auch solche Ausführungsformen, bei denen alle diese Merkmale durch dieselbe Öffnung verwirklicht werden.
572. Ebenfalls zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass der von der Klägerin erhobene Einwand der mangelnden Klarheit unzulässig ist.
58Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Prüfung auf hinreichende Klarheit im Patentnichtigkeitsverfahren jedenfalls insoweit nicht statthaft, als die mutmaßliche Unklarheit bereits in den erteilten Ansprüchen enthalten war (, GRUR 2016, 361 Rn. 31 - Fugenband; Urteil vom - X ZR 18/14, juris Rn. 50; ebenso für das Einspruchsverfahren: EPA, Entscheidung vom - G 3/14).
59Im Streitfall stammen alle in der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 vorgesehenen Merkmale aus Ansprüchen, die bereits in der erteilten Fassung vorgesehen waren.
60Die Zusammenfassung dieser Merkmale in einem Anspruch führt entgegen der Auffassung der Berufung auch nicht deshalb zu mangelnder Klarheit, weil dadurch Ausführungsformen, bei denen die Merkmale 5 und 3 durch unterschiedliche Öffnungen verwirklicht werden, nicht mehr zum Gegenstand des Patents gehören. Wie oben dargelegt wurde, ergibt sich diese Beschränkung daraus, dass in der verteidigten Fassung alle die Öffnung betreffenden Merkmale sich auf dieselbe (wenigstens eine) Öffnung beziehen. Dies geht hinreichend deutlich aus dem Anspruch hervor.
613. Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass PE14 den verteidigten Gegenstand nicht vollständig vorwegnimmt.
62a) PE14 befasst sich mit den im Stand der Technik bekannten Gewehren der Familie M16.
63Bei diesen Gewehren werde ein Teil der vom Projektil erzeugten Treibgase durch ein Rohr nach hinten geführt, um den Verschlussträger nach hinten zu drängen. Da die Treibgase sehr schmutzig seien, müssten praktisch sämtliche Teile des Gewehrs sorgfältig und häufig gereinigt werden. Selbst dann könne es nach langer Nutzungsdauer zu Ladehemmungen kommen (Sp. 1 Z. 15-23).
64Weiterhin seien kürzere Gewehre gewünscht. Eine Verkürzung hätte jedoch kürzere Wege für die Treibgase und damit einen kürzeren Schusszyklus oder eine höhere Schussrate zur Folge. Beides könne den Nachlademechanismus überbeanspruchen (Sp. 1 Z. 24-40).
65b) Zur Abhilfe schlägt PE14 vor, die Treibgase nicht zum Verschlussträger zu leiten, sondern zu einem beweglichen Kolben, der mit diesem gekoppelt ist (Sp. 2 Z. 20-26).
66aa) Ein Ausführungsbeispiel ist unter anderem in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 3 und 4 dargestellt.
67Das Antriebssystem (20) umfasst ein zylinderförmiges Basiselement (30), das um den (gestrichelt dargestellten) Lauf (14) herum angeordnet ist. Dieses trägt einen Verteiler (manifold 32) mit zwei Stopfen (36, 38) und einer Öffnung (35), durch die Treibgas aus dem Lauf (14) in den Verteiler einströmen kann. Durch eine weitere Öffnung (39) kann das Gas in einen Zylinder (40) gelangen und einen darin beweglich gelagerten Kolben (42) antreiben (Sp. 4 Z. 14-31). Dieser wirkt auf eine Schubstange (54), die den Verschluss öffnet (Sp. 4 Z. 55-60). Der Gaskolben und die Druckstange können separat oder als gemeinsames Bauteil ausgebildet sein (Sp. 5 Z. 29-35).
68bb) Die Wirkung der Druckstange (54) ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 5 und 6 dargestellt.
69Die Druckstange (54) betätigt mit ihrem hinteren Ende einen Antriebskeil (60) des Verschlussträgers mit einer rohrförmigen Aufnahme (62). In dieser befindet sich ein Stoßfänger (64) in Form eines elastischen Materials oder einer Feder. Beim Auftreffen der Druckstange (54) wird der Stoßfänger (64) leicht komprimiert, wodurch die Kraft kurzzeitig verzögert und gespeichert wird. Dadurch setzt die rückwärtige Bewegung des Verschlussträgers (22) erst ein, nachdem der Druck in der Schusskammer (10) abgefallen ist. Hierdurch wird eine leichtere und weniger belastende Fortsetzung des Schusszyklus ermöglicht (Sp. 5 Z. 5-21).
70cc) Bei seiner Rückwärtsbewegung kommt der Verschlussträger (22) in Kontakt mit einem Puffersystem (24) (Sp. 8 Z. 54-57), dessen grober Aufbau in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 18 dargestellt ist.
71Das Puffersystem umfasst eine Feder (122), die in einer rohrförmigen Aufnahmeverlängerung (120) angeordnet ist und eine Kolbenbaugruppe (piston assembly 124) umschließt. In der Endwand der Aufnahmeverlängerung (120) ist eine Bohrung dargestellt. Die Beschreibung verhält sich dazu nicht.
72dd) Die einzelnen Bauteile des Pufferelements (24) sind in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 20 bis 23 dargestellt.
73Die Kolbenbaugruppe (124) umfasst einen teilweise fluidgefüllten Zylinder (125), der am vorderen Ende (126) der Feder (122) angebracht und mit einer Dichtung (140) versehen ist. Im Zylinder (125) ist ein beweglicher Kolben (128) angeordnet, der von einem Schaft (129) getragen wird. Dieser endet in einem Ankerabschnitt (130). Dieser wiederum weist einen Federeingriffsring (132) auf, der an einer im Wesentlichen in der Mitte angeordneten Wendel (133) positioniert ist, und ein Verbindungselement (134), das während der Ausdehnung der Feder (122) in den Ring (132) eingreift, während einer Kompression aber frei durch den Ring verlaufen kann. Das hintere Ende des Schafts (129) ist mit dem Verbindungselement (134) gekoppelt. Der Schaft (129) trägt ferner ein Gewicht (136), das von einer Feder (138) nach hinten zu dem Verbindungselement (134) hin vorgespannt ist. Innerhalb des Zylinders (125) ist ferner ein Klappenventil (144) angebracht, das die Bewegung des Kolbens (128) bei einer Kompression der Feder (122) verlangsamt (Sp. 8 Z. 1-54).
74Bei einer vollständigen Kompression der Feder (122) tritt der Ankerabschnitt (130) in Kontakt mit der Endwand der Verlängerung (120). Da sich der Kolben (128) hierbei nur langsam bewegen kann, wird ein Teil des durch die Treibgase ausgelösten Stoßes absorbiert. Die Bewegung des Gewichts (136) gegen die Feder (138) bewirkt eine zusätzliche Absorption (Sp. 8 Z. 57 bis Sp. 9 Z. 15).
75c) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass damit jedenfalls das Merkmal 5 nicht eindeutig und unmittelbar ist.
76Die in PE14 offenbarte rohrförmige Aufnahmeverlängerung (120) bildet allerdings einen Funktionshohlraum im Sinne der Merkmale 4 und 5 und die darin angeordnete Kolbenbaugruppe (124) ist ein Schließfederkolben im Sinne der Merkmale 2.2 und 3.
77Ferner kann unterstellt werden, dass die in Figur 18 dargestellte Bohrung in der Endwand durchgehend ist und deshalb den Austritt von Gas oder Flüssigkeit ermöglicht. Damit sind zwar die Merkmale 3 und 7 verwirklicht. Auch unter dieser Prämisse ergibt sich aus PE14 aber nicht unmittelbar und eindeutig, dass die Bohrung es ermöglicht, Flüssigkeit, die die Funktion beeinträchtigt, einfach und schnell abzuleiten und so die Waffe funktionsfähig zu halten, wie dies Merkmal 5 vorgibt.
78Wie die Berufung im Ansatz zutreffend geltend macht, würde es für eine hinreichende Offenbarung allerdings ausreichen, wenn sicher davon ausgegangen werden kann, dass die Bohrung den Anforderungen von Merkmal 5 entspricht. Dies ist jedoch nicht der Fall. PE14 enthält keine Angaben zur Dimensionierung und Ausgestaltung der Bohrung und lässt auch nicht erkennen, in welchem Umfang es zum Eindringen von Flüssigkeit kommen und auf welche Weise diese gegebenenfalls abgeleitet werden kann.
79Die von der Berufung zitierten Ausführungen in einem Gutachten aus einem selbständigen Beweisverfahren führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Diesen Ausführungen lässt sich allenfalls entnehmen, dass der Sachverständige bei der dort zu beurteilenden Ausführungsform eine ausreichende Ableitung von eingedrungener Flüssigkeit als gewährleistet angesehen hat. Daraus ergibt sich nicht, dass dasselbe gilt, wenn nur im Boden des den Schließfederkolben umgebenden Zylinders eine irgendwie ausgestaltete Bohrung angebracht ist.
804. Dass der verteidigte Gegenstand des Streitpatents in den übrigen Entgegenhaltungen nicht vollständig offenbart wird, zieht die Berufung nicht in Zweifel.
815. Ebenfalls zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass der verteidigte Gegenstand des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
82a) Ausgehend von PE14 bestand keine Veranlassung, die in Figur 18 dargestellte Bohrung so auszugestalten, dass sie das Merkmal 5 verwirklicht.
83Dabei kann zugunsten der Berufung unterstellt werden, dass Anlass bestand, nach Lösungen zu suchen, um eine Waffe der in PE14 vorgeschlagenen Art so auszugestalten, dass sie funktionsfähig bleibt, wenn sie in Flüssigkeit eingetaucht war. Auch unter dieser Prämisse ergab sich aus PE14 nicht die Anregung, diese Funktion durch zweckgemäße Ausgestaltung einer oder mehrerer Öffnungen im Sinne von Merkmal 5 zu verwirklichen.
84PE14 zeigt in Figur 18 zwar eine Bohrung, die diese Funktion bei zweckgemäßer Ausgestaltung möglicherweise erfüllen könnte. Die Entgegenhaltung lässt aber nicht erkennen, dass die Bohrung diesem Zweck dient oder zur Erreichung dieses Zwecks umgestaltet werden könnte.
85Die einfache Überlegung, dass Flüssigkeit umso einfacher und schneller abfließen kann, je größer oder zahlreicher dafür geeignete Öffnungen vorhanden sind, bot sich ausgehend von PE14 nicht als Lösung an, weil dies die Gefahr barg, dass es mit zunehmender Anzahl und Größe von Öffnungen sogar in erhöhtem Maße zu Funktionsstörungen durch eindringendes Wasser kommt.
86Wie die Berufungserwiderung zu Recht aufzeigt, zeigten die Lösungen im Stand der Technik Ausgestaltungen, mit denen ein solcher Flüssigkeitseintritt jedenfalls für den Hohlraum des Schließfederkolbens ansatzweise vermieden wird, indem eher kleine Öffnungen vorgesehen sind, die im Wesentlichen einen Gasaustausch ermöglichen. Eine Vergrößerung des Durchmessers oder die Ausbildung von zusätzlichen Öffnungen wäre mit einer Abkehr von diesem Ansatz verbunden gewesen. Dies lag nicht nahe, weil PE14 keine Hinweise oder Anregungen in diese Richtung enthält.
87b) Aus PE11 ergaben sich keine weitergehenden Anregungen.
88aa) PE11 offenbart ein Unterwassergewehr, das sicher und effektiv eingesetzt und schnell nachgeladen werden kann (Sp. 1 Z. 31-37).
89(1) Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt.
90Das Gewehr umfasst einen Griff (H), ein Verschlussrohr (B) und einen Kopf (G).
91Das Verschlussrohr (B) besteht aus einem rohrförmigen Abschnitt (10), der eine oder mehrere Öffnungen (10') aufweist, um Ansammlungen von Wasser abzubauen, die sich darin bilden können. Dieser Abschnitt dient als Führung für eine Schlagstange (30), die sich über seine gesamte Länge erstreckt (Sp. 3 Z. 11-27).
92Der Gewehrkopf kann leicht vom Verschlussrohr abgenommen werden, um die Reinigung und die Anpassung des Gewehrs an unterschiedliche Einsatzzwecke zu ermöglichen. Sowohl das Verschlussrohr als auch das Ende des Griffs sind mit Öffnungen (10') versehen, um das einfache Ableiten von Wasser aus verschiedenen Teilen des Gewehrs zu ermöglichen (Sp. 6 Z. 28-33).
93(2) Die Funktionsweise des Gewehrs ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 4a und 4b dargestellt.
94Eine Patrone (C) mit einem Geschoss (A) wird manuell in den Gewehrkopf (G) geladen. Der Griff (H) wird gegen die Kraft einer Feder (40) nach hinten gezogen und durch einen Sperrmechanismus festgehalten, dessen Kugeln (19) in eine schmale Stelle (34) der Schlagstange (30) eingreifen. In dieser Position kann die Waffe gesichert werden, indem der Griff (H) so gedreht wird, dass ein Sicherheitsbolzen (7) in einen Schlitz (4) greift. Zum Entsichern wird der Griff (H) zunächst leicht nach hinten gezogen und dann leicht nach vorne bewegt, so dass eine Hülse (9) die Sperrkugeln (19) löst. Danach wird die Schlagstange (30) durch die Feder (40) nach vorne getrieben, so dass ihr vorderes Ende auf den Schlagbolzen (61) schlägt und dieser das Zündhütchen der Patrone (C) zündet (Sp. 6 Z. 34 bis Sp. 7 Z. 16). Das Verschlussrohr (B) wie auch das Griffende ist mit Öffnungen 10' versehen, um die einfache Ableitung von Wasser aus den mehreren Teilen des Gewehrs zu ermöglichen (Sp. 6 Z. 30-33).
95bb) Daraus ergab sich ebenfalls keine Anregung, ein Gewehr des in PE14 vorgeschlagenen Typs mit Öffnungen im Sinne von Merkmal 5 zu versehen.
96Wie das Patentgericht zutreffend entschieden hat, beruht das manuell nachladende Unterwassergewehr gemäß PE11 auf einem anderen Konzept als das halb- oder vollautomatische Gewehr aus PE14. Bei letzterem kommt den Druckverhältnissen der Gase in den verschiedenen Hohl- und Funktionsräumen entscheidende Bedeutung zu, damit das automatische Nachladen sichergestellt ist. Ein Unterwassergewehr muss seine Funktion hingegen unter der Bedingung sicherstellen, dass Wasser sich in sämtlichen Hohlräumen befindet. PE11 sieht dementsprechend keinen Mechanismus vor, wie er im Trockenen für ein automatisches Nachladen funktionieren kann.
97Angesichts dieser konzeptionellen Unterschiede bestand kein Anlass, aus PE11 einzelne Gestaltungselemente auf den Lademechanismus einer automatischen Waffe zu übertragen. Dass die Öffnungen 10' einen Flüssigkeitsfluss unter Wasser ermöglichen, bei dem Wasser gegen Wasser ausgetauscht wird, gab vor diesem Hintergrund keinen Anlass, vergleichbare Öffnungen auch bei der in PE14 offenbarten Waffe vorzusehen, um eingedrungenes Wasser dauerhaft zu entfernen.
98c) Dass sich aus anderen Entgegenhaltungen weitergehende Anregungen ergeben könnten, macht die Berufung nicht geltend.
99d) Entgegen der Auffassung der Berufung erschöpft sich der verteidigte Gegenstand nicht in einer bloßen Aggregation von Merkmalen.
100Wie oben dargelegt wurde, dient die Kombination der Merkmale 4 bis 7 dem Zweck, eine Waffe, die in Flüssigkeit eingetaucht war, funktionsfähig zu halten. Darin liegt keine bloße Aggregation, sondern das Zusammenwirken mehrerer Merkmale zur Verwirklichung einer bisher im Stand der Technik nicht offenbarten Funktion.
101IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180325UXZR30.23.1
Fundstelle(n):
KAAAJ-90219