Instanzenzug: Az: I ZB 27/23 Beschlussvorgehend Az: I ZB 27/23 Beschlussvorgehend Az: 25 T 311/22 Beschlussvorgehend Az: 665 M 681/22 Beschlussnachgehend Az: I ZB 27/23 Beschluss
Gründe
1I. Die Gläubigerin und Antragstellerin (nachfolgend nur Antragstellerin) ist eine Stadt in Nordrhein-Westfalen. Sie betreibt gegen die Schuldnerin, die Z. GmbH, die Zwangsvollstreckung aus einem Haftungsbescheid vom wegen rückständiger Gewerbesteuer für die Jahre 2012 bis 2015 nebst Zinsen zuzüglich Mahn- und Nebenkosten sowie Säumniszuschlägen in einer Gesamthöhe vom 38.238,37 €.
2Die Antragstellerin hat die Abnahme der Vermögensauskunft der Schuldnerin und bei Nichterscheinen den Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft beantragt. Die mit einem Dienstsiegel der Antragstellerin und einer Unterschrift einer ihrer Mitarbeiterinnen versehene Antragsschrift ist eingescannt und ohne qualifizierte elektronische Signatur über das besondere elektronische Behördenpostfach der Antragstellerin an das Amtsgericht übermittelt worden. Der Antragsgegner als letzter bekannter Geschäftsführer der inzwischen aus dem Handelsregister gelöschten Schuldnerin ist unentschuldigt nicht zu dem vom Gerichtsvollzieher anberaumten Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft erschienen.
3Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass eines Haftbefehls weiter.
4II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls habe zwar den prozessualen Anforderungen der §§ 130a, 130d ZPO, nicht aber den weitergehenden materiell-rechtlichen Anforderungen nach § 5a Abs. 4 VwVG NW in der bis geltenden Fassung (VwVG NW aF) genügt. Für den Fall, dass der Vollstreckungsauftrag mit einem Antrag auf Erzwingungshaft verbunden werde, seien eine Unterschrift oder ein Beglaubigungsvermerk sowie ein Dienstsiegel erforderlich. Die nach der Begründung des Regierungsentwurfs zur Vorschrift des § 5a Abs. 4 Satz 6 VwVG NW aF erforderliche Originalunterschrift könne im elektronischen Rechtsverkehr nur durch eine qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden.
5III. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.
61. Der mit der Rechtsbeschwerde gerügte Verstoß gegen das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen unterliegt gemäß § 576 Abs. 1 ZPO der Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, weil es sich hierbei um Vorschriften handelt, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt.
72. Das im Zeitpunkt der Stellung des Vollstreckungsauftrags geltende Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ist mit Wirkung vom durch das Gesetz zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW und weiterer Vorschriften vom (GV. NRW. 2023, 230) geändert worden. Sowohl nach altem als auch nach neuem Landesverwaltungsvollstreckungsrecht kann die Vollstreckungsbehörde den Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsbeamten der Justizverwaltung mit der Abnahme der Vermögensauskunft beauftragen (§ 3 Abs. 2 Satz 2, § 5a Abs. 1 Satz 5 VwVG NW aF/§ 3a Abs. 1 Satz 1, § 5a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVG NW nF). Dabei tritt nach altem wie nach neuem Recht der Auftrag der Vollstreckungsbehörde, der eine Erklärung über die Vollstreckbarkeit, die Höhe und den Grund der Forderung enthalten muss, an die Stelle der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung (§ 5a Abs. 4 Satz 1 VwVG NW aF/§ 3a Abs. 3 Satz 1 VwVG NW nF).
83. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts musste ein mit einem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls verbundener Vollstreckungsauftrag bereits nach altem Landesverwaltungsvollstreckungsrecht im elektronischen Rechtsverkehr nicht zwingend qualifiziert elektronisch signiert werden.
9a) Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 VwVG NW aF unterliegt die Vollstreckung durch Vollstreckungsbeamte der Justizverwaltung den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Kraft dieser Verweisung gilt für die Einreichung des Vollstreckungsauftrags die Vorschrift des § 753 ZPO, die in Absatz 4 Satz 2 auf § 130a ZPO und die auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnung sowie in Absatz 5 auf § 130d ZPO verweist. Nach § 130d Satz 1 ZPO hat die Einreichung schriftlich einzureichender Anträge - um einen solchen handelt es sich bei dem vorliegenden Vollstreckungsauftrag - durch eine Behörde in elektronischer Form zu erfolgen.
10b) Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO entspricht der Vollstreckungsauftrag den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert oder (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist. Weitere Formerfordernisse bestehen danach nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen für einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag zur Beitreibung von Gerichtskosten nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG (vgl. , DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 12 f. und 16]) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden (vgl. , WM 2023, 1271 [juris Rn. 13 und 15]; Beschluss vom - I ZB 24/23, DGVZ 2024, 128 [juris Rn. 10]).
11c) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts folgt aus den ergänzenden Regelungen des alten Landesverwaltungsvollstreckungsrechts nicht, dass ein mit einem Antrag auf Erzwingungshaft verbundener Vollstreckungsauftrag im elektronischen Rechtsverkehr zwingend qualifiziert elektronisch zu signieren ist. Vielmehr reicht - wie im Streitfall erfolgt - die Einreichung eines unterschriebenen und dann eingescannten Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg.
12aa) § 5a Abs. 4 Satz 3 und 4 VwVG NW aF bestimmt, dass der Vollstreckungsauftrag mit einem Dienstsiegel und dem Namen des für die Beauftragung zuständigen Bediensteten zu versehen ist, wenn er mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt wird; einer Unterschrift bedarf es nicht. Nach § 5a Abs. 4 Satz 6 VwVG NW aF ist der Vollstreckungsauftrag zu unterschreiben, wenn er mit einem Antrag auf Erzwingungshaft verbunden wird.
13bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts handelt es sich hierbei nicht um materiell-rechtliche Formerfordernisse, sondern um Anforderungen, die sich aus den Besonderheiten des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens und somit aus dem Verfahrensrecht ergeben (zum Justizbeitreibungsverfahren vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 13]).
14cc) Im elektronischen Rechtsverkehr können die genannten landesrechtlichen Anforderungen entweder durch Einreichung eines qualifiziert elektronisch signierten Dokuments (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO) oder - wie im Streitfall erfolgt - durch Einreichung eines unterschriebenen und dann eingescannten Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg erfüllt werden.
15Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts schließt die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 5a Abs. 4 Satz 6 VwVG NW aF die Wiedergabe der Unterschrift auf einem eingescannten Dokument nicht aus.
16(1) Soweit danach eine "Originalunterschrift" erforderlich sein soll (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW und zur Änderung des Landeszustellungsgesetzes, LT-Drucks. 16/11845, S. 32), sollten damit die Anforderungen aus dem , DGVZ 2015, 146) in das Landesrecht übernommen werden. Dieser Beschluss bezieht sich noch auf die Rechtslage für einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsauftrag und gilt für einen im elektronischen Rechtsverkehr eingereichten Vollstreckungsauftrag gerade nicht (vgl. Rn. 10). Es ist nicht ersichtlich, dass der Landesgesetzgeber mit der Bezugnahme auf den Beschluss besondere Anforderungen für den elektronischen Rechtsverkehr aufstellen wollte.
17(2) Gleichwohl verlangt § 5a Abs. 4 Satz 6 VwVG NW aF nach seinem eindeutigen Wortlaut eine Unterschrift. Eine (einfache) Signatur in Form einer maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens der verantwortenden Person, wie nach § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO vorgesehen (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 16]), reicht somit nicht aus.
18d) Der Senat hat zudem bereits entschieden, dass Vollstreckungsaufträge, die nicht mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt werden, nach altem Landesverwaltungsvollstreckungsrecht keines Dienstsiegels bedurften (vgl. BGH, DGVZ 2024, 128 [juris Rn. 8 bis 13]).
194. Nach neuem Landesverwaltungsvollstreckungsrecht gelten allein die Anforderungen aus der Vorschrift des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO, die neben der Möglichkeit der qualifizierten elektronischen Signatur (Fall 1) auch die Möglichkeit der (einfachen) Signatur und Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg eröffnet (Fall 2).
20a) Gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF unterliegt die Vollstreckung durch Vollstreckungsbeamte der Justizverwaltung den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit nicht dieses Gesetz etwas anderes bestimmt. § 3a Abs. 4 VwVG NW nF sieht vor, dass der Auftrag der Vollstreckungsbehörde als elektronisches Dokument zu erstellen und zu übermitteln ist (Satz 1) und dass es keiner Unterschrift und keines Siegels bedarf (Satz 2). Die Anforderungen an die Übermittlung als elektronisches Dokument ergeben sich aus den über die Verweisung in § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF berufenen Vorschriften der § 753 Abs. 4 und 5, §§ 130a und 130d ZPO (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW und weiterer Vorschriften, LT-Drucks. 18/3391, S. 34 f.).
21Nach § 3a Abs. 4 Satz 3 VwVG NW nF kann d§ 3a Abs. 4 Satz 4 VwVG NW nFVwVG NW nF§ 3a Abs. 4 Satz 4 VwVG NW nF in diesem Fall
22b) Für einen Vollstreckungsauftrag, der mit einem Antrag auf Erzwingungshaft verbunden wird, oder einen isolierten Antrag auf Erzwingungshaft ergibt sich aus diesen Regelungen, dass er den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO genügen, also entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss.
23In der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 3a Abs. 5 Satz 2 ZPO wird ausgeführt, bei den grundrechtsintensiven Eingriffen der Erzwingungshaft und der Durchsuchung bleibe kein Raum für eine etwaige vereinfachte Übermittlung des Antrags. Die Regelungen des § 130a Abs. 3 ZPO hinsichtlich der qualifizierten elektronischen Signatur oder der (einfachen) Signierung bei gleichzeitiger Nutzung eines sicheren Übermittlungsweges sollten daher vollumfänglich gelten. Bei der Signierung sei die die Entscheidung verantwortende Person anzugeben (vgl. LT-Drucks. 18/3391, S. 34 f.).
24c) Der Bundesgerichtshof hat zudem bereits entschieden, dass der Vollstreckungsauftrag nach neuem Landesverwaltungsvollstreckungsrecht auch dann keines Dienstsiegels bedarf, wenn er mit einem Antrag auf Erzwingungshaft verbunden wird (vgl. , DGVZ 2023, 175 [juris Rn. 15]; BGH, DGVZ 2024, 128 [juris Rn. 14]).
255. Danach können die formellen Anforderungen an einen Vollstreckungsauftrag mit Antrag auf Erzwingungshaft sowohl nach altem als auch nach neuem Landesverwaltungsvollstreckungsrecht mit der Einreichung eines unterschriebenen und dann eingescannten Dokuments erfüllt werden, soweit dieses auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO). Bislang fehlen allerdings hinreichende Feststellungen dazu, ob die Einreichung auf dem sicheren Übermittlungsweg des § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO erfolgt ist.
26a) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) können Behörden zur Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Einhaltung bestimmter Anforderungen ein besonderes elektronisches Behördenpostfach nutzen. Unter anderem muss nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde.
27Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs durch eine berechtigte Person wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis bestätigt. Dabei handelt es sich um eine elektronische Signatur, die an eine Nachricht angebracht wird, wenn das Versandpostfach nach Authentifizierung und Identifizierung des Postfachinhabers in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zum Zeitpunkt der Erstellung der Nachricht sicher an dem Postfach angemeldet ist. Ob das eingegangene Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg versandt worden ist, lässt sich (allein) anhand eines Prüfvermerks, Transfervermerks oder Prüfprotokolls zuverlässig erkennen, nicht aber aus dem Dokument selbst (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 19] mwN; DGVZ 2024, 128 [juris Rn. 17]).
28b) Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises für den Vollstreckungsauftrag der Antragstellerin bislang nicht festgestellt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde reicht die Feststellung, dass der Vollstreckungsauftrag über den sicheren Übermittlungsweg des besonderen elektronischen Behördenpostfachs eingereicht worden ist, nicht aus.
296. Darüber hinaus wird das Beschwerdegericht zu prüfen haben, ob die weiteren Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls erfüllt sind.
30IV. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Feddersen Löffler Schwonke
Schmaltz Odörfer
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:211124BIZB27.23.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-90182