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BGH Urteil v. - VIa ZR 1070/22

Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 7 U 1/22vorgehend LG Halle (Saale) Az: 5 O 167/21

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Dezember 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLE 350 d 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit welcher sie zuletzt die Zahlung von 55.225,30 € (Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten, die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen sowie die Feststellung begehrt hat, dass sich der Rechtsstreit wegen einer ursprünglich höheren Hauptforderung teilweise erledigt hat, ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Der Klägerin stehe kein deliktischer Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Es sei bereits nicht zu erkennen, dass der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erfüllt sei. Die Beklagte habe sich auch nicht aufgrund einer Schutzgesetzverletzung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise §§ 6, 27 EG-FGV schadensersatzpflichtig gemacht. Den Normen komme kein Schutzgesetzcharakter zu. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, sei nicht vom Schutzbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV umfasst.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 ff.).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 ff.). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 ff.; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff. und III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

                                                

                                              

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250325UVIAZR1070.22.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-90104