Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 41 KLs 1/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in dreizehn Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung und in einem Fall in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und mit Herstellen von jugendpornographischen Schriften, sowie wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Drittbesitzverschaffung von jugendpornographischen Schriften, wegen versuchter Nötigung sowie Besitzes von kinderpornographischen Schriften in Tateinheit mit Besitz von jugendpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
2Das Landgericht hat, soweit hier von Bedeutung, die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Der Angeklagte suchte über die Internetseite „ .com“, auf der junge Frauen ab 18 Jahren sexuelle Dienstleistungen anbieten, nach jungen Prostituierten, deren Dienste er entgeltlich in Anspruch nehmen wollte. So nahm er im Jahr 2016 Kontakt zu der minderjährigen Geschädigten H. auf, mit der er im Zeitraum von Dezember 2016 bis Dezember 2017 in Kenntnis ihres Alters gegen Entgelt den Geschlechtsverkehr vollzog. Ihr Einverständnis bezog sich dabei aus Sorge vor einer Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten nur auf den Geschlechtsverkehr mit einem Kondom. Wiederholte Fragen des Angeklagten, ob er das Kondom „weglassen“ dürfe, hatte die Geschädigte jeweils ausdrücklich verneint. Bei drei Gelegenheiten (Fälle II. A. 3. ‒ 5. der Urteilsgründe) entfernte der Angeklagte gleichwohl heimlich das zunächst übergezogene Kondom und setzte sodann den vaginalen Geschlechtsverkehr nunmehr ungeschützt fort. Ferner führte der Angeklagte in einem Fall (Fall II. A. 6. der Urteilsgründe) der Geschädigten einen übergroßen Vibrator vaginal ein, obwohl er wusste, dass sie hiermit nicht einverstanden war. Anschließend setzte er die Penetration gegen ihren Willen fort und fertigte hiervon ohne ihr Wissen Lichtbilder. In einem weiteren Fall (Fall II. A. 7. der Urteilsgründe) führte der Angeklagte der Geschädigten eine Analkette in den Anus ein und setzte die Penetration fort, obwohl die Geschädigte ihn aufforderte aufzuhören.
4Unabhängig hiervon war der Angeklagte ehrenamtlich als technischer Leiter in einem Freibad tätig. Dadurch hatte er Zugang zu den dortigen Umkleidekabinen. In eine der Umkleidekabinen bohrte er im Juni oder Juli 2019 ein Loch und brachte dahinter eine versteckte Kamera an. Am schickte der Angeklagte der minderjährigen Geschädigten R. mehrere Lichtbilder und ein Video, die er zuvor mit der versteckten Kamera ohne deren Kenntnis und Zustimmung gefertigt hatte und die die Geschädigte nackt bzw. lediglich mit Unterwäsche bekleidet zeigten. Dabei drohte er der Geschädigten an, die Aufnahmen zu veröffentlichen, falls sie den Kontakt zu ihm abbreche. Zudem forderte er sie unter Androhung der Veröffentlichung des Videos dazu auf, sich im Intimbereich zu rasieren, hiervon ein Foto zu fertigen und ihm zu übersenden. Die Geschädigte kam dem jeweils nicht nach (Fälle II. C. 15. und 16. der Urteilsgründe).
52. Das Landgericht hat das Geschehen in den Fällen II. A. 3. ‒ 5. der Urteilsgründe als Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen (§ 177 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, § 182 Abs. 2 StGB), in den Fällen II. A. 6. und A. 7. der Urteilsgründe jeweils als Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen und Körperverletzung (§ 177 Abs. 5 Nr. 3, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, § 182 Abs. 2, § 223 StGB), im Fall II. A. 6. der Urteilsgründe in weiterer Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und Herstellen von jugendpornographischen Schriften (§ 201a Abs. 1 Nr. 1, § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB), und im Fall II. C. 16. der Urteilsgründe als versuchte Nötigung (§ 240 Abs. 1, Abs. 3, §§ 22, 23 StGB) gewertet.
II.
61. Die Urteilsformel weist keine Rechtsfehler auf. Lediglich die tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung in den Fällen II. A. 6. und A. 7. der Urteilsgründe hatte zu entfallen.
7a) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte in den Fällen II. A. 3. – 5. der Urteilsgründe den Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB und das Regelbeispiel des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB verwirklicht hat, indem er den Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten ohne Kondom fortsetzte, obgleich diese ihm zuvor mehrfach ausdrücklich erklärt hatte, Geschlechtsverkehr ohne Kondom nicht zu wollen.
8aa) Für die Frage, ob eine sexuelle Handlung dem maßgeblichen Willen der betroffenen Person entspricht oder zuwiderläuft, kommt es allein auf die konkret vorgenommene Handlung und ihr Verhältnis zu dem erkennbar gewordenen Willen dieser Person an. Stimmt eine Person einer (vaginalen) Penetration im Rahmen des Geschlechtsverkehrs – wie hier – ausdrücklich nur unter der Voraussetzung zu, dass ein Kondom verwendet wird, entspricht nur diese Form des Eindringens ihrem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen. Eine danach ohne Präservativ vorgenommene Penetration geschieht somit gegen den erkennbaren Willen dieser Person und verwirklicht den Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB (vgl. , NStZ 2023, 229 Rn. 13; Beschluss vom ‒ 1 StR 546/18, NStZ 2019, 407 Rn. 7; ‒ III-5 RVs 124/21, NStZ-RR 2022, 276Rn. 14; OLG Schleswig, Urteil vom ‒ 2 OLG 4 Ss 13/21, NStZ 2021, 619 Rn. 14 ff.). Dabei ist es unerheblich, aus welchen Gründen die selbstbestimmungsberechtigte Person diese konkrete sexuelle Handlung ablehnt. Geschützt werden soll die Freiheit des Opfers, jederzeit seinen Willen zu ändern, unabhängig von einer zuvor erteilten Zustimmung, von der Beziehung der Beteiligten oder etwaiger Abreden oder Gegenleistungen (BT-Drucks. 18/9097, S. 23; vgl. Rn. 21; Beschluss vom – 6 StR 279/22 Rn. 4; Beschluss vom – 6 StR 229/21 Rn. 8; ‒ III-5 RVs 124/21, NStZ-RR 2022, 276Rn. 12). Dass sich ein Einverständnis mit vaginalem Geschlechtsverkehr nur mit Kondom nicht auch auf ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bezieht, liegt auf der Hand, da es sich bei beiden sexuellen Handlungen um qualitativ verschiedene Arten des Sexualverkehrs handelt (vgl. , NStZ 2023, 229 Rn. 14; ‒ 206 StRR 87/21 Rn. 17; OLG Schleswig, Urteil vom ‒ 2 OLG 4 Ss 13/21, NStZ 2021, 619 Rn. 17).
9bb) Auch die Annahme der Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB begegnet vorliegend keinen rechtlichen Bedenken. Denn durch den vaginalen Geschlechtsverkehr ist grundsätzlich die Variante der Vollziehung des Beischlafs verwirklicht (vgl. , NStZ 2023, 229 Rn. 18; ‒ 206 StRR 87/21 Rn. 39; ‒ [4] 161 Ss 48/20 [58/20] Rn. 50; Schneider, ZJS 2023, 360, 367 ff.; Makepeace, StraFo 2021, 250, 254; Hoffmann, NStZ 2019, 16, 17 f.). Einer hierüber hinausgehenden Feststellung einer besonderen Erniedrigung bedarf es nicht (vgl. SSW-StGB/Wolters, 6. Aufl., § 177 Rn. 102; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 177 Rn. 118; Makepeace, KriPoZ 2021, 10, 14; aA Hoven, NStZ 2023, 230, 231). Die Tat ist dann im Urteilstenor als Vergewaltigung zu bezeichnen (vgl. Rn. 2 f.; Urteil vom – 4 StR 118/21 Rn. 29), unabhängig davon, ob im Rahmen der Strafzumessung ein besonders schwerer Fall verneint wird (vgl. Rn. 8).
10b) Die Urteilsformel in den Fällen II. A. 6. und A. 7. der Urteilsgründe kann bestehen bleiben, soweit die Taten als „Vergewaltigung“ bezeichnet worden sind. Denn die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB sind hier schon deshalb erfüllt, weil der Angeklagte die Penetration mit dem Vibrator (Fall II. A. 6. der Urteilsgründe) bzw. der Analkette (Fall II. A. 7. der Urteilsgründe) auch noch nach dem Wegfall des anfänglichen Einverständnisses und nunmehr gegen den ausdrücklichen Willen der Geschädigten fortsetzte (vgl. Rn. 8; Beschluss vom – 1 StR 546/18 Rn. 10).
11Allerdings hatte die tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung gemäß § 223 StGB zu entfallen. Insoweit besteht ein Verfahrenshindernis, weil kein Strafantrag vorliegt und die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse nicht bejaht hat (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB).
12c) Der Schuldspruch im Fall II. C. 16. der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung hat ebenfalls Bestand. Zwar hat das Landgericht einen etwaigen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 StGB nicht ausdrücklich erörtert (vgl. ‒ 4 StR 514/20 Rn. 7, 8; Beschluss vom – 4 StR 408/21 Rn. 5 f.). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist aber noch hinreichend zu entnehmen, dass der Versuch nach der Vorstellung des Angeklagten mit dem (erfolglosen) Ausbringen der Drohung als letzter Ausführungshandlung beendet war. Auch ein Gegenentschluss ist nicht ersichtlich.
132. Auch die Strafaussprüche können bestehen bleiben.
14a) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht in den Fällen II. A. 3. ‒ 5. der Urteilsgründe zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Indizwirkung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht entfallen ist, halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
15aa) Sind die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben, so bestimmt sich der „Regelstrafrahmen” nach dem erhöhten Strafrahmen. Die Indizwirkung des Regelbeispiels kann jedoch durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des erhöhten Strafrahmens unangemessen erscheint (vgl. ‒ 4 StR 663/08
16bb) Die Strafkammer hat ein Absehen von der Regelwirkung mit einer revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Begründung verneint (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, . Dabei hat sie ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der ungeschützte Geschlechtsverkehr weder zu einer Schwangerschaft noch zu einer Geschlechtskrankheit geführt hat. Dass das Landgericht in diesem Zusammenhang nicht erörtert hat, ob die Regelwirkung wegen des Einverständnisses der Geschädigten mit geschütztem vaginalen Geschlechtsverkehr und damit mit der Penetration als solcher entfallen sein könnte, stellt unter den hier gegebenen Umständen keinen Rechtsfehler dar.Denn das Gericht hat sich bei der Zumessung der Strafe auf die von ihm festgestellten Tatsachen zu beschränken und darf die Strafe nicht an einem hypothetischen Sachverhalt messen, der zu dem zu beurteilenden keinen Bezug hat (vgl. , NStZ 2023, 340, Rn. 24 [zur Vergewaltigung einer Prostituierten]; Beschluss vom ‒ GSSt 1/86, BGHSt 34, 345). Die Verwendung eines Kondoms war für die Geschädigte offensichtlich eine Grundbedingung für ihre Akzeptanz des vaginalen Geschlechtsverkehrs. Diese wurde von dem Angeklagten nicht eingehalten. Der sich daraus ergebende Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist nicht teilbar. Er ist auch nicht lediglich ein „Mehr“ in Relation zu der konsentierten sexuellen Handlung. Würde berücksichtigt, dass die Geschädigte mit einer anderen sexuellen Handlung einverstanden war, nicht aber mit der konkret vorgenommenen Handlung, würde das ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung in unzulässiger Weise abwerten (vgl. Schneider, ZJS 2023, 360, 370; Makepeace, StraFo 2021, 250, 254; anders dagegen (570) 284 Js 118/18 Ls Ns (50/19) Rn. 7 juris; Hoven, NStZ 2023, 230, 231; Hoffmann, NStZ 2019, 16, 18). Aus denselben Gründen musste das Landgericht das Einverständnis der Geschädigten mit der Penetration als solcher vorliegend auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen.
17b) Soweit in den Fällen II. A. 6. und A. 7. der Urteilsgründe die tateinheitlich verwirklichte Körperverletzung entfällt, bleiben die Strafaussprüche hiervon unberührt. Zwar hat das Landgericht sowohl im Rahmen der Prüfung der Indizwirkung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten die tateinheitliche Verwirklichung mehrerer Delikte ‒ namentlich auch der Körperverletzung ‒ berücksichtigt. Der Senat kann aber ausschließen, dass das Landgericht bei Wegfall lediglich der Körperverletzung eine geringere Einzelstrafe verhängt hätte. Denn im Fall II. A. 6. der Urteilsgründe sind noch weitere drei Straftatbestände und im Fall II. A. 7. der Urteilsgründe noch ein weiterer Straftatbestand verwirklicht; zudem war die Körperverletzung nur mit geringen körperlichen Beeinträchtigungen verbunden und daher von eingeschränktem Gewicht.
183. Angesichts des geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, dem Angeklagten die gesamten Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Quentin Maatsch Marks
Tschakert Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250924B4STR11.24.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-90035