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BGH Beschluss v. - 4 StR 494/24

Instanzenzug: LG Bochum Az: 8 KLs 7/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in sechs Fällen, Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in drei Fällen, versuchter Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern in neun Fällen sowie Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.

II.

31. Der Schuldspruch hält im Fall 1 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit rechtsfehlerhaft der versuchten Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern für schuldig befunden (§ 176b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, §§ 22, 23 StGB). Denn nach den getroffenen Feststellungen wirkte der Angeklagte in diesem Fall nicht im Sinne von § 176b Abs. 1 StGB auf seine von ihm womöglich irrig für kindlichen Alters gehaltene Chatpartnerin ein.

4a) Das dem § 180b Abs. 1 Satz 2 StGB aF nachgebildete Tatbestandsmerkmal des „Einwirkens“ setzt eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art voraus (vgl. Rn. 30; Beschluss vom – 3 StR 180/18 Rn. 6 mwN; Beschluss vom – 3 StR 490/14 Rn. 2; Beschluss vom – 3 StR 177/10 Rn. 4). Es erfasst alle Formen der intellektuellen Beeinflussung, verlangt darüber hinaus aber auch eine gewisse Hartnäckigkeit (vgl. Rn. 7; Urteil vom – 3 StR 206/99, BGHSt 45, 158, 161; Beschluss vom – 3 StR 380/88 Rn. 3; Renzikowski in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 176 Rn. 45; Papathanasiou in NK-StGB, 6. Aufl., § 176b Rn. 9). Als Mittel kommen wiederholtes Drängen, Überreden, Versprechungen, Wecken von Neugier, Einsatz von Autorität, Täuschung, Einschüchterung, Drohung und auch Gewalteinwirkung in Betracht.

5b) Diese Maßgaben hat die Strafkammer nicht verkannt. Jedoch trägt ihre Wertung nicht, dass sie im Fall 1 der Urteilsgründe ebenfalls erfüllt seien. Nach den Feststellungen erschöpfte sich hier der über die Plattform „Snapchat“ geführte schriftliche Nachrichtenaustausch zwischen dem Angeklagten und seiner Chatpartnerin im Wesentlichen darin, sich auf seine Fragen hin Alter und Wohn-ort mitzuteilen. Seine – mit Desinteresse beantwortete – abschließende Nachfrage zu seinem Wohnort („Kennst du gar nicht oder“) vermag angesichts der (auch) sonst zurückgenommenen Gesprächsführung des Angeklagten ebenfalls noch keine Hartnäckigkeit zu begründen, die als eine hinreichende psychische Einflussnahme gelten könnte.

6c) Der Senat hat den Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe daher aus tatsächlichen Gründen freigesprochen (§ 354 Abs. 1 StPO). Weitere Feststellungen, die einen Schuldspruch tragen könnten, sind nicht zu erwarten.

72. Der Teilfreispruch und das hiermit verbundene Entfallen der Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr im Fall 1 der Urteilsgründe lässt den Gesamtstrafausspruch unberührt. Der Senat schließt angesichts der verbleibenden achtzehn Einzelstrafen einschließlich der in drei Fällen verhängten Einsatzstrafe in Höhe von einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe aus, dass die Strafkammer ohne die entfallene Einzelstrafe eine mildere Gesamtstrafe gegen den Angeklagten verhängt hätte.

8Der Strafausspruch weist auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insbesondere war das Landgericht nicht gehalten, im Fall 15 der Urteilsgründe den Umstand, dass der Angeklagte mit einer nicht öffentlich ermittelnden Polizeibeamtin chattete, als einen bestimmenden Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen. Nach dem Willen des Gesetzesgebers macht es für die Beurteilung des Täterverhaltens im Rahmen von § 176b Abs. 1 und 3 StGB keinen wesentlichen Unterschied, ob das digitale Gegenüber tatsächlich ein Kind ist oder – wie etwa bei einem „Polizeibeamten mit einer Alias-Identität“ – nicht (vgl. BT-Drucks. 19/13836 S. 9 [zur Vorgängerregelung in § 176 Abs. 6 Satz 2 StGB aF]; krit. etwa van Endern, NJW 2020, 1033, 1034 f.; Schneider, KriPoZ 2020, 137, 141 ff.). Denn der Täter habe alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan sowie eine innere Hemmschwelle überschritten und werde dadurch bestärkt, künftig auf weitere Personen einzuwirken. Dies begründe eine nicht hinnehmbare abstrakte Gefahr für Kinder. Den darin zum Ausdruck kommenden Wertungen ist mit einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 49, 23 Abs. 2 StGB, wie sie hier aufgrund der Untauglichkeit des Versuchs geboten ist und die Strafkammer auch vorgenommen hat, hinreichend Genüge getan.

93. Hingegen hat die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB keinen Bestand. Das Landgericht hat weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine daran anknüpfende Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet.

10a) Die Strafkammer hat schon nicht dargelegt, auf welche konkreten Straftaten sich der Hang des Angeklagten bezieht und welche solcher Delikte mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Damit genügen die Entscheidungsgründe nicht den Darstellungsanforderungen, die an die Beurteilung des Hangs und an die Gefährlichkeitsprognose zu stellen sind, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfbarkeit der vom Tatgericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten – sowie in der Folge der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Ermessensausübung – zu ermöglichen (vgl. Rn. 11; Beschluss vom – 2 StR 328/11 Rn. 4 mwN). Soweit die Strafkammer auf „Missbrauchstaten, insbesondere zum Nachteil pubertierender Kinder“ sowie auf „sexuelle Kontakte zu Mädchen im Kindesalter“ abgestellt hat, genügt dies unter den hier gegebenen Umständen nicht. Das dem Angeklagten zur Last liegende Tatgeschehen zum Nachteil von Kindern geht wie schon in der Vergangenheit nicht über Taten des sog. Cybergroomings hinaus. Vor diesem Hintergrund bleibt schon unklar, auf welche – ggf. schwerwiegendere – konkrete Ausgestaltung von Sexualstraftaten sich Hang und Gefährlichkeit des Angeklagten nach den Urteilsgründen beziehen sollen.

11b) Die Darlegungen der Strafkammer erweisen sich insoweit auch deshalb als unzureichend, weil sie zugleich wesentliche Umstände außer Betracht lassen. Das Vorliegen eines Hanges im Sinne eines eingeschliffenen inneren Zustands des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt, hat das Tatgericht aufgrund einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit und der Taten maßgebenden Umstände darzulegen (vgl. Rn. 5; Beschluss vom – 4 StR 528/94 Rn. 5). Hieran gemessen hätte die Strafkammer schon im Rahmen der Prüfung eines Hangs zu (körpernahen) „Missbrauchstaten“ erörtern müssen, dass der Angeklagte bei drei Übernachtungsbesuchen durch eine 14-Jährige – worin das Landgericht rechtsfehlerfrei drei Taten nach § 145a Satz 1 StGB erblickt hat – keine sexuellen Handlungen vornahm. Auch in der Vergangenheit verübte er kein Missbrauchsdelikt mit Körperkontakt, was die Strafkammer ebenfalls nicht erkennbar in den Blick genommen hat.

12Ferner hat das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose (vgl. hierzu etwa Rn. 7 mwN) rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten darauf abgehoben, dass eine Pädophilie nicht therapierbar sei. Dass eine solche sexuelle Devianz bei ihm vorliegt, hat die Strafkammer jedoch nicht festgestellt, sondern mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen zu seiner Schuldfähigkeit lediglich für wahrscheinlich gehalten.

13c) Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). In diesem Umfang bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:110325B4STR494.24.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-90010