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BGH Beschluss v. - 3 StR 12/25

Instanzenzug: LG Krefeld Az: 21 KLs 10/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist der unter rechtlicher Betreuung stehende Angeklagte langjährig an einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10: F20.0) erkrankt. Er verfügt über keine Krankheitseinsicht und wurde bis zu seiner einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in vorliegender Sache am im Hinblick auf seine Psychose nicht ärztlich behandelt. Zuvor lebte der Angeklagte, der keinen Schulabschluss erlangte, keine Berufsausbildung absolvierte und staatliche Unterstützung bezog, sozial isoliert und verbrachte seine Zeit nahezu ausschließlich mit dem Anschauen von Videos und Computerspielen im Internet.

3Vor der urteilsgegenständlichen Tat vom trat der Angeklagte lediglich einmal strafrechtlich in Erscheinung: Am zerstörte er durch Steinwürfe zwei Scheiben einer Grundschule. Anschließend schlug er mit einem faustgroßen Stein die Beifahrerscheibe eines an einer Ampel wartenden Pkw ein. Das deshalb wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung betriebene Strafverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Krefeld am wegen angenommener Schuldunfähigkeit des Angeklagten ein.

42. Am Abend des ging der zu diesem Zeitpunkt akut psychotische Angeklagte auf einer Straße in K.         schnellen Schrittes von hinten auf einen ihm unbekannten zehnjährigen Jungen zu, der auf dem Heimweg war. Als dieser sich umdrehte, ergriff der Angeklagte das Kind plötzlich und überraschend vorne am T-Shirt. Sodann stieß er das Tatopfer wuchtig so nach hinten, dass es mit dem Hinterkopf gegen eine Wand schlug und zu Boden ging. Dort versetzte der Angeklagte dem Kind mindestens zwei Faustschläge, wobei er in Richtung des Gesichts des Opfers zielte. Dieses hielt sich allerdings abwehrend die Arme vor den Kopf, so dass die Schläge nur diese trafen. Die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seiner Tat einzusehen, war unbeeinträchtigt. Aufgrund seiner paranoid-schizophrenen Erkrankung war seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich eingeschränkt, jedoch nicht aufgehoben.

5Als zwei Mädchen, die das Geschehen bemerkten, den Angeklagten anschrien, ließ er von seinem Opfer ab und entfernte sich. Er konnte in Tatortnähe von Polizeibeamten angetroffen werden, denen gegenüber er einen wahnhaften Eindruck machte. Unter anderem gab er gegenüber den Beamten an, er habe sich von dem Kind verfolgt und bedroht gefühlt.

6Der Geschädigte erlitt Schmerzen und Schürfwunden am Kopf und rechten Zeigefinger. Zudem war er zeitweilig verängstigt. Langfristige Folgen hatte die Tat für ihn nicht.

II.

71. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des geständigen Angeklagten ergeben. Insbesondere hat die Strafkammer eine Steuerungsunfähigkeit und damit ein schuldloses Handeln des Angeklagten in Übereinstimmung mit einem psychiatrischen Sachverständigen nicht zuletzt im Hinblick darauf rechtsfehlerfrei verneint, dass er seine Einwirkung auf das Opfer sogleich beendete, als er von zwei die Tat beobachtenden Mädchen angeschrien wurde.

82. Dagegen hält der Strafausspruch, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, der revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand; er ist zum Nachteil des Angeklagten durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn die Strafkammer hat in die Strafzumessung zu seinen Lasten mit vollem Gewicht die Art der Tatausführung eingestellt, und zwar den Umstand, dass er erhebliche Gewalt gegenüber dem Geschädigten anwandte, indem er diesen mit dem Hinterkopf gegen eine Wand stieß und anschließend mit Faustschlägen attackierte. Sie hat dabei nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Angeklagte bei der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten allerdings nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie ihm in vollem Umfang vorwerfbar ist, was bei einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht der Fall ist. (st. Rspr.; vgl. , NStZ 2024, 285 Rn. 26; Beschlüsse vom – 6 StR 405/23, StV 2024, 102 Rn. 3; vom – 6 StR 35/23, NStZ 2023, 673 Rn. 5; vom – 5 StR 186/21, NStZ-RR 2021, 336).

93. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus erweist sich gleichfalls als zum Nachteil des Angeklagten durchgreifend rechtlich defizitär.

10a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss – zum Urteilszeitpunkt – eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens (namentlich Art, Häufigkeit und Rückfallfrequenz früherer Taten) sowie der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Täter infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sind die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren einzustellen, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können. Das Tatgericht ist nicht nur zu einer sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen verpflichtet, sondern auch dazu, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. , juris Rn. 5; Urteile vom – 6 StR 155/24, juris Rn. 7; vom – 3 StR 65/24, juris Rn. 24; Beschluss vom – 2 StR 341/23, juris Rn. 14; Urteile vom – 3 StR 25/22, StV 2023, 387 Rn. 9; vom – 4 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 173, 174).

11b) Hieran gemessen ist die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet. Auf die weiteren Beanstandungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht an.

12aa) Die Strafkammer ist – den Ausführungen und der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen folgend – zu der Feststellung gelangt, weitere, der urteilsgegenständlichen Anlasstat vergleichbare und damit im Sinne des § 63 StGB erhebliche Delikte seien von dem Angeklagten zu erwarten. Denn die psychische Erkrankung bestehe fort, der Angeklagte sei nicht krankheits- und behandlungseinsichtig, zeige eine ausgesprochene Negativsymptomatik, die mit Psychopharmaka nur schlecht zu behandeln sei, und lebe sozial zurückgezogen. Er beschränke seine Aktivitäten im Wesentlichen darauf, sich im Internet Videos anzusehen und am Computer zu spielen. Die Anlasstat zeige, dass der Angeklagte „die Schwelle der Phantasie überschritten“ habe, wodurch das Risiko für künftige Gewalttaten massiv erhöht sei. Zudem manifestiere sich auch in den Steinwürfen wenige Wochen vor der Anlasstat ein erhebliches Gewaltpotential des Angeklagten.

13bb) Bei seinen – insgesamt äußerst knapp gehaltenen – Erörterungen zur Gefahrenprognose hat das Landgericht allerdings nicht erkennbar berücksichtigt, dass der langjährig an einer unbehandelten paranoiden Schizophrenie leidende Angeklagte vor Mai 2023 nicht strafrechtlich in Erscheinung trat und bis dahin auch sonst keine Ereignisse zu verzeichnen waren, die auf eine krankheitsbedingte Neigung zu Gewaltdelinquenz hindeuten könnten; zumindest teilen die Urteilsgründe Derartiges nicht mit. Änderungen des Krankheitsbildes und der Lebensumstände des Angeklagten gab es ausweislich der Feststellungen der Strafkammer im unmittelbaren Vorfeld der Taten vom Mai 2023 nicht (vgl. zur Prognoserelevanz und Erörterungsbedürftigkeit bisheriger Straffreiheit BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 408/24, juris Rn. 13; vom – 6 StR 155/24, juris Rn. 11; vom – 4 StR 301/24, NStZ-RR 2024, 337, 338; vom – 3 StR 229/23, StV 2024, 234 Rn. 22; Urteil vom – 3 StR 25/22, StV 2023, 387 Rn. 9; Beschluss vom – 1 StR 253/19, StV 2021, 221 Rn. 5; MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 63 Rn. 62 mwN).

14Zudem trat der Angeklagte nach der Anlasstat und bis zum Urteil der Strafkammer, mithin während eines Zeitraumes von etwa einem Jahr und vier Monaten, nicht erneut strafrechtlich in Erscheinung; insbesondere kam es ausweislich der Urteilsgründe in diesem Zeitraum zu keiner neuen Gewalttat. Dieser Befund, der grundsätzlich geeignet ist, der Annahme einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades für zukünftige Gewalttaten des Angeklagten zu widerstreiten, hätte von der Strafkammer ebenfalls fundiert erörtert werden müssen (vgl. , StV 2024, 234 Rn. 22); auch hieran ermangelt es.

15Zwar hat die Strafkammer in den Urteilsgründen ausgeführt, der Umstand, dass der Angeklagte zwischen der Anlasstat und dem Urteilszeitpunkt keine weiteren Taten beging, sei maßgeblich darauf zurückzuführen, dass er in dieser Zeit überwiegend in stationärer Behandlung beziehungsweise untergebracht gewesen sei. Das jedoch lässt sich dem Urteil, wie der Generalbundesanwalt zu Recht moniert, nicht nachvollziehbar entnehmen. Es ist lediglich im Rubrum der Urteils-urkunde vermerkt, dass der Angeklagte aufgrund eines Unterbringungsbefehls der Strafkammer vom am festgenommen worden ist und sich seither in einstweiliger Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet. Angaben zu der – erheblichen – Zeit zwischen der Anlasstat () und der Unterbringung nach § 126a StPO lassen die Urteilsgründe vermissen.

16Hinzu kommt, dass die Strafkammer sich nicht erkennbar mit dem Verhalten des Angeklagten in der einstweiligen Unterbringung nach der Anlasstat, insbesondere mit etwaigem fremdaggressiven Handeln dort, auseinandergesetzt hat. Dieses ist jedoch grundsätzlich prognoserelevant und damit gleichfalls erörterungsbedürftig (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 253/19, StV 2021, 221 Rn. 6; vom – 1 StR 36/18, juris Rn. 30; vom – 1 StR 190/15, juris Rn. 18; vom – 4 StR 183/14, juris Rn. 6; MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 63 Rn. 66).

17c) Auch die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher einer neuen Verhandlung und Entscheidung.

184. Der Senat hebt die zum Straf- und Maßregelausspruch jeweils getroffenen Feststellungen mit auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige und widerspruchsfreie Gesamtentscheidung hinsichtlich der Strafe und einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu ermöglichen.

Prof. Dr. Schäfer                  Dr. Hohoff                  Dr. Anstötz

                        Dr. Kreicker                   Dr. Voigt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060325B3STR12.25.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-89904