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BGH Urteil v. - V ZR 96/24

Leitsatz

1. Entnahmen aus der Erhaltungsrücklage sind verteilungsneutral und dürfen nicht in die Abrechnungsspitze einfließen.

2. Der Beschluss über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse kann teilweise angefochten bzw. für ungültig erklärt werden. Vorauszusetzen ist, dass die Abrechnungsspitze eine rechnerisch selbstständige und abgrenzbare fehlerhafte Kostenposition enthält und anzunehmen ist, dass die Wohnungseigentümer den Beschluss auch mit dem unbeanstandet gebliebenen Teil gefasst hätten.

Gesetze: § 19 Abs 2 Nr 4 WoEigG, § 28 Abs 2 S 1 WoEigG, § 139 BGB

Instanzenzug: LG Dresden Az: 2 S 327/23vorgehend Az: 150 C 79/23

Tatbestand

1Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) und Sondereigentümerin der Wohnungen Nr. 3 und 4. Wegen Zahlungsrückständen der Klägerin wurde in der Eigentümerversammlung vom beschlossen, einen Betrag von 10.000 € zur Sicherung der laufenden Liquidität aus der Instandhaltungsrücklage zu entnehmen. Nachdem die Klägerin auf ihre Rückstände 10.000 € gezahlt hatte, wurde die Zahlung im Jahr 2018 auf dem Instandhaltungsrücklagenkonto gutgeschrieben. In der Eigentümerversammlung vom wurde beschlossen, die Instandhaltungsrücklage um 10.000 € aufzufüllen. In dem Protokoll wird dies dahingehend erläutert, dass über die Rückführung im Jahr 2018 nachträglich noch ein Beschluss gefasst werden müsse.

2In der Eigentümerversammlung vom beschlossen die Wohnungseigentümer - soweit von Interesse - unter TOP 3 die Abrechnungsspitzen aus den Gesamt- und Einzelabrechnungen für das Jahr 2020. Ausweislich der Abrechnungen betrugen die Bewirtschaftungskosten 2020 insgesamt 46.056,96 €, wobei 20.744,31 € aus der Instandhaltungsrücklage entnommen worden waren. Die Gesamtabrechnungssumme beträgt 40.112,65 € (46.056,96 € - 5.944,31 €). Der Abzugsbetrag errechnet sich aus der Differenz von 20.744,31 € („Entnahme lt. WP/Beschluss“) und einer „Zuführung lt. WP/Beschuss“ von 14.800 €. Das lt. Wirtschaftsplan zu zahlende Hausgeld betrug insgesamt 31.512 €, die Zuführungen zu der Instandhaltungsrücklage beliefen sich auf 4.800 €. Daraus ergibt sich eine Unterdeckung von 3.800,65 € (40.112,65 € - 31.512 € - 4.800 €), die auf die Wohnungseigentümer entsprechend ihrem Kostenanteil verteilt wird. Für die Klägerin errechnet sich für die Wohnung Nr. 3 eine Abrechnungsspitze von 523,59 € und für die Wohnung Nr. 4 von 318,07 €. Die Abrechnung für die Wohnung Nr. 3 - die übrigen Abrechnungen weisen dieselbe Struktur auf - wird wie folgt zusammengefasst:

3Mit ihrer Anfechtungsklage wendet sich die Klägerin gegen den Abrechnungsbeschluss vom für das Jahr 2020 insoweit, als ein aus der Rücklage entnommener Betrag von 10.000 € nach Miteigentumsanteilen verteilt wird. Die Klage hat vor dem Amtsgericht keinen Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den angefochtenen Beschluss insoweit für ungültig erklärt, als in den Einzelabrechnungen unter „IV. Zusammenfassung“ jeweils bei der Spalte „Summe III. Rücklage“ nur 5.944,31 € statt 20.744,31 € als Gesamtkosten abgezogen werden und unter der Position „Abrechnungssumme“ die Zuführung Instandhaltungsrücklage nur mit 4.800 € berücksichtigt und anteilsmäßig in den Einzelabrechnungen eingestellt wird. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Gründe

I.

4Nach Ansicht des Berufungsgerichts entspricht der angefochtene Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Er behandle nämlich die Instandhaltungskosten, zu deren Finanzierung die Instandhaltungsrücklage in Anspruch genommen worden sei, als Rechnungsposition der zu verteilenden nicht umlagefähigen Nebenkosten. Im Ergebnis werde ein aus der Instandhaltungsrücklage entnommener Betrag von 10.000 € über laufende Beiträge bzw. Nachschüsse für das Jahr 2020 durch die Wohnungseigentümer finanziert, obwohl Zahlungen auf die Rücklage ebenso wie Entnahmen nicht umgelegt werden dürften. Der Beschluss in der Eigentümerversammlung vom habe keine Pflicht der Wohnungseigentümer zur Zahlung von weiteren 10.000 € auf die Rücklage im Jahr 2020 begründet, sondern, wie sich aus dem Versammlungsprotokoll ergebe, lediglich einen Vorgang aus der Vergangenheit bestätigt.

5Der Abrechnungsbeschluss sei nur teilweise für ungültig zu erklären, was auch nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) ebenso wie eine Teilanfechtung von Beschlüssen über die Abrechnungsspitzen aus einer Jahresabrechnung zulässig sei. Andernfalls würde die Anfechtbarkeit von Beschlüssen auf der Grundlage von Jahresabrechnungen entgegen den erklärten Zielen des Gesetzgebers nicht begrenzt, sondern erweitert, da nicht angefochtene Positionen - anders als zuvor - nicht bestandskräftig würden.

II.

6Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Lediglich der Tenor ist klarstellend neu zu formulieren.

71. Die Klägerin war im Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten. Gleichwohl ist über die Revision der Beklagten nicht durch Versäumnisurteil, sondern durch Endurteil (unechtes Versäumnisurteil) zu entscheiden, da sich die Revision auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet erweist (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 77/21, NJW-RR 2022, 803 Rn. 5 mwN).

82. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb begründet, weil schon die Berufung der Klägerin unzulässig war. Dies hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, weil es anderenfalls an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Revisionsgericht fehlt (vgl. nur , NJW 2008, 218 Rn. 8). Die Klägerin hat die Berufung fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517, 520 Abs. 2 ZPO).

9a) Das mit der Berufung angegriffene ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses am zugestellt worden. Wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis erbringt das von einem Rechtsanwalt elektronische abgegebene Empfangsbekenntnis (vgl. § 173 Abs. 3 ZPO) gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung (vgl. , NJW 2024, 1120 Rn. 10). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit ist zwar zulässig. Er setzt aber voraus, dass die Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist dieser Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. zu einem Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO aF , NJW 2012, 2117 Rn. 6; Beschluss vom - IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10). Hier fehlt es bereits an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Zustellung entgegen den Angaben in dem Empfangsbekenntnis bereits vor dem erfolgt ist; erst recht ist dies nicht bewiesen. Dass das Empfangsbekenntnis erst nach einer Erinnerung durch die Geschäftsstelle (zeitnah) zurückgesandt wurde, begründet als solches noch keine Zweifel an seiner Richtigkeit. Weitere Ermittlungen des Senats sind deshalb entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung nicht angezeigt. Aus der von ihm zitierten Entscheidung des , juris Rn. 20 ff.) folgt bereits deshalb nichts anderes, weil diese einen mit dem hier zu beurteilenden Fall nicht vergleichbaren Sachverhalt betrifft.

10b) Ist die Zustellung des Urteils des Amtsgerichts am erfolgt, ist die einmonatige Berufungsfrist durch den ausweislich der elektronischen Akten am bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz gewahrt worden. Dass sich im Nachhinein mangels einer entsprechenden Dokumentation in den Akten nicht mehr feststellen lässt, ob dieser Schriftsatz mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen war bzw. auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurde (vgl. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO), ist unschädlich, weil diese Unaufklärbarkeit allein in den Verantwortungsbereich des Berufungsgerichts fällt (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 28/22, ZWE 2023, 463 Rn. 29 mwN). Die bis zum verlängerte Berufungsbegründungsfrist ist durch den an diesem Tag bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz gewahrt worden, der mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist.

113. In der Sache nimmt das Berufungsgericht zutreffend an, dass der Abrechnungsbeschluss betreffend das Jahr 2020 vom nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht.

12a) Anzuwenden ist § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG in der ab dem geltenden Fassung als das zum Beschlusszeitpunkt geltende Recht (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 195/23, NJW-RR 2024, 1270 Rn. 7 mwN). Gemäß dieser Bestimmung beschließen die Wohnungseigentümer nach Ablauf des Kalenderjahres über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse. Im Gegensatz zu der vorherigen Rechtslage sind Gegenstand des Beschlusses nur Zahlungspflichten, die zum Ausgleich einer Unter- oder Überdeckung aus dem Wirtschaftsplan erforderlich sind (sog. Abrechnungsspitzen). Aufgrund des nach neuem Recht reduzierten Beschlussgegenstandes können Fehler der einem Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG zugrundeliegenden Jahresabrechnung nur dann zu einer gerichtlichen Ungültigerklärung führen, wenn der Fehler sich auf die Abrechnungsspitze und damit auf die Zahlungspflichten des Wohnungseigentümers auswirkt (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 195/23, aaO Rn. 8).

13b) Einen solchen betragsrelevanten Mangel des Beschlusses bejaht das Berufungsgericht zu Recht, weil in die Berechnung der Abrechnungsspitze(n) ein Betrag von 10.000 € eingeflossen ist, der nicht verteilungsrelevant ist.

14aa) Es steht außer Streit, dass solche Ausgaben, die im Wirtschaftsjahr aus der Instandhaltungsrücklage (seit dem : Erhaltungsrücklage, vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG) beglichen wurden, in der Jahresabrechnung nicht auf die Wohnungseigentümer umgelegt werden dürfen. Entnahmen aus der Erhaltungsrücklage sind verteilungsneutral und dürfen nicht in die Abrechnungsspitze einfließen. Andernfalls würden die Wohnungseigentümer doppelt belastet, weil sie die Ausgaben bereits vorher durch entsprechende Beträge zur Erhaltungsrücklage finanziert haben (vgl. Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 19 Rn. 242; Bärmann/Becker, aaO, § 28 Rn. 205; Bärmann/Pick/Emmerich, WEG, 21. Aufl., § 28 Rn. 131; Casser/Schultheis, ZMR 2021, 788). Unterschiedlich beurteilt wird lediglich die - hier nicht entscheidungserhebliche - Frage, ob und wenn ja wie Ausgaben, die über Entnahmen aus der Rücklage finanziert worden sind, unter der Geltung des neuen Rechts in der Jahresabrechnung darzustellen sind (vgl. dazu Bärmann/Dötsch, aaO; Casser/Schultheis, ZMR 2021, 788).

15bb) Entgegen diesen Grundsätzen wird in der Abrechnung von den aus der Erhaltungsrücklage beglichenen Kosten von 20.744,31 € im Ergebnis ein anteiliger Betrag von 10.000 € erneut auf die Wohnungseigentümer umgelegt. Dies beruht - wie das Berufungsgericht zutreffend sieht - im Wesentlichen darauf, dass zwar bei der Bestimmung der Abrechnungssumme ein Abzug von 20.744,31 € vorgenommen, gleichzeitig aber ein Betrag von 14.800 € hinzuaddiert wird. Damit ist der Abzug um diesen Betrag zu gering und in der Folge der in der Abrechnungssumme ausgewiesene Betrag der zwischen den Wohnungseigentümern zu verteilenden Bewirtschaftungskosten entsprechend zu hoch ausgefallen. Dies wäre im Ergebnis nur unschädlich, wenn der Betrag von 14.800 € im Rahmen der Berechnung der Abrechnungsspitze wieder abgezogen und damit neutralisiert worden wäre. Insoweit ist aber lediglich ein Abzug von 4.800 € erfolgt, der der Soll-Zuführung auf die Erhaltungsrücklage entspricht. Damit verbleibt ein Betrag von 10.000 €, der nicht in die Abrechnungsspitze hätte einfließen dürfen.

16cc) Entgegen der Auffassung der Revision hat die am beschlossene Auffüllung der Erhaltungsrücklage um 10.000 € keinen Einfluss auf die Berechnung der Abrechnungsspitze. Dies ergibt sich aus zwei voneinander unabhängigen Gründen:

17(1) Das Berufungsgericht legt den Beschluss ohne Rechtsfehler nächstliegend dahingehend aus, dass nachträglich die Grundlage für die bereits 2018 vorgenommene Einzahlung von 10.000 € auf das Instandhaltungskonto geschaffen wurde. Ein solcher Betrag war aufgrund eines Beschlusses vom zur Sicherung der laufenden Liquidität aus der Rücklage entnommen und anschließend von der Klägerin zurückgeführt worden. Das Protokoll der Eigentümerversammlung ist insoweit eindeutig. Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, dem Beschluss eine - für die Zukunft geltende - Erhöhung der in dem Wirtschaftsplan für das Jahr 2020 in Höhe von 4.800 € vorgesehenen Vorschüsse auf die Erhaltungsrücklage um 10.000 € zu entnehmen.

18bb) Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an. Wären nämlich mit dem Beschluss vom die Vorschüsse auf die Erhaltungsrücklage in dem Wirtschaftsplan für das Jahr 2020 erhöht worden, wovon die Beklagte mit dem Amtsgericht ausgeht, ergäbe sich bereits hieraus ein eigenständiger Zahlungsanspruch der Beklagten (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 171/11, NJW 2012, 2797 Rn. 20 ff.; Urteil vom - V ZR 235/23, BGHZ 241, 336 Rn. 15). Würde dieser Anspruch zusätzlich bei der Berechnung der Abrechnungsspitze berücksichtigt, käme es zu einer unzulässigen Verdoppelung des Rechtsgrunds (näher hierzu Senat, Urteil vom - V ZR 171/11, NJW 2012, 2797 Rn. 22 ff.).

194. Es stellt auch keinen Rechtsfehler dar, dass das Berufungsgericht den Beschluss vom nur teilweise für ungültig erklärt hat.

20a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats zu der bis zum gültigen Rechtslage war die gerichtliche Ungültigerklärung eines Beschlusses über die Jahresabrechnung auf einen bestimmten Teil der Abrechnung zu beschränken, wenn es sich um einen rechnerisch selbstständigen und abgrenzbaren Teil der Abrechnung handelte. So war es etwa möglich, die Ungültigerklärung auf Einzelabrechnungen, einzelne Kostenpositionen oder Verteilungsschlüssel zu beschränken. Ob die Ungültigkeit eines Teils der Abrechnung zur Gesamtungültigkeit führte, war sodann in entsprechender Anwendung des § 139 BGB zu beurteilen und richtete sich danach, ob der unbeanstandet gebliebene Teil der Abrechnung allein sinnvollerweise Bestand haben konnte und anzunehmen war, dass ihn die Wohnungseigentümer so beschlossen hätten. Zu verneinen war ein solch mutmaßlicher Wille der Wohnungseigentümer, wenn Mängel vorlagen, die zu einer nicht mehr oder nur noch schwer nachvollziehbaren Restabrechnung führen, wie es auch bei einer Vielzahl von Einzelfehlern der Fall sein konnte (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 193/11, NJW 2012, 2648 Rn. 15 ff.; Beschluss vom - V ZB 44/09, NJW 2010, 2127 Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 1/06, BGHZ 171, 335 Rn. 12 jeweils mwN). Lagen die Voraussetzungen für eine Teilbarkeit der Abrechnung vor, war eine Teilanfechtung der Jahresabrechnung möglich (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 9/19, NJW-RR 2020, 526 Rn. 6).

21b) Ob eine Teilanfechtung bzw. eine nur teilweise gerichtliche Ungültigerklärung eines nach dem Inkrafttreten des WEMoG gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG gefassten Beschlusses weiterhin möglich ist, ist umstritten.

22aa) Die überwiegende Ansicht in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur lehnt dies im Grundsatz - teils allerdings mit kleineren Ausnahmen - ab. Da Beschlussgegenstand nur noch die Abrechnungsspitze sei, könne sich eine Anfechtung nicht auf einzelne Kostenposten beziehen. Der Fehler einer Kostenposition führe immer auch zu einem Fehler im Gesamtbetrag, so dass der Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG nur insgesamt angefochten und für ungültig erklärt werden könne (vgl. nur LG Frankfurt a. M., WuM 2024, 104, 106 f.; LG München, ZWE 2022, 362 Rn. 36; Staudinger/Lehmann-Richter, BGB [2023], § 28 WEG Rn. 57 ff.; Jennißen in Jennißen, WEG, 8. Aufl., § 28 Rn. 242; BeckOK WEG/Bartholome [], § 28 Rn. 132; Bärmann/Becker, WEG, 15. Aufl., § 28 Rn. 244; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kapitel 10 Rn. 100; Abramenko, ZfIR 2023, 105, 110; Greiner, ZfIR 2023, 6, 7; Zschieschack, NZM 2024, 710).

23bb) Die von dem Berufungsgericht geteilte Gegenansicht hält eine Teilanfechtung und eine gerichtliche Teilungültigerklärung unter den gleichen Voraussetzungen wie bislang für möglich. Beschlussgegenstand des § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG sei zwar nur noch das Abrechnungsergebnis, jedoch stehe hinter diesem immer ein überprüfbarer Rechenweg. Die Abrechnungsspitze setze sich aus Teilforderungen in Bezug auf bestimmte Kostenpositionen zusammen; die Ungültigerklärung könne sich auf die fehlerhaften Teile beschränken. Nach erfolgreicher Teilanfechtung sei sodann nicht erneut über die gesamten Nachschüsse, sondern nur über die für ungültig erklärten Teile zu beschließen (vgl. Hügel/Elzer, WEG, 4. Aufl., § 28 Rn. 211 ff.; Grüneberg/Wicke, BGB, 84. Aufl., § 28 WEG, Rn. 20; Bärmann/Pick/Emmerich, WEG, 21. Aufl., § 28 Rn. 200; Mediger, NZM 2024, 121; Elzer, ZWE 2022, 362, 369 ff.; Kieß, AnwZert MietR 6/2022 Anm. 1).

24c) Der Senat entscheidet die Rechtsfrage im Sinne der zuletzt genannten Ansicht. Der Beschluss über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse kann teilweise angefochten bzw. für ungültig erklärt werden. Vorauszusetzen ist, dass die Abrechnungsspitze eine rechnerisch selbstständige und abgrenzbare fehlerhafte Kostenposition enthält und anzunehmen ist, dass die Wohnungseigentümer den Beschluss auch mit dem unbeanstandet gebliebenen Teil gefasst hätten.

25aa) Mit der Neufassung des § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG durch das WEMoG sind die Zahlungspflichten der Wohnungseigentümer allerdings von dem zugrundeliegenden Zahlenwerk getrennt worden. Das Zahlenwerk dient zwar der Vorbereitung des Beschlusses, ist aber nicht mehr Beschlussgegenstand. Mit dieser Unterscheidung hat der Gesetzgeber beabsichtigt, die Zahl der Streitigkeiten über die Jahresabrechnung zu verringern. Den auf rein formelle Fehler der Abrechnung ohne finanzielle Auswirkungen auf die Abrechnungsspitze gestützten Anfechtungsklagen sollte der Erfolg genommen werden (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 76). Dass der Gesetzgeber damit zugleich eine Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des Senats hinsichtlich der Teilanfechtbarkeit von Abrechnungsbeschlüssen erreichen wollte, lässt sich dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht entnehmen. Auch in dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform des Wohnungseigentumsgesetzes von August 2019 (abgedruckt in NZM 2019, 705, 731) findet sich eine entsprechende Anregung nicht.

26bb) Vor diesem Hintergrund widerspricht die Verengung des Beschlussgegenstandes auf die Zahlungspflichten der Wohnungseigentümer der Teilbarkeit des Beschlusses im Grundsatz nicht. Die Abrechnungsspitze stellt nach der Konzeption des § 28 Abs. 2 WEG lediglich das Rechenergebnis aus den anteilig zu verteilenden Kostenpositionen dar. Fassen die Wohnungseigentümer daher - wie hier - unter Bezugnahme auf die Jahreseinzelabrechnungen den Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG, halten sie damit zugleich auch an den der Berechnung zugrundeliegenden einzelnen Kostenpositionen als Grundlage ihrer Zahlungspflichten fest. Die einzelnen Kostenpositionen werden abgrenzbare Teile der Abrechnungsspitze und lassen sich von ihr nicht trennen. Entscheidend ist, ob die Kostenpositionen richtig festgesetzt wurden.

27cc) Neben dem gesetzgeberischen Ziel, Rechtsstreitigkeiten über die Jahresabrechnung zu reduzieren (siehe oben Rn. 25), spricht die Interessenlage der Wohnungseigentümer für diese Sichtweise.

28(1) Die von dem Senat bereits unter der Geltung des bisherigen Rechts für die Teilanfechtung angeführten Argumente gelten gleichermaßen für das neue Recht. Den Mitgliedern einer GdWE ist in der Regel daran gelegen, die der Beschlussfassung unterliegenden Angelegenheiten möglichst abschließend zu bewältigen und weitere Zusammenkünfte auf das unabdingbare Mindestmaß zu beschränken. Es liegt im allseitigen Interesse, den Beschluss über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse so weit wie möglich dem Streit zu entziehen. Dieses Ziel würde bei einer grundsätzlichen Verneinung der Möglichkeit zur Teilanfechtung bzw. teilweisen gerichtlichen Ungültigerklärung vollständig verfehlt, weil jeder kleinste betragsrelevante Fehler zur Gesamtungültigkeit des Beschlusses führte. In der Folge wären die Wohnungseigentümer verpflichtet, erneut über sämtliche Kostenpositionen zu beschließen; der Beschluss könnte abermals mit neuen Begründungen angefochten werden. Lässt man es demgegenüber bei der teilweisen Ungültigerklärung des Beschlusses bezogen auf einzelne Kostenpositionen bewenden, brauchen sich die Wohnungseigentümer nachfolgend nur noch mit den nachgebesserten Positionen sowie der daraus resultierenden neuen Abrechnungsspitze zu befassen (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 193/11, NJW 2012, 2648 Rn. 16). Nur auf Fehler der nachgebesserten Positionen könnte eine (erneute) Anfechtungsklage gestützt werden.

29(2) Hierfür streitet auch das Interesse der Wohnungseigentümer und der GdWE, den Streitwert und damit die Kosten eines Rechtsstreits über die (Un-)Gültigkeit des Beschlusses in angemessenem Rahmen zu halten (zur Justizgewährungspflicht vgl. BVerfGE 85, 337). Ginge man von einer Unteilbarkeit des Beschlusses über die Einforderung von Nachschüssen oder Anpassung beschlossener Vorschüsse aus, wäre ein Wohnungseigentümer unabhängig von der Höhe seiner Beanstandungen gezwungen, den Beschluss in jedem Fall in Gänze anzufechten. Der Streitwert richtete sich dann gemäß § 49 GKG nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung, begrenzt lediglich durch den siebeneinhalbfachen Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils hieran oder den Verkehrswert seines Wohnungseigentums (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 152/22, MDR 2023, 693 Rn. 21). Wendete sich der Wohnungseigentümer etwa nur gegen einen unrichtigen Kleinstbetrag, der der Berechnung seiner Abrechnungsspitze zu Grunde liegt, erreichte der Streitwert ein Vielfaches des wirtschaftlichen Interesses des Wohnungseigentümers, wenn der Beschluss insgesamt angefochten werden müsste. Auch im vorliegenden Fall streiten die Wohnungseigentümer nicht über die gesamten Kostenpositionen, sondern ausschließlich darüber, ob die Abrechnungsspitzen eine Position von 10.000 € enthalten dürfen oder nicht. Bei einer Unteilbarkeit käme es zudem zu unverständlichen Ergebnissen bei der Kostenentscheidung. So müsste die GdWE bei einem minimalen Fehler des Abrechnungsbeschlusses die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen, obwohl sie in der Sache nahezu vollständig gewonnen hätte (näher Mediger, NZM 2024, 121, 126 f.).

30dd) Nicht überzeugend ist der Einwand, die Anerkennung einer Teilbarkeit des Beschlusses nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG führe zu einer unzulässigen Umgestaltung der Abrechnung (so aber Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kapitel 10 Rn. 100). Wie nach dem bisherigen Recht (vgl. dazu Senat, Urteil vom - V ZR 178/19, ZWE 2020, 425 Rn. 12 mwN) haben die Gerichte sich auf die Ungültigerklärung des angefochtenen Beschlusses, soweit er auf rechnerisch selbstständigen und abgrenzbaren fehlerhaften Kostenpositionen beruht, zu beschränken. Unter der Geltung von § 28 Abs. 2 WEG bedeutet das, dass die beschlossene Abrechnungsspitze lediglich teilweise für ungültig zu erklären ist.

31ee) Ob die Ungültigkeit eines Teils des Beschlusses zur Gesamtungültigkeit führt, ist wie nach bisherigem Recht in entsprechender Anwendung des § 139 BGB zu beurteilen und richtet sich danach, ob der unbeanstandet gebliebene Teil des Beschlusses allein sinnvollerweise Bestand haben kann und anzunehmen ist, dass ihn die Wohnungseigentümer ebenso gefasst hätten. Bei der Beurteilung, welche Entscheidung die Wohnungseigentümer bei Kenntnis der Teilunwirksamkeit nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten, ist in der Regel davon auszugehen, dass sie das objektiv Vernünftige gewollt hätten (näher Senat, Urteil vom - V ZR 193/11, NJW 2648 Rn. 16).

32ff) Was die Tenorierung bzw. die Antragstellung bei nur teilweiser Ungültigerklärung eines Beschlusses nach § 28 Abs. 2 WEG anbelangt, kann im Ausgangspunkt ebenfalls an die Rechtsprechung des Senats vor der WEG-Reform angeknüpft werden (vgl. etwa Senat, Urteil vom - V ZR 166/15, juris vor Rn. 1). Einer Modifikation bedarf es lediglich im Hinblick auf den geänderten Beschlussgegenstand (zu Formulierungsvorschlägen Mediger, NZM 2024, 121, 128; Elzer, ZWE 2022, 369, 370; Kieß, AnwZert MietR 6/2022 Anm. 1).

33d) Daran gemessen bejaht das Berufungsgericht die Teilbarkeit zu Recht, da der zu Unrecht in die Abrechnungsspitze eingeflossene Betrag von 10.000 € eine abgrenzbare Kostenposition betrifft. Das Berufungsgericht geht zudem unausgesprochen rechtsfehlerfrei davon aus, dass die Wohnungseigentümer den Beschluss mit dem unbeanstandet gebliebenen Teil ebenso gefasst hätten, so dass eine Gesamtnichtigkeit entsprechend § 139 BGB ausscheidet.

III.

341. Nach alledem ist die Revision zurückzuweisen. Der Senat hält es lediglich für angezeigt, die Tenorierung zur Klarstellung neu zu fassen, damit deutlich(er) zum Ausdruck kommt, dass der Beschlussmangel in der Verteilung einer Entnahme von 10.000 € aus der Erhaltungsrücklage besteht.

352. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:110425UVZR96.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-89703