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BVerwG Beschluss v. - 2 B 26/24

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern Az: 10 LB 633/22 OVG Urteilvorgehend Az: 11 A 146/22 HGW

Gründe

1Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren.

21. Der .... geborene Beklagte ist seit .... Polizeibeamter im Dienst des klagenden Landes, seit .... im Amt eines Kriminaloberkommissars. Er ist disziplinarisch vorbelastet; im Jahr 2019 wurde gegen ihn eine Geldbuße verhängt, u. a. weil er dienstliche Kontakte mit zwei 15-jährigen Mädchen zu privaten Zwecken genutzt und dabei unzulässigerweise dienstliche Recherchemöglichkeiten eingesetzt hatte.

3Ebenfalls im Jahr 2019 wurde gegen den Beklagten zunächst ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz und sodann ein sachgleiches Disziplinarverfahren eingeleitet, das im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgesetzt wurde. Das Ermittlungsverfahren wurde im Jahr 2020 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und das Disziplinarverfahren sodann fortgesetzt. Im Zuge des Disziplinarverfahrens wurde ermittelt, dass der Beklagte zielgerichtet den Kontakt zu zwei damals 14-jährigen Mädchen gesucht habe. Er habe unter Ausnutzung seiner Berufsbezeichnung gehandelt und versucht, die Mädchen durch Geldangebote und -zahlungen an sich zu binden; bezüglich eines der beiden Mädchen habe er deren Drogenabhängigkeit bewusst ausgenutzt, um durch sie seine Phantasien und Präferenzen umzusetzen und auszuleben. Der Beklagte habe bei beiden Mädchen Handlungen wie Niederknien, Ansprache als Herrscherin, Küssen der Füße, Putzen der Schuhe, Erlangen benutzter Kleidungsstücke, Selbstbezeichnung als Sklave, Weiterkauen eines ausgespuckten Kaugummis vorgenommen und Schläge, Beleidigungen, Treten in die Genitalien und das Ausdrücken einer Zigarette in seiner Hand verlangt. Er habe eine Videoaufnahme von sich gefertigt, in der er nackt eigene Fäkalien gegessen habe, und diese Videoaufnahme an eines der beiden Mädchen und einen damals 17-jährigen Jungen geschickt. Der Beklagte räumte mit anwaltlichem Schriftsatz den Sachverhalt vollumfänglich ein.

4Auf die im Februar 2022 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Dem Beklagten falle ein schwerwiegendes außerdienstliches Dienstvergehen zur Last, das einen Amtsbezug aufweise. Disziplinarisch vorgeworfen werde dem Beklagten nicht das von ihm praktizierte Ausleben seiner Neigung, sondern das Ausleben dieser Neigung mit und gegenüber einer betäubungsmittelabhängigen Jugendlichen. Dies sei mit Blick auf den Schutz, den Minderjährige genössen, um ihre Persönlichkeit möglichst unbeeinträchtigt zu entwickeln, ein gewichtiges Fehlverhalten. Mit den Geldzahlungen an das minderjährige drogenabhängige Mädchen habe er den Kauf verbotener Betäubungsmittel und damit die Betäubungsmittelabhängigkeit des Mädchens unterstützt, obwohl er als Polizeibeamter die Dienstpflicht gehabt habe, solche ihm bekannten Betäubungsmittelbeschaffungen insbesondere durch Minderjährige zu verhindern. Der Amtsbezug ergebe sich daraus, dass er sich als Polizist zu erkennen gegeben habe und durch sein Verhalten das Bild eines Polizeibeamten vermittelt habe, der jegliche Achtung vor sich verloren habe und zum Spielball derjenigen geworden sei, die er einerseits beschützen und andererseits selbst hätte polizeilich verfolgen müssen. Er habe seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten schwerwiegend verletzt. Bei seinem Persönlichkeitsbild sei zu berücksichtigen, dass er in der Vergangenheit wegen zweier vergleichbarer Verhaltensweisen gegenüber minderjährigen Mädchen, bei denen aber der Kontakt wesentlich kürzer und weniger intensiv gewesen sei, disziplinarisch belangt worden sei und sich durch das damals noch nicht abgeschlossene Disziplinarverfahren nicht habe davon abhalten lassen, ein solches Verhalten erneut an den Tag zu legen und zu intensivieren. Der Vertrauensverlust des Dienstherrn sei endgültig.

52. Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels (§ 69 Disziplinargesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern - LDG M-V - i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

6a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

7Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 2.11 - juris Rn. 4, vom - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom - 1 B 70.17 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 68 Rn. 3 und vom - 2 B 19.23 - juris Rn. 16).

8Die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Frage des revisiblen Rechts bezeichnet und aufzeigt, dass diese Frage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Aus der Beschwerdebegründung muss sich ergeben, dass eine die Berufungsentscheidung tragende rechtliche Erwägung des Berufungsgerichts im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Nachprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 113.11 - juris Rn. 6, vom - 2 B 80.15 - juris Rn. 6 und vom - 2 B 16.23 - juris Rn. 8).

9Die Beschwerde formuliert keine von ihr als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfragen und erhebt einzelfallbezogene Einwendungen gegen die Erwägungen des Berufungsgerichts. Selbst wenn man ihrem Vorbringen im Wege rechtsschutzfreundlicher Auslegung die Frage entnimmt, ob auch strafrechtlich nicht verbotenes außerdienstliches Verhalten, das in der Bevölkerung als unmoralisch angesehen wird, disziplinarwürdig sein kann, rechtfertigt diese nicht die Zulassung der Revision. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, ohne dass die Beschwerde einen neuen Klärungsbedarf aufzeigt.

10Das Beamtenverhältnis wird auf Lebenszeit begründet. Gleichwohl dürfen Dienstherr und Öffentlichkeit Pflichtverletzungen von Beamten nicht "hilflos ausgeliefert" sein. Es muss Reaktions- und Einwirkungsmöglichkeiten des Dienstherrn geben. Deshalb stellt das Disziplinarrecht Maßnahmen zur Verfügung, um den Beamten im Falle eines Dienstvergehens zur Pflichterfüllung anzuhalten oder ihn aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn das notwendige Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren ist. Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden ( 1 D 25.72 - BVerwGE 46, 64 <66>, vom - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 21, vom - 2 C 1.13 - BVerwGE 149, 117 Rn. 16 f. und vom - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 26).

11Danach gilt einerseits (vgl. 2 B 32.18 - juris Rn. 14): Seit 1967 (vgl. das Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom , BGBl. I S. 725) reicht bei außerdienstlichen Verfehlungen nicht bereits die Pflichtverletzung selbst zur Annahme eines Dienstvergehens aus, und zwar auch dann nicht, wenn hierdurch eine Straftat begangen worden ist ( 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 Rn. 14). Hinzutreten müssen vielmehr weitere, auf die Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung bezogene Umstände. Nur soweit es um die Wahrung des Vertrauens der Bürger in die Integrität der Amtsführung und damit in die künftige Aufgabenwahrnehmung geht, kann das durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Interesse an der Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums die im privaten Bereich des Beamten wirkenden Grundrechte einschränken ( - BVerfGK 4, 243 <254>). Unterhalb dieser Schwelle erwartet der Gesetzgeber von Beamten kein wesentlich anderes Sozialverhalten mehr als von jedem anderen Bürger (BT-Drs. 16/7076, S. 117 zum BBG sowie BT-Drs. 16/4027, S. 34 zum BeamtStG; vgl. hierzu auch 1 D 37.99 - BVerwGE 112, 19 <26>, vom - 2 A 2.12 - BVerwGE 147, 127 Rn. 24 und vom - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 26). Soweit außerdienstliches Verhalten disziplinarrechtlich zu ahnden ist, muss der außerdienstliche Charakter auch bei der Maßnahmebemessung Berücksichtigung finden. Jedenfalls statusberührende Disziplinarmaßnahmen kommen deshalb nur bei schwerwiegenden Verfehlungen in Betracht ( 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 39).

12Andererseits ist geklärt, dass auch nicht strafbare Verhaltensweisen Dienstpflichtverletzungen darstellen können - indem sie z. B., wie hier, gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) verstoßen - und disziplinarisch bis hin zur Höchstmaßnahme geahndet werden können (vgl. 2 B 19.18 - Buchholz 232.01 § 33 BeamtStG Nr. 3). Auch Verhaltensweisen im Zusammenhang mit sexuellen Betätigungen können ggf. als Dienstpflichtverletzungen disziplinarrechtlich zu ahnden sein (vgl. jeweils zu Dienstpflichtverletzungen im Zusammenhang mit sog. Gang-Bang-Partys: BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 37.12 - juris und vom - 2 B 69.16 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8).

13Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage ist einer verallgemeinernden Antwort daher nicht zugänglich. Nach § 15 Abs. 2 LDG M-V ist die Disziplinarmaßnahme vielmehr aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Erst aufgrund des Ergebnisses dieser Gesamtwürdigung kann festgestellt werden, ob ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist, weil er das erforderliche Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Auch wenn für die Bestimmung der Schwere eines Dienstvergehens generelle Maßstäbe für einzelne Fallgruppen entwickelt worden sind, folgt hieraus nicht, dass etwa wegen der Liberalisierung des Sexualstrafrechts die gegen den Beklagten verhängte Disziplinarmaßnahme grundsätzlich nicht in Betracht käme. Gerade die Bewertung von Äußerungen oder Handlungen mit sexuellem Bezug hängt vielmehr maßgeblich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab ( 2 B 37.12 - Rn. 13 m. w. N.).

14b) Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

15Die Beschwerde rügt als verfahrensfehlerhaft, dass das Berufungsgericht nicht weiter aufgeklärt habe, ob die im Berufungsverfahren abgegebene dienstliche Äußerung "des Verwaltungsgerichts" zur Besetzung der erstinstanzlichen Richterbank zutreffend war oder nicht; dienstliche Erklärungen der beiden in Frage kommenden Richter seien nicht eingeholt worden. Damit sei zu befürchten, dass erstinstanzlich ein von der Mitwirkung ausgeschlossener Richter an der Entscheidung mitgewirkt habe und dadurch das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden sei.

16Damit ist ein Verfahrensfehler nicht dargetan. Das Berufungsgericht hat die Diskrepanz zwischen den Angaben zur Besetzung der Richterbank bezüglich eines beisitzenden Richters in der Niederschrift zur erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung einerseits und im erstinstanzlichen Urteil andererseits zum Anlass genommen, vor der Berufungsverhandlung eine dienstliche Äußerung des erstinstanzlichen Vorsitzenden Richters einzuholen, welche Richterinnen und Richter an der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Der Vorsitzende Richter hat daraufhin erklärt, mit Sicherheit sagen zu können, dass die Angaben im Urteil richtig sind und eine Angabe in der Niederschrift unrichtig ist. Diese Erklärung wurde von dem erstinstanzlich anwaltlich vertretenden Beklagten nicht in Frage gestellt. Insbesondere wurde im Berufungsverfahren die nunmehr von der Beschwerde vermisste Einholung von dienstlichen Erklärungen der beiden in Frage kommenden beisitzenden Richter nicht begehrt. Mangels Anhaltspunkten für eine inhaltliche Unrichtigkeit der abgegebenen dienstlichen Erklärung musste sich dem Berufungsgericht eine weitere Sachaufklärung nicht von Amts wegen aufdrängen.

173. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Abs. 1 LDG M-V i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V Festgebühren erhoben werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:231224B2B26.24.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-89474