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BGH Beschluss v. - 2 StR 450/23

Instanzenzug: Az: 2 StR 450/23 Beschlussvorgehend Az: 23 KLs 26/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

21. Die Verfahrensrüge, mit der die entgegen § 246a Abs. 3 StPO unterlassene Untersuchung des Angeklagten durch den Sachverständigen beanstandet wird, führt zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs einschließlich der Feststellungen.

3a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4Bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung wurde zur Frage der Schuldfähigkeit und zur möglichen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung ein Sachverständiger hinzugezogen. Da der Angeklagte eine Exploration durch den Sachverständigen abgelehnt hatte, stützte dieser sein Gutachten auf die ihm zur Verfügung gestellten Gerichtsakten, auf die Beweisaufnahme, insbesondere auf die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung, auf die Beobachtung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, auf das in die Hauptverhandlung eingeführte Vorstrafenurteil sowie Behördenerklärungen aus dem Strafvollzug. In der Hauptverhandlung verteidigte sich der Angeklagte zunächst schweigend. Nachdem der Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, ließ sich der Angeklagte in Anwesenheit des Sachverständigen zu seinen persönlichen Verhältnissen ein. Der Sachverständige hatte hierbei Gelegenheit, den Angeklagten zu befragen, und ergänzte sein Gutachten. Im Anschluss erklärte der Angeklagte, dass er nunmehr bereit sei, sich einer Untersuchung durch den Sachverständigen zu stellen. Eine solche erfolgte nicht.

5Die Strafkammer hat das Absehen von einer Untersuchung in den Urteilsgründen damit gerechtfertigt, nach Auffassung des Sachverständigen, der sie sich anschließe, seien für die Gutachtenerstattung die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung ausreichend gewesen. Der Sachverständige habe – so die Strafkammer – Gelegenheit gehabt, den Angeklagten in der Hauptverhandlung ausführlich selbst zu befragen. Einer Exploration des zur Sache weiter schweigenden Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung habe es daher nicht bedurft.

6b) Dieses Verfahren verstößt gegen § 246a Abs. 3 StPO, der für den Fall, dass die Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, zwingend nicht nur die Vernehmung eines Sachverständigen, sondern auch die Untersuchung des Angeklagten durch den Sachverständigen vorschreibt (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 9, 1, 2 ff.; Beschlüsse vom – 3 StR 305/99, NStZ 2000, 215, und vom – 5 StR 584/01, BGHR StPO § 246a Satz 2 Sachverständiger 2; , NJW 1995, 3047). Dass der Angeklagte sich zunächst geweigert hat, sich einer Exploration zu unterziehen, ist – abgesehen davon, dass auch bei einer fortbestehenden Weigerung eine Untersuchung nur dann hätte unterbleiben dürfen, wenn sie ohne seine Mitwirkung oder gegen seinen Widerstand kein verwertbares Ergebnis hätte erbringen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 432/71, NJW 1972, 348, und vom – 4 StR 265/03, NStZ 2004, 263, 264) – schon deshalb unbeachtlich, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung seine ablehnende Haltung aufgegeben und sich ausdrücklich mit einer Untersuchung durch den Sachverständigen einverstanden erklärt hat.

7Soweit die Strafkammer in den Urteilsgründen darlegt, dass eine Untersuchung des Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung nicht erforderlich gewesen sei, da der Sachverständige während der Hauptverhandlung die Gelegenheit gehabt habe, den Angeklagten ausführlich selbst zu befragen, ist auch dies rechtsfehlerhaft. Denn die Untersuchung muss „maßnahmespezifisch“ sein; der bloße Kontakt während der Hauptverhandlung reicht hierfür nicht aus (vgl. , NStZ 2000, 215 mwN).

8c) Der Maßregelausspruch beruht auf diesem Verfahrensmangel (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der Sachverständige nach einer Exploration des Angeklagten dem Tatgericht Erkenntnisse vermittelt hätte, die sich im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für diesen günstig ausgewirkt hätten.

9d) Der Verfahrensfehler zieht zugleich die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Den Urteilsgründen lässt sich im konkreten Einzelfall entnehmen, dass die Strafe und die Anordnung der Maßregel sich gegenseitig beeinflusst haben (vgl. , StV 2018, 358). Die Strafkammer hat durch den Sachverständigen auch die Schuldfähigkeit des Angeklagten begutachten lassen, sachverständig beraten die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB verneint und daher sowohl von der Prüfung einer nach § 72 Abs. 1 Satz 2 StGB vorrangigen Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. , NStZ-RR 2019, 334, 336) als auch von einer Milderung der Einzelstrafen nach §§ 21, 49 StGB abgesehen. Der Senat kann mithin im hier zur Entscheidung gestellten Fall nicht ausschließen, dass sich die verfahrensfehlerhafte Tatsachenfeststellung – wenn auch nicht auf den Schuldspruch, so doch – auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Da der Angeklagte das Urteil umfassend angegriffen hat, steht der Aufhebung des Strafausspruchs nicht entgegen, dass das Vorhandensein doppelrelevanter Feststellungen im Grundsatz eine Beschränkung des Angriffs und der Aufhebung auf den Maßregelausspruch nicht hindert (vgl. dazu , BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 23 Rn. 7).

10e) Die Sache bedarf daher im gesamten Rechtsfolgenausspruch unter Hinzuziehung eines – gegebenenfalls anderen – Sachverständigen neuer Prüfung und Entscheidung. Gerade die Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch sind durch die Gesetzesverletzung betroffen und unterliegen gleichfalls der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).

112. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Menges                        Appl                        Meyberg

                      Lutz                      Herold

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:300125B2STR450.23.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-89397