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BVerwG Beschluss v. - 9 B 59/24

Nichtzulassungsbeschwerde bezüglich der Planfeststellung für die Kreisstraße N 4 (Frankenschnellweg)

Leitsatz

Zur Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 124 S. 1).

Gesetze: Art 3 Abs 2 Buchst a EURL 52/2014, Art 5 Abs 2 EURL 52/2014, Art 96a Abs 1 VwVfG BY

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 8 B 21.1222 Urteilvorgehend VG Ansbach Az: AN 10 K 13.01450 Urteil

Gründe

1Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint.

3Dies zugrunde gelegt, verleihen die vom Kläger aufgeworfenen Fragen,

ob der vom Europäischen Gerichtshof für die Interpretation europarechtlicher Vorschriften entwickelten Maxime des "effet utile" bereits dann bei der gesetzlichen Umsetzung Rechnung getragen worden ist, wenn die nationale verfahrensrechtliche Übergangsvorschrift der europarechtlichen Regelung vollständig nachgebildet ist,

ob es im Rahmen der Anwendung der unionsrechtlichen Maxime des "effet utile" zulässig ist, eine verfahrensrechtliche Stichtagsregelung hinsichtlich der Abgrenzung zwischen der Anwendung eines bisherigen Rechtszustands und eines neuen zukünftigen Rechtsrahmens dahingehend konkretisierend wirksam zu machen, dass die Anwendbarkeit des neuen Rechtsrahmens ergänzend zum festgelegten Stichtag konkretisierend durch einen Zeitrahmen gerechnet ab dem Stichtag bestimmt wird, um die praktische Wirksamkeit des jeweiligen Rechts zur Geltung zu bringen, und

ob es im Rahmen der Anwendung der unionsrechtlichen Maxime des "effet utile" rechtlich notwendig ist, eine verfahrensrechtliche Stichtagsregelung dahingehend konkretisierend wirksam zu machen, dass die Anwendbarkeit des neuen Rechtsrahmens ergänzend zur Stichtagsregelung an den Stand der betreffenden Verfahren anknüpft,

der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.

4Diese Fragen betreffen die Auslegung der Übergangsregelung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 124 S. 1; im Folgenden RL 2014/52/EU) und ihre Umsetzung durch Art. 96a Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (im Folgenden: BayVwVfG).

5Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52 unterliegen Projekte den Verpflichtungen gemäß Art. 3 und Art. 5 bis 11 der Richtlinie 2011/92/EU (im Folgenden: UVP-RL) in ihrer Fassung vor ihrer Änderung durch die Richtlinie 2014/52/EU unter anderem, wenn vor dem das Verfahren in Bezug auf die Stellungnahme gemäß Art. 5 Abs. 2 UVP-RL eingeleitet wurde, d. h. wenn der Projektträger vor Einreichung eines Genehmigungsantrags bis dahin die zuständige Behörde ersucht hat, eine Stellungnahme dazu abzugeben, welche Angaben vom Projektträger nach Art. 5 Abs. 1 UVP-RL vorzulegen sind.

6Nach Art. 96a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG sind vor dem begonnene Verfahren für die in Art. 78a BayVwVfG bezeichneten Vorhaben, für die nach Rechtsvorschriften des Freistaats Bayern ein Verwaltungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben ist, zwar grundsätzlich nach den Vorschriften des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes in der ab dem geltenden Fassung zu Ende zu führen. Nach Art. 96a Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG findet diese Regelung aber unter anderem keine Anwendung auf Verfahren, bei denen vor dem das Verfahren zur Unterrichtung des Trägers des Vorhabens Art. 78d BayVwVfG in der bis geltenden Fassung eingeleitet wurde. Dieses Verfahren ist eingeleitet, wenn der Träger des Vorhabens von der zuständigen Behörde verlangt, ihn über Art und Umfang der nach Art. 78e BayVwVfG voraussichtlich beizubringenden Unterlagen zu unterrichten.

71. Danach richtet sich die Umweltverträglichkeitsprüfung sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach der zu seiner Umsetzung ergangenen bayerischen Übergangsregelung nach altem Recht, wenn der Vorhabenträger vor dem die zuständige Behörde ersucht hat, ihn im Rahmen des sogenannten Scoping-Verfahrens über die für die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlichen Angaben und Unterlagen zu informieren. Das bayerische Umsetzungsrecht stimmt insoweit inhaltlich mit der unionsrechtlichen Übergangsvorschrift überein und ist ihr vollständig nachgebildet.

8Dass der Maxime des "effet utile" in einem solchen Fall bei der Umsetzung des Unionsrechts in vollem Umfang Rechnung getragen ist, bedarf weder der Klärung in einem Revisionsverfahren noch einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, deren Notwendigkeit im Revisionsverfahren die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründen könnte ( 9 B 15.08 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 35 Rn. 10 m. w. N.). Denn dass nationale Regelungen, die das umzusetzende Unionsrecht inhaltlich vollumfänglich übernehmen, dessen praktische Wirksamkeit gewährleisten, ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV deshalb entbehrlich ist (vgl. nur [ECLI:​EU:​C:​2024:​81] - juris Rn. 36 m. w. N.).

92. Allerdings zielen die Fragen, die der Kläger im Revisionsverfahren geklärt wissen möchte, der Sache nach darauf ab, ob Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU und das ihrer Umsetzung dienende nationale Recht durch eine noch zu erlassende Regelung oder im Wege der Auslegung dergestalt eingeschränkt werden müssen, dass ein Vorhabenträger nicht allein durch eine vorzeitige Einleitung des Scoping-Verfahrens die Fortgeltung des auslaufenden Rechts für sein Verfahren beliebig lange verlängern kann. Auch die so verstandene Fragestellung rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Soweit sie das Verständnis von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU als Stichtagsregelung betrifft, bedarf es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens (a). Soweit sie darauf abzielt, ob die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts eine die Stichtagsregelung ergänzende Auslegung erfordert, ist ihre Klärung im Revisionsverfahren nicht zu erwarten (b).

10a) Die Frage, ob nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU altes Recht anzuwenden ist, wenn vor dem das Scoping-Verfahren gemäß Art. 5 Abs. 2 UVP-RL eingeleitet wurde, lässt sich ohne Weiteres anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesauslegung beantworten ( 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>). Das Auslegungsergebnis ist dabei derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt und eine Vorabentscheidung nach § 267 Abs. 3 AEUV entbehrlich ist.

11Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört (stRspr, vgl. etwa [ECLI:​EU:​C:​2024:​846] - juris Rn. 52 m. w. N.), wobei der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts bei der Berücksichtigung der Ziele besondere Bedeutung zukommt (vgl. - juris Rn. 62; Haratsch/​Koenig/​Pechstein, Europarecht, 13. Aufl. 2023, Rn. 457 f.). Auf dieser Grundlage unterliegen Projekte den Verpflichtungen gemäß Art. 3 und Art. 5 bis 11 der UVP-Richtlinie in der Fassung vor ihrer Änderung durch die Richtlinie 2014/52/EU, wenn vor dem das Verfahren in Bezug auf die Stellungnahme gemäß Art. 5 Abs. 2 UVP-RL eingeleitet worden war, der Projektträger also vor Einreichung eines Genehmigungsantrags die zuständige Behörde ersucht hatte, eine Stellungnahme dazu abzugeben, welche Angaben vom Projektträger nach Art. 5 Abs. 1 UVP-RL vorzulegen sind.

12Dies ergibt sich nicht nur ohne Weiteres aus dem entsprechenden Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU und Art. 5 Abs. 2 UVP-RL. Es entspricht auch dem Kontext und dem systematischen Zusammenhang, in dem Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU steht. Denn nach Art. 2 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2014/52/EU erlassen und veröffentlichen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um der Richtlinie 2014/52/EU bis zum nachzukommen, unbeschadet des Art. 3 RL 2014/52/EU. Die Richtlinie ist danach zwar grundsätzlich so umzusetzen, dass die darin vorgesehenen Änderungen der UVP-Richtlinie ab dem gelten. Dies gilt aber nicht, soweit Art. 3 RL 2014/52/EU etwas anderes vorsieht, weil insbesondere nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU Projekte den Verpflichtungen gemäß Art. 3 und 5 bis 11 UVP-RL in der Fassung vor ihrer Änderung durch die Richtlinie 2014/52/EU unterliegen, wenn vor dem das Verfahren in Bezug auf die Stellungnahme gemäß Art. 5 Abs. 2 UVP-RL eingeleitet worden war, der Projektträger also vor Einreichung eines Genehmigungsantrags die zuständige Behörde ersucht hatte, eine Stellungnahme dazu abzugeben, welche Angaben vom Projektträger nach Art. 5 Abs. 1 UVP-RL vorzulegen sind.

13Dass dies auch dem Sinn und Zweck der Regelung und den Zielen der Richtlinie 2014/52/EU entspricht, ergibt sich darüber hinaus aus deren Erwägungsgrund 39. Im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit und um einen möglichst reibungslosen Übergang von der in der UVP-Richtlinie festgelegten Regelung zu der neuen Regelung gemäß den in der Richtlinie 2014/52/EU enthaltenen Änderungen sicherzustellen, ist es danach angemessen, Übergangsmaßnahmen festzulegen. Mit diesen Maßnahmen soll dafür gesorgt werden, dass sich das Regelungsumfeld in Bezug auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung für einzelne Projektträger nicht ändert, wenn im Rahmen der bestehenden Regelungen bereits Verfahrensschritte eingeleitet worden sind, die erforderlichen verbindlichen Entscheidungen, die für das Erreichen der Ziele der Richtlinie 2014/52/EU erforderlich sind, für das Projekt jedoch noch nicht getroffen worden sind. Dementsprechend sollen die einschlägigen Bestimmungen der UVP-Richtlinie in der Fassung vor der Änderung durch die Richtlinie 2014/52/EU unter anderem für Projekte gelten, für die vor Ablauf der Umsetzungsfrist das Scoping-Verfahren bereits eingeleitet worden ist. Dieser Zielsetzung entspricht Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU in vollem Umfang, indem er Projekte den Verpflichtungen nach Art. 3 und Art. 5 bis 11 der UVP-Richtlinie in der Fassung vor der Änderung durch die Richtlinie 2014/52/EU unterwirft, wenn das Scoping-Verfahren nach Art. 5 Abs. 2 UVP-RL vor dem eingeleitet worden ist. Diese Regelung ist auch ohne Weiteres geeignet, dem Anliegen der Übergangsregelung, einen reibungslosen Übergang von der alten zur neuen Rechtslage sicherzustellen, die erforderliche praktische Wirksamkeit zu verleihen. Sie verhindert, dass bereits eingeleitete Verfahrensschritte auf Grund der geänderten Rechtslage von neuem begonnen oder wiederholt werden müssen, wenn sie bei Eintritt der Rechtsänderung bereits abgeschlossen waren (vgl. 9 A 7.21 - BVerwGE 175, 312 Rn. 66).

14b) Eine Klärung der weitergehenden Frage, ob die praktische Wirksamkeit der durch die Richtlinie 2014/52/EU vorgesehenen Änderungen eine Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU erfordert, nach der die Anwendbarkeit des neuen Rechtsrahmens ergänzend zum festgelegten Stichtag konkretisierend durch einen ab diesem Stichtag gerechneten Zeitrahmen bestimmt wird oder die Anwendbarkeit des neuen Rechtsrahmens ergänzend zur Stichtagsregelung an den Stand des betreffenden Verfahrens anknüpft, ist im Revisionsverfahren nicht zu erwarten.

15Eine Rechtsfrage kann im Revisionsverfahren nicht geklärt werden, wenn Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden sind (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 37.10 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 173 Rn. 11 und vom - 6 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 283 Rn. 15). Ein solcher Fall liegt hier vor.

16Die vom Kläger aufgeworfene Frage der Notwendigkeit einer Regelung oder Auslegung, die die Stichtagsregelung im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts ergänzt, stellt sich aus seiner Sicht deshalb, weil ohne eine solche Auslegung die Anwendbarkeit der Änderungen der UVP-Richtlinie durch die Richtlinie 2014/52/EU im Wege einer frühzeitigen Einleitung eines Scoping-Verfahrens unterlaufen werden könne. Tatsachen, die erkennen lassen, dass die Stichtagsregelung hier zu einem solchen Zweck missbraucht worden sein könnte, hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen fehlen trotz des Zeitraums von mehr als dreieinhalb Jahren, der zwischen dem Scoping-Termin am und der Vorlage der im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung einzureichenden Unterlagen am liegt, Anhaltspunkte dafür, dass der Scoping-Termin durchgeführt wurde, um die geänderten Anforderungen an die Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterlaufen. Anlass für die Durchführung eines ergänzenden Planfeststellungsverfahrens war vielmehr die Zulassung der Berufung unter Hinweis auf die Klärungsbedürftigkeit der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Vor diesem Hintergrund sollte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das Planergänzungsverfahren zügig bis Ende April 2017 durchgeführt, also noch vor dem Stichtag abgeschlossen und die für die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlichen Unterlagen bis Mitte 2016 vorgelegt werden.

173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren dem Kläger nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Gründen der Billigkeit auferlegt, weil die Beigeladene in ihrer Stellungnahme keinen ausdrücklichen Antrag gestellt und sich damit im Hinblick auf § 154 Abs. 3 VwGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

18Die Streitfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 34.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:110325B9B59.24.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-89306