Gründe
1Die Amtsgerichte Wilhelmshaven und Lampertheim – Jugendrichter – streiten über die Zuständigkeit in einer Bußgeldsache.
21. Das Amtsgericht Wilhelmshaven – Jugendrichter – hat am gegen den am geborenen Betroffenen wegen Nichtzahlung einer Geldbuße von 200 Euro aus einem Bußgeldbescheid der Stadt Wilhelmshaven Erzwingungshaft von acht Tagen angeordnet.
3Nach Umzug des Betroffenen am nach Lampertheim hat das Amtsgericht Wilhelmshaven das Verfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 84 Abs. 2 JGG zur Vollstreckung der Erzwingungshaft an das Amtsgericht Lampertheim abgegeben. Dieses hat mit Beschluss vom die Sache übernommen und unter dem die Vollstreckung der Erzwingungshaft eingeleitet. Die Ladung zum Strafantritt konnte jedoch nicht zugestellt werden, weil der Betroffene bereits am unbekannt weiter verzogen war.
4Weil das Amtsgericht Wilhelmshaven eine Rückübernahme ablehnt, hat das Amtsgericht Lampertheim die Sache dem Bundesgerichtshof als gemeinschaftlichem oberen Gericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.
52. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung des zwischen den Jugendgerichten bestehenden Streits gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 14 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht berufen, weil die Amtsgerichte Wilhelmshaven und Lampertheim in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen.
63. Zuständig ist das Amtsgericht Wilhelmshaven – Jugendrichter –. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Aufgrund des unbekannten Aufenthalts des Betroffenen ist gemäß § 84 Abs. 1 JGG das Amtsgericht Wilhelmshaven für die Vollstreckung der Erzwingungshaft in vorliegender Sache zuständig.
§ 46 Abs. 1 OWiG bestimmt, dass für das Bußgeldverfahren die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes entsprechend gelten. Bei der Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz findet somit § 84 JGG Anwendung (vgl. Eisenberg/Kölbel/Kölbel, 25. Aufl. 2024, JGG § 84 Rn. 2).Gemäß § 84 Abs. 1 JGG leitet der Jugendrichter die Vollstreckung in allen Verfahren ein, in denen er selbst oder unter seinem Vorsitz das Jugendschöffengericht im ersten Rechtszuge erkannt hat. Diese prozessuale Regelung hat in Verfolgung des Erziehungsgedankens und der Effizienzmaximierung zugleich den Zweck, eine Zuständigkeitskonzentration zu bewirken (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Heuchemer, 26. Ed. , JGG § 84 Rn. 4). § 84 Abs. 2 JGG regelt die örtliche Zuständigkeit des Jugendrichters des Amtsgerichts, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, und ist als Ausnahmevorschrift zu § 84 Abs. 1 JGG konzipiert (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Heuchemer, 26. Ed. , JGG § 84 Rn. 6). Ist der gewöhnliche Aufenthalt des Jugendlichen/Heranwachsenden unbekannt, gilt der Grundsatz der Entscheidungsnähe (vgl. Sonnen in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, 8. Auflage 2020, § 84 JGG Rn. 4).
Nach diesen Maßstäben ist vorliegend das Amtsgericht Wilhelmshaven für die Vollstreckung der Erzwingungshaft zuständig, nachdem der Betroffene nicht (mehr) im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Lampertheim aufhältig ist. Da das Amtsgericht Wilhelmshaven die zugrunde liegende Erzwingungshaft angeordnet hat und aufgrund des unbekannten Aufenthalts des Betroffenen die Zuständigkeit eines anderen Gerichts nach § 84 Abs. 2 JGG ausscheidet, lebt die ursprüngliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Wilhelmshaven nach § 84 Abs. 1 JGG wieder auf. Für die Zuständigkeit des Amtsgerichts Wilhelmshaven streitet insoweit der Grundsatz der Entscheidungsnähe. Dieses hat auf Antrag der Stadt Wilhelmshaven gegen den Betroffenen, der zuvor im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Wilhelmshaven aufhältig/wohnhaft war, die Erzwingungshaft angeordnet […]. Im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Lampertheim war der Betroffene indes nur für einen Zeitraum von etwa einem Monat aufhältig; ein darüber hinausgehender Bezug des Betroffenen zum vorgenannten Amtsgerichtsbezirk ist nicht ersichtlich.“
7Dem schließt sich der Senat an.
Menges Appl Zeng
Grube Schmidt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:120325B2ARS519.24.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-89295