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BSG Beschluss v. - B 4 AS 62/24 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit eines Beteiligten - nicht ordnungsgemäße Ladung - Angabe eines Aktenzeichens, das sich auf eine andere erstinstanzliche Entscheidung bezieht als die, über die tatsächlich verhandelt wurde - Vermutung des Beruhens der angefochtenen Entscheidung auf dem Verfahrensmangel

Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: SG Dresden Az: S 6 AS 1212/18 Gerichtsbescheidvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 7 AS 961/21 Urteil

Gründe

1I. Die Klägerin hat mit Schreiben vom beim LSG Berufung eingelegt gegen einen ), der einen nach § 44 SGB X ergangenen Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom betraf. Das LSG hat der Klägerin den Eingang dieser Berufung unter Mitteilung des Aktenzeichens L 7 AS 962/21 bestätigt (Schreiben vom ). Unter dem Aktenzeichen L 7 AS 961/21 hat das LSG der Klägerin den taggleichen Eingang ihrer Berufung gegen den (betreffend einen Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ) im Verfahren S 6 AS 4297/17 bestätigt.

2Mit Verfügung vom hat das LSG im Verfahren L 7 AS 961/21 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den bestimmt; die Terminmitteilung vom ist der Klägerin am zugestellt worden. Die Klägerin ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG "vom " im Verfahren S 6 AS 1212/18 mit Urteil vom zurückgewiesen und darin unter anderem ausgeführt, dass der Überprüfungsbescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom rechtmäßig sei.

3Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, da sie nicht zu der mündlichen Verhandlung über ihre Berufung geladen worden sei, über die dann entschieden worden sei.

4II. Die zulässige Beschwerde der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Das Urteil des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, den die Klägerin entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet hat.

5Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision dann zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der § 109 und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

6Ein Verfahrensmangel liegt hier vor, denn das Urteil des LSG ist unter Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergangen.

7Nach § 124 Abs 1 SGG entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Diese Norm ist im Berufungsverfahren unmittelbar anwendbar. Der Mündlichkeitsgrundsatz gewährt den Beteiligten grundsätzlich das Recht, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Dies dient nicht zuletzt dem Zweck, dem Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl - juris RdNr 7 mwN). Der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör ist unter anderem dann verletzt, wenn er nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden ist und deswegen an der Verhandlung nicht teilgenommen hat (vgl - juris RdNr 9).

8Eine derartige Verletzung des Gehörsanspruchs der Klägerin liegt hier vor. Das LSG hat die Klägerin nicht ordnungsgemäß geladen. Das LSG hat der Klägerin zwar am eine Terminmitteilung zur mündlichen Verhandlung am im Verfahren L 7 AS 961/21 zugestellt. Aufgrund der Eingangsbestätigung des musste und durfte die Klägerin aber davon ausgehen, dass die mündliche Verhandlung ihre Berufung gegen den im Verfahren S 6 AS 4297/17 betrifft. Das LSG hat hingegen über die Berufung der Klägerin gegen den im Verfahren S 6 AS 1212/18 entschieden.

9In der vorliegenden Konstellation ist es nicht erforderlich, dass feststeht, dass die Klägerin an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätte, wenn sie ordnungsgemäß geladen worden wäre, und dass das LSG eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn die Klägerin an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätte (sog Beruhenszusammenhang). Ist ein Beteiligter nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden, genügt es, dass eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vorzutragen ( - juris RdNr 8 mwN). Insofern wird ein Beruhen der Entscheidung des Gerichts auf dem Verfahrensmangel vermutet. Ob etwas anderes gilt, wenn feststeht, dass ein Beteiligter auch bei ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen wäre, bedarf hier keiner Entscheidung.

10Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - wie hier - vorliegen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat hier Gebrauch.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:260325BB4AS6224B0

Fundstelle(n):
PAAAJ-89232