Instanzenzug: Az: 601 KLs 7/22
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der Geldwäsche aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.
I.
21. Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage zur Last gelegt, von ihrem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mitangeklagten Lebensgefährten Teile des durch die Drogengeschäfte erzielten Bargeldes und eine aus dem Erlös finanzierte Uhr der Marke „Rolex“ zur Verwahrung erhalten und in Kenntnis der deliktischen Herkunft absprachemäßig in der gemeinsamen Wohnung und in einem von ihr angemieteten Bankschließfach versteckt zu haben. Konkret soll sie im Mai 2020 Bargeld in Höhe von 100.000 Euro, das ihr Lebensgefährte durch die Veräußerung von 20 Kilogramm Marihuana am erlangt hatte, in der Wohnung versteckt und einen Teil des Geldes für die Wohnungsmiete verwendet haben.
32. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4a) Der nichtrevidierende Lebensgefährte der Angeklagten betrieb im Frühjahr 2020 unter Verwendung eines mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ausgestatteten Mobiltelefons des Anbieters EncroChat einen Handel mit Marihuana und Kokain. Er veräußerte unter anderem am in H. gewinnbringend 20 Kilogramm Marihuana für 100.000 Euro (Fall 2 der Urteilsgründe).
5Die Angeklagte wohnte im Tatzeitraum in einer Wohnung in H. , in der auch ihr Lebensgefährte und der gemeinsame Sohn als wohnhaft gemeldet waren. Sie unterhielt ein Bankschließfach bei der H. er Sparkasse, das bei der polizeilichen Durchsuchung am leer war. Am verwahrte sie 370 Euro in der Wohnung.
6b) Weitere Feststellungen seien nicht zu treffen gewesen. Zwar haben sich aus der über EncroChat geführten Kommunikation der Nutzer „p. “ (Pseudonym des Lebensgefährten der Angeklagten) und „t. “ (Pseudonym des Käufers im Fall 2 der Urteilsgründe) sowie der Nutzerin mit dem Pseudonym „e. “ (Pseudonym der Angeklagten) Umstände ergeben, aufgrund derer der Tatnachweis hätte geführt werden können. Gemessen an den vom Bundesgerichtshof aufgestellten rechtlichen Maßstäben seien diese Beweise aber nicht verwertbar.
II.
7Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg. Sie beanstandet zu Recht, dass das Landgericht die in die Hauptverhandlung eingeführten EncroChat-Daten nicht gegen die Angeklagte verwertet und damit § 261 StPO verletzt hat. Auf die sachlich-rechtlichen Beanstandungen kommt es nicht mehr an.
81. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
9Durch einen richterlich genehmigten Einsatz einer Computerabfangeinrichtung nach Artikel 760-102-1 der französischen Strafprozessordnung wurden in einem französischen Ermittlungsverfahren unter anderem die Kommunikationsdaten zahlreicher EncroChat-Nutzer erhoben. Nachdem aufgrund der im Rahmen des internationalen polizeilichen Nachrichtenaustauschs übermittelten Daten aus dieser Maßnahme Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten mit Inlandsbezug unter Verwendung von EncroChat-Geräten bekannt geworden waren, leitete die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein Ermittlungsverfahren gegen (noch unbekannte) EncroChat-Nutzer wegen des Verdachts des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der Bildung einer kriminellen Vereinigung und anderer Straftaten ein. Auf der Grundlage von Europäischen Ermittlungsanordnungen vom 2. Juni und sowie vom ersuchte sie die französischen Justizbehörden darum, die Verwendung der insoweit relevanten EncroChat-Daten in deutschen Strafverfahren gegen die verdächtigen Personen zu genehmigen. Das Strafgericht Lille genehmigte am 13. Juni und sowie am die Übermittlung der Daten und deren Verwendung durch die „deutschen Behörden im Rahmen eines jeden Ermittlungsverfahrens und im Hinblick auf ein jedwedes Gerichts-, Strafverfolgungs- oder Untersuchungsverfahren oder ein Urteil“.
10Im Juli 2020 leitete die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen die in ihre örtliche Zuständigkeit fallenden (damals noch unbekannten) EncroChat-Nutzer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. ein und übernahm – nach Abtrennung – insoweit das Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Das zur verfahrensgegenständlichen Anklage führende Ermittlungsverfahren wurde zunächst allein gegen den Lebensgefährten der Angeklagten geführt. Im Januar 2021 wurde das Ermittlungsverfahren auf die Angeklagte erstreckt, nachdem sie aufgrund der EncroChat-Daten in Verdacht geraten war, Beihilfe zum Handeltreiben ihres Lebensgefährten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge geleistet zu haben. Konkret wurde ihr zur Last gelegt, Bargeld aus den Drogengeschäften in Kenntnis von dessen deliktischer Herkunft in ihrer Wohnung versteckt zu haben. In der Folge wurden ihre Wohnung und ihr Schließfach bei der H. er Sparkasse durchsucht.
11Unter dem erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Angeklagte wegen Geldwäsche und gegen ihren Lebensgefährten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in einem Fall damit rechtlich zusammentreffend einem anderen Beihilfe hierzu geleistet zu haben. Am eröffnete das Landgericht das Hauptverfahren und ließ die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zu, die am begann. Trotz des Verwertungswiderspruchs des Verteidigers der Angeklagten machte das Landgericht die EncroChat-Daten der Nutzer mit den Pseudonymen „p. “, „t. “ und „e. “ zum Gegenstand der Hauptverhandlung.
122. Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die in die Hauptverhandlung eingeführten EncroChat-Daten gegen die Angeklagte zu verwerten. Es hat damit § 261 StPO verletzt, weil es den Inbegriff der Hauptverhandlung nicht ausgeschöpft hat.
13a) Die Strafkammer hat ihre Auffassung unter Bezug auf die insoweit einschlägige Entscheidung des Senats vom (, BGHSt 67, 29, 52) damit begründet, dass die Verwertung der Daten unverhältnismäßig gewesen wäre, weil im Verwendungszeitpunkt lediglich eine Geldwäsche nach § 261 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 StGB aF und mithin keine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO vorgelegen habe. Der Erkenntnisstand bei Erhebung der Daten müsse danach außer Betracht bleiben. Denn anders als bei einer Beweiserhebung durch deutsche Staatsanwaltschaften könne bei eigenständigen Ermittlungen ausländischer Strafverfolgungsbehörden der Grundrechtseingriff nicht bereits bei der Anordnung der Ermittlungsmaßnahme – etwa durch eine Beschränkung auf besonders schwere Straftaten – begrenzt werden. Dies sei auf der Ebene der Beweisverwertung durch einen Rückgriff auf die in den strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zu kompensieren. Daraus hat das Landgericht gefolgert, dass für die Frage der Verwertung der in Frankreich erhobenen Daten auf den Erkenntnisstand am Ende der Beweisaufnahme abzustellen sei („im Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse“). Zu diesem Zeitpunkt hätte die Beweislage – unter Berücksichtigung der EncroChat-Daten – die Annahme einer Katalogtat im Sinne von § 100b Abs. 2 StPO rechtfertigen müssen. Dies sei nicht der Fall gewesen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätte der Angeklagten lediglich eine Straftat nach § 261 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 StGB aF nachgewiesen werden können.
14b) Das Landgericht hat damit einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab an die Prüfung der Verwertbarkeit der – rechtsfehlerfrei in die Hauptverhandlung eingeführten – EncroChat-Daten angelegt. Es gilt insoweit auch hier:
15Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung ist der Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO), mithin alle Umstände, die in der Hauptverhandlung erörtert worden sind. Das bedeutet, dass das Gericht bei seiner Entscheidung grundsätzlich alle Beweise verwerten muss, die Gegenstand der Hauptverhandlung waren und in ordnungsgemäßer Weise in sie eingeführt worden sind (vgl. , BGHR StPO § 261 StPO Inbegriff der Verhandlung 6; Beschlüsse vom – 2 StR 360/15, NStZ 2016, 489; vom – 5 StR 175/20; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 261 Rn. 5). Der Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, stellt eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts dar. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots bedeutet danach eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Dies gilt selbst dann, wenn ein Beweis rechtswidrig erlangt worden ist (vgl. , NJW 2011, 2417, 2419; , BGHSt 51, 285, 290; vom – 3 StR 390/17, NStZ 2019, 227, 228; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Einl. 55).
16Wird ein später in die Hauptverhandlung eingeführter Beweis durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren rechtmäßig gewonnen, muss er demnach für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts verwertet werden. Dies gilt auch, wenn sich die rechtliche Bewertung der verfolgten Tat im Laufe des Verfahrens mit der Folge ändert, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Beweisgewinnung im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr vorliegen. Hängt die Rechtmäßigkeit für die Ermittlungsmaßnahme von dem Vorliegen des Verdachts für eine gesetzlich bestimmte Tat (sogenannte Katalogtat) ab, so setzt die Verwertung der durch sie gewonnenen tatsächlichen Erkenntnisse für die tatrichterliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung nur voraus, dass die Beweise mit dem Verdacht der (Katalog-)Tat im Zusammenhang stehen (vgl. AnwSt (R) 4/75, BGHSt 26, 298, 302; vom – 2 StR 837/82, BGHSt 32, 10, 15 f.; vom – 3 StR 342/08, BGHSt 53, 64, 69; Beschluss vom – 5 StR 693/97, NStZ 1998, 426, 427; MüKo-StPO/Rückert, 2. Aufl., § 100a Rn. 318). Dies vorausgesetzt hindert die Verwertung der Erkenntnisse gegen einen Angeklagten auch nicht, dass sich die Beweisgewinnung im Ermittlungsverfahren nicht gegen ihn richtete (vgl. , BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 20; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, aaO, § 100a Rn. 32; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 100a Rn. 57). Diese für Maßnahmen nach § 100a StPO entwickelten Maßstäbe gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für Wohnraumüberwachungen nach § 100c StPO (vgl. , BGHSt 54, 69, 79 f.). Es sind keine Gründe ersichtlich, die gegen eine Übertragung dieses Grundsatzes auf andere, besonderen Voraussetzungen unterliegenden Ermittlungsmaßnahmen wie die Onlinedurchsuchung nach § 100b StPO sprechen könnten (vgl. MüKo-StPO/Rückert, aaO, § 100b Rn. 76 f.; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, aaO, § 100e Rn. 22a; allgemein hierzu Singelnstein, NStZ 2020, 639, 641).
17Diese Maßstäbe gelten auch für Beweise, die im Ausland von ausländischen Behörden erhoben worden sind. Denn die Frage, ob solche Beweise in einem inländischen Strafverfahren verwertet werden dürfen, richtet sich nach deutschem Recht (vgl. , NStZ-RR 2025, 25, 29; BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29, 47 ff.; vom – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32, 47 f.; vgl. für die Europäische Union auch Rn. 88, 103, 128, NJW 2024, 1723, 1728 f., 1731).
18c) Gemessen daran hat das Landgericht zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot angenommen.
19aa) Die deutschen Strafverfolgungsbehörden haben die von französischen Behörden erhobenen Beweise – gestützt auf Europäische Ermittlungsanordnungen – rechtmäßig im Wege der vom Strafgericht Lille genehmigten Rechtshilfe aus Frankreich zur uneingeschränkten Verwendung in Strafverfahren erlangt und damit rechtmäßig erhoben.
20Die Rechtmäßigkeit der Erlangung der den Tatvorwurf gegen die Angeklagte betreffenden EncroChat-Daten auf der Grundlage von Europäischen Ermittlungsanordnungen richtet sich nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. L 130 vom , S. 1 ff.; im Folgenden: RL EEA), der auch für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 RL EEA in Bezug auf die Erlangung von Beweismitteln gilt, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaates befinden, also von Behörden eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union erhoben worden sind ( Rn. 70 ff., NJW 2024, 1723, 1726 ff.; ; anders insoweit noch , BGHSt 67, 29, 42 ff.). Es müssen danach zwei Bedingungen erfüllt sein:
21(1) Zum einen muss der Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung für die Zwecke eines Strafverfahrens, das eine Justizbehörde wegen einer nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaates (hier: Deutschland) strafbaren Handlung eingeleitet hat oder mit dem sie befasst werden kann (Art. 4 Buchst. a RL EEA), unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig sein (Art. 6 Abs. 1 Buchst. a RL EEA). Da Art. 4 Buchst. a RL EEA auf das nationale Recht des Anordnungsstaates verweist, ist die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Erlasses allein anhand dieses (nationalen) Rechts zu beurteilen (vgl. Rn. 88, NJW 2024, 1723, 1728).
22Diese Voraussetzungen lagen nach dem deutschen Recht vor. Insbesondere bestand – unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus den in Frankreich erhobenen EncroChat-Daten (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29, 52; vom – 4 StR 93/22, StV 2023, 442, 443; vom – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32, 48 f.) – im Zeitpunkt des Erlasses der hier in Rede stehenden Europäischen Ermittlungsanordnung der Verdacht schwerer Straftaten, auch der des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (vgl. , NStZ-RR 2025, 28 f.; , BGHSt 67, 29, 51 ff.).
23(2) Zum anderen darf eine Europäische Ermittlungsanordnung nur dann erlassen werden, wenn die darin angegebene Ermittlungsmaßnahme „in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen“ angeordnet werden könnte (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b RL EEA).
24(a) Diese Regelung verlangt nicht, dass der auf die Übermittlung bereits erhobener Daten gerichtete Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie im Anordnungsstaat (hier: Deutschland) für die Erhebung der Beweise gelten. Es müssen lediglich die Voraussetzungen erfüllt sein, die nach dem Recht des Anordnungsstaates für die Übermittlung solcher Beweise für einen vergleichbaren innerstaatlichen Fall vorgesehen sind (vgl. Rn. 91 ff., NJW 2024, 1723, 1728). Die Vorschrift, die den Gedanken der hypothetischen Datenneuerhebung (vgl. hierzu , BVerfGE 130, 1, 34, 38) aufgreift, verweist damit auf das nationale Recht zurück.
25(b) In einem vergleichbaren innerdeutschen Fall hätte eine Staatsanwaltschaft die Beweise, die in einem anderen (deutschen) Strafverfahren erhoben worden sind, erlangen und verwenden können:
26(aa) Die innerdeutsche Ermächtigungsgrundlage für Ersuchen um Übermittlung der Daten aus anderen Strafverfahren ist die Ermittlungsgeneralklausel des § 161 Abs. 1 StPO. Danach ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden – auch von anderen Staatsanwaltschaften und Gerichten (vgl. insoweit § 474 Abs. 1 und § 477 Abs. 1 StPO; LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 161 Rn. 18; MüKo-StPO/Kölbel/Ibold, 2. Aufl., § 161 Rn. 23 ff.; SWW-StPO/Ziegler, 5. Aufl., § 161 Rn. 2) – Auskunft und damit auch die Übermittlung von gegenständlichen und elektronischen Beweisen und Daten aus anderen Strafverfahren zu verlangen (vgl. LR/Erb aaO, Rn. 13), um sie zur Aufklärung der Taten, die Gegenstand ihres Ermittlungsverfahrens sind, zu verwenden, also zu Beweiszwecken zu verwerten. Die Regelung des § 161 Abs. 1 StPO bildet insoweit das Gegenstück zu § 474 Abs. 1 StPO (vgl. MüKo-StPO/Singelnstein, 2. Aufl., § 474 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 474 Rn. 2). Dass sich das Ermittlungsverfahren noch nicht gegen eine bestimmte Person richtet, steht dem nicht entgegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 152 Rn. 5; LR-StPO/Mavany, 27. Aufl., § 152 Rn. 30; SSW-StPO/Schnabl, 5. Aufl., § 152 Rn. 10).
27Danach wäre es in einem vergleichbaren innerdeutschen Fall zulässig gewesen, um die Übermittlung von EncroChat-Daten, die eine andere deutsche Staatsanwaltschaft erhoben hat, zu deren Verwendung für Zwecke der Strafverfolgung gegen namentlich noch nicht bekannte Nutzer von EncroChat-Geräten – mithin auch gegen die Angeklagte und ihren Lebensgefährten – wegen des Verdachts der Begehung von und Beteiligung an Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB) zu ersuchen. Denn unter Berücksichtigung der EncroChat-Daten war im Zeitpunkt der Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und mithin im insoweit maßgeblichen Verwendungszeitpunkt der Verdacht für diese Straftaten gegeben (vgl. für die Einbeziehung der anderweitig erhobenen Daten bei der Rekonstruktion der Verdachtslage , BGHSt 54, 69, 79; Beschlüsse vom – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29, 52; vom – 4 StR 93/22, StV 2023, 442, 443; vom – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32, 48 f.; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, aaO, § 100e Rn. 23e).
28(bb) Den auf Grundlage von Europäischen Ermittlungsanordnungen an die französischen Justizbehörden gestellten Ersuchen nach § 161 Abs. 1 StPO standen weder die allgemeinen Verwendungsbeschränkungen nach § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO noch die spezielle Regelung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO für die Verwendung von Daten aus Online-Durchsuchungen (§ 100b StPO) und akustischen Wohnraumüberwachungen (§ 100c StPO) oder des – indes hier ohnehin nicht einschlägigen – § 161 Abs. 3 StPO entgegen. Denn sie finden keine Anwendung bei der Erlangung von Beweisen, die originär im Ausland erhoben worden sind. Dies ergibt sich aus Folgendem:
29Den in der Strafprozessordnung geregelten Verwendungsbeschränkungen ist gemein, dass die zur Weiterverwendung in einem anderen als dem originären Strafverfahren vorgesehenen Daten durch deutsche Strafverfolgungs- oder Gefahrenabwehrbehörden nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschriften („Maßnahmen nach §§ 100b und 100c“ der StPO; „Maßnahme nach diesem Gesetz“, also nach der StPO) auf der Grundlage deutscher Gesetze erhoben wurden. Dies hat seinen Grund darin, dass der deutsche Gesetzgeber nur die Befugnisse deutscher Behörden regeln kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, aaO, § 100e Rn. 23e).
30Auch Art. 6 Abs. 1 Buchst. b RL EEA gebietet eine direkte Anwendung der innerstaatlichen Verwendungsbeschränkungen nicht. Zwar verlangt die Regelung, dass die in der Europäischen Ermittlungsanordnung angegebene Ermittlungsmaßnahme (hier das Übermittlungsersuchen nach § 161 Abs. 1 StPO) in einem hypothetischen innerstaatlichen Fall „unter denselben Bedingungen“ angeordnet werden dürfte. Diese Voraussetzung knüpft aber lediglich an einen „vergleichbaren“ innerstaatlichen Fall an und nicht etwa einen identischen. Vergleichbar mit einem innerdeutschen Fall ist aber nur der Umstand, dass Strafverfolgungsbehörden in einem Strafverfahren Beweise erhoben haben. Hingegen haben die (französischen) Strafverfolgungsbehörden die Beweise auf der Grundlage französischer Gesetze und nicht nach der deutschen Strafprozessordnung erhoben; die Beweiserhebung war mithin nicht vom deutschen Gesetzgeber bestimmt. Insoweit ist der Fall nicht mit einem rein innerstaatlichen vergleichbar. Es spricht mithin schon der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b RL EEA gegen eine unmittelbare Anwendung der innerstaatlichen Verwendungsbeschränkungen.
31Vor allem stünde aber der Sinn und Zweck der RL EEA einer solchen Auslegung entgegen. Ausweislich des Erwägungsgrundes 6 der RL EEA soll durch deren Regelungen der Flexibilität des traditionellen Rechtshilfesystems Rechnung getragen werden. Müssten § 100e Abs. 6 Nr. 1 und § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO aber direkt angewendet werden, hätte dies im Ergebnis zur Folge, dass die Art und Weise der Beweiserhebung im Vollstreckungsstaat (hier: Frankreich) von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des Anordnungsstaates (hier: Deutschland) umfassend rechtlich beurteilt werden. Hierzu ist die Anordnungsbehörde indes nicht befugt, denn dies wäre dem Ziel von Art. 6 Abs. 1 RL EEA abträglich, die justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union zu erleichtern; dies würde im Gegenteil zu einem komplexeren und weniger effizienten Rechtshilfesystem in der Europäischen Union führen (vgl. Rn. 86, 100, NJW 2024, 1723, 1727 ff.; , BGHSt 67, 29, 32 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Einl. Rn. 56e f.; siehe auch Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, aaO, § 100e Rn. 23h).
32Dementsprechend sind Verwendung und Verwertung der originär in Frankreich erhobenen EncroChat-Daten nicht an speziellen Verwendungsbeschränkungen der deutschen Strafprozessordnung zu messen; vielmehr ist lediglich den ihnen zugrundeliegenden Wertungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung zu tragen (vgl. Rn. 85, NStZ-RR 2025, 25, 28 f.; , BGHSt 67, 29, 49 ff.; ebenso BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 61/22 Rn. 16; vom – 4 StR 93/22, StV 2023, 442, 443; siehe auch , BVerfGE 154, 152, 266 ff. für Erkenntnisse aus einer Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz). Diese bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachtende Beschränkung steht der Verwendung der Daten nicht entgegen, weil im jeweiligen Zeitpunkt des Erlasses der Europäischen Ermittlungsanordnungen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main nach § 161 Abs. 1 StPO sowohl gegen die Angeklagte als auch gegen ihren mitangeklagten Lebensgefährten der Verdacht einer Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5b StPO vorgelegen hat (vgl. , NStZ-RR 2025, 25, 28 f.; , BGHSt 67, 29, 49 ff.).
33bb) Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat die EncroChat-Daten danach rechtmäßig zur umfassenden Verwendung und Verwertung in deutschen Strafverfahren erlangt. Die Strafkammer hätte die Daten betreffend ihren Anschluss sowie die Anschlüsse ihres Lebensgefährten und des Käufers im Fall 2 der Urteilsgründe gegen die ursprünglich als Tatbeteiligte an Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz verdächtige Angeklagte verwerten müssen, weil die Erkenntnisse dieselbe prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO betreffen (vgl. insoweit , BGHSt 53, 64, 69 Rn. 15). Dem steht nicht entgegen, dass sich der anfängliche Verdacht nur insoweit erhärten ließ, als ihr – bei Verwertung der EncroChat-Daten – eine Geldwäsche an dem Erlös aus dem Drogenverkauf ihres Lebensgefährten im Fall 2 der Urteilsgründe nachzuweisen gewesen wäre. Denn rechtmäßig erlangte Beweise müssen auch dann nach § 261 StPO verwertet werden, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für die Beweisgewinnung im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr vorliegen. Voraussetzung ist nur, dass die Beweise mit dem Verdacht der Tat, im Zuge derer Verfolgung sie gewonnen wurden, im Zusammenhang stehen; dies ist insbesondere der Fall, wenn es sich um dieselbe prozessuale Tat handelt (vgl. hierzu unter II.2.b).
34So ist es hier. Zwar ist die Strafverfolgung der Angeklagten und ihres Lebensgefährten wegen der Beteiligung an schwerwiegenden Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz erst durch Abtrennungen und Abgaben des Verfahrens zur Übernahme durch die Staatsanwaltschaft Hamburg in die Strafgewalt des Landgerichts Hamburg gelangt. Der Angeklagten ist aber von Beginn der Ermittlungen gegen sie durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt stets die gleiche prozessuale Tat zur Last gelegt worden. Bei den Erkenntnissen, die den Verdacht der Geldwäsche gegen sie begründet haben, handelte es sich somit nicht um solche aus einem anderen Strafverfahren, deren Verwendung in einem neuen Strafverfahren aufgrund der damit einhergehenden (innerstaatlichen) Zweckänderung anhand etwaiger Verwendungsbeschränkungen gegebenenfalls neu hätte beurteilt werden müssen. Denn eine zweckändernde Verwendung von Daten liegt nur dann vor, wenn die Erkenntnisse in einem anderen Strafverfahren angefallen sind, den Verdacht wegen einer weiteren, von jenem Verfahren losgelösten Straftat begründen und daher in einem gesonderten neuen Strafverfahren verfolgt werden sollen. Nur wenn dem hier so gewesen wäre, hätte anhand der für die Verwendung und Verwertung von EncroChat-Daten geltenden Maßstäbe bezogen auf den Zeitpunkt des Anfalls der Erkenntnisse erneut geprüft werden müssen, ob die Daten mit Blick auf die den gesetzlichen Verwendungsbeschränkungen der Strafprozessordnung zugrundeliegenden Wertungen unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zum Nachweis der zufällig entdeckten Straftat in einem neuen Strafverfahren hätten verwendet werden dürfen (vgl. hierzu allgemein , aaO; SK-StPO/Weßlau/Puschke, 5. Aufl., Vor § 474 Rn. 10; SSW-StPO/Ritscher/Klinge, 5. Aufl., § 479 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, aaO, § 100a Rn. 30, § 479 Rn. 3; BeckOK StPO/Wittig, 54. Ed., § 479 Rn. 5 jeweils mwN). So liegt der Fall aber nicht.
353. Das freisprechende Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 StPO).
36Daran ändert auch das am in Kraft getretene KCanG (BGBl. I 2024 Nr. 109) nichts. Zwar ist das Handeltreiben mit Cannabis seither keine Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO mehr, selbst wenn sich die Handlung auf eine nicht geringe Menge bezieht (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG). Dies führt aber nicht dazu, dass die Rechtmäßigkeit der Erlangung der EncroChat-Daten durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main in Frage gestellt wird. Denn neues Verfahrensrecht hat ohne eine – hier nicht vorhandene – ausdrückliche anderweitige Regelung keine rückwirkende Kraft (vgl. , BGHSt 22, 321, 325; siehe zur Verwertung von EncroChat-Daten nach dem Inkrafttreten des KCanG mwN).
37Ein Beweisverwertungsverbot ergäbe sich auch nicht aus einem etwaigen Verstoß der französischen Justizbehörden gegen die Unterrichtungspflicht nach Art. 31 Abs. 1 RL EEA bei einer grenzüberschreitenden Telekommunikationsüberwachung. Die Regelung bezweckt zwar auch den Schutz der Rechte der von der Maßnahme betroffenen Person, wobei sich ihr Schutzzweck auf die Verwendung der erhobenen Daten zu Strafverfolgungszwecken im unterrichteten Mitgliedstaat erstreckt (vgl. Rn. 124, NJW 2024, 1723, 1731). Angesichts der in Rede stehenden schwerwiegenden Straftaten aus dem Bereich des illegalen Drogenhandels führte die gebotene Abwägung aber nicht dazu, dass die Daten nicht zu Beweiszwecken verwertet werden dürften (vgl. , BGHSt 67, 29, 40 ff.), zumal eine Telekommunikationsüberwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall angesichts des Verdachts von Katalogtaten im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 76 StPO (richterlich) genehmigt worden wäre (Art. 31 Abs. 3 RL EEA).
384. Das Urteil ist danach aufzuheben, soweit es die Angeklagte A. betrifft. Dies betrifft auch die zugehörigen Feststellungen, weil die freigesprochene Angeklagte diese nicht hat anfechten können.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:130225U5STR491.23.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-88488