Instanzenzug: LG Bochum Az: II-8 KLs 28/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung und mit Führen einer Selbstladekurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Der Angeklagte und der Nebenkläger trafen sich am auf dem Gelände einer Tankstelle. Dabei führte der Angeklagte einen schussbereiten Revolver bei sich. Nachdem beide zunächst aufeinander zugegangen waren, blieben sie etwa einen Meter voneinander entfernt stehen. Der Nebenkläger sprach den Angeklagten mit einer fragenden Geste an. Unmittelbar darauf zog der Angeklagte mit einer raschen Bewegung sein T-Shirt hoch, holte den in seinem Gürtel steckenden Revolver hervor und hielt diesen in der rechten Hand, die er zunächst nach unten hängen ließ. Nach einem ca. drei Sekunden dauernden Wortwechsel entschloss sich der Angeklagte, auf den Nebenkläger zu schießen. Er hob seine Hand, richtete die Waffenmündung in Richtung des etwa 50 cm von der Waffe entfernten Beines des Nebenklägers, tätigte bewusst den Abzug und schoss dem Nebenkläger in den linken Oberschenkel. Der Angeklagte sah es als möglich voraus und nahm es billigend in Kauf, dass er durch die Schussabgabe das Bein des Nebenklägers trifft und dass die Verletzungen dazu führen könnten, dass der Nebenkläger das Bein verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann. Während der Nebenkläger nach der Schussabgabe an sich herunter schaute und zügig in Richtung der Tanksäule ging, blieb der Angeklagte unbewegt stehen und schaute dem Nebenkläger hinterher. Dass er ihn getroffen hatte, war ihm bewusst. Vorstellungen über die Folgen seines Tuns für den Nebenkläger – insbesondere darüber, ob er möglicherweise sein Bein verlieren würde oder dauernd nicht mehr gebrauchen könne oder ob es ggf. weiterer Schüsse ins Bein bedurfte – machte er sich jedenfalls bis zum Verlassen des Tankstellengeländes nicht. Ihn beschäftigte nur der Gedanke, dass er nun alles verlieren würde. Beide schauten sich noch über eine Distanz von etwa zwölf Metern mehrere Sekunden an und der Angeklagte rief dem Nebenkläger etwas zu. Dabei wirkte die Körperhaltung des Angeklagten selbstsicher herausfordernd. Anzeichen von Erschrecken, Angst und Unschlüssigkeit zeigte er nicht. Knapp eine Minute nach der Schussabgabe fuhr der Angeklagte von dem Tankstellengelände weg. Er wählte den Notruf der Feuerwehr, machte aber keine für einen Rettungseinsatz ausreichenden Angaben. Der Nebenkläger rief mittels Handy einen Krankenwagen; erstmals nach ca. eineinhalb Minuten humpelte er sichtbar. Er erlitt eine Durchschussverletzung im Oberschenkel medial links, die operativ versorgt werden musste. Sein Bein ist bis heute nicht mehr im gleichen Maße belastbar wie vor der Tat.
42. Das Landgericht hat das Geschehen als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 2, §§ 22, 23 StGB) und Führen einer Selbstladekurzwaffe (§ 52 Abs. 3 Nr. 2, § 2 Abs. 2 WaffG) gewertet. Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch der schweren Körperverletzung hat das Landgericht nicht angenommen. Zwar sei der Versuch nicht fehlgeschlagen, weil dem Angeklagten nach der Schussabgabe noch weitere Patronen im Revolver zur Verfügung standen. Der Versuch sei jedoch beendet gewesen, weil sich der Angeklagte keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns für den Nebenkläger gemacht und sich nicht um die Verhinderung der Vollendung bemüht habe (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).
II.
51. Der Schuldspruch wegen (tateinheitlicher) versuchter schwerer Körperverletzung kann nicht bestehen bleiben, weil die der Annahme eines beendeten Versuchs zugrunde liegende Beweiswürdigung einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält.
6a) Im Ansatzpunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Satz 2 StGB zurückgetreten werden kann, auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht (vgl. BGH, Beschluss vom27. August 2019 – 4 StR 330/19, NStZ-RR 2019, 368; Urteil vom – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306; st. Rspr.). Diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die positiv festgestellt und beweiswürdigend belegt werden muss. Hierzu bedarf es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände (vgl. ‒ 5 StR 677/18 Rn. 15; Beschluss vom – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 503 Rn. 7 jew. mwN). Auch hierbei gilt, dass an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. ‒ 1 StR 436/17 Rn. 10; Urteil vom – 2 StR 78/16 Rn. 23). Sofern zentrale Teile der Einlassung des Angeklagten als Schutzbehauptungen zurückgewiesen werden, bedarf die Annahme partieller Glaubhaftigkeit anderer Erklärungsteile einer erkennbar kritischen Würdigung (vgl. Rn. 15). Können keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden, ist der Zweifelsgrundsatz anzuwenden.
7b) Gemessen hieran ist die Beweiswürdigung zum Vorstellungsbild des Angeklagten im Zeitpunkt unmittelbar nach der letzten Ausführungshandlung lückenhaft.
8aa) Das Landgericht stützt seine Feststellung zum Vorstellungsbild des Angeklagten auf dessen Einlassung, wonach er sich nach der Schussabgabe keine Vorstellungen zu den Folgen seines Tuns für den Nebenkläger gemacht haben will. Dabei sieht die Strafkammer keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Darstellung zu zweifeln. Auch gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, dass das noch „flüssige Gangbild“ des Nebenklägers eine bestimmte Vorstellung des Angeklagten über die Folgen der Schussverletzung hervorgerufen habe. Insoweit sei sie davon überzeugt, dass der Angeklagte diesen Umstand in der konkreten Situation „gedanklich nicht weiter verarbeitet“ habe.
9bb) Zwar trifft es zu, dass der Angeklagte entsprechende Angaben zu seinem Vorstellungsbild nach der Schussabgabe gemacht hat. Diese waren aber Bestandteil einer Einlassung, im Rahmen derer er die bewusst erfolgte Schussabgabe als „Warnschuss (…), der zwischen den Beinen des Nebenklägers hindurch den Boden habe treffen sollen“ sowie als eine in einer psychischen Ausnahmesituation („Sicherungen durchgebrannt“) erfolgte Reaktion auf eine Drohung des Nebenklägers beschrieben und den danach „sofort registriert(en)“ Treffer als Versehen bezeichnet hatte. Diesen Teil der Einlassung hat die Strafkammer mit Blick auf die vorhandene Videoaufzeichnung der Tat und eine frühere Einlassung des Angeklagten, wonach er den Nebenkläger lediglich in den unteren Bereich des Beines habe schießen wollen, als Schutzbehauptung zurückgewiesen. Danach hätte es einer besonderen Begründung bedurft, warum das Landgericht die hierzu in einem engen Zusammenhang stehende Schilderung des Angeklagten, wonach er sich keine weiteren Vorstellungen zu den Tatfolgen gemacht haben will, für glaubhaft gehalten hat.
10Soweit die Strafkammer mit Blick auf das „flüssige Gangbild“ des Nebenklägers anführt, dass sie davon überzeugt sei, dass der Angeklagte dies in der konkreten Situation „gedanklich nicht weiter verarbeitet habe“, wäre eine Auseinandersetzung mit der auf die Videoaufzeichnung gestützten Feststellung erforderlich gewesen, wonach sich der Angeklagte und der Nebenkläger noch mehrere Sekunden lang ansahen und der Angeklagte dem Nebenkläger etwas zurief. Dabei zeigte er keine Anzeichen von Erschrecken, Angst und Unschlüssigkeit und wirkte selbstsicher herausfordernd.
112. Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) und Führen einer Selbstladekurzwaffe (§ 52 Abs. 3 Nr. 2, § 2 Abs. 2 WaffG). Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180724B4STR377.23.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-88487