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BGH Urteil v. - X ZR 68/24

Leitsatz

1.    Umstände, die in die Risikosphäre einer Vertragspartei fallen, sind grundsätzlich keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände im Sinne von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB.

2.    Ein der Risikosphäre des Reisenden zuzurechnender Grund liegt grundsätzlich vor, wenn der Reisende zur Teilnahme an der Reise nicht in der Lage ist, weil seine Gesundheit ihm dies nicht erlaubt (Bestätigung von , NJW 2017, 2677 Rn. 15). Dasselbe gilt, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Covid-19-Infektion einer Teilnahme an der Reise entgegensteht.

3.    Wenn der Reiseveranstalter die Reiseleistung aus Gründen verweigert, die einer Teilnahme an der Reise entgegenstehen und die allein in der Person des Reisenden liegen, steht ihm in entsprechender Anwendung von § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB ein Entschädigungsanspruch zu.

4.    Die Regeln über die reiserechtliche Gewährleistung haben Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (Bestätigung von , RRa 2023, 116 = NJW-RR 2023, 755 Rn. 30).

5.    Deshalb kommt eine entsprechende Anwendung von § 645, § 648a oder § 314 BGB auf einen Reisevertrag im Falle von Leistungshindernissen nicht in Betracht.

Gesetze: § 314 BGB, § 645 BGB, § 648a BGB, § 651h Abs 1 S 3 BGB, § 651h Abs 2 S 2 BGB, § 651h Abs 4 S 1 Nr 2 BGB, §§ 651hff BGB

Instanzenzug: Az: 16 U 65/23vorgehend Az: 19 O 122/22

Tatbestand

1 Der Kläger begehrt die Rückzahlung des Reisepreises für eine Kreuzfahrt.

2 Der Kläger buchte am für sich, seine Ehefrau und den damals zweijährigen gemeinsamen Sohn eine Kreuzfahrt mit Start in Mallorca im Zeitraum vom 25. September bis zu einem Gesamtpreis von 1.398 Euro. Der Reisepreis ist vollständig bezahlt.

3 Bei der Einschiffung am Morgen des unterzog sich der Sohn des Klägers aufgrund einer damals geltenden Anordnung des spanischen Gesundheitsministeriums zur Erkennung, Überwachung und Bekämpfung von Covid­19 einem PCR-Test. Dieser zeigte ein positives Ergebnis. Dem Kläger und seiner Familie wurde daraufhin die Teilnahme an der Reise verweigert. Sie mussten zwei Tage in einem Quarantäne-Hotel auf Mallorca verbringen und flogen am nach Hause.

4 Der Kläger hat die Beklagte auf Rückzahlung des Reisepreises, auf Zahlung einer Entschädigung in gleicher Höhe wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, auf Ersatz von Kosten für Flug, Unterbringung, Beförderung und Tests und auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die auf Zahlung von insgesamt 5.316,32 Euro und Freistellung in Höhe von 627,13 Euro gerichtete Klage abgewiesen. Mit seiner dagegen gerichteten Berufung hat der Kläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

5 Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zur Rückzahlung des Reisepreises verurteilt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

6 Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden wurde.

7 I.    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

8 Die Beklagte sei zur Rückzahlung des Reisepreises verpflichtet, weil sie durch die Verweigerung der Teilnahme von dem Reisevertrag zurückgetreten sei. Der Rücktritt sei gemäß § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB berechtigt gewesen, weil er vor Reisebeginn erfolgt sei und die Beklagte aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert gewesen sei. Solche Umstände hätten im Streitfall vorgelegen, weil bezüglich des Sohnes des Klägers ein Corona-Verdacht und deshalb ein erhebliches Risiko für die Mitreisenden und das Personal des Schiffes bestanden habe. Gemäß § 651h Abs. 4 Satz 2 BGB habe die Beklagte mit dem Rücktritt den Anspruch auf den Reisepreis verloren.

9 Falls die Voraussetzungen von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB nicht gegeben wären, sei die Kündigung des Vertrags in entsprechender Anwendung von § 648a Abs. 1 BGB wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes als wirksam anzusehen. Dann stehe der Beklagten gemäß § 648a Abs. 5 BGB eine Vergütung nur für bereits erbrachte Leistungen zu. Im Streitfall habe die Beklagte bis zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine Reiseleistungen erbracht. Eine auf § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB gestützte Kündigung aus wichtigem Grund gebe der Beklagten ebenfalls kein Recht, den Reisepreis zu behalten.

10 Ein Anspruch auf den Reisepreis ergebe sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach dieser Vorschrift stehe der Beklagten nur eine Vergütung für bereits erbrachte Leistungen und Ersatz von in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen zu. Im Streitfall habe die Beklagte keine Reiseleistungen erbracht. Auslagen seien ihr nicht entstanden.

11 II.    Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

12 1.    Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte ihren Anspruch auf den Reisepreis gemäß § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BGB verloren hat.

13 Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Reise mit dem Versuch des Einschiffens bereits begonnen hat und ob die Verweigerung der Teilnahme als Rücktrittserklärung gewertet werden kann. Es fehlt jedenfalls an den Voraussetzungen von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB. Deshalb greift die in § 651h Abs. 4 Satz 2 BGB vorgesehene Rechtsfolge nicht.

14 a)    Nach § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB kann der Reiseveranstalter vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktreten, wenn er aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist.

15 Unvermeidbar und außergewöhnlich sind Umstände nach § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich darauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.

16 Wie der Senat im Zusammenhang mit § 651h Abs. 3 BGB bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie grundsätzlich als außergewöhnlichen und unvermeidbaren Umstand wertet (vgl. nur , NJW­RR 2024, 466 Rn. 17). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl.  C­407/21, RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C­584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours).

17 b)    Im Streitfall war die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon durch die Covid-19-Pandemie an der Erfüllung des Vertrags gehindert, sondern aufgrund des Umstands, dass hinsichtlich des Sohns des Klägers ein Infektionsverdacht bestand, der einer Teilnahme an der Reise entgegenstand.

18 Ausschlaggebend ist deshalb, ob ein allein in der Person eines Reisenden liegender Umstand als unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB angesehen werden kann. Diese Frage ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zu verneinen.

19 aa)    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 651j Abs. 1 BGB in der bis geltenden Fassung war die Kündigung eines Pauschalreisevertrags wegen nicht voraussehbarer, höherer Gewalt nicht möglich, wenn die Ursache der Leistungsstörung in der Risikosphäre des Unternehmers oder des Reisenden liegt (, NJW 1987, 1938, juris Rn. 10 ff.; Urteil vom - VII ZR 60/89, NJW 1990, 572, juris Rn. 6; Urteil vom - X ZR 2/12, RRa 2013, 108 = NJW 2013, 1674 Rn. 19; Urteil vom - X ZR 142/15, BGHZ 215, 81 = NJW 2017, 2677 Rn. 13).

20 Für die Frage, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände im Sinne von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB gegeben sind, gilt nichts anderes.

21 Wie bereits oben dargelegt wurde, fallen unter § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB nur Umstände, die nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich darauf beruft. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der betreffende Umstand in die Risikosphäre der Vertragspartei fällt, die aus dem Umstand eine ihr günstige Rechtsfolge ableiten will.

22 bb)    Dieses Verständnis steht in Einklang mit den Vorschriften über die Gewährleistung für Reisemängel.

23 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt die Nichterbringung von Reiseleistungen nur dann einen Mangel dar, wenn sie auf Gründen beruht, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen (, BGHZ 97, 255 = NJW 1986, 1748, juris Rn. 16 ff.; Urteil vom - X ZR 18/22, RRa 2023, 116 = NJW-RR 2023, 755 Rn. 30).

24 Dies steht in Einklang mit der Vorgabe aus Art. 14 Abs. 1 und 3 der Richtlinie (EU) 2015/2302, wonach der Reisende bei einer Vertragswidrigkeit keine Ansprüche auf Preisminderung und Schadensersatz hat, wenn der Reiseveranstalter nachweist, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist (vgl. BT-Drucks. 18/10822, S. 83 zu § 651m Abs. 1 BGB und S. 84 unten).

25 Auch vor diesem Hintergrund kann ein Hindernis, das bereits vor Beginn der Reise zutage getreten ist, nicht zum Wegfall des Vergütungsanspruchs nach § 651h Abs. 4 Satz 2 BGB führen, wenn der dafür maßgebliche Umstand allein in der Person des Reisenden liegt.

26 c)    Angesichts dessen begründet der hinsichtlich des Sohns des Klägers bestehende Infektionsverdacht keinen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB.

27 aa)    Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings entschieden, dass das positive Ergebnis des durchgeführten PCR-Tests einen hinreichenden Grund bildete, dem Kläger und dessen Familie die Teilnahme an der Reise zu verweigern.

28 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war es auch im Falle einer nicht fachgerechten Abnahme der Speichelprobe unwahrscheinlich, dass trotz des positiven Ergebnisses keine Infektion vorlag. Das daraus resultierende Infektionsrisiko für andere Personen auf dem Kreuzfahrtschiff und die damit verbundenen Konsequenzen hat das Berufungsgericht angesichts der damals herrschenden Umstände rechtsfehlerfrei als so gravierend angesehen, dass die Beklagte eine Erbringung der Reiseleistungen zu Recht abgelehnt hat.

29 bb)    Die Voraussetzungen von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB sind im Streitfall aber deshalb nicht erfüllt, weil der für die Verweigerung der Teilnahme maßgebliche Umstand allein in der Person eines Reisenden lag und damit der Risikosphäre des Klägers zuzurechnen ist.

30 Ein der Risikosphäre des Reisenden zuzurechnender Grund liegt grundsätzlich vor, wenn der Reisende zur Teilnahme an der Reise nicht in der Lage ist, weil seine Gesundheit ihm dies nicht erlaubt (, NJW 2017, 2677 Rn. 15). Der Umstand, dass aufgrund eines PCR-Tests mit positivem Ergebnis ein begründeter Verdacht auf eine Covid-19-Infektion besteht, der einer Teilnahme an der Reise entgegensteht, ist nicht anders zu beurteilen (ebenso Staudinger/Achilles-Pujol in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 27; Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314, 315, Meier in: Effer-Uhe/Mohnert, Vertragsrecht in der Coronakrise, S. 175, 188 f.).

31 Dass eine Quarantäneanordnung nicht beeinflussbar ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung (anders wohl: Führich, NJW 2020, 2137 Rn. 8 f.; Tonner, RRa 2021, 55, 57). Entscheidend ist, aus welchen Gründen es zu einer solchen Maßnahme kommt. Liegen die Gründe in der persönlichen Sphäre des Reisenden, ist die behördliche Maßnahme lediglich die Folge eines Umstandes, den der Reisende beeinflussen kann.

32 Dass eine Infektion oder Erkrankung - insbesondere eine Infektion mit Covid-19 im September 2021 - auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht mit absoluter Sicherheit verhindert werden kann, führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Maßgeblich ist, dass der Reisende die Umstände, die zu einer Erkrankung oder Infektion führen können, jedenfalls in gewissem Umfang beeinflussen kann, während dies dem Reiseveranstalter grundsätzlich nicht möglich ist.

33 cc)    Bei der Beurteilung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB vorliegt, sind individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden nach der Rechtsprechung des Senats allerdings zu berücksichtigen, wenn sie für die Durchführbarkeit der Reise erst aufgrund von außergewöhnlichen Umständen im Sinne der genannten Vorschrift Bedeutung gewinnen und die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben. Dies gilt nicht nur für einfach festzustellende Umstände wie zum Beispiel das Alter des Reisenden, sondern grundsätzlich für jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung im genannten Sinne führen kann (, NJW-RR 2024, 466 Rn. 32; Urteil vom - X ZR 103/22, NJW-RR 2023, 1540 Rn. 48).

34 Eine solche Konstellation ist im Streitfall jedoch nicht gegeben.

35 Angesichts des kurzen Zeitraums zwischen Buchung und Reisebeginn war schon im Zeitpunkt der Buchung damit zu rechnen, dass eine Teilnahme an der Reise nicht möglich ist, wenn bei Reiseantritt der begründete Verdacht einer Covid-19-Infektion besteht.

36 2.    Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger auch dann ein Anspruch auf vollständige Rückzahlung des Reisepreises zusteht, wenn die Voraussetzungen des § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB nicht gegeben sind.

37 a)    Das Gesetz enthält keine ausdrücklichen Regelungen zu der Frage, welche Ansprüche dem Reiseveranstalter zustehen, wenn er die Reiseleistungen verweigert, weil ein allein in der Person des Reisenden liegender Grund dessen Teilnahme an der Reise entgegensteht.

38 aa)    Sofern keiner der in § 651h Abs. 4 BGB normierten Rücktrittsgründe vorliegt und die Leistungsverweigerung nicht durch in der Person des Reisenden liegende Gründe gerechtfertigt ist, stehen dem Reisenden die in § 651i Abs. 3 BGB vorgesehenen Gewährleistungsrechte zu.

39 Wie bereits oben aufgezeigt wurde, stellt die Nichterbringung von Reiseleistungen einen Mangel dar, wenn sie auf Gründen beruht, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen.

40 bb)    Der Fall, dass die Leistung zu Recht aus Gründen verweigert wird, die allein in der Person des Reisenden liegen, ist im Gesetz demgegenüber nicht ausdrücklich geregelt.

41 In diesem Fall begründet die Nichterbringung der Reiseleistung keinen Mangel. Die §§ 651i ff. BGB sind deshalb nicht unmittelbar anwendbar. Sofern der Reisende den in seiner Person liegenden Grund nicht zum Anlass nimmt, vor Reisebeginn vom Vertrag zurückzutreten, ist auch der Tatbestand von § 651h Abs. 1 BGB nicht erfüllt.

42 b)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts rechtfertigt dies jedoch nicht ohne weiteres einen Rückgriff auf Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts oder des Werkvertragsrechts.

43 Soweit das Pauschalreiserecht einen Sachverhalt nicht ausdrücklich regelt, ist vielmehr in erster Linie zu prüfen, ob das Pauschalreiserecht eine konkludente Regelung enthält oder ob Vorschriften aus diesem Rechtsgebiet zumindest entsprechend anwendbar sind.

44 c)    Auf die im Streitfall zu beurteilende Konstellation ist die Regelung in § 651h Abs. 1 und 3 BGB entsprechend anwendbar.

45 aa)    Wenn ein Reisender vor Beginn der Reise vom Vertrag zurücktritt, weil ihm eine Teilnahme aus in seiner Person liegenden Gründen nicht möglich ist, steht dem Reiseveranstalter gemäß § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB ein Anspruch auf angemessene Entschädigung zu.

46 Dieser Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB nur dann ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Wie bereits oben aufgezeigt wurde, sind Umstände, die allein in der Person des Reisenden liegen, von dieser Ausnahmevorschrift grundsätzlich nicht umfasst. Ein Reisender, der aufgrund eines solchen Grundes zurücktritt, ist deshalb grundsätzlich zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet.

47 bb)    Für den Fall, dass der Reiseveranstalter dem Reisenden die Teilnahme an der Reise aus solchen Gründen zu Recht verweigert, kann nichts anderes gelten.

48 Wie der Streitfall illustriert, gereicht es einem Reisenden zwar nicht ohne weiteres zum Vorwurf, wenn er sich trotz eines allein in seiner Person liegenden Hinderungsgrundes am Abreiseort einfindet, weil ihm dieser Umstand zuvor nicht bekannt war. Wenn der Hinderungsgrund zutage getreten ist, können die daraus resultierenden Rechtsfolgen aber nicht davon abhängen, ob der Reisende diesen Umstand zum Anlass nimmt, von der Reise zurückzutreten, oder ob der Reiseveranstalter die Erbringung der Reiseleistung aufgrund dieses Umstands verweigert.

49 d)    Im Streitfall steht der Beklagten danach in entsprechender Anwendung von § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB eine angemessene Entschädigung zu.

50 Die Höhe dieses Anspruchs bestimmt sich gemäß § 651h Abs. 2 Satz 1 BGB in erster Linie nach dem Vertrag und mangels einer wirksamen vertraglichen Regelung gemäß § 651h Abs. 2 Satz 2 BGB nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt.

51 In dieser Höhe darf die Beklagte die Rückzahlung des Reisepreises verweigern.

52 e)    Vor diesem Hintergrund kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine entsprechende Anwendung von § 645, § 648a oder § 314 BGB nicht in Betracht.

53 aa)    § 645 BGB ist nicht anwendbar, weil die aufgezeigten Regelungen des Pauschalreiserechts abschließend sind.

54 Wie der Senat bereits entschieden hat, haben die Regeln über die reiserechtliche Gewährleistung Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (, RRa 2023, 116 = NJW-RR 2023, 755 Rn. 30; vgl. auch BT-Drucks. 18/10822, S. 77 f.). Für eine ergänzende Anwendung von § 326 BGB ist auch im Anwendungsbereich von § 651h BGB kein Raum, denn § 651h BGB enthält eine umfassende Regelung über die Voraussetzungen und Folgen eines Rücktritts des Reisenden oder des Reiseveranstalters vor Beginn der Pauschalreise (, BeckRS 2025, 1014 Rn. 23ff; Bamberger/Roth/Geib, BGB, 4. Aufl., § 651h Rn. 4; Erman/Blankenburg, BGB, 17. Aufl., § 651h Rn. 18).

55 Für § 645 BGB kann nichts anderes gelten.

56 § 645 BGB regelt einen besonderen Fall der Leistungsstörung beim Werkvertrag und modifiziert die allgemeinen Regelungen dahin, dass die Vertragsparteien in den erfassten Konstellationen die Vergütungsgefahr jeweils zu einem bestimmten Teil zu tragen haben. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt auch bei Werkverträgen über eine Personenbeförderung in Betracht (vgl. , NJW-RR 2024, 1243 Rn. 28). Sie war auch bei Reiseverträgen möglich, solange diese dem Recht des Werkvertrags unterlagen (vgl. , BGHZ 60, 14, juris Rn. 20 ff.).

57 Wie oben aufgezeigt wurde, enthalten § 651h und die §§ 651i ff. BGB für den Fall, dass die Erbringung von Reiseleistungen verweigert wird, nunmehr eine abschließende Regelung (vgl. auch BT-Drucks. 18/10822, S. 77 f.). Damit ist für einen ergänzenden Rückgriff auf § 645 BGB kein Raum mehr.

58 bb)    Die außerordentliche Kündigung eines Reisevertrags nach § 648a oder § 314 BGB wegen Leistungshindernissen kommt ebenfalls nicht in Betracht.

59 Die Voraussetzungen, unter denen die Vertragsparteien im Falle eines Leistungshindernisses vom Pauschalreisevertrag zurücktreten oder diesen kündigen dürfen, sind in § 651h und § 651l BGB umfassend geregelt. Für einen Rückgriff auf die allgemeine Regelung in § 314 BGB oder eine analoge Anwendung von § 648a BGB ist danach allenfalls in Konstellationen Raum, in denen die Kündigung auf andere Gründe gestützt wird (so auch Soergel/Eckert, BGB, 13. Aufl. 2022, § 651h Rn. 27).

60 III.    Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

61 Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die in Nr. 6.2 der Reisebedingungen vorgesehene Regelung über eine Entschädigungspauschale wirksam ist und - falls dies zu verneinen ist - ob und in welcher Höhe die Beklagte Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen Einnahmen erzielt hat.

62 Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für die Höhe der Entschädigung maßgeblichen Umstände obliegt dem Reiseveranstalter (, NJW 2022, 1808 Rn. 16).

Bacher                                Hoffmann                                Deichfuß

                       Marx                                   von Pückler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180225UXZR68.24.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-88483