Vorsteuerabzug aus Insolvenzverwalterleistungen bei steuerpflichtigen und steuerfreien Ausgangsleistungen (Unternehmenseinstellung)
Leitsatz
Hat der Insolvenzschuldner seine unternehmerische Tätigkeit eingestellt, ist über den Abzug der Vorsteuer für die Leistung des Insolvenzverwalters nach der früheren unternehmerischen Tätigkeit des Insolvenzschuldners zu entscheiden (Anschluss an das , BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501).
Gesetze: UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; UStG § 2 Abs. 1; UStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1; UStG § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1; UStG § 15 Abs. 3; UStG § 15 Abs. 4; MwStSystRL Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c; MwStSystRL Art. 9; MwStSystRL Art. 168 Buchst. a; MwStSystRL Art. 169; FGO § 118 Abs. 2; FGO § 126a; FGO § 135 Abs. 2; InsO § 1 Satz 1; InsO § 38; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1; InsO §§ 217 ff.
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der . (Insolvenzschuldnerin). Gegenstand des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin war die Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben als Bauherrin für eigene oder fremde Rechnung sowie die Betreuung von fremden Bauvorhaben für fremde Rechnung.
2 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde der Kläger, der zuvor bereits auch als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt war, mit Beschluss des Amtsgerichts X vom . zum Insolvenzverwalter bestellt.
3 Bereits während des Insolvenzeröffnungsverfahrens wurden der jeweilige Stand der Bauvorhaben, die die Insolvenzschuldnerin wegen fehlender finanzieller Mittel nicht weiterführen konnte, aufgenommen, Arbeiten abgerechnet und Abwicklungsvereinbarungen mit den Auftraggebern beziehungsweise Erwerbern der Immobilien geschlossen.
4 Der Kläger stellte der Insolvenzschuldnerin für seine Leistungen unter dem 89.260,15 € zuzüglich 16.959,43 € Umsatzsteuer in Rechnung. Der Rechnungsbetrag konnte mangels ausreichender Masse nur anteilig in Höhe von 74.351,35 € bedient werden. Im Rahmen der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das erste Quartal 2018 vom machte der Kläger als Insolvenzverwalter für die Insolvenzschuldnerin aus der von ihm gestellten Rechnung, begrenzt auf den tatsächlich von der Masse gezahlten Betrag, einen Vorsteuerbetrag von 11.871,22 € geltend.
5 Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) gewährte den begehrten Vorsteuerabzug nur anteilig in Höhe von 1,43 %. Nach Auffassung des FA sei der Vorsteuerbetrag in einen abziehbaren und einen nicht abziehbaren Teil aufzuteilen, da im Rahmen des Insolvenzverfahrens steuerfreie Umsätze in Höhe von 939.560 € und steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 43.546 € ausgeführt worden seien. Es setzte mit Umsatzsteuer-Änderungsbescheid vom die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das erste Quartal 2018 auf - 169,75 € fest. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.
6 Mit seiner Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2018 (Streitjahr) gab er mit seiner Rechtsauffassung entsprechenden Angaben ab. Das FA setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr hiervon abweichend (zuletzt mit Umsatzsteuer-Änderungsbescheid vom , der nach § 68 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO— zum Gegenstand des Verfahrens wurde) auf - 525,90 € fest.
7 Die Beteiligten haben im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens eine tatsächliche Verständigung dahingehend getroffen, dass die zur Tabelle angemeldeten Forderungen anteilig zu 45 % mit von der Insolvenzschuldnerin ausgeführten steuerpflichtigen Umsätzen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang stehen.
8 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der der Kläger zuletzt einen Vorsteuerbetrag von 11.871,22 € nur noch in Höhe von 45 % (5.342,05 €) geltend machte, mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 530 veröffentlichten Urteil statt. Nach Ansicht des FG habe die Insolvenzschuldnerin die einheitliche Leistung des Klägers für ihr Unternehmen und damit für ihre wirtschaftliche Tätigkeit bezogen. Es bestehe ein für den Vorsteuerabzug maßgeblicher direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leistung des Klägers und den im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger. Der vom Kläger bis zur mündlichen Verhandlung insgesamt geltend gemachte Vorsteuerbetrag von 11.871,22 € sei mit 45 % anteilig in Höhe von 5.342,05 € abzugsfähig, da die vom Kläger erbrachte Leistung nach Maßgabe der von den Beteiligten insoweit getroffenen tatsächlichen Verständigung auch für steuerfreie Umsätze verwendet worden sei.
9 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des FG sei von einer Unternehmensfortführung durch den Kläger während des Insolvenzverfahrens auszugehen. Sämtliche Handlungen hätten darauf abgezielt, das vorhandene Vermögen der Insolvenzschuldnerin zu verwerten und den Erlös nach Abzug der Kosten zur gemeinschaftlichen Befriedigung an die Gläubiger zu verteilen. Das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin habe zwar nicht fortgeführt werden sollen, um es zu erhalten, die Bauvorhaben seien aber noch abgewickelt worden. Die den ausgeführten Umsätzen zugrundeliegenden Beweggründe, wie hier die Stärkung der Masse, könnten nicht maßgeblich sein. Für die Unternehmensfortführung sei einzig die Tatsache ausschlaggebend, dass Umsätze ausgeführt worden seien. Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom - V R 15/15 (BFHE 252, 472, BStBl II 2016, 486) entschieden habe, steuerfreie Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters seien in Bezug auf den Vorsteuerabzug nicht zu berücksichtigen, führe dies dazu, dass der Vorsteuerabzug bei Verwertungshandlungen anders zu beurteilen sei als ohne solche Handlungen. Vorsteuerbeträge seien bei Unternehmensfortführung nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen und nach § 15 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) aufzuteilen. Nur soweit kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zu den Ausgangsumsätzen hergestellt werden könne, die Vorsteuerbeträge zu den allgemeinen Aufwendungen des Unternehmers gehörten und direkt und unmittelbar mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammenhingen, seien diese nach dem Gesamtumsatzschlüssel aufzuteilen. Selbst für den Fall, dass die Voraussetzungen einer Unternehmensfortführung nicht gegeben seien, müssten die Vorsteuerbeträge in Höhe von 11.871,22 € nach allgemeinen Grundsätzen des § 15 Abs. 4 UStG im Verhältnis der gesamten Umsätze des Besteuerungszeitraums 2018 aufgeteilt werden.
10 Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
11 Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
12 Der Kläger tritt der Revision entgegen und bringt im Wesentlichen vor, die vom FA vertretene Ansicht, dass auch in den reinen Abwicklungstätigkeiten des Insolvenzverwalters eine Fortführung des Unternehmens liege, sei unzutreffend. Anderenfalls wäre jede Unternehmensinsolvenz mit einer Unternehmensfortführung verbunden. Auch aus dem Fortbestand der Unternehmereigenschaft der Insolvenzschuldnerin könne die Fortführung des Unternehmens nicht abgeleitet werden. Es sei gerechtfertigt, im Falle der bloßen Abwicklung und Verwertung keine Unternehmensfortführung anzunehmen und hinsichtlich der Vorsteuerabzugsberechtigung auf die Qualität der zur Insolvenztabelle angemeldeten, besser noch auf die vom Insolvenzverwalter anerkannten Forderungen abzustellen. Hinsichtlich der Vorsteuerabzugsberechtigung könne jedenfalls nicht auf die nach der Insolvenzeröffnung erzielten Umsätze abgestellt werden. Die Vorsteuerbeträge seien auch nicht nach allgemeinen Grundsätzen des § 15 Abs. 4 UStG im Verhältnis der gesamten Umsätze des Besteuerungszeitraumes 2018 aufzuteilen, soweit nicht von einer Unternehmensfortführung ausgegangen werden könne. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, sei nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich sei. Bei einer reinen Abwicklungstätigkeit des Insolvenzverwalters lasse sich jedoch eine wirtschaftliche Zuordnung nach den zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen vornehmen. Diese Zuordnung sei gegenüber der nach dem Gesetz nur subsidiär zulässigen Anknüpfung an erzielte Umsätze vorrangig.
Gründe
II.
13 Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
14 Das FG hat zutreffend angenommen, dass der Kläger als Insolvenzverwalter das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin nicht fortgeführt hat, und auf dieser Grundlage zu Recht den Vorsteuerabzug aus der Rechnung über die Leistung des Klägers anteilig mit 45 % in Höhe von 5.342,05 € gewährt.
15 1. Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG als Vorsteuer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen.
16 a) Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Dies beruht unionsrechtlich auf Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach ist der Steuerpflichtige, der „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hierfür muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 9). Bei richtlinienkonformer Auslegung setzt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG somit voraus, dass der Unternehmer Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL) verwendet oder zu verwenden beabsichtigt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 9; vom - XI R 21/23 (XI R 30/19), BFHE 283, 110, Rz 19; vom - XI R 33/21, BFHE 283, 159, Rz 31). Die Ausgangsleistungen des Unternehmers müssen zudem steuerpflichtig oder in § 15 Abs. 3 UStG (Art. 169 MwStSystRL) benannt sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 252, 472, BStBl II 2016, 486, Rz 14; vom - V R 40/10, BFHE 236, 258, BStBl II 2012, 844, Rz 19 f.; vom - V R 3/22, BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 9).
17 b) Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Es ist dabei zunächst Sache des Unternehmers, welche Schätzungsmethode er wählt; Finanzbehörden und Finanzgerichte können aber nachprüfen, ob die Schätzung sachgerecht ist (vgl. , BFHE 243, 60, BStBl II 2014, 95, Rz 29; vom - V R 62/16, BFHE 259, 380, BStBl II 2021, 109, Rz 28; vom - XI R 7/20, BFHE 271, 273, BStBl II 2022, 746, Rz 10; vom - XI R 31/19, BFHE 279, 227, Rz 12). Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist (vgl. , BFHE 271, 273, BStBl II 2022, 746, Rz 10).
18 c) Im Insolvenzverfahren eines Schuldners, der seine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit bereits vor der Insolvenzeröffnung eingestellt hat, ist es nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, sachgerecht, über den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Insolvenzverwalters auf der Grundlage der früheren Unternehmenstätigkeit zu entscheiden (vgl. z.B. , BFHE 252, 472, BStBl II 2016, 486, Leitsatz 1; vom - V R 3/22, BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 10). Der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang besteht zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger (§ 38 der Insolvenzordnung —InsO—), die auf die frühere Umsatztätigkeit zurückzuführen sind, so dass es auf die einzelnen Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters nicht ankommt (vgl. , BFHE 250, 263, BStBl II 2015, 679, Rz 15 ff.; vom - V R 15/15, BFHE 252, 472, BStBl II 2016, 486, Rz 17; vom - V R 3/22, BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 10). Eine Berücksichtigung der Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters kommt mithin nicht in Betracht (vgl. , BFHE 250, 263, BStBl II 2015, 679, Rz 17; vom - XI R 28/14, BFHE 252, 460, BStBl II 2016, 550, Rz 36).
19 d) Anders kann es aber sein, wenn eine Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter vorliegt und der Insolvenzverwalter keine wesentlichen Verwertungshandlungen vornimmt; dann kann es sachgerecht sein, die abziehbare Vorsteuer nach dem Gesamtumsatz des Insolvenzschuldners während der Zeit der Insolvenzverwaltung nach Maßgabe der steuerpflichtigen, steuerfreien und nichtwirtschaftlichen Tätigkeit zu bestimmen (vgl. dazu , zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, bei Verwertungshandlungen in Höhe von 0,07 % der Gesamteinnahmen im Zeitraum des Insolvenzverfahrens).
20 2. Auf dieser Grundlage hat das FG den Vorsteuerabzug für die vom Kläger als Insolvenzverwalter erbrachten Leistungen zutreffend anteilig mit 45 % in Höhe von 5.342,05 € bejaht.
21 a) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass im Streitfall der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leistung des Klägers als Insolvenzverwalter und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger besteht.
22 aa) Der Kläger hat nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen und den Senat insoweit im Sinne des § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG die Insolvenzmasse der Insolvenzschuldnerin verwaltet, verwertet und verteilt, um die Insolvenzgläubiger zu befriedigen. Das FG hat weiter bindend festgestellt, dass der Kläger während des Insolvenzverfahrens für die Insolvenzschuldnerin Abrechnungen vorgenommen, Forderungen eingezogen und ihr gesamtes Vermögen verwertet hat.
23 bb) Ausgehend davon hat das FG zutreffend angenommen, dass die einheitliche Leistung des Klägers als Insolvenzverwalter nicht mit den nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Verwertungshandlungen des Klägers in einem für den Vorsteuerabzug maßgeblichen direkten und unmittelbaren Zusammenhang steht. Entgegen der Auffassung des FA sind für den Vorsteuerabzug aus der einheitlichen Leistung des Klägers als Insolvenzverwalter die nach Verfahrenseröffnung ausgeführten (steuerfreien) Verwertungsumsätze vorliegend nicht zu berücksichtigen. Eine Unternehmensfortführung liegt nicht vor.
24 (1) Die Fortführung der bisherigen Unternehmenstätigkeit bezieht sich auf den „Erhalt des Unternehmens“ (vgl. § 1 Satz 1, §§ 217 ff. InsO), aber nicht auf eine lediglich im Hinblick auf Abwicklungstätigkeiten fortbestehende Unternehmenstätigkeit (vgl. , BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696, unter II.1.; vom - V R 16/08, BFHE 227, 275, BStBl II 2010, 319, unter II.2.a aa; vom - V R 3/22, BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 15). Eine Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter kommt danach nur in Betracht, wenn —wovon das FG zutreffend ausgegangen ist— die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters nicht der Befriedigung der Insolvenzgläubiger als Hauptziel des Insolvenzverfahrens mittels Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Gemeinschuldners dient, sondern vorrangig darauf abzielt, das Unternehmen des Insolvenzschuldners zu erhalten (vgl. zur nicht auf die Fortführung des Unternehmens gerichteten „Ausproduktion“ , EFG 2020, 1361, Rz 35; zur vorübergehenden Vermietung als „ergänzende Verwertungsmaßnahme“ , BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 16; zur Unternehmensfortführung dagegen , zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Von der Fortführung des Unternehmens ist insbesondere dann auszugehen, wenn —anders als im Streitfall— nach § 1 Satz 1 Halbsatz 2 InsO in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (vgl. dazu auch , BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 17 zur Konkursordnung). Entgegen dem Revisionsvorbringen des FA kann eine Unternehmensfortführung während der Dauer des Insolvenzverfahrens danach nicht schon darin gesehen werden, dass der Insolvenzverwalter das vorhandene Vermögen mit dem Ziel, den Erlös nach Abzug der Kosten zur gemeinschaftlichen Befriedigung an die Insolvenzgläubiger zu verteilen, verwertet.
25 (2) Auf der Grundlage der den erkennenden Senat im Sinne des § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin nicht fortgeführt. Das FG hat hierzu revisionsrechtlich bindend festgestellt, dass sämtliche Handlungen darauf abzielten, das vorhandene Vermögen der Schuldnerin zu verwerten und den Erlös (nach Abzug der Kosten) zur gemeinschaftlichen Befriedigung an die Gläubiger zu verteilen. Der Kläger habe bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens den Insolvenzgläubigern mitgeteilt, dass eine Fortführung des Unternehmens nicht möglich sei. Davon sei er später auch nicht abgewichen. Die vorhandenen Bauvorhaben seien nicht weiterbetrieben worden, sondern zusammen mit den Auftraggebern beziehungsweise Grundstückseigentümern abgewickelt worden. Die Leistung des Klägers zielte danach nicht darauf ab, das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin fortzuführen, um es zu erhalten.
26 cc) Der erkennende Senat folgt im Übrigen nicht der Ansicht des FA, dass für die Unternehmensfortführung einzig die Tatsache ausschlaggebend sei, dass der Insolvenzverwalter Umsätze ausgeführt habe, ohne dass es auf die zugrundeliegenden Beweggründe, wie die Stärkung der Masse, ankomme. Es führt entgegen der Auffassung des FA zu keiner Ungleichbehandlung, wenn steuerfreie Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters anders als bei Unternehmen, die sich nicht in der Insolvenz befinden, in Bezug auf die Vorsteueraufteilung und den Vorsteuerabzug nicht zu berücksichtigen sind. Auf Konkurrenzunternehmen, die sich nicht in Insolvenz befinden, ist schon deshalb nicht abzustellen, da diese mit den umsatzsteuerbelasteten Verfahrenskosten einer Insolvenz nicht belastet sind (vgl. noch zum Konkursverfahren , BFHE 282, 180, BStBl II 2024, 501, Rz 17). Dies gilt auch für in Liquidation befindliche Unternehmen.
27 b) Die Insolvenzschuldnerin hat die im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger auch für ihr Unternehmen und damit für ihre wirtschaftliche Tätigkeit verwendet. Die angemeldeten Forderungen sind ausschließlich im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin entstanden. Dies steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit.
28 c) Das FG hat außerdem zutreffend dahingehend erkannt, dass der vom Kläger als Insolvenzverwalter insgesamt geltend gemachte Vorsteuerbetrag nach Maßgabe der von den Beteiligten insoweit getroffenen tatsächlichen Verständigung gemäß § 15 Abs. 4 UStG anteilig in Höhe von 45 % abzugsfähig ist. Dies entspricht der tatsächlichen Verständigung der Beteiligten.
29 Soweit das FA dagegen meint, dass selbst für den Fall, dass die Voraussetzungen einer Unternehmensfortführung nicht gegeben seien, die im Streit stehenden Vorsteuerbeträge nach den allgemeinen Grundsätzen des § 15 Abs. 4 UStG nach dem Verhältnis der gesamten Umsätze des streitigen Besteuerungszeitraums aufgeteilt werden müssten, ist dem aufgrund der Rechtsprechung des BFH nicht zu folgen (s. dazu unter II.1.c).
30 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.231024.XIR8.22.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-88433