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BAG Urteil v. - 5 AZR 273/24

Annahmeverzug - böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Instanzenzug: Az: 9 Ca 96/23 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 4 Sa 10/24 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2022 und dabei ausschließlich darüber, ob der Kläger böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen hat.

2Der 1966 geborene Kläger ist seit Februar 2014 bei der Beklagten in der Nacharbeit beschäftigt gewesen. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 3.823,92 Euro. Auf das - fortbestehende - Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die über einen Haustarifvertrag anerkannten Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württembergs Anwendung.

3Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte - gestützt auf dringende betriebliche Erfordernisse - das tariflich ordentlich nicht kündbare Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Auslauffrist zum , hilfsweise ordentlich zum selben Termin. Im Kündigungsrechtsstreit stellte das Arbeitsgericht am fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht am zurück.

4Im Anschluss an das Berufungsurteil im Kündigungsschutzprozess verhandelten die Parteien über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Während dieser Zeit war der Kläger unter Fortzahlung der Vergütung und Anrechnung von Urlaub von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Nachdem es zu keiner Einigung kam, beschäftigt die Beklagte den Kläger wieder in der Nacharbeit.

5Nach Zugang der Kündigung hatte sich der Kläger arbeitsuchend gemeldet und im Streitzeitraum Arbeitslosengeld bezogen. Er erhielt von der Agentur für Arbeit keine Vermittlungsvorschläge und hatte dieser gegenüber - so die Formulierung im Tatbestand des Berufungsurteils - von Anfang an deutlich gemacht, auf den Arbeitsplatz bei der Beklagten zurückkehren zu wollen. Eigene Bemühungen zur Eingehung eines anderweitigen Arbeitsverhältnisses entfaltete er nicht.

6Mit der am erhobenen Klage hat der Kläger unter Berufung auf die Unwirksamkeit der Kündigung und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses Vergütung wegen Annahmeverzugs einschließlich tariflichem Urlaubsgeld und tariflicher Sonderzahlung sowie einem Arbeitgeberzuschuss auf die entgeltumgewandelte Altersversorgung für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2022 verlangt. Er hat gemeint, es habe keine Notwendigkeit bestanden, sich anderweitig um Arbeit zu bemühen, weil er seine Beschäftigung bei der Beklagten habe fortsetzen wollen. Schon aufgrund der Hinweise des Arbeitsgerichts im Gütetermin seien die hohen Erfolgschancen im Kündigungsschutzprozess absehbar gewesen und jedenfalls nach dem dort zu seinen Gunsten ergangenen erstinstanzlichen Urteil hätte die Beklagte ihn zur Vermeidung von Annahmeverzugsvergütung weiterbeschäftigen können.

7Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Dazu hat sie sich erstinstanzlich und zunächst auch im Berufungsverfahren im Wesentlichen darauf gestützt, dass in den Jahren 2021 und 2022 im Ostalbkreis faktisch Vollbeschäftigung geherrscht habe und in den Bereichen Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung mehrere tausend offene Stellen im Bestand der Bundesagentur für Arbeit gewesen seien. Unter Berufung auf das Senatsurteil vom (- 5 AZR 177/23 -) hat die Beklagte kurz vor der Berufungsverhandlung ergänzend vorgetragen, die Bundesagentur für Arbeit könne zwar mangels noch vorhandener Aufzeichnungen nicht rekonstruieren, welche freien Stellen im Streitzeitraum gemeldet gewesen seien. Jedoch habe eine Auswertung statistischer Daten der Bundesagentur für Arbeit nach bestimmten DEÜV-Schlüsseln ergeben, dass im Streitzeitraum in den Landkreisen Ostalb, Heidenheim, Rems-Murr und Göppingen dem Tätigkeitsprofil des Klägers entsprechende Stellenangebote stets im mindestens zweistelligen Bereich vorhanden gewesen seien. Darüber hinaus hat sie behauptet, bei fünf namentlich benannten Unternehmen seien nach ihrer Recherche für den Kläger in Betracht kommende Stellen frei gewesen.

9Der Kläger hat bestritten, dass Bewerbungen auf die von der Beklagten angeführten Stellen erfolgreich gewesen wären, zumal er weder Industrieelektroniker noch Mechatroniker und auch keine Fachkraft für Lagerlogistik, Konstruktionsmechaniker, Zerspannungsmechaniker oder Fahrzeuglackierer sei.

10Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen und wegen einer aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

Gründe

11Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Ihre Berufung gegen das Ersturteil hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, ohne dass es auf die von ihm in den Vordergrund seiner Entscheidungsgründe gerückte Abweichung von Rechtssätzen aus dem Urteil des Senats vom - 5 AZR 177/23 - entscheidungserheblich ankommt.

12I. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des Annahmeverzugs im Streitzeitraum erfüllt waren. Die Beklagte hat den Kläger in dieser Zeit nicht beschäftigt und befand sich aufgrund ihrer unwirksamen Arbeitgeberkündigung im Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB), ohne dass ein Angebot der Arbeitsleistung erforderlich gewesen wäre (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 12 mwN). Denn in der Kündigung des Arbeitgebers liegt zugleich die Erklärung, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bei der fristlosen Kündigung nach deren Zugang nicht mehr anzunehmen ( - Rn. 13 mwN, BAGE 180, 320). Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit. Das gilt auch für die Höhe der monatlichen Vergütung und die Höhe des tariflichen Urlaubsgelds sowie der tariflichen Sonderzahlung.

13II. Da im Streitzeitraum nach der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Kündigungsschutzprozess ( -) das Arbeitsverhältnis fortbestanden hat, richtet sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 und 2 KSchG und nicht nach dem weitgehend inhaltsgleichen § 615 Satz 2 BGB (vgl.  - Rn. 12 mwN). Auch dies hat das Berufungsgericht richtig erkannt.

141. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger im Streitzeitraum keinen nach § 11 Nr. 1 KSchG anzurechnenden anderweitigen Verdienst erzielt und im Rahmen seiner Antragstellung von ihm im Streitzeitraum bezogene öffentlich-rechtlichen Leistungen, hinsichtlich derer er mit Blick auf den kraft Gesetzes eingetretenen Anspruchsübergang (§ 115 Abs. 1 SGB X) nicht mehr aktivlegitimiert war, berücksichtigt. Diese Abzüge sind zwischen den Parteien nicht streitig.

152. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch den von der Beklagten erhobenen Einwand, der Kläger habe böswillig anderweitigen Erwerb unterlassen (§ 11 Nr. 2 KSchG), zurückgewiesen.

16a) § 11 Nr. 2 KSchG bestimmt, dass sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

17aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats unterlässt ein Arbeitnehmer böswillig iSd. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Der Arbeitnehmer darf auch nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wird ( - Rn. 17; - 5 AZR 30/22 - Rn. 22; - 5 AZR 337/16 - Rn. 17; ganz hM, vgl. etwa Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 169; ErfK/Preis/Greiner 25. Aufl. BGB § 615 Rn. 95 und ErfK/Kiel 25. Aufl. KSchG § 11 Rn. 9; MüKoBGB/Henssler 9. Aufl. § 615 Rn. 88; HWK/Thies 11. Aufl. § 11 KSchG Rn. 11; KR/Spilger 13. Aufl. § 11 KSchG Rn. 48). Böswilligkeit setzt dabei nicht voraus, dass der Arbeitnehmer in der Absicht handelt, den Arbeitgeber zu schädigen. Fahrlässiges, auch grob fahrlässiges Verhalten reicht allerdings nicht aus ( - Rn. 30 mwN).

18bb) In § 11 Nr. 2 KSchG wird dem Arbeitnehmer eine Pflicht zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers auferlegt. Der Arbeitnehmer soll seine Annahmeverzugsansprüche nicht ohne Rücksicht auf den Arbeitgeber durchsetzen können ( - Rn. 16, BAGE 116, 355). Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls ( - Rn. 31; - 5 AZR 205/21 - Rn. 13). Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist damit stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen ( - Rn. 18; - 5 AZR 420/20 - Rn. 15).

19cc) Bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Böswilligkeit“ kommt dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Revisionsgericht nur beschränkt daraufhin überprüfbar ist, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind und bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist ( - Rn. 26; - 5 AZR 331/22 - Rn. 32; - 5 AZR 346/21 - Rn. 33, jeweils mwN).

20b) Davon ausgehend ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei im gesamten Streitzeitraum böswillig iSd. § 11 Nr. 2 KSchG gewesen, jedenfalls für die Zeit nach dem Ende der Auslauffrist und bis zur Verkündung des Ersturteils im Kündigungsschutzprozess, also vom bis zum , revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Er hatte sich zwar arbeitsuchend gemeldet, jedoch trotz Ausbleibens von Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit entgegen seiner Pflicht nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 SGB III, eigenverantwortlich nach Beschäftigung zu suchen, keinerlei Eigenbemühungen zur Erlangung eines anderweitigen Arbeitsplatzes unternommen (zur Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten bei der Gesamtabwägung sh.  - Rn. 19 f. mwN). Insofern kann offenbleiben, in welchem zeitlichen Umfang der gekündigte Arbeitnehmer arbeitsrechtlich zur aktiven Mitarbeit bei der Beschäftigungssuche verpflichtet ist, um den Vorwurf der Böswilligkeit iSd. § 11 Nr. 2 KSchG zu vermeiden. Selbst wenn der Kläger aufgrund des Verlaufs der Güteverhandlung meinte, von hohen Erfolgschancen im Kündigungsschutzprozess ausgehen zu dürfen, entband ihn dies nicht von der Obliegenheit, sich jedenfalls bis zu einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden erstinstanzlichem Urteil um eine zumutbare anderweitige Beschäftigung zu bemühen. Für das Bestehen dieser Obliegenheit ist es unerheblich, ob das Bemühen zum Erfolg, also zum Erzielen anderweitigen Verdienstes geführt hätte oder nicht.

21c) Ob die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei auch nach dem erstinstanzlichen Obsiegen im Kündigungsschutzprozess weiterhin böswillig iSd. § 11 Nr. 2 KSchG gewesen, der revisionsrechtlichen Überprüfung standhielte, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob - wovon der Kläger ausgeht - die Obliegenheit des gekündigten und arbeitslosen Arbeitnehmers zur Erzielung anderweitigen Erwerbs endet, wenn der Arbeitgeber nach der erstinstanzlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess seiner grundsätzlich bestehenden Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung (vgl. grundlegend zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch  - BAGE 48, 122) nicht nachkommt (zu weiteren Grenzen der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des kündigenden Arbeitgebers sh.  - Rn. 18: Arbeitnehmer hat (vorläufig) vollstreckbaren Titel auf Weiterbeschäftigung; - 5 AZR 177/23 - Rn. 25: der anderweitig erzielbare Nettoverdienst liegt unter dem Arbeitslosengeld I) oder der gekündigte Arbeitnehmer zur Vermeidung der Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG seine Bereitschaft zur Annahme einer Prozessbeschäftigung entweder mit einer Klage auf Weiterbeschäftigung oder zumindest einem entsprechenden außergerichtlichen Angebot deutlich machen muss (zur Problematik sh. auch  - zu II 2 bis 4 der Gründe; - 5 AZR 98/05 - Rn. 20, BAGE 116, 359; HWK/Krause 11. Aufl. § 615 BGB Rn. 100; MüKoBGB/Henssler 9. Aufl. § 615 Rn. 88; ErfK/Kiel 25. Aufl. KSchG § 11 Rn. 13).

22d) Auch wenn mit dem Landesarbeitsgericht im Streitzeitraum eine durchgehende Böswilligkeit des Klägers iSd. § 11 Nr. 2 KSchG angenommen wird, greift die Einwendung der Beklagten nicht durch. Eine fiktive Anrechnung anderweitigen Verdienstes scheidet jedenfalls deshalb aus, weil die Beklagte nicht ausreichend substantiiert dargelegt hat, dass es eine für den damals 55-jährigen Kläger geeignete und ihm zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit gab, auf die er sich mit Erfolg hätte bewerben können. Dies hat das Landesarbeitsgericht außer Betracht gelassen.

23aa) Nach der Rechtsprechung des Senats, an der trotz der Kritik des Berufungsgerichts festgehalten wird, gelten - zusammengefasst - für die Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG die folgenden Grundsätze:

24(1) Die anderweitige Arbeit muss zumutbar sein. Dies beurteilt sich insbesondere nach der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit und den sonstigen Arbeitsbedingungen. Inwieweit der Arbeitnehmer eine Verschlechterung hinsichtlich der Art, der Zeit und des Ortes einer anderweitigen Beschäftigung sowie des Verdienstes hinnehmen muss, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Jedenfalls eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und des Verdienstes - wie etwa eine unter dem Arbeitslosengeld I liegende Nettovergütung - muss der Arbeitnehmer nicht akzeptieren. Auch verbietet es sich, die in § 140 SGB III normierten arbeitsförderungsrechtlichen Anforderungen an eine zumutbare Beschäftigung „eins zu eins“ zu übernehmen, insbesondere können die in § 140 Abs. 3 und 4 SGB III enthaltenen Entgeltgrenzen und zumutbaren Pendelzeiten nicht bei der Auslegung und Anwendung des § 11 Nr. 2 KSchG herangezogen werden (vgl. zum Ganzen  - Rn. 21 ff., mit zahlreichen weiteren Nachw.).

25(2) Meldet sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend und geht er deren Vermittlungsangeboten nach, wird ihm regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein. Allerdings kann die Abwägung der Interessen im Einzelfall für ihn - entsprechend seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflicht zur eigenverantwortlichen Beschäftigungssuche nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 SGB III - auch die Obliegenheit begründen, ein eigenes Angebot abzugeben, wenn sich für ihn eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet. Er muss sich aber nicht ohne weiteres unermüdlich um eine zumutbare Arbeit kümmern. Dabei hat der Arbeitgeber grundsätzlich die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer im zeitlichen Kontext des Kündigungsschutzprozesses geeignete Stellenangebote, zB aus Zeitungsannoncen oder privaten „Jobportalen“ zu übermitteln, um ihn aktiv zur Prüfung anderweitiger Beschäftigungsoptionen zu veranlassen ( - Rn. 20 mwN; zust. Barrein NZA-RR 2024, 343; Helml AuA 10/24 S. 24; Alles/Trübenbach NZA 2024, 1623; im Ergebnis ebenso MüKoBGB/Henssler 9. Aufl. § 615 Rn. 88; ErfK/Kiel 25. Aufl. KSchG § 11 Rn. 12; HWK/Thies 11. Aufl. § 11 KSchG Rn. 12; Schubert/Jörgensen BB 2023, 55, 60; Bürger/M. Biebl DB 2023, 449, 453; abl. zur „Arbeitsvermittlung“ durch den kündigenden Arbeitgeber Müller/ Smajic ArbRAktuell 2024, 517; für eine grundsätzliche Beschränkung auf Vermittlungsangebote der Arbeitsverwaltung Oberthür NZA 2024, 1010, 1012; insoweit krit. auch Nägele Anm. zu BAG AP BGB § 615 Nr. 176).

26(3) Macht der Arbeitgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch, müssen die übermittelten Stellenanzeigen alle erforderlichen Angaben enthalten, die dem Arbeitnehmer die Prüfung erlauben, ob die vom Arbeitgeber aufgezeigte anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit eine für ihn geeignete und zumutbare Arbeit ist. Dazu gehören in der Regel insbesondere Angaben zu Art und Inhalt der Tätigkeit, zum Arbeitsort und den Verdienstmöglichkeiten. Das mag im Einzelfall für den Arbeitgeber mühsam sein, doch darf bei der Billigkeitsregelung des § 11 Nr. 2 KSchG nicht aus dem Blick gelassen werden, dass es der Arbeitgeber war, der mit dem Ausspruch der unwirksamen Kündigung die Ursache für den Annahmeverzug gesetzt hat und der gekündigte Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, das aus der unwirksamen Kündigung resultierende finanzielle Risiko des Arbeitgebers so gering wie irgend möglich zu halten.

27(4) Die Darlegungs- und Beweislast für die Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Er hat im ersten Schritt konkret darzulegen, dass für den Arbeitnehmer im Verzugszeitraum Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden, sei es aufgrund von Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit (zum diesbezüglichen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers im Einzelnen sh.  - Rn. 30 ff., BAGE 170, 327), sei es aufgrund vom Arbeitgeber übermittelter Stellenangebote. Den Arbeitnehmer trifft insoweit unter Berücksichtigung der aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO folgenden Pflicht, sich zu den vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären, eine sekundäre Darlegungslast. Aufgrund derer muss er sich im Prozess zu den ihm von der Agentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschlägen und seinen hierauf folgenden Bemühungen näher erklären sowie darlegen, wie er sich mit vom Arbeitgeber überlassenen Stellenangeboten auseinandergesetzt und was er unternommen hat. Die Feststellungslast hinsichtlich der Frage, ob die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und ggf. sonstige Stellenangebote „zumutbare“ und im Fall einer Bewerbung verwirklichbare Erwerbschancen dargestellt haben, bleibt jedoch beim Arbeitgeber (sh. zum Ganzen  - Rn. 27 - 29 mwN).

28(5) Kommt der Arbeitnehmer der in § 38 Abs. 1 SGB III geregelten Meldepflicht nach, veranlasst aber durch sein Verhalten zugleich, dass ihm die Agentur für Arbeit tatsächlich keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet, kann abweichend von obigen Grundsätzen in Anlehnung an den Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung (§ 162 Abs. 1 BGB) eine interessengerechte Abstufung der Darlegungs- und Beweislast erforderlich sein. Auch in einem solchen Fall ist indes schlüssiger Vortrag des Arbeitgebers zu konkreten und zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten erforderlich. Nur wenn er solchen im Annahmeverzugsprozess leistet, trägt der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Bedingungsvereitelung im Weiteren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Bewerbung auf eine solche Stelle erfolglos gewesen wäre ( - Rn. 30 ff.).

29(6) Dasselbe gilt, wenn feststeht, dass vom Arbeitgeber dem gekündigten Arbeitnehmer zeitnah übermittelte Stellenangebote Dritter geeignete und zumutbare Arbeit beinhaltet haben, der Arbeitnehmer aber untätig geblieben ist und sich nicht - im zumutbaren Rahmen (vgl.  - Rn. 20, 29) - auf derartige Stellen beworben hat. Denn allein der Arbeitnehmer hat es in der Hand, mit einer Bewerbung Klarheit darüber zu schaffen, ob ein Dritter ihm eine geeignete und zumutbare Arbeit angeboten und damit eine alternative Erwerbsmöglichkeit eröffnet hätte. Durch die unterlassene Bewerbung auf zumutbare Stellenangebote vereitelt der Arbeitnehmer somit den objektiven Nachweis darüber, ob und ab wann er von einem Dritten beschäftigt worden wäre. Dies rechtfertigt es, ihm im Weiteren die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzuerlegen, dass und aus welchen Gründen eine Bewerbung erfolglos geblieben wäre. Trägt er dazu nichts Substantiiertes vor, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, eine Bewerbung des gekündigten Arbeitnehmers auf eine ihm zumutbare Stelle bei einem Dritten hätte zur Erzielung von Zwischenverdienst iSd. § 11 Nr. 2 KSchG geführt, als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).

30(7) Anders ist es allerdings, wenn sich der Arbeitgeber (auch) auf zumutbare Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Vermittlung durch die Agentur für Arbeit berufen will, den Arbeitnehmer aber nicht zeitnah im Kontext des Kündigungsschutzprozesses auf anderweitige freie Stellen hingewiesen hat. Dann muss er im Prozess auf Annahmeverzugsvergütung nicht nur konkrete Stellen benennen, die unter Berücksichtigung der Verdienstmöglichkeiten eine zumutbare Tätigkeitsmöglichkeit dargestellt hätten. Er trägt vielmehr auch die Darlegungs- und Beweislast für den Erfolg etwaiger Bewerbungen, weil der Arbeitnehmer keine Kenntnis von den vom Arbeitgeber als zumutbar angesehenen anderweitigen Stellen hatte und sich darauf nicht bewerben konnte ( - Rn. 46).

31bb) Davon ausgehend gilt im Streitfall Folgendes:

32(1) Entgegen der Auffassung der Revision richtet sich die Darlegungs- und Beweislast nicht nach der Abstufung, die der Senat in Anlehnung an den Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung (§ 162 Abs. 1 BGB) im Urteil vom (- 5 AZR 177/23 - Rn. 30 ff.) für Fallgestaltungen entwickelt hat, in denen der Arbeitnehmer durch sein Verhalten veranlasst, dass ihm die Agentur für Arbeit keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet.

33(a) Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Agentur für Arbeit dem dortigen Kläger deshalb keine Stellenangebote unterbreitete, weil dieser solche nicht wünschte und der Agentur für Arbeit mitgeteilt hatte, er könne sich bewerben, wenn man ihn zwinge, er werde einem potentiellem Arbeitgeber aber bei Bewerbungen - noch vor einem Vorstellungsgespräch - mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle.

34(b) Im Unterschied dazu kann Vergleichbares dem hiesigen Kläger nicht angelastet werden.

35(aa) Nach den tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand des Berufungsurteils hat er lediglich „von Anfang an gegenüber der Agentur für Arbeit deutlich gemacht, auf den Arbeitsplatz bei der Beklagten zurückkehren zu wollen“. Der Wille zur Fortsetzung des gekündigten Arbeitsverhältnisses bei Obsiegen im Kündigungsschutzprozess ist aber das gute Recht des gekündigten Arbeitnehmers, denn der Zweck des Kündigungsschutzes ist gerade - wie nicht zuletzt die Möglichkeit der Nichtfortsetzung nach § 12 KSchG belegt - auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtet. Dies bei der Agentur für Arbeit kundzutun, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zudem kann es für die Arbeitsvermittlung von Bedeutung sein, ob der Arbeitsuchende dauerhaft einen neuen Arbeitsplatz oder nur eine vorübergehende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit sucht. Auch für die einstellenden Unternehmen wird es von Interesse sein, ob sie einen freien Arbeitsplatz längerfristig besetzen können oder mit dem baldigen Wiederausscheiden eines Bewerbers rechnen müssen (insoweit zutr. Oberthür NZA 2024, 1010, 1013).

36(bb) Im Rahmen der Prüfung der Böswilligkeit des Klägers führt das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen zwar - ohne dass sich in den im Tatbestand in Bezug genommenen Schriftsätzen der Parteien entsprechendes findet - aus, der Kläger habe „sogar der Agentur für Arbeit mitgeteilt, an Vermittlungsangeboten nicht interessiert zu sein, weil er ausschließlich bei der Beklagten weiterarbeiten wolle“. Dabei handelt es sich indes lediglich um eine Fehlinterpretation des Parteivortrags und keine tatsächliche Feststellung im prozessualen Sinne. Es ist weder vorgetragen noch festgestellt, dem Kläger seien ausschließlich wegen seines Verhaltens gegenüber der Agentur für Arbeit keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden, so dass nicht auszuschließen ist, dass Vermittlungsmöglichkeiten - etwa wegen des Alters des Klägers, seiner Kenntnisse und Fertigkeiten oder seines beruflichen Werdegangs - schlicht nicht vorhanden waren.

37(2) Die Beklagte, die mit dem Ausspruch der unwirksamen Arbeitgeberkündigung die Ursache für den Annahmeverzug gesetzt hat und deshalb grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG trägt (sh. oben Rn. 27 und  - Rn. 27 mwN), hat nicht ausreichend dargelegt, dass es für den Kläger im Streitzeitraum eine zumutbare anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit gegeben hätte.

38(a) Soweit sie sich in der Berufungsinstanz zuletzt unter Vorlage einer Sonderauswertung aus Daten der Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit auf eine „gute Beschäftigungslage“ in den Landkreisen Ostalb, Heidenheim, Rems-Murr und Göppingen gestützt hat, ist dies unbehelflich. Damit wird eine konkrete und zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht im Ansatz aufgezeigt. Die „nackte Tatsache“ eines für Arbeitnehmer generell günstigen Arbeitsmarktes sagt nichts darüber aus, ob konkret der unwirksam gekündigte Arbeitnehmer mit seinen Sozialdaten und seinen Kenntnissen und Fertigkeiten für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses eine zumutbare anderweitige Beschäftigung zu welchen Konditionen hätte finden können.

39(b) Zu den in ihrem Schriftsatz vom unter 2 c (1) bis (8) aufgeführten, im Streitzeitraum zu besetzenden Stellen hat die Beklagte nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass der Kläger für diese Stellen geeignet und sie ihm zumutbar gewesen wären. Die Beklagte schildert lediglich die Art der Tätigkeit und die Verdienstmöglichkeit, zeigt aber schriftsätzlich (zu § 130 Nr. 3 und 4 ZPO und dem Erfordernis des Tatsachenvortrags in einem Schriftsatz sh.  - Rn. 29 mwN, BAGE 141, 330) die konkreten Anforderungen, die von den jeweiligen Unternehmen an die Bewerber gestellt wurden, nicht hinreichend auf. So heißt es zB in dem Schriftsatz beigefügten Anlagen zu einer der ausgeschriebenen Stellen: „Erwünschte Kenntnisse: Englisch, Sicherer Umgang mit PC (Word und Excel), Ladungssicherung, Luftsicherheitsschulung“ und für eine andere werden (ua.) „umfassende Deutschkenntnisse in Wort und Schrift, Englischkenntnisse, sicherer Umgang mit PC (Word und Excel), Staplerführerschein mit entsprechender Fahrpraxis, Kommunikationsstärke und Teamfähigkeit, verbunden mit selbständiger und strukturierter Arbeitsweise“ erwünscht. Dass der zum damaligen Zeitpunkt 55-jährige, griechisch stämmige Kläger über all dies verfügt, ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht. Zudem erschließt sich - unabhängig vom Bestreiten des Klägers in seiner Replik vom  - aus dem Vorbringen der Beklagten nicht, aufgrund welcher Ausbildung bzw. welcher Kenntnisse und Fertigkeiten der Kläger als Industrieelektriker, Mechatroniker, Fachkraft für Lagerlogistik, Konstruktionsmechaniker, Zerspannungsmechaniker oder Fahrzeuglackierer arbeiten könnte. Soweit sie in der Revisionsverhandlung nochmals auf eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker hinwies, konnte die Beklagte die Einlassung des Klägers, nach seiner Ausbildung - also seit mehr als 30 Jahren - nicht als solcher gearbeitet zu haben, nicht entgegentreten.

40(c) Auch zu den im Schriftsatz vom unter 2 c (9) und (10) aufgeführten Stellen bei - der Firmierung nach - offenbar Schwesterunternehmen der Beklagten in B und D, ist die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie hat nur pauschal behauptet, der Kläger „wäre aufgrund seiner Qualifikation und Erfahrungen in der Lage gewesen, sämtliche dieser Stellen erfolgreich auszuführen“.

41(d) Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger sich auf freie Stellen mit Eintrittsterminen im April und Juni 2021 schon deshalb nicht bewerben musste, weil § 11 Nr. 2 KSchG nach Wortlaut und Telos vom gekündigten Arbeitnehmer nicht verlangt, aus Rücksicht auf den Arbeitgeber, der mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung die Ursache für den Annahmeverzug gesetzt hat, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist - bzw. im Streitfall der Auslauffrist - ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und damit faktisch das bisherige Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden.

42(3) Weil die Beklagte den Kläger nicht zeitnah auf - aus ihrer Sicht - geeignete und zumutbare anderweitige freie Stellen hingewiesen, sondern sich erst im Nachgang zum verlorenen Kündigungsschutzprozess darauf berufen hat, trägt sie außerdem die Darlegungs- und Beweislast für den Erfolg etwaiger Bewerbungen (vgl. oben Rn. 30 und  - Rn. 46). Zu keiner der von ihr benannten Stellen hat die Beklagte aber substantiierten Sachvortrag dazu geleistet und unter Beweis gestellt, aus welchen Gründen gerade der damals 55-jährige Kläger anderen Bewerbern vorgezogen worden wäre, zumal er wegen seiner vom Kündigungsschutzgesetz gebilligten Absicht, zum kündigenden Arbeitgeber zurückkehren zu wollen, einem neuen Arbeitgeber nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung gestanden und dies im Bewerbungsverfahren auch hätte offenlegen dürfen.

43III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:150125.U.5AZR273.24.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-88273