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BGH Urteil v. - II ZR 143/23

Leitsatz

Die Haftung des Kommanditisten der der durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelösten Kommanditgesellschaft angehört, ist nicht entsprechend § 161 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB in der bis zum geltenden Fassung begrenzt.

Gesetze: § 131 Abs 1 Nr 3 aF HGB, § 160 Abs 1 S 1 aF HGB, § 161 Abs 2 aF HGB

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-15 S 49/23 Urteilvorgehend AG Bad Homburg Az: 2 C 754/22 (28)

Tatbestand

1Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beteiligungsgesellschaft MS "V.        " und MS "S.                     "mbH & Co. KG (nachfolgend: Schuldnerin), das am eröffnet wurde. Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war das Halten von Kommanditanteilen an zwei Schiffsgesellschaften, welche jeweils ein Vollcontainerschiff betrieben.

2Die Beklagte übernahm als Kommanditistin eine Einlagepflicht in Höhe von 20.000 €. Sie erhielt im Laufe der Jahre 2002 bis 2008 Ausschüttungen in Höhe von 10.800 €, die in Höhe von 8.886,08 € nicht von Gewinnen der Schuldnerin gedeckt waren und von denen die Beklagte 5.000 € im Rahmen von Sanierungsbemühungen an die Gesellschaft zurückzahlte. Andere Kommanditisten zahlten an den Kläger insgesamt 1.452.512,10 € zurück.

3Im Insolvenzverfahren wurden Forderungen in Höhe von 1.803.731,84 € zur Insolvenztabelle festgestellt. Dabei handelt es sich um die Haftungsvergütung der Komplementärin der Schuldnerin und um Rückforderungsansprüche gemäß § 172 Abs. 4 HGB der beiden Schiffsgesellschaften. Der zu Nr. 18 der Insolvenztabelle festgestellten Forderung liegen Rückforderungsansprüche gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 1.056.522,50 € wegen Gewerbesteuerforderungen zu Grunde, die aufgrund der Tonnagebesteuerung der Schiffe nach deren Veräußerung durch den Kläger als Insolvenzverwalter der Schiffsgesellschaften im Jahr 2014 fällig wurden. Die freie Masse der Schuldnerin genügt nicht, sämtliche Verbindlichkeiten zu befriedigen, die Deckungslücke beträgt 90.000 €.

4Der Kläger hat mit der am erhobenen Klage u.a. Rückzahlung eines Teilbetrags der Ausschüttungen in Höhe von 1.554,43 € verlangt, was 40% von 3.886,08 € entspricht. Das Amtsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten hin abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Bei der Prüfung, ob die Haftsumme zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger nicht benötigt werde, seien solche Forderungen von vornherein nicht zu berücksichtigen, hinsichtlich derer der Kommanditist aus Rechtsgründen nicht hafte. Eine Haftung für die Gewerbesteuerforderung in Höhe von 1.056.522,50 € bestehe nicht mehr und die von den Kommanditisten bereits zurückgezahlten 1.452.512,10 € reichten zur Befriedigung der übrigen Forderungen aus, weil der Kläger selbst vortrage, dass die Deckungslücke lediglich 90.000 € betrage.

7Die Haftung erstrecke sich zwar auf die Gewerbesteuerforderung, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei. Die Forderung sei jedoch entsprechend § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB nach Ablauf von fünf Jahren nach Insolvenzeröffnung erloschen. Die Begrenzung der Haftung sei bei einem ausgeschiedenen Gesellschafter erforderlich, weil die Beschränkung der Nachhaftung auf die vor dem Ausscheiden begründeten sogenannten Altverbindlichkeiten keinen hinreichenden Schutz gegen eine Endloshaftung gewährleiste. In einer vergleichbaren Situation befinde sich der Gesellschafter, insbesondere der Kommanditist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft. Die Frist habe entsprechend § 160 Abs. 1 Satz 2 HGB mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am zu laufen begonnen und habe mit Ablauf des geendet. Die Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle habe nicht zur Hemmung gegenüber der Beklagten geführt, da § 159 Abs. 4 HGB keine Anwendung finde. Damit bestehe eine in der Person des Gesellschafters begründete Einwendung, so dass ein Einwendungsausschluss gemäß § 129 Abs. 1 HGB nicht greife.

8II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Haftung der Beklagten für die Forderungen gegen die Schuldnerin entsprechend § 161 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB in der bis zum geltenden Fassung (HGB aF) fünf Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft erlischt.

91. Die Reichweite der Haftung der Beklagten ist mangels besonderer gesetzlicher Regelung nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Haftungsrechts auf der Grundlage des vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom (BGBl. I S. 3436) am geltenden Rechts zu bestimmen, weil sämtliche Handlungen, die im vorliegenden Fall eine Haftung begründen könnten, vor diesem Zeitpunkt vorgenommen wurden (vgl. Wertenbruch/Döring, GmbHR 2023, 649 Rn. 30; Saam in Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Aufl., § 137 Rn. 8).

102. Nach § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB aF ist die Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten auf die bis zum Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft beschränkt, wenn diese vor Ablauf von fünf Jahren fällig und gegen den Gesellschafter verfolgt werden. Der Gesetzgeber hat die Begrenzung der Nachhaftung damit umfassend geregelt und im Interesse der Rechtssicherheit unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen für alle Verbindlichkeiten einheitlich den Weg einer klar festgelegten Ausschlussfrist gewählt. Sinn dieser Regelung ist es in erster Linie zu vermeiden, dass ein ausgeschiedener Gesellschafter zu lange Zeit mit einer Haftung für Verbindlichkeiten belastet wird, obwohl er wegen seines Ausscheidens weder weiteren Einfluss auf die Gesellschaft nehmen noch von den Gegenleistungen und sonstigen Erträgen profitieren kann. Sinn ist es aber zugleich, einen Ausgleich zwischen diesem Anliegen und den Interessen der Gesellschaftsgläubiger zu schaffen. Die Ausschlussfrist von fünf Jahren soll daher unter Wahrung der berechtigten Gläubigerinteressen eine für den betroffenen Gesellschafter mit unüberschaubaren und nicht zumutbaren Risiken verbundene zeitlich unbegrenzte Haftung des ausscheidenden Gesellschafters insbesondere für Verbindlichkeiten aus langfristigen Schuldverhältnissen vermeiden (vgl. , BGHZ 142, 324, 329, 331; Urteil vom - II ZR 330/00, BGHZ 150, 373, 376).

113. Eine entsprechende Anwendung der Bestimmung in der Weise, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einem Ausscheiden gleichgestellt wird und die Haftung des Kommanditisten der Ausschlussfrist nach § 161 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB aF unterliegt, ist nicht veranlasst.

12a) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke aufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (, BGHZ 219, 327 Rn. 58; Urteil vom - II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 Rn. 14; Urteil vom - II ZR 233/18, ZIP 2020, 318 Rn. 19; Urteil vom - III ZR 79/21, ZIP 2022, 845 Rn. 38; Beschluss vom - II ZB 15/22, ZIP 2023, 2356 Rn. 19).

13b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es kann unter Berücksichtigung des mit der Ausschlussfrist verfolgten Regelungsanliegens nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber in der Insolvenz der Gesellschaft die Haftung des Gesellschafters für Altverbindlichkeiten zeitlich entsprechend § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB aF begrenzen wollte.

14aa) Die Haftung des Gesellschafters ist im Fall der Auflösung der Gesellschaft mit § 159 HGB aF zeitlich durch eine Verjährungsregelung begrenzt, die auch für den Fall der Auflösung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (§ 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB aF) gilt (MünchKommHGB/K. Schmidt/Drescher, 5. Aufl., § 159 Rn. 18). Nach dem bis zur Neuregelung in § 151 HGB maßgeblichen Regelungskonzept des Gesetzgebers beginnt die Verjährung mit der Eintragung der Auflösung der Gesellschaft in das Handelsregister, es sei denn der Anspruch des Gläubigers wird erst später fällig; in diesem Fall beginnt die Verjährung mit dem Zeitpunkt der Fälligkeit (§ 159 Abs. 2 und 3 HGB; vgl. , BGHZ 228, 28 Rn. 62). Der Neubeginn der Verjährung und ihre Hemmung nach § 204 BGB gegenüber der aufgelösten Gesellschaft wirkt auch gegenüber den Gesellschaftern, die der Gesellschaft zur Zeit der Auflösung angehört haben (§ 159 Abs. 4 HGB aF). Die Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren nach § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB wirkt danach auch gegenüber den Gesellschaftern, die der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angehört haben.

15bb) Eine über die Verjährungsregelung hinausgehende zeitliche Begrenzung der Haftung ist im Regelungskonzept des Gesetzes nicht angelegt.

16(1) Anders als bei einem Ausscheiden eines Gesellschafters aus der lebenden Gesellschaft, an den der unter 1. beschriebene Interessenausgleich anknüpft, wird die Kommanditgesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft zum Zweck der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger aufgelöst (§ 161 Abs. 2, § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB aF, § 1 Satz 1 InsO). Da den Gläubigern kein garantierter Haftungsfonds zur Verfügung steht, wird die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger nicht nur durch die Verwertung und Verteilung des Gesellschaftsvermögens, sondern auch dadurch realisiert, dass der Insolvenzverwalter die persönliche Haftung der Kommanditisten nach § 93 InsO, § 171 Abs. 2 HGB geltend macht. Soweit die Kommanditisten für die Deckung der von ihrer Haftung erfassten Verbindlichkeiten herangezogen werden (vgl. , BGHZ 228, 28 Rn. 28 ff.; Urteil vom - II ZR 69/22, BGHZ 239, 37 Rn. 26), droht ihnen keine unüberschaubare und mit unzumutbaren Risiken verbundene Haftung.

17(2) Aus der Rechtsprechung des Senats kann entgegen der Sicht des Berufungsgerichts nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Soweit der Senat eine Begrenzung der Haftung aus § 128 HGB aF damit begründet hat, dass die Stellung des Gesellschafters nach der Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen eines aus der Gesellschaft ausgeschiedenen Gesellschafters aufweise, der ebenfalls keinen weiteren Einfluss auf die Gesellschaft nehmen und nicht von den Gegenleistungen oder sonstigen Erträgen profitieren könne (vgl. , BGHZ 228, 28 Rn. 29; Urteil vom - II ZR 69/22, BGHZ 239, 37 Rn. 37), ist lediglich die gegenständliche Reichweite der Gesellschafterhaftung angesprochen und zum Ausdruck gebracht worden, dass die Gesellschafterhaftung in der Insolvenz jedenfalls die Verbindlichkeiten umfasst, für die auch ein ausgeschiedener Gesellschafter nach § 160 HGB aF noch haften müsste (, BGHZ 228, 28 Rn. 37; Urteil vom - II ZR 69/22, BGHZ 239, 37 Rn. 36). Dies rechtfertigt nicht die weitergehende Schlussfolgerung, dass die Haftung des Kommanditisten nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in jeder Hinsicht derjenigen eines ausgeschiedenen Kommanditisten entsprechen müsste. Vielmehr sehen §§ 159, 160 HGB aF unterschiedliche Regelungen für die Begrenzung der Gesellschafterhaftung im Fall der Auflösung der Gesellschaft einerseits und im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters andererseits vor.

18cc) Die mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom (BGBl. I 3436) geltende Regelung in § 151 Abs. 1 HGB, die die Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung nicht mehr an die Auflösung der Gesellschaft, sondern an deren Erlöschen anknüpft, macht zudem deutlich, dass der Gesetzgeber eine weitergehende zeitliche Begrenzung der Gesellschafterhaftung in der aufgelösten Gesellschaft nicht im Blick hatte, sondern die Verjährung nunmehr ungeachtet der Auflösung der Gesellschaft erst anknüpfend an ihr Erlöschen zeitlich begrenzt werden soll (Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, BT-Drucks. 19/27635 S. 251; Saam in Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Aufl., § 151 Rn. 2 f.). Die Bestimmung gilt nicht nur für den Fall des Erlöschens durch Liquidation, sondern auch für ein Erlöschen auf andere Weise, etwa durch den Abschluss eines Insolvenzverfahrens (Hopt/Roth, HGB, 43. Aufl., § 151 Rn. 4).

193. Die Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat zutreffend und von der Revisionserwiderung nicht beanstandet angenommen, dass sich die Haftung der Beklagten auch auf die unter Nr. 18 zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung erstreckt, weil diese bereits vor Verfahrenseröffnung begründet wurde. Die Ansprüche gegen die jeweiligen Schiffsgesellschaften sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren durch den Wechsel der Gewinnermittlungsart für die Gewerbesteuer entstanden (vgl. , BGHZ 228, 28 Rn. 45 ff.). Da einer auf dieser Forderung beruhenden Haftungsschuld der Beklagten Ausschüttungen zwischen 2002 und 2008 zu Grunde liegen, ist auch die Haftungsschuld vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden.

20III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache gemäß § 563 Abs. 1, Abs. 3 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat, auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung folgerichtig, zu den Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs und zu dem Einwand der Beklagten, die Forderung sei mangels wirksamer Anmeldung im Insolvenzverfahren verjährt, keine Feststellungen getroffen.

Born                         Wöstmann                        Bernau

             Sander                               Adams

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:031224UIIZR143.23.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-88194