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BGH Urteil v. - VIa ZR 143/22

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 1 U 12/20vorgehend LG Gießen Az: 3 O 216/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb im Dezember 2016 einen gebrauchten (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.

3Der Kläger hat mit seinen Hauptanträgen zuletzt die Feststellung der Schadensersatzpflicht (Berufungsantrag zu 3) sowie die Freistellung von Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 5) verlangt. Hilfsweise zum Berufungsantrag zu 3 hat er die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 3a), Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden (Berufungsantrag zu 3b) und die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3c) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat hinsichtlich der Berufungsanträge zu 3a, 3c und 5 - soweit er gegen die Beklagte gerichtet ist - zugelassenen Revision, verfolgt der Kläger diese Anträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil der geltend gemachte Schaden nicht vom Schutzzweck der Vorschriften erfasst sei. Auch ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei schon das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers nicht hinreichend vorgetragen. Bezüglich des Online- und Speichermodus des SCR-Katalysators und des "Thermofensters" habe der Kläger eine Prüfstandserkennung nicht dargelegt. Er habe auch keine anderen Tatsachen vorgetragen, die eine Sittenwidrigkeit aufgrund des Bewusstseins begründen könnten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

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11Das Berufungsurteil ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                        Möhring                        Vogt-Beheim

                 Messing                          F. Schmidt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180325UVIAZR143.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-88193