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BGH Urteil v. - VIa ZR 203/21

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 24 U 116/20vorgehend LG Darmstadt Az: 8 O 259/19

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie erwarb im Mai 2015 einen von der Beklagten hergestellten Mercedes-Benz GLK 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die Klägerin hat behauptet, in dem Fahrzeug werde die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und ab 17 Grad Celsius zurückgefahren. Zudem verfüge das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die Grund für einen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) veranlassten Rückruf gewesen sei. Die Klägerin hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Delikts- und Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge insoweit weiter.

Gründe

3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Die Klägerin habe weder Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der behaupteten Abschalteinrichtungen noch Umstände vorgetragen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als sittenwidrig erscheinen ließen. Der Annahme, die Beklagte habe beim Einsatz der KSR in dem Bewusstsein gehandelt, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, stehe bereits ihre Darlegung entgegen, dass bei allenfalls 20 % der vom KBA untersuchten Fahrzeuge die KSR überhaupt kausal für das Bestehen der Typ-Prüfung gewesen sei. Einem Anspruch der Klägerin stehe zudem die bindende Tatbestandswirkung der Typgenehmigung entgegen.

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6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht verneint werden.

8a) Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts kann - wie der Senat erst nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 15, 34) - eine Tatbestandswirkung oder Legalisierungswirkung einer EG-Typgenehmigung einem Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB nicht entgegengehalten werden (vgl.  VIa ZR 335/21, aaO, Rn. 34; Urteil vom - VIa ZR 1425/22, VersR 2024, 1306 Rn. 22).

9b) Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist grundsätzlich indiziert, wenn eine im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert (vgl.  VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11). Die Revision rügt deshalb zu Recht, dass das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht berücksichtigt hat, dass der Vortrag der Klägerin zur Prüfstandsbezogenheit der KSR mit Blick auf den angenommenen Rückruf auf der Darlegungsebene genügen kann (vgl. , juris Rn. 23; Beschluss vom - VII ZR 733/21, juris Rn. 24; Beschluss vom - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 16; vgl. auch Beschluss vom - VII ZR 629/21, juris Rn. 10 ff.), sofern die Indizwirkung nicht aus anderen Gründen entfällt (vgl.  VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11).

102. Die Revision wendet sich weiter mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Zwar besteht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kein Anspruch auf Gewährung "großen" Schadensersatzes (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Der Klägerin kann danach aber ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, den von ihr geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

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11Der angefochtene Beschluss ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob in das streitgegenständliche Fahrzeug eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 implementiert ist, welche zudem eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde indiziert, und sich gegebenenfalls mit den weiteren Voraussetzungen des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB befassen müssen (vgl. , BGHZ 225, 316). Weiter wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; vgl. auch  VIa ZR 635/23, juris Rn. 9 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                         Möhring                         Vogt-Beheim

                  Messing                          F. Schmidt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180325UVIAZR203.21.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-88113