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BGH Beschluss v. - 2 StR 330/24

Instanzenzug: LG Aachen Az: 68 KLs 17/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „vollendeten“ Betruges in vierzehn Fällen, in zwölf davon in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ Urkundenfälschung, vier davon „gemeinschaftlich begangen“, wegen versuchten „gemeinschaftlichen“ Betruges in drei Fällen in Tateinheit mit „vollendeter gemeinschaftlicher“ Urkundenfälschung, wegen Beihilfe zum „vollendeten“ Betrug in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Urkundenfälschung, sowie wegen Beihilfe zum versuchten Betrug in Tateinheit mit „vollendeter“ Urkundenfälschung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom – Az. 446 Cs 206/22 – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen ihn wegen „gemeinschaftlichen vollendeten“ Betruges in fünf Fällen, in vier davon in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ Urkundenfälschung, sowie wegen versuchten Betruges in zwei Fällen, in einem davon in Tateinheit mit „vollendeter gemeinschaftlicher“ Urkundenfälschung, eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt. Darüber hinaus hat es gegen ihn Einziehungsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Rüge einer Verletzung der Belehrungspflicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO vollumfänglich Erfolg; auf die Sachrüge kommt es nicht an.

21. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3Der Vorsitzende der Strafkammer legte – nach einem telefonischen Vorgespräch mit dem Verteidiger des Angeklagten – in der Hauptverhandlung des ursprünglich gegen vier Angeklagte geführten Hauptverfahrens am dar, unter welchen Voraussetzungen die Strafkammer eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO in Erwägung ziehe. Der Angeklagte wurde in diesem Zusammenhang nicht nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt.

4Am darauffolgenden Sitzungstag, dem , gab die Strafkammer einen die Ausführungen des Vorsitzenden vom präzisierenden schriftlichen Verständigungsvorschlag bekannt, mit dem dem Angeklagten unter im Einzelnen aufgeführten Bedingungen wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei Gesamtfreiheitsstrafen, die in ihrer Summe fünf Jahre nicht unterschreiten und sechs Jahre nicht überschreiten sollten, in Aussicht gestellt wurden. Auch den Mitangeklagten wurden entsprechende Vorschläge unterbreitet. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte, dass sie dem Verständigungsvorschlag der Strafkammer beitreten könne, wenn die Angeklagten dies jeweils täten. Eine Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO unterblieb erneut. Den Verteidigern und sämtlichen Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, sich zum Verständigungsvorschlag zu äußern. Einer der Mitangeklagten stimmte der Verständigung zu. Er wurde im Anschluss daran „noch einmal qualifiziert über die Folgen einer Verständigung, insbesondere über die Bindung des Gerichts an diese, belehrt“.

5Am dritten Sitzungstag, dem , stimmte auch der Angeklagte der Verständigung zu. Es wurde festgestellt, dass mit dem Angeklagten „eine Verständigung im Sinne des am ersten Hauptverhandlungstag durch die Kammer skizzierten Verständigungsvorschlags zustande gekommen“ sei. Anschließend wurde der Angeklagte gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO belehrt. Der Verteidiger des Angeklagten gab sodann die Erklärung ab, der Angeklagte „räume die Vorwürfe vollumfänglich ein, soweit […] [sie] seine Person“ beträfen.

62. Die zulässig erhobene Rüge ist begründet. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift hierzu ausgeführt:

„Die Revision rügt zu Recht eine fehlerhafte Anwendung der Vorschrift des § 257c Abs. 5 StPO, da die Belehrung über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung erst nach [deren] Zustandekommen […] und damit verspätet erteilt worden ist.

[…] Die Verständigung kommt nicht erst mit der Belehrung zustande, sondern bereits durch die Zustimmungserklärungen gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. hierzu , 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168-241 Rn. 127; BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 486/18, vom – 4 StR 268/18 und vom – 2 StR 383/20 –, juris, jeweils mwN). Das ist vorliegend nicht geschehen. Der Vorsitzende der Strafkammer hat es entgegen § 257c Abs. 5 StPO unterlassen, den Angeklagten bereits mit der Bekanntgabe des gerichtlichen Verständigungsvorschlags und noch vor Abgabe seiner Zustimmung zu der Verständigung über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung zu unterrichten. Dies steht aufgrund der formellen Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls fest […].

[…] Eine Heilung des Verstoßes ist nicht eingetreten. Dies hätte eine rechtsfehlerfreie Wiederholung des von dem Verfahrensfehler betroffenen Verfahrensabschnitts vorausgesetzt. Dafür hätte es eines ausdrücklichen Hinweises auf den Fehler und auf die daraus folgende gänzliche Unverbindlichkeit der Zustimmung des Angeklagten bedurft sowie einer Nachholung der versäumten Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO und der erneuten Einholung einer nunmehr verbindlichen Zustimmungserklärung ( –, NStZ-RR 2017, 151). Eine qualifizierte Belehrung des Angeklagten nach Maßgabe der vorgenannten Entscheidung ist nicht erfolgt.

[…] Der Senat wird nicht ausschließen können, dass das angegriffene Urteil auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das darauf basierende Geständnis – wie hier – in das Urteil ein, beruht dieses regelmäßig auf dem Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und seine Selbstbelastungsfreiheit (vgl. –, juris; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 52a). Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten auf Basis der Verständigung eingeräumt. Neben anderen Beweismitteln hat die Strafkammer vor allem hierauf seine Verurteilung gestützt.

Ein vom Bundesverfassungsgericht vorgesehener Ausnahmefall, bei dem auf Grund konkreter Feststellungen die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis deshalb ausgeschlossen werden kann, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. , 2 BvR 2833/10, 2 BvR 2155/11 –, NJW 2013, 1058, 1071), ist nicht gegeben. Allein der Umstand, dass vorliegend die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO nicht gänzlich unterblieben ist, sondern diese unmittelbar nach der allseitigen Zustimmung zum gerichtlichen Verständigungsvorschlag und noch vor Ablegung des Geständnisses durch den anwaltlich verteidigten Angeklagten erfolgte, rechtfertigt es jedenfalls nicht, einen solchen Ausnahmefall anzunehmen (vgl. –, NStZ 2014, 721, 722; Schneider, NStZ 2014, 252, 258 f.).

Es liegen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte vor Erklärung seiner Zustimmung und bei Abgabe seines Geständnisses anderweitig von den Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung gemäß § 257c Abs. 4 StPO Kenntnis erlangt hat. […] [So] ist insbesondere die im Beisein des Angeklagten am 2. Hauptverhandlungstag erfolgte Belehrung des Mitangeklagten B.        nicht geeignet, die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis ausnahmsweise auszuschließen. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde der Mitangeklagte nach Zustandekommen der Verständigung mit ihm ‚noch einmal qualifiziert über die Folgen einer Verständigung, insbesondere über die Bindung des Gerichts an diese‘ belehrt […] Zuvor hatte die Strafkammer jedoch lediglich im Rahmen des Verständigungsvorschlags darauf hingewiesen, im Falle, dass eine Verständigung nicht zustande kommt, nicht an die in Aussicht gestellten Strafhöhen gebunden zu sein […] Nach dem Vortrag der Revision, den die Staatsanwaltschaft insoweit in ihrer Gegenerklärung als vollständig und korrekt bezeichnet hat […], wurde der Mitangeklagte trotz der Bezeichnung der Belehrung als ‚qualifiziert‘ aber nicht darüber belehrt, welche Folgen sich aus der verspäteten Belehrung ableiten […], insbesondere, dass er nunmehr wieder autonom darüber entscheiden konnte, ob er von der Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht (‚gänzliche Unverbindlichkeit der Zustimmung‘). Seine Zustimmung zu der Verständigung wurde nach der verspäteten Belehrung auch nicht erneut eingeholt. Trotz seiner Anwesenheit bei der Belehrung des Mitangeklagten kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte davon ausgegangen ist, an seine erklärte Zustimmung gebunden zu sein“.

7Dem schließt sich der Senat an.

83. Von dem Rechtsfehler sind die Feststellungen mitbetroffen, die insgesamt der Aufhebung unterliegen (§ 353 Abs. 2 StPO; vgl. , StV 2018, 9, 10 Rn. 5). Ein Anwendungsfall des § 357 Satz 1 StPO ist nicht gegeben. Nicht nur ist mit dem einzigen zuletzt noch im Verfahren verbliebenen Mitangeklagten eine Verständigung nicht zustande gekommen, sondern führte der gerügte Verfahrensfehler auch in diesem Fall zur Aufhebung des Urteils nur bei dem Beschwerdeführer, der den Verstoß gerügt hat (vgl. , BGHSt 17, 176, 178 f.).

Menges                                                            

                                                   Herold

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070125B2STR330.24.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-88106