Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Gemeinsamer Zolltarif – Kombinierte Nomenklatur – Tarifierung der Waren – Tarifposition 8703 – Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zur Personenbeförderung bestimmt sind – Tarifposition 8713 – Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte – Verordnung (EG) Nr. 718/2009 – Durchführungsverordnung (EU) 2021/1367 – Fahrzeug SELVO 4800 – Begriff ‚Behinderte‘
Leitsatz
Die Position 8713 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom , der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom , der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom und der Durchführungsverordnung (EU) 2020/1577 der Kommission vom
ist dahin auszulegen, dass
sie eine Ware wie ein mit einem Elektromotor ausgestattetes vierrädriges Fahrzeug, das einsitzig ist und über einen verstell- und drehbaren Sitz mit Armlehnen, eine separate Lenksäule sowie eine automatische elektromagnetische Bremse verfügt, die auf die Hinterräder wirkt, die so konstruiert sind, dass sie ein Umkippen verhindern sollen, wobei das Fahrzeug mittels eines auf der Lenksäule befindlichen ovalen Lenkers bedient wird und eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h, jedoch nicht mehr als 16 km/h hat, nicht erfasst.
Gesetze: DVO (EU) Nr. 1001/2013, DVO (EU) Nr. 1101/2014, DVO (EU) 2020/1577, DVO (EU) 2021/1367, VO (EG) Nr. 718/2009, KN Pos. 8713, KN Pos. 8703
Gründe
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Tarifpositionen 8703 und 8713 der Kombinierten Nomenklatur (im Folgenden: KN) in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom (ABl. 2012, L 304, S. 1), der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom (ABl. 2013, L 290, S. 1), der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom (ABl. 2014, L 312, S. 1) und der Durchführungsverordnung (EU) 2020/1577 der Kommission vom (ABl. 2020, L 361, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 2658/87). Das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑129/23 betrifft auch die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 718/2009 der Kommission vom zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. 2009, L 205, S. 7) und das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑567/23 die Auslegung der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1367 der Kommission vom zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. 2021, L 294, S. 1).
2 Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der BG Technik cs a.s. (im Folgenden: BG Technik) und dem Generální ředitelství cel (Generaldirektion Zoll, Tschechische Republik) über die zolltarifliche Einreihung der Fahrzeuge SELVO 4800, die von BG Technik in den Jahren 2013 bis 2015 (C‑129/23) und im Jahr 2021 (C‑567/23) eingeführt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
3 Art. 20 („Persönliche Mobilität“) des am in New York geschlossenen und mit dem Beschluss 2010/48/EG des Rates vom (ABl. 2010, L 23, S. 35) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (im Folgenden: VN-Übereinkommen) bestimmt: „Die Vertragsstaaten treffen wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, indem sie unter anderem a) die persönliche Mobilität von Menschen mit Behinderungen in der Art und Weise und zum Zeitpunkt ihrer Wahl und zu erschwinglichen Kosten erleichtern; b) den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten, unterstützenden Technologien und menschlicher und tierischer Hilfe sowie Mittelspersonen erleichtern, auch durch deren Bereitstellung zu erschwinglichen Kosten; c) Menschen mit Behinderungen und Fachkräften, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, Schulungen in Mobilitätsfertigkeiten anbieten; d) Hersteller von Mobilitätshilfen, Geräten und unterstützenden Technologien ermutigen, alle Aspekte der Mobilität für Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen.“
Unionsrecht
Die KN
4 Die zolltarifliche Einreihung von Waren, die in die Europäische Union eingeführt werden, richtet sich nach der KN, die auf dem Harmonisierten System zur Bezeichnung und Codierung der Waren beruht, das mit dem am in Brüssel im Rahmen der Weltzollorganisation (WZO) geschlossenen und mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom (ABl. 1987, L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigten Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren eingeführt wurde (im Folgenden: HS). Die KN übernimmt die sechsstelligen Positionen und Unterpositionen des HS; nur die siebte und die achte Stelle bilden eigene Unterteilungen.
5 Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 wird die Kommission von dem durch Art. 247 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) eingesetzten Ausschuss für den Zollkodex unterstützt.
6 Gemäß Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 veröffentlicht die Europäische Kommission jährlich in Form einer Verordnung die vollständige Fassung der KN zusammen mit den Zollsätzen, wie sie sich aus den vom Rat der Europäischen Union oder von der Kommission beschlossenen Maßnahmen ergeben. Diese Verordnung wird spätestens am 31. Oktober im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und gilt jeweils ab 1. Januar des folgenden Jahres.
7 Teil I der KN umfasst einen Titel I („Allgemeine Vorschriften“), dessen Abschnitt A („Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der [KN]“) bestimmt:
„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:
1. Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.
…
6. Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen [und] die Anmerkungen zu den Unterpositionen … Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“
8 Teil II („Zolltarif“) der KN ist in 21 Abschnitte unterteilt. Abschnitt XVII („Beförderungsmittel“) dieses Teils enthält ein Kapitel 87 („Zugmaschinen, Kraftwagen, Krafträder, Fahrräder und andere nicht schienengebundene Landfahrzeuge, Teile davon und Zubehör“).
9 Dieses Kapitel enthält u. a. folgende Positionen und Unterpositionen:
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KN-Code | Warenbezeichnung | Vertragsmäßiger Zollsatz (%) | Besondere Maßeinheit |
1 | 2 | 3 | 4 |
… | … | … | … |
8703 | Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zur Personenbeförderung bestimmt (ausgenommen solche der Position 8702), einschließlich Kombinationskraftwagen und Rennwagen: | ||
8703 10 | – Schneespezialfahrzeuge (einschließlich Motorschlitten); Spezialfahrzeuge zur Personenbeförderung auf Golfplätzen sowie ähnliche Fahrzeuge: | ||
8703 10 11 | – – Schneespezialfahrzeuge (einschließlich Motorschlitten), mit Kolbenverbrennungsmotor | 5 |
p/st |
8703 10 18 | – – andere |
10 |
p/st |
… | … | … | … |
8713 | Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit Motor oder anderer Vorrichtung zur mechanischen Fortbewegung: | ||
8713 10 00 | – ohne Vorrichtung zur mechanischen Fortbewegung |
frei | p/st |
8713 90 00 |
– andere |
frei |
p/st |
… | … | … | … |
10 In den von der Kommission gemäß Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 erstellten und am (ABl. 2011, C 137, S. 1), am (ABl. 2015, C 76, S. 1) und am (ABl. 2019, C 119, S. 1) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Erläuterungen zur KN heißt es zur Unterposition 8713 90 00 der KN:
„Motorisierte Fahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach speziell für Behinderte bestimmt sind, unterscheiden sich von Fahrzeugen der Position 8703 im Wesentlichen durch:
eine Höchstgeschwindigkeit von maximal 10 km/h als zügige Schrittgeschwindigkeit;
[eine] Breite von höchstens 80 cm;
zwei Radsätze, die den Boden berühren;
bestimmte Merkmale zur Bewältigung der Behinderung (z. B. Fußstützen zum Stabilisieren der Beine).
Diese Fahrzeuge können die folgenden Merkmale aufweisen:
ein zusätzlicher Radsatz (Überrollschutz);
Bedienungs- und andere Steuerelemente (z. B. ein Joystick) zur einfachen Bedienung; derartige Elemente befinden sich üblicherweise an einer der Armlehnen; keinesfalls jedoch erfolgt die Steuerung mittels einer separaten beweglichen Lenksäule.
…“
Verordnung Nr. 718/2009
11 Nach Art. 1 der Verordnung Nr. 718/2009 werden die in Spalte 1 der Tabelle im Anhang dieser Verordnung beschriebenen Waren in die KN unter die in Spalte 2 der Tabelle genannten KN-Codes eingereiht.
12 Die Tabelle im Anhang dieser Verordnung enthält folgende Angaben:
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Warenbezeichnung | Einreihung (KN-Code) | Begründung |
(1) |
(2) |
(3) |
1. Vierrädriges Fahrzeug mit einem Elektromotor, der von zwei aufladbaren 12-V-Batterien gespeist wird. Breite: ca. 48 cm, Länge: 99 cm und Höhe (bei heruntergeklappter Rückenlehne): 58 cm, mit einem Gesamtgewicht (ohne Batterien) von ca. 34,5 kg (Die Höchstbelastung beträgt bis zu 115 kg).
Das Fahrzeug weist folgende Beschaffenheitsmerkmale auf: – eine waagerechte Plattform, die die vorderen und rückwärtigen Abschnitte miteinander verbindet, – kleine Räder (ca. 2,5 × 19,0 cm) mit rutschfesten Reifen, – einen in zwei Positionen höhenverstellbaren Sitz ohne Armlehnen und Griffe und – eine herunterklappbare Lenksäule. Die Lenksäule ist mit einer kleinen Steuereinheit ausgestattet, die mit einem Kontaktschalter, einer Hupe, einer Batteriestandsanzeige und einem Bedienknopf zur Einstellung der Höchstgeschwindigkeit versehen ist. Das Fahrzeug verfügt über zwei Hebel für die Einstellung zum Beschleunigen, Abbremsen und Rückwärtsfahren, die mit dem Daumen bedient werden. An der Rückseite des Fahrzeugs sind Antikippräder angebracht, um ein Umkippen des Fahrzeugs zu verhindern. Es verfügt über ein elektronisches doppeltes Bremssystem. Mit voll aufgeladenen Batterien hat es eine Reichweite von etwa 16 km und kann eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 6,5 km/h erreichen. Das Fahrzeug kann in vier leichte Komponenten zerlegt werden. Es wurde für die Benutzung im Haus, auf Fußwegen und auf öffentlichen Plätzen, etwa für Einkaufszwecke, entworfen. | 8703 10 18 | Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der [KN] sowie nach dem Wortlaut der KN-Codes 8703, 8703 10 und 8703 10 18.
Bei dem Fahrzeug handelt es sich um ein Spezialfahrzeug für die Personenbeförderung. Die Einreihung in die Position … 8713 ist nicht möglich, weil das Fahrzeug nicht speziell zum Befördern von Behinderten bestimmt ist und über keine spezielle Ausstattung von Behindertenfahrzeugen verfügt (vgl. auch Erläuterungen zur Position 8713 des [HS] und Erläuterungen zur Unterposition 8713 90 00 der [KN]). Deshalb ist das Fahrzeug als ein seiner Beschaffenheit nach hauptsächlich zur Personenbeförderung bestimmtes Fahrzeug in den KN-Code 8703 10 18 einzureihen. |
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… | … | … | … |
Abbildung 1
Abbildung 2 |
Abbildung 1 | Abbildung 2
|
Durchführungsverordnung 2021/1367
13 Nach Art. 1 der Durchführungsverordnung 2021/1367 werden die in Spalte 1 der Tabelle im Anhang dieser Verordnung beschriebenen Waren in die KN unter den in Spalte 2 der Tabelle genannten KN-Code eingereiht.
14 Die Tabelle im Anhang dieser Durchführungsverordnung enthält folgende Angaben:
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Warenbezeichnung | Einreihung (KN-Code) | Begründung |
(1) |
(2) |
(3) |
Vierrädriges Fahrzeug mit einem 24 V 800 W-Elektromotor mit Gleichstrom, der mit zwei wiederaufladbaren 12V-Batterien mit einer Kapazität von 45 Amperestunden betrieben wird. Das Fahrzeug ist etwa 65 cm breit, 125 cm lang und 129 cm hoch (gemessen an der Rückenlehne, 85 cm bei eingeklappter Rückenlehne). Sein Gesamtgewicht beträgt etwa 107 kg (108 kg mit Batterien), die Höchstlast etwa 130 kg.
Das Fahrzeug weist folgende Merkmale auf: – eine horizontale Plattform, die den vorderen mit dem hinteren Teil verbindet, wobei die Plattform in keiner Weise an die Bedürfnisse des Benutzers angepasst werden kann (z.B. durch Falten oder Neigen), – zwei gefederte Achsen, einen Hinterachsantrieb und einen Radstand von 820 mm, – eine Steigfähigkeit von 13°, – einen Wendekreis von 210 cm, – zwei Paar aufblasbarer Reifen (die Hinterreifen sind größer als die Vorderreifen), – einen konfigurierbaren, höhenverstellbaren drehbaren Sitz mit Halterungen und Armlehnen und einer rutschfesten Fußablage, – eine einklappbare Lenksäule mit ovalförmiger Lenkstange, – vordere und hintere Leuchten, Fahrtrichtungsanzeiger und Rückspiegel. Die Lenksäule verfügt auch über ein Armaturenbrett mit einem Schaltkasten, einem Geschwindigkeitsregler, einem Hupenknopf, einem Leerlaufknopf, einem Blinker, einem Lichtschalter, einem Anzeiger des Batterieladezustands und einem Geschwindigkeitsregler. Außerdem verfügt das Fahrzeug für das Beschleunigen, Abbremsen und Rückwärtsfahren über zwei Hebel, die manuell bedient werden. Die Lenkanlage kann so eingestellt werden, dass sie mit einer Hand betätigt werden kann. Das Fahrzeug verfügt über ein „intelligentes“ elektromagnetisches Bremssystem mit Energierückgewinnungs-potenzial. Bei voll aufgeladenen Batterien hat das Fahrzeug eine maximale Reichweite von bis zu 45 km und kann eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 15-16 km/h erreichen. Es kann mit kleinen Antikipp-Rädern an der Rückseite, einem Warenkorb, einem Gehstockhalter usw. ausgestattet sein. Das Fahrzeug kann zwecks Transport verstaut werden. Es kann auf Straßen, Gehwegen, Fußwegen, Parkwegen, Fahrradwegen und bestimmten Freizeitwegen oder in Fußgängerbereichen (z.B. Einkaufszentren) genutzt werden. | 8703 10 18 | Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der [KN] sowie nach dem Wortlaut der KN-Codes 8703, 8703 10 und 8703 10 18.
Eine Einreihung in die Position 8713 als Rollstuhl oder anderes Fahrzeug für Behinderte ist ausgeschlossen, da das Fahrzeug nicht speziell für die Beförderung von Behinderten bestimmt ist, denn es verfügt über keine besonderen Merkmale, die eine Behinderung ausgleichen würden. Obwohl das Fahrzeug so konstruiert ist, dass die Lenkanlage mit einer Hand gesteuert werden kann und es über einen bequemen drehbaren Sitz mit Halterungen und einer rutschfesten Fußablage verfügt (und optional mit kleinen Antikipprädern ausgestattet sein kann), stellen diese Merkmale objektiv keine speziellen Merkmale dar, die zum Ausgleich einer Behinderung bestimmt sind (siehe auch die KN-Erläuterungen zu Unterposition 8713 90 00, die HS-Erläuterungen zu Position 8713 und das HS-Einreihungsavis 8703.10/1). Darüber hinaus sind Fahrzeuge mit einer separaten beweglichen Lenksäule und Fahrzeuge, die eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h erreichen, von der Position 8713 ausgeschlossen (siehe auch die KN-Erläuterungen zu Unterposition 8713 90 00). Das Fahrzeug wird zur Personenbeförderung verwendet und ist bei seiner Gestellung bei den Zollbehörden aufgrund seiner objektiven Merkmale und Eigenschaften, die zum Zeitpunkt der Zollabfertigung nachprüfbar sein müssen [(Urteil vom , Latvijas propāna gāze, C‑286/15, EU:C:2016:363)], nicht als Fahrzeug erkennbar, das nur für Menschen mit Behinderungen bestimmt ist [(Urteil vom , Invamed Group u. a., C‑198/15, EU:C:2016:362)]. Nachträgliche Änderungen des Fahrzeugs bleiben unberücksichtigt, ebenso wie jede Bewertung des Fahrzeugs, die von einer nationalen Behörde zu anderen als den in den zollrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Zwecken vorgenommen werden kann. Bei dem Fahrzeug handelt es sich um ein Spezialfahrzeug für die Personenbeförderung. Daher ist es – ähnlich wie die Spezialfahrzeuge zur Personenbeförderung auf Golfplätzen – als hauptsächlich zur Personenbeförderung bestimmtes Kraftfahrzeug in den KN-Code 8703 10 18 einzureihen. |
...
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
In den Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware
15 BG Technik führt das Fahrzeug SELVO 4800 (im Folgenden: SELVO-Fahrzeug), das als vierrädriges Fahrzeug mit einem 800‑W-Elektromotor beschrieben wird, in die Tschechische Republik ein. Das Fahrzeug ist etwa 120 cm hoch, 60 cm breit und 125 cm lang. Seine maximale Reichweite beträgt 45 km und seine maximale Geschwindigkeit über 10 km/h, jedoch nicht mehr als 16 km/h. Das Fahrzeug ist einsitzig und hat einen verstellbaren und drehbaren Sitz mit Armlehnen. Es ist u. a. mit einer separaten Lenksäule, einer automatischen elektromagnetischen Bremse, die auf die Hinterräder wirkt, und mit zwei Reifensätzen ausgestattet, wobei der hintere Radsatz als Kippschutz bestimmt ist. Die Bedienung erfolgt über einen Lenker in geschlossener ovaler Form, der sich an der Lenksäule befindet. Seine Geschwindigkeit und seine Lenkung können mit einer Hand gesteuert werden. Der vordere und der hintere Teil des Fahrzeugs sind durch eine waagerechte Plattform verbunden, auf die der Benutzer seine Füße stellen kann.
16 Konkret stellt sich das SELVO-Fahrzeug wie folgt dar:
...
Rechtssache C‑129/23
17 BG Technik reihte die in der Zeit von Juli 2013 bis September 2015 eingeführten SELVO-Fahrzeuge als „Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit Motor oder anderer Vorrichtung zur mechanischen Fortbewegung; andere“ – für die kein Zoll erhoben wird – in die Unterposition 8713 90 00 der KN ein.
18 Im Mai 2016 erließ der Celní úřad pro hlavní město Prahu (Zollamt für die Hauptstadt Prag, Tschechische Republik) gegen BG Technik einen Bescheid über die Nacherhebung von Zoll für diese Einfuhren. Er war der Ansicht, dass die SELVO-Fahrzeuge als „Schneespezialfahrzeuge (einschließlich Motorschlitten); Spezialfahrzeuge zur Personenbeförderung auf Golfplätzen sowie ähnliche Fahrzeuge; andere“ – für die ein Zollsatz von 10 % gilt – in die Unterposition 8703 10 18 der KN einzureihen seien.
19 Nachdem BG Technik gegen diesen Bescheid erfolglos Einspruch bei der Generaldirektion Zoll eingelegt hatte, erhob sie gegen deren Entscheidung Klage beim Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschechische Republik), der stattgegeben wurde. Dieses Gericht stützte sich auf die Rechtsprechung des Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) zur Einfuhr des SELVO-Fahrzeugs während eines anderen Zeitraums als dem in der Rechtssache C‑129/23 in Rede stehenden, um festzustellen, dass dieses Fahrzeug unter die Position 8713 der KN falle, da es die Merkmale eines Fahrzeugs für Behinderte aufweise. Der Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag) war der Ansicht, dass das Fehlen bestimmter in den Erläuterungen zur KN vorgesehener Merkmale und das Vorhandensein einer separaten Lenksäule nichts an der Funktion des Fahrzeugs – Unterstützung für Personen mit eingeschränkter Gehfähigkeit – änderten. Außerdem sei die Verordnung Nr. 718/2009, nach der Fahrzeuge mit einer separaten Lenksäule von der Position 8713 der KN ausgenommen seien, nicht auf die SELVO-Fahrzeuge anwendbar, da diese für Behinderte bestimmt seien.
20 Die Generaldirektion Zoll legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑129/23, ein und machte geltend, dass der Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag) nicht berücksichtigt habe, dass Fahrzeuge mit einer separaten Lenksäule gemäß den Erläuterungen zur KN, der Verordnung Nr. 718/2009, dem Urteil vom , Lecson Elektromobile (C‑12/10, EU:C:2010:823), und bestimmten Stellungnahmen des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 genannten Ausschusses für den Zollkodex von der Position 8713 der KN ausgenommen seien.
21 BG Technik hebt ihrerseits hervor, dass für die zolltarifliche Einreihung von Waren nur die objektiven Merkmale und Eigenschaften entsprechend der Beschreibung in den Positionen und Unterpositionen der KN zu berücksichtigen seien, die im Unterschied zu den Erläuterungen zur KN verbindlich seien.
22 Der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) erklärt, dass er entscheiden müsse, ob das SELVO-Fahrzeug unter die Position 8713 der KN fallen könne, auch wenn es die in den KN-Erläuterungen zu dieser Position vorgesehene Höchstgeschwindigkeit überschreite und über eine separate Lenksäule verfüge.
23 Dieses Gericht verweist erstens auf Unterschiede zwischen dem Urteil vom , Invamed Group u. a. (C‑198/15, EU:C:2016:362), mit dem der Bereich der Position 8713 der KN erweitert worden sei, und dem Urteil vom , Lecson Elektromobile (C‑12/10, EU:C:2010:823), aus dem hervorgehe, dass dieser Bereich enger sei. Mit der Verwendung des Begriffs „Behinderte“, der nach seiner Auslegung in Rn. 34 des erstgenannten Urteils Personen bezeichne, die von einer nicht marginalen Einschränkung ihrer Gehfähigkeit betroffen seien, bezeichne die Beschreibung der in die Position 8713 einzureihenden Waren in Wirklichkeit nur den Verwendungszweck dieser Waren. Es bleibe zu klären, ob die Erläuterungen zur KN, die u. a. mit einer separaten Lenksäule ausgestattete Fahrzeuge von dieser Tarifposition ausschlössen, den Sinn und die Tragweite dieser Position veränderten oder nicht. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach der Verkündung des Urteils vom , Invamed Group u. a. (C‑198/15, EU:C:2016:362), einige nationale Gerichte die Erläuterungen zur KN „stillschweigend beiseite[gelassen]“ hätten, indem sie dem SELVO-Fahrzeug ähnliche Fahrzeuge in die Position 8713 der KN eingereiht hätten, während die Zollbehörden mehrerer Mitgliedstaaten solche Fahrzeuge weiterhin in die Position 8703 der KN einreihten.
24 Zweitens hält es der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) für erforderlich, die Auswirkungen der Verordnung Nr. 718/2009, die den Zeitraum erfasse, in dem die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑129/23 in Rede stehenden Waren eingeführt worden seien, auf die zolltarifliche Einreihung des SELVO-Fahrzeugs zu klären. Er weist darauf hin, dass diese Verordnung zwei dem SELVO-Fahrzeug ähnliche Fahrzeuge beschreibe und sie in die Position 8703 einreihe. Auf der Grundlage von Rn. 35 des Urteils vom , Krings (C‑130/02, EU:C:2004:122), sei auch das SELVO-Fahrzeug in diese Position einzureihen.
25 Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Kann ein Elektrowagen mit einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h, der mit einer separaten beweglichen Lenksäule ausgestattet ist, trotz der im Amtsblatt der Europäischen Union vom und vom veröffentlichten Erläuterungen zur KN in die Position 8713 der KN eingereiht werden?
2. Gilt die Verordnung Nr. 718/2009 – neben den darin unmittelbar beschriebenen Fahrzeugen – auch für Elektrowagen mit folgenden Merkmalen:
vier Räder (hinterer Radsatz als Überrollschutz),
verstell- und drehbarer Sitz mit Armlehnen,
waagerechte Plattform zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des Wagens,
800-W-Elektromotor, mit dem eine Geschwindigkeit von bis zu 16 km/h und eine Reichweite von bis zu 45 km erreicht werden kann,
elektromagnetische Bremse, die auf die Hinterräder wirkt,
geschlossener Lenker, der an einer separaten, beweglichen Lenksäule angebracht und mit Hebeln zur Wahl der Geschwindigkeit ausgestattet ist?
Rechtssache C‑567/23
26 Am reichte BG Technik eine Zollanmeldung für 79 SELVO-Fahrzeuge ein, die sie als „Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit Motor oder anderer Vorrichtung zur mechanischen Fortbewegung; andere“ – für die kein Zoll erhoben wird – in die Unterposition 8713 90 00 der KN einreihte.
27 Das zuständige Zollamt war der Ansicht, dass die von BG Technik vorgeschlagene zolltarifliche Einreihung unzutreffend sei, da das SELVO-Fahrzeug in die Unterposition 8703 10 18 der KN einzureihen sei. Es leitete daraufhin ein Verfahren zur Nacherhebung von Einfuhrzoll in Höhe von 155 785 tschechischen Kronen (CZK) (etwa 6 200 Euro) ein und erließ einen Nacherhebungsbescheid, gegen den BG Technik bei der Generaldirektion Zoll Einspruch einlegte.
28 Mit Entscheidung vom wies diese Behörde den Einspruch zurück und bestätigte den angefochtenen Nacherhebungsbescheid. Gegen diese Entscheidung erhob BG Technik Klage beim Krajský soud v Ostravě (Regionalgericht Ostrava, Tschechische Republik), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑567/23.
29 BG Technik macht geltend, die Durchführungsverordnung 2021/1367, mit der das SELVO-Fahrzeug in die Unterposition 8703 10 18 der KN eingereiht worden sei, sei für diese Ware „nicht verbindlich und nicht anwendbar“. Die Zollbehörden der Mitgliedstaaten hätten „selbst den Erlass der [Durchführungsverordnung] veranlasst“ und „buchstäblich eine Situation geschaffen, die [BG Technik] keinen Raum mehr lasse, Merkmale und Eigenschaften anzugeben, die die Benutzung [dieser Fahrzeuge] durch Behinderte ermöglichen“.
30 BG Technik trägt vor, das SELVO-Fahrzeug sei mit einer Entscheidung des Ministerstvo dopravy České republiky (Verkehrsministerium der Tschechischen Republik) über die technische Zulassung in die Kategorie „Andere Fahrzeuge, Rollstühle“ eingereiht worden und stelle nach einer Entscheidung des Státní ústav pro kontrolu léčiv (Staatliches Institut für Arzneimittelkontrolle, Tschechische Republik) vom ein Medizinprodukt dar. Mit dem Ausschluss des SELVO-Fahrzeugs von der Unterposition 8713 90 00 der KN und seiner Einreihung in die Unterposition 8703 10 18 der KN würden somit die technischen Besonderheiten und die Funktion dieses Fahrzeugs verkannt, nämlich dass es mit besonderen Vorrichtungen zur Beförderung von Behinderten ausgestattet sei und von Behinderten und Personen mit Behinderungen verwendet werde.
31 Die Generaldirektion Zoll trägt ihrerseits vor, das SELVO-Fahrzeug entspreche in seinen Eigenschaften, Parametern und Merkmalen vollauf der in der ersten Spalte des Anhangs der Durchführungsverordnung 2021/1367 beschriebenen Ware, die mit dieser Verordnung in die Unterposition 8703 10 18 der KN eingereiht worden sei. Die Einreihung dieses Fahrzeugs in die Unterposition 8713 90 00 der KN sei ausgeschlossen, da es über keine besondere Ausstattung für die Beförderung von Behinderten verfüge. Außerdem schließe diese Durchführungsverordnung Fahrzeuge mit einer separaten beweglichen Lenksäule und Fahrzeuge, die eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h erreichten, von der Unterposition 8713 90 00 der KN aus.
32 Der Krajský soud v Ostravě (Regionalgericht Ostrava) weist darauf hin, dass die Tschechische Republik vor dem Erlass der Verordnung 2021/1367, die in zeitlicher Hinsicht auf die Einfuhren anwendbar sei, um die es im Ausgangsverfahren in der der Rechtssache C‑567/23 gehe, angegeben habe, dass die Zollbehörden nach der nationalen Rechtsprechung verpflichtet seien, das SELVO-Fahrzeug in die Position 8713 der KN einzureihen. Nach dieser Rechtsprechung weise ein solches Fahrzeug bestimmte Ausstattungen auf, aufgrund deren es für die Nutzung durch „Behinderte“ entsprechend der weiten Auslegung dieses Begriffs im Urteil vom , Invamed Group u. a. (C‑198/15, EU:C:2016:362), geeignet sei. Im Übrigen wirke sich der Umstand, dass das SELVO-Fahrzeug von anderen Personen als Behinderten benutzt werden könne, nicht auf seine zolltarifliche Einreihung in diese Position aus.
33 Der Krajský soud v Ostravě (Regionalgericht Ostrava) hegt daher Zweifel an der Anwendbarkeit der Durchführungsverordnung 2021/1367 auf das SELVO-Fahrzeug, „weil der Ausschuss für den Zollkodex beim Erlass dieser [Durchführungs‑]Verordnung sehr formalistisch auf die jüngere Rechtsprechung reagiert hat, die [dieses Fahrzeug] nach seinem Verwendungszweck beurteilt“. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts führt die Durchführungsverordnung „direkt Merkmale von Waren auf, die nicht als Ausgleich für Behinderungen im Sinne der [Position] 8713 [der KN] angesehen werden können, was der Beurteilung von Waren nach ihrem Verwendungszweck zuwiderläuft“.
34 Der Krajský soud v Ostravě (Regionalgericht Ostrava) ist schließlich der Ansicht, dass die Anwendung der Durchführungsverordnung 2021/1367 gegen Art. 20 des VN-Übereinkommens verstoße und nicht nur die Rechte von Menschen mit Behinderungen dadurch einschränke, dass der Preis des SELVO-Fahrzeugs erhöht werde, sondern in der Praxis auch die Entwicklung und Herstellung innovativer Komponenten von Rollstühlen oder Fahrzeugen für Menschen mit Behinderungen einschränke.
35 Unter diesen Umständen hat der Krajský soud v Ostravě (Regionalgericht Ostrava) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Kann ein Elektrowagen, der durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:
zwei Achsen mit einer angetriebenen Hinterachse,
zwei Reifensätze, wobei die hinteren Reifen größer sind, als Antikippschutz,
der Wagen wird mittels einer Lenkstange von geschlossener ovaler Form bedient, die sich auf einer separaten, getrennten Lenksäule befindet, mit Bedienelementen ausgestattet und für die einhändige Steuerung und Geschwindigkeitsregelung geeignet ist,
der Wagen ist mit einer elektromagnetischen Bremse ausgestattet, die auf die Hinterräder wirkt,
die Abmessungen des Wagens betragen 122 x 63 x 125 cm (L-B-H) – die Höhe wird mit der Rückenlehne in Betriebsposition angegeben,
verstell- und drehbarer Sitz mit Armlehnen,
horizontale Plattform zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des Wagens,
800-W-Elektromotor, mit dem der Wagen eine Geschwindigkeit von bis zu 15 km/h und eine Reichweite von bis zu 45 km erreichen kann,
trotz der Durchführungsverordnung 2021/1367 in die Unterposition 8713 90 00 der Kombinierten Nomenklatur eingereiht werden?
Verfahren vor dem Gerichtshof
36 Mit Entscheidung vom sind die Rechtssachen C‑129/23 und C‑567/23 zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
37 Mit den beiden Fragen in der Rechtssache C‑129/23 und der einzigen Frage in der Rechtssache C‑567/23, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die Position 8713 der KN dahin auszulegen ist, dass sie eine Ware wie ein mit einem Elektromotor ausgestattetes vierrädriges Fahrzeug erfasst, das einsitzig ist und über einen verstell- und drehbaren Sitz mit Armlehnen, eine separate Lenksäule sowie eine automatische elektromagnetische Bremse verfügt, die auf die Hinterräder wirkt, die so konstruiert sind, dass sie ein Umkippen verhindern sollen, wobei das Fahrzeug mittels eines auf der Lenksäule befindlichen ovalen Lenkers bedient wird und eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h, jedoch nicht mehr als 16 km/h hat.
38 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es die betreffenden Waren richtig in die KN einreihen kann, nicht aber, diese Einreihung selbst vorzunehmen. Die Einreihung der in Rede stehenden Waren beruht nämlich auf einer reinen Tatsachenfeststellung, die der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nicht vorzunehmen hat (Urteil vom , Samohýl group, C‑941/19, EU:C:2021:192, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Sodann ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das für die zolltarifliche Einreihung von Waren entscheidende Kriterium allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN‑Position und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteil vom , Samohýl group, C‑941/19, EU:C:2021:192, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Verwendungszweck der Ware kann ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er der Ware innewohnt, was anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware zu beurteilen ist (Urteil vom , Invamed Group u.a., C‑198/15, EU:C:2016:362, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Erstens erfasst die Position 8713 der KN „Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit Motor oder anderer Vorrichtung zur mechanischen Fortbewegung“.
41 Der Gerichtshof hat den Begriff „Behinderte“ bereits dahin ausgelegt, dass er Personen bezeichnet, die von einer nicht marginalen Einschränkung ihrer Gehfähigkeit betroffen sind, wobei die Dauer dieser Einschränkung sowie das etwaige Vorliegen weiterer Einschränkungen ihrer Fähigkeiten unbeachtlich sind. Außerdem ist der Ausdruck „für Behinderte“ dahin ausgelegt worden, dass das betreffende Fahrzeug nur für Behinderte bestimmt ist. Insoweit ist klargestellt worden, dass der Umstand, dass ein solches Fahrzeug gegebenenfalls von Personen ohne Behinderung benutzt werden kann, für seine Einreihung in die Position 8713 der KN unbeachtlich ist, da es aufgrund seiner ursprünglichen Bestimmung nicht für andere Personen, die an keiner Behinderung leiden, geeignet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Invamed Group u. a., C‑198/15, EU:C:2016:362, Rn. 26, 27 und 34).
42 Die zolltarifliche Einreihung hat somit nicht die mögliche Verwendung zu berücksichtigen, sondern nur die vorgesehene Verwendung, die auf der Grundlage der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses zum Zeitpunkt seiner Einfuhr zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Invamed Group u. a., C‑198/15, EU:C:2016:362, Rn. 24).
43 Im Übrigen hat der Gerichtshof festgestellt, dass aus der KN-Erläuterung zu Position 8713 eindeutig hervorgeht, dass das bestimmende Kriterium für die Einreihung in diese Position die besondere Ausstattung des Fahrzeugs für Behinderte ist und dass daher zu dieser Position Fahrzeuge gehören, die speziell der Beförderung von Behinderten dienen. In ihrem letzten Absatz stellt diese Erläuterung klar, dass motorbetriebene Scooter mit einer separaten beweglichen Lenksäule dagegen von dieser Position ausgeschlossen sind und in die Position 8703 der KN einzureihen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Lecson Elektromobile, C‑12/10, EU:C:2010:823, Rn. 19 und 20).
44 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die SELVO-Fahrzeuge über eine separate Lenksäule verfügen, auf der sich der Lenker und die Steuerelemente zum Fahren befinden, dass ihre Höchstgeschwindigkeit mehr als 10 km/h beträgt und dass sie eine Plattform, auf der der Fahrer seine Füße abstellen kann, sowie ein Kippschutzsystem haben. Im Übrigen ist, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen in den Rechtssachen C‑129/23 und C‑567/23 im Wesentlichen ausgeführt hat, in Anbetracht der Beschreibung des SELVO-Fahrzeugs in den Vorlageentscheidungen in diesen Rechtssachen davon auszugehen, dass es u. a. für ältere Menschen mit leichten gesundheitlichen Problemen, deren Gehfähigkeit geringfügig eingeschränkt ist, entworfen wurde. Dieses Fahrzeug ist daher nicht im Sinne der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nur zur Beförderung Behinderter bestimmt, unbeschadet dessen, dass es gegebenenfalls von der letztgenannten Personengruppe genutzt werden kann.
45 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Position 8713 der KN nicht dahin ausgelegt werden kann, dass eine Ware wie die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils beschriebene angesichts ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften als Fahrzeug, das nur für Behinderte bestimmt ist, in diese Position einzureihen ist.
46 Zweitens ist zum einen festzustellen, dass die Verordnung Nr. 718/2009, die in dem Zeitraum galt, in dem die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑129/23 in Rede stehenden Einfuhren erfolgten, zwei dem SELVO-Fahrzeug ähnliche Fahrzeuge in die Unterposition 8703 10 18 der KN einreiht. Zum anderen reiht die Durchführungsverordnung 2021/1367, die auf die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑567/23 in Rede stehenden Einfuhren anwendbar ist, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil vom , Invamed Group u. a. (C‑198/15, EU:C:2016:362), ein mit dem SELVO-Fahrzeug identisches Fahrzeug in dieselbe Unterposition ein.
47 Die Kommission erlässt eine Tarifierungsverordnung für Waren wie die in der vorstehenden Randnummer genannten Verordnungen, wenn die Einreihung einer bestimmten Ware in die KN Schwierigkeiten bereiten oder zu unterschiedlichen Meinungen führen kann. Eine solche Verordnung ist indessen von allgemeiner Tragweite, da sie nicht für einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer, sondern für die Gesamtheit der Waren gilt, die mit der mit ihr eingereihten Ware identisch sind (Urteil vom , Stryker EMEA Supply Chain Services, C‑51/16, EU:C:2017:298, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ergibt sich aus den Überschriften der Position 8703 und der Position 8713 der KN, dass der Unterschied zwischen ihnen darin besteht, dass zur ersten Position Transportmittel für Personen allgemein gehören, während die zweite spezifisch Transportmittel für Behinderte erfasst (Urteile vom , Lecson Elektromobile, C‑12/10, EU:C:2010:823, Rn. 18, und vom , Invamed Group u. a., C‑198/15, EU:C:2016:362, Rn. 21).
49 Der Umstand, dass Waren wie das SELVO-Fahrzeug gegebenenfalls von Behinderten verwendet oder auch an die Verwendung durch diese angepasst werden können, ist für die zolltarifliche Einreihung solcher Fahrzeuge in die Position 8703 der KN unbeachtlich, da sie für die Ausübung mehrerer anderer Tätigkeiten von Personen ohne Behinderung geeignet sind, die aus dem einen oder anderen Grund auf kurzen Strecken lieber nicht zu Fuß gehen, seien es Golfspieler oder Personen, die einkaufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Invamed Group u. a., C‑198/15, EU:C:2016:362, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
50 Da die Position 8703 der KN vom Gerichtshof bereits dahin ausgelegt worden ist, dass sie als Fahrzeuge zur Personenbeförderung Waren erfasst, die wie die SELVO-Fahrzeuge Merkmale wie die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten aufweisen (Urteil vom , Lecson Elektromobile, C‑12/10, EU:C:2010:823, Rn. 24), und da, wie das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑129/23 ausführt, diese Fahrzeuge nicht mit den Fahrzeugen identisch sind, die Gegenstand der Verordnung Nr. 718/2009 sind, sondern diesen nur ähneln, ist es nicht erforderlich, diese Verordnung entsprechend auf die SELVO-Fahrzeuge anzuwenden, um sie in diese Tarifposition einzureihen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Medtronic, C‑227/17, EU:C:2018:247, Rn. 59).
51 Zu den Argumenten, die das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑567/23 und BG Technik vorgebracht haben, um die Anwendung der Durchführungsverordnung 2021/1367 auf das SELVO-Fahrzeug auszuschließen, ist Folgendes festzustellen.
52 Was erstens das Argument betrifft, dass diese Verordnung für den speziellen Fall von BG Technik erlassen worden sei, was zum einen diese daran hindere, die Merkmale und Eigenschaften anzugeben, die die Benutzung ihrer Fahrzeuge durch Behinderte ermöglichten, und zum anderen das Erfordernis in Bezug auf den allgemeinen Charakter einer solchen Verordnung verkannt habe, so genügt der Hinweis – entsprechend dem Vorbringen der tschechischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen in der Rechtssache C‑567/23 –, dass der Zweck einer Tarifierungsverordnung darin besteht, die Ware, die damit in die KN eingereiht werden soll, konkret zu beschreiben, ohne Raum für eine subjektive Beurteilung der Ware zu lassen, da ihr sonst die praktische Wirksamkeit genommen würde.
53 Was zweitens das Vorbringen betrifft, das SELVO-Fahrzeug müsse entsprechend den von den tschechischen Behörden ausgestellten Dokumenten wie der Entscheidung des Verkehrsministeriums der Tschechischen Republik über die technische Zulassung in Position 8713 der KN eingereiht werden, so ist darauf hinzuweisen, dass die Art der Behandlung einer Ware nach einer nationalen Regelung, die andere Ziele als die KN verfolgt, für ihre Einreihung in die KN nicht maßgeblich ist. Diese Einreihung muss nämlich insbesondere die Kohärenz der Auslegung der KN und der Auslegung des HS – das durch ein internationales Übereinkommen mit der Europäischen Union als einer Vertragspartei festgelegt wurde – wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , LEK, C‑700/15, EU:C:2016:959, Rn. 36).
54 Drittens führt die im Anschluss an das Urteil vom , Invamed Group u. a. (C‑198/15, EU:C:2016:362), entwickelte Rechtsprechung der tschechischen Gerichte zwar zu einer Einreihung des SELVO-Fahrzeugs in die Position 8713 der KN, doch beruhte diese Rechtsprechung, wie aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑567/23 hervorgeht, u. a. auf den in der vorstehenden Randnummer genannten Dokumenten der nationalen Behörden, die, wie die tschechische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen in dieser Rechtssache ausgeführt hat, auf der Bezeichnung der Ware durch den Einführer oder den Hersteller selbst beruhen. Bei der Tarifierung ist jedoch, wie sich aus der in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, der der fraglichen Ware innewohnende Verwendungszweck zu berücksichtigen. Dieser der Ware innewohnende Verwendungszweck ist anhand ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften zu beurteilen.
55 Soweit BG Technik viertens in ihren schriftlichen Erklärungen in der Rechtssache C‑567/23 der Kommission vorwirft, sie habe vor dem Erlass der Durchführungsverordnung 2021/1367 gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen, indem sie die in der vorstehenden Randnummer angeführte nationale Rechtsprechung nicht hinreichend berücksichtigt habe, so genügt der Hinweis, dass die Kommission beim Erlass einer Tarifierungsverordnung nicht an die Rechtsprechung eines Mitgliedstaats gebunden ist. Mit einer solchen Verordnung soll nämlich einer Situation der Rechtsunsicherheit abgeholfen werden, die insbesondere im Fall von Unterschieden in der Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis zwischen den Mitgliedstaaten betreffend die zolltarifliche Einreihung ein und derselben Ware bestehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Amoena, C‑677/18, EU:C:2019:1142, Rn. 58).
56 Was fünftens das Argument betrifft, die Anwendung der Durchführungsverordnung 2021/1367 auf das SELVO-Fahrzeug verstoße gegen das VN-Übereinkommen, so genügt der Hinweis, dass, da dieses Fahrzeug nicht nur für Behinderte bestimmt ist, nicht geltend gemacht werden kann, dass mit der Erhebung von Zöllen auf dieses Fahrzeug die Rechte dieser Personen missachtet würden. Im Übrigen verlangt dieses Übereinkommen, insbesondere sein Art. 20, nicht, dass die Fahrzeuge, die als Mobilitätshilfe dienen, von Zöllen befreit sind.
57 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen in der Rechtssache C‑129/23 und auf die einzige Frage in der Rechtssache C‑567/23 zu antworten, dass die Position 8713 der KN dahin auszulegen ist, dass sie eine Ware wie ein mit einem Elektromotor ausgestattetes vierrädriges Fahrzeug, das einsitzig ist und über einen verstell- und drehbaren Sitz mit Armlehnen, eine separate Lenksäule sowie eine automatische elektromagnetische Bremse verfügt, die auf die Hinterräder wirkt, die so konstruiert sind, dass sie ein Umkippen verhindern sollen, wobei das Fahrzeug mittels eines auf der Lenksäule befindlichen ovalen Lenkers bedient wird und eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h, jedoch nicht mehr als 16 km/h hat, nicht erfasst.
Kosten
58 Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Die Position 8713 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom , der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom , der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom und der Durchführungsverordnung (EU) 2020/1577 der Kommission vom
ist dahin auszulegen, dass
sie eine Ware wie ein mit einem Elektromotor ausgestattetes vierrädriges Fahrzeug, das einsitzig ist und über einen verstell- und drehbaren Sitz mit Armlehnen, eine separate Lenksäule sowie eine automatische elektromagnetische Bremse verfügt, die auf die Hinterräder wirkt, die so konstruiert sind, dass sie ein Umkippen verhindern sollen, wobei das Fahrzeug mittels eines auf der Lenksäule befindlichen ovalen Lenkers bedient wird und eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h, jedoch nicht mehr als 16 km/h hat, nicht erfasst.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:995
Fundstelle(n):
IAAAJ-88057