Suchen
BGH Beschluss v. - AK 13/25

Instanzenzug: Az: 2 BGs 591/24

Gründe

I.

1Der Beschuldigte wurde am festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ).

2Gegenstand des Haftbefehls war der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich spätestens seit dem in Deutschland durch elf selbständige Handlungen in einem besonders schweren Fall an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen sei, und habe hierbei in zehn Fällen jeweils tateinheitlich eine Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“ [IS]) unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, und als Mitglied einer Bande dem Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 139 vom , S. 9) veröffentlichten, unmittelbar geltenden Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom , die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme diene, zuwidergehandelt, strafbar gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2, Abs. 5 Satz 3, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom (ABl. L 179 vom , S. 85).

3Die weiteren Ermittlungen haben nach der Inhaftierung Hinweise auf weitere Straftaten des Beschuldigten ergeben, auf Grundlage derer der Generalbundesanwalt am die Erweiterung und Anpassung des bestehenden Haftbefehls beantragt hat. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat am den bestehenden Haftbefehl aufgehoben und durch einen neuen Haftbefehl ersetzt (2 BGs 1013/24). Gegenstand dieses neuen, dem Beschuldigten am selben Tag verkündeten Haftbefehls sind zunächst die bereits zuvor erfassten Taten, hinsichtlich derer teilweise eine Anpassung an neue Ermittlungserkenntnisse in Bezug auf Tatmodalitäten und -zeiträume vorgenommen worden ist.

4Zusätzlich enthält der neue Haftbefehl den darüber hinausgehenden Vorwurf, der Beschuldigte habe sich durch 19 weitere selbständige Handlungen in einem besonders schweren Fall als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung beteiligt sowie jeweils tateinheitlich eine terroristische Vereinigung im Ausland (IS) unterstützt und dem Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union zuwidergehandelt, hiervon in neun Fällen als Mitglied einer Bande, strafbar gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2, Abs. 5 Satz 3, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 25 Abs. 2, §§ 5253 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom (ABl. L 179 vom , S. 85).

II.

5Eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO ist derzeit nicht veranlasst. Der Beschuldigte befindet sich zwar seit mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft. Wegen der ihm im Haftbefehl vom erstmals vorgeworfenen Taten hat jedoch eine neue Sechsmonatsfrist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO begonnen, deren Ablauf erst am bevorsteht.

61. Gemäß § 121 Abs. 1 StPO darf der Vollzug der Untersuchungshaft „wegen derselben Tat“ vor dem Erlass eines Urteils nur unter besonderen Voraussetzungen länger als sechs Monate aufrechterhalten werden.

7Der Begriff derselben Tat im Sinne dieser Vorschrift weicht vom prozessualen Tatbegriff im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ab und ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Er erfasst alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Dadurch wird eine sogenannte Reservehaltung von Tatvorwürfen vermieden, die darin bestünde, dass von Anfang an bekannte oder im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordene Taten zunächst zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Sechsmonatsfrist zu eröffnen. Somit löst es keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus, wenn ein neuer Haftbefehl lediglich auf Tatvorwürfe gestützt beziehungsweise durch sie erweitert wird, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt waren. Tragen dagegen die erst im Laufe der Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt. Für den Fristbeginn ist dann der Zeitpunkt maßgeblich, in dem sich der Verdacht hinsichtlich der neuen Tatvorwürfe zu einem dringenden verdichtet hat. Entscheidend ist mithin, wann der neue oder erweiterte Haftbefehl hätte erlassen werden können, nicht hingegen, wann die Staatsanwaltschaft ihn erwirkt hat. Dabei ist – im Sinne einer zuverlässigen Fristberechnung – regelmäßig davon auszugehen, dass der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen ist (s. , NStZ-RR 2023, 349 f. mwN).

82. An diesen Maßstäben gemessen hat der Haftbefehl vom eine neue Sechsmonatsfrist eröffnet. Er ist wegen weiterer selbständiger Tatvorwürfe ergangen, die nicht Gegenstand des ersten Haftbefehls waren (nachfolgend a), erst im Laufe der nachfolgenden Ermittlungen bekannt geworden sind (unten b) und für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen (unten c). Die nunmehr maßgebliche Sechsmonatsfrist läuft seit dem ; ab diesem Tag hätte der erweiterte Haftbefehl theoretisch ergehen können (unten d).

9a) Der Beschuldigte ist – über die Vorwürfe des früheren Haftbefehls hinaus – der ihm im Haftbefehl vom erstmals zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

10aa) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

11(1) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

12Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seitdem ernannte die Organisation mehrere Nachfolger, die ebenfalls getötet wurden.

13Dem Anführer des IS unterstanden ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah – Rasul – Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

14Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen werden vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er Massaker an Zivilisten und Terroranschläge außerhalb seines Machtbereichs. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.

15Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS – nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz – sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt. Tausende von IS-Kämpfern sowie Zehntausende Frauen und Kinder wurden in Gefängnissen und Lagern, etwa in Al-Hol oder Roj im Nordosten Syriens, interniert.

16Trotz des Zusammenbruchs des Kalifats war der IS als militant-dschihadistische und international agierende Organisation nicht vollständig zerschlagen. Vielmehr verblieb die Vereinigung unter Aufrechterhaltung ihrer ideologischen Ausrichtung in der Folgezeit in ihrem Kerngebiet, insbesondere in der syrisch-irakischen Grenzregion sowie der syrischen Wüste. Auch passte sich der IS an die veränderten Rahmenbedingungen an. So benannte er kurz nach der Tötung seines Anführers Abu Bakr al-Baghdadi und seines offiziellen Sprechers zwei Nachfolger, setzte seine Propagandatätigkeiten fort und operierte zunehmend aus dem Untergrund heraus. Schätzungen zufolge verfügt er im Kerngebiet weiterhin über 4.000 bis 6.000 aktive Kämpfer. In den Jahren 2019 bis 2021 verübte er mehrere Tausend terroristische Anschläge in Syrien und im Irak in Form von Sturm- und Raketenangriffen sowie Selbstmord- und Sprengstoffanschlägen. Derartige militärische Operationen führte er auch in Somalia, Ägypten/Sinai, Jemen, Nigeria, Tschad und Burkina Faso aus. Daneben nahm er gezielt Tötungen und Hinrichtungen von Einzelpersonen wie beispielsweise sunnitischen Stammesältesten, Kämpfern der „Syrian Democratic Forces“ (SDF) und solchen des syrischen Regimes vor.

17Mit der Ausrufung weltweiter Provinzen außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und fortwährender terroristischer Aktivitäten in zahlreichen Staaten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai, West- und Zentralafrika, sowie in der Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan – dort unter der Bezeichnung „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) – unterstreicht der IS seinen Anspruch, ein global handelnder Akteur zu sein.

18(2) Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem schlossen sich die Mitbeschuldigten A.              , Ak.     , B.            , E.              , K.        , M.          und Mu.            sowie weitere, derzeit noch unbekannte Personen dauerhaft zu dem Zweck zusammen, in Deutschland und weiteren europäischen Ländern, insbesondere Österreich, Belgien und Frankreich, Gelder zu akquirieren, um diese Empfängern in den Reihen des IS zur Verfügung zu stellen und hierdurch die Struktur und den Fortbestand des IS, auch nach dessen militärischer Niederlage, langfristig zu sichern. Dem Mitbeschuldigten D.                 in kurzem zeitlichen Abstand nachfolgend gliederte sich der Beschuldigte spätestens am in die Gruppierung ein.

19Zur Finanzierung des IS wurden sowohl „Spendensammlungen“, insbesondere über soziale Medien, durchgeführt als auch Gelder von Dritten angenommen und monatliche Beiträge von mindestens 50 Euro pro Mitglied der Telegram-Chatgruppe „V.         “ in die gemeinsame Kasse eingezahlt. Anschließend fand ein Transfer der Gelder auf verschiedenen Wegen – unter anderem mittels Kryptowährungen und über Mittelsmänner – an die vereinbarten Empfänger statt.

20Zunächst wurden die eingenommenen Beträge zur Unterstützung und gegebenenfalls dem Freikauf von in syrischen Flüchtlingslagern internierten weiblichen IS-Mitgliedern und zur Deckung deren Lebensbedarfs verwendet. Spätestens ab dem erweiterte die Gruppierung ihre Ziele einvernehmlich dahin, die gesammelten Gelder auch zur Unterstützung von inhaftierten und aktiven Kämpfern des IS sowie sonstiger dem IS angehöriger Personen einzusetzen.

21Entscheidungen zur Verwendung der Gelder, deren Akquise sowie zum generellen Vorgehen wurden durch Abstimmung unter den Gruppenmitgliedern, insbesondere unter Nutzung der geschlossenen Kommunikationsplattform Telegram, getroffen. Die einzelnen Mitglieder waren bei der Entscheidungsfindung bezüglich der zu unterstützenden Projekte gleichberechtigt. Die Gruppierung war jedoch insoweit hierarchisch strukturiert, als der Mitbeschuldigte A.              spätestens am zum Oberhaupt gewählt wurde. Dem Mitbeschuldigten M.          kam ebenfalls eine herausgehobene Stellung zu. Beide waren auch IS-Mitglieder.

22Die erforderlichen Aufgaben zur Umsetzung der kriminellen Zielsetzung der Gruppierung wie die Entgegennahme und Weiterleitung von Geldern sowie die Rechnungslegung wurden arbeitsteilig von den einzelnen Mitgliedern wahrgenommen. Der Vorschlagende präsentierte den weiteren Beschuldigten die zu unterstützenden Projekte und stellte sie zur Disposition. Im Falle der Zustimmung der jeweiligen weiteren Beschuldigten wurde geprüft, ob ausreichende finanzielle Mittel vorhanden waren. Erst im Anschluss kam es mit Einverständnis der Mitglieder zu einer tatsächlichen Umsetzung.

23Die akquirierten Bargeldbeträge wurden, bedingt durch die räumliche Distanz, bei den einzelnen Beschuldigten für die gemeinsame Kasse gesammelt und verwahrt, bevor sie im Rahmen ihrer Zweckbestimmung weitergeleitet wurden.

24Zusätzlich zu der Kommunikation über Telegram fanden in regelmäßigen Abständen Vernetzungstreffen zwischen einer Mehrzahl der Beschuldigten und weiteren Unterstützern der Gruppierung statt, um sensible Sachverhalte und Vorhaben direkt zu besprechen. Die Zusammenkünfte dienten zudem der Weiterleitung von gesammelten Bargeldbeträgen.

25(3) Der Beschuldigte, der unter der Kunya „As.           “ auftrat, übernahm spätestens Ende Februar 2023 die Verantwortung für solche für die Gruppierung vereinnahmten Gelder und zumindest ab dem darüber hinaus eine von dem Mitbeschuldigten D.                geführte gemeinsame Kasse. Jedenfalls ab Ende Februar 2023 veranlasste der Beschuldigte auch Geldtransfers zugunsten des IS aus generierten Mitteln und im Namen der Gruppierung, die in den Bilanzen entsprechend verbucht wurden. Bereits vor diesem Zeitpunkt hatte er aus eigenen Mitteln Zahlungen zur Unterstützung des IS geleistet.

26Der Beschuldigte bediente sich für die Transaktionen der Mitwirkung des in der Türkei ansässigen Mittelsmanns „Ah.     “, der das erhaltene Geld nach Umtausch in US-Dollar an das weibliche IS-Mitglied mit der Kunya „U.                 “ übermittelte. „U.                  “ organisierte ihrerseits Geldtransfers in die nordsyrischen Flüchtlingslager Al Hol und Roj zugunsten der dort internierten weiblichen IS-Mitglieder.

27In dem Zeitraum vom bis zum transferierte der Beschuldigte in zehn Fällen Geldbeträge mit einem Gesamtvolumen von (nach entsprechendem Währungswechsel) circa 70.000 US-Dollar über „Ah.      “ an „U.                 “, welche er aus eigenen akquirierten Mitteln bestritt (Taten 21 bis 30 des Haftbefehls vom ).

28Für die Gruppierung vereinnahmte Gelder übermittelte der Beschuldigte in dem Zeitraum von Ende Februar 2023 bis zum in neun Fällen wiederum über „Ah.      “ an „U.                  “ (Fälle 12 bis 20 des Haftbefehls vom ). Hierbei handelte es sich um Geldtransfers mit einem Gesamtvolumen von über 50.000 US-Dollar.

29„U.                   “ verwendete die Geldbeträge, die sie aus den Mitteln des Beschuldigten und der Gruppierung erhielt, bestimmungsgemäß zur Unterstützung des IS und diesem angehörigen Personen.

30(4) Hinsichtlich der Einzelheiten der Tatvorwürfe wird auf den Haftbefehl vom verwiesen, bezüglich Tat 12 jedoch mit der Modifikation, dass die Übermittlung des Geldbetrages durch den Beschuldigten vor oder an dem stattfand, und bei Tat 13 mit der Maßgabe, dass sich der dringende Tatverdacht auf die Weiterleitung des für die Gruppierung vereinnahmten Geldes in Höhe von – nach Umtausch – 3.855 US-Dollar am durch den Beschuldigten bezieht.

31bb) Der dringende Tatverdacht beruht zu der auf die Unterstützung des IS ausgerichteten Gruppierung, der Ideologie ihrer Mitglieder und des Beitritts des Beschuldigten maßgeblich auf Auswertungen der gesicherten Nachrichten in den Telegram-Kanälen „S.                “ und „V.          “. Wesentliche Erkenntnisse sind in Vermerken des Bundeskriminalamtes dargetan, unter anderem zu der Zuordnung der in den Chatgruppen aktiven Mitglieder und der Auswertung von Mobiltelefonen, insbesondere desjenigen des Mitbeschuldigten E.             .

32Bezüglich der Weitergabe der zuvor durch den Mitbeschuldigten D.                   geführten Kasse an den Beschuldigten folgt der dringende Tatverdacht aus der Auswertung eines auf dem Mobiltelefon des Mitbeschuldigten E.              gesicherten Telegramchats.

33Der weitere Transaktionsweg ergibt sich aus der ausgewerteten Telegramchatkommunikation, die auf dem sichergestellten Mobiltelefon des Beschuldigten festgestellt worden ist. Auch hierzu sind wesentliche Ermittlungsergebnisse in Vermerken des Bundeskriminalamtes niedergelegt. Die einzelnen Zahlungen, die der Beschuldigte über „A.      “ an „U.                 “ vornahm, werden ebenfalls durch die Telegramchatkommunikation belegt, die er mit diesen beiden Personen führte.

34Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den aktuellen Haftbefehl und die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom Bezug genommen.

35cc) In rechtlicher Hinsicht ist der Beschuldigte aufgrund der ihm erstmals mit Haftbefehl vom zur Last gelegten Tatvorwürfe der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit – teilweise schwerer – Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union in 19 Fällen, hiervon in neun Fällen zudem in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, dringend verdächtig, strafbar gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 2, § 52 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom (ABl. L 179 vom , S. 85).

36(1) Der Zusammenschluss der Beschuldigten erfüllt die Voraussetzungen einer inländischen kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 und 2 StGB.

37Die für eine Vereinigung nach § 129 Abs. 2 StGB in der seit dem gültigen Fassung erforderlichen Tatbestandsmerkmale in organisatorischer, personeller, zeitlicher und interessenbezogener Hinsicht (s. allgemein , BGHSt 66, 137 Rn. 19) liegen vor.

38Es besteht der dringende Verdacht, dass sich die Beschuldigten dauerhaft zusammenfanden, um arbeitsteilig in Deutschland und anderen Ländern Europas Gelder einzuwerben, mit denen die Zwecke und Ziele des IS durch finanzielle Zuwendungen gefördert werden sollten. Den in der Telegramgruppe „S.                  “ zwischen den Beschuldigten ausgetauschten Nachrichten ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gefestigte Organisationstruktur des Zusammenschlusses und damit auch ein fester Mitgliederstamm zu entnehmen. Hierbei kam einzelnen Personen eine Führungsrolle oder leitende Funktion zu. Die Beschuldigten gingen bei der Akquirierung, Verwaltung und Weiterleitung der vereinnahmten Gelder arbeitsteilig vor. Auch war die Organisation auf längere Dauer zu dem von den Mitgliedern anerkannten Zweck angelegt, den IS sowie dessen Zweck- und Zielrichtung durch finanzielle Unterstützung der ihm zugehörigen Personen zu fördern.

39Der Zweck und die Tätigkeit der Vereinigung waren damit hochwahrscheinlich darauf gerichtet, Straftaten zu begehen, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind, namentlich solche nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.

40Ob darin zugleich eine Katalogtat nach § 129 Abs. 5 Satz 3 StGB, § 100b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c StPO liegt oder eine solche nach der Gesetzesänderung durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet (BGBl. 2021 I S. 3544) nicht mehr anzunehmen ist, bedarf im Rahmen der Haftfortdauerfrage keiner Entscheidung.

41Auch ist das vorläufige Beweisergebnis dahin zu beurteilen, dass es sich bei dem Zusammenschluss hochwahrscheinlich um eine eigenständige kriminelle Vereinigung und nicht um eine unselbständige Teilorganisation des IS handelte. Hierbei ist neben den bereits dargelegten organisatorischen, personellen, zeitlichen und interessenbezogenen Elementen der Vereinigung in den Blick zu nehmen, dass diese nicht nach Vorgaben des IS vorging, sondern ihre Willensbildung, namentlich bei der Auswahl der zu unterstützenden Projekte, selbstständig war (vgl. hierzu grundlegend , BGHSt 56, 28 Rn. 28 ff.; s. auch , juris Rn. 35 mwN).

42(2) Der Beschuldigte beteiligte sich in den Fällen 12 bis 20 hochwahrscheinlich an der kriminellen Vereinigung als Mitglied, da er sich nach derzeitigem Sachstand einvernehmlich in diese eingliederte und sie durch die Weiterleitung von für diese vereinnahmten Geldern von innen heraus förderte. Durch seine Handlungen verwirklichte der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit jeweils zugleich die Straftatbestände der § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG.

43Diese Taten sind materiellrechtlich selbständig. Zwar verbindet der Tatbestand der mitgliedschaftlichen Beteiligung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB grundsätzlich alle Betätigungen des Mitglieds für die kriminelle Vereinigung zu einer einzigen Tat im sachlichrechtlichen Sinne. Diese tatbestandliche Handlungseinheit umfasst mithin nicht nur Beteiligungsakte, die im Übrigen straflos sind, sondern auch solche, die noch ein weiteres Strafgesetz verletzen. Die anderen Delikte werden durch die mitgliedschaftliche Beteiligung zu Tateinheit verklammert. Wenn jedoch in Anwendung der allgemein geltenden Regeln der Klammerwirkung mindestens zwei weitere, durch verschiedene Einzelakte begangene Gesetzesverstöße ein – mehr als unwesentlich – höheres Gewicht als das Vereinigungsdelikt haben, stehen sie, obwohl sie mit diesem jeweils tateinheitlich zusammenfallen, in Tatmehrheit zueinander (s. , NJW 2025, 456 Rn. 11 ff.).

44Vorliegend haben die in diesen Fällen hochwahrscheinlich begangenen Gesetzesverstöße mit Blick auf den Strafrahmen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG, der Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 15 Jahren und damit einen gegenüber § 129 Abs. 1 Satz 1 und auch § 129 Abs. 5 Satz 3 StGB schärferen Strafrahmen vorsieht, ein deutlich höheres Gewicht als das Vereinigungsdelikt und stehen daher in Realkonkurrenz zueinander.

45(3) In den Fällen 21 bis 30, in denen der Beschuldigte „auf eigene Rechnung“ dem IS Gelder zuteilwerden ließ, ist er hochwahrscheinlich jedenfalls der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union in zehn Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG, § 52, 53 StGB schuldig.

46(4) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt hinsichtlich der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung aus §§ 3, 9 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB. Die hierzu nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt vor.

47(5) Die 19 neu ermittelten Taten sind nach verfahrensrechtlichen (§ 264 StPO) Maßstäben nicht identisch mit den Taten, die bereits Gegenstand des vorherigen Haftbefehls waren.

48(6) Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des (neuen) Haftbefehls folgt aus § 125 Abs. 1, § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

49b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der neu hinzugetretenen Vorwürfe hat sich erst nach der Inhaftierung des Beschuldigten ergeben.

50Das Bundeskriminalamt hat dem Generalbundesanwalt mit Vermerken vom 30. September, 10. Oktober und Auswertungsergebnisse und am die zugehörigen Primärquellen in Gestalt der Chatprotokolle zu den Auswertevermerken vorgelegt, auf deren Gesamtschau der dringende Tatverdacht für die weiteren Straftaten beruht.

51c) Die dem Beschuldigten nunmehr zusätzlich vorgeworfenen Taten rechtfertigen für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls.

52aa) Auch wenn nur die neu hinzugetretenen Tatvorwürfe Berücksichtigung finden, ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben.

53Für den Beschuldigten besteht angesichts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit – teilweise schwerer – Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union in 19 Fällen, hiervon in neun Fällen zudem in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, auch mit Blick auf das hohe Volumen der insgesamt veranlassten Geldtranfers zugunsten des IS als besonders gefährlicher terroristischer Organisation eine erhebliche Straferwartung und damit ein hoher Fluchtanreiz. Wesentliche fluchthindernde Gesichtspunkte stehen dem nicht gegenüber. Vielmehr ist der Beschuldigte russischer Staatsangehöriger und verfügt – nicht zuletzt aufgrund seiner vereinigungsbezogenen Kontakte – über enge Verbindungen ins Ausland, die eine Flucht zu begünstigen geeignet sind.

54bb) Die Anordnung der Untersuchungshaft allein wegen der neuen Tatvorwürfe stünde nicht außer Verhältnis zu deren Bedeutung und der im Fall ihrer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass dem in Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgebot ein besonderer Stellenwert zukommen kann, falls sich die Haftdauer verlängert, eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt worden ist und eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO deshalb nicht stattfindet (vgl. , juris Rn. 42 mwN).

55Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist auch in diesen Fällen grundsätzlich die insgesamt erlittene Haftdauer in den Blick zu nehmen. Ungeachtet dessen setzen die frisch im Sinne eines dringenden Tatverdachts gewonnenen Erkenntnisse bei ausreichender Erheblichkeit gerade deshalb eine neue Sechsmonatsfrist in Gang, damit die Strafverfolgungsbehörden insoweit weiter ermitteln können. Schon aus diesem Grund verbietet sich jede schematische Betrachtung (vgl. , NStZ-RR 2023, 349, 350 f. mwN).

56Hier ist die (weitere) Inhaftierung des Beschuldigten auch angesichts der Bedeutung der neuen Tatvorwürfe, die sich nicht zuletzt in dem deutlich erhöhten Volumen der nunmehr haftbefehlsgegenständlichen Transaktionen zeigt, sowie der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs der Ermittlungen derzeit verhältnismäßig. Das Gesamtvolumen der dem Beschuldigten zur Last gelegten Geldtransfers betrug im ersten Haftbefehl etwa 20.000 Euro und 8.500 US-Dollar. Dieses hat sich aufgrund des neuen Haftbefehls auf circa 114.000 Euro und 37.500 US-Dollar erhöht.

57d) Der Ablauf der durch den neu ergangenen Haftbefehl in Gang gesetzten Sechsmonatsfrist steht noch nicht bevor. Er wird erst am eintreten.

58Für den Fristbeginn ist – wie ausgeführt – der Zeitpunkt maßgebend, zu dem sich die einen neuen Haftbefehl rechtfertigenden Ermittlungsergebnisse zu einem dringenden Tatverdacht verdichtet haben.

59Vorliegend sind dem Generalbundesanwalt die für die neuen Taten relevanten Vermerke des Bundeskriminalamtes im September und Oktober 2024 vorgelegt worden, deren Überprüfung in inhaltlicher Hinsicht mit der Vorlage der diesen zugrundeliegenden Chatprotokolle am möglich gewesen ist. Ab diesem Zeitpunkt haben die neuen Erkenntnisse den dringenden Tatverdacht hinsichtlich der 19 neuen Geldtransfers getragen.

60Danach hat die Sechsmonatsfrist am Folgetag, dem , zu laufen begonnen.

Prof. Dr. Schäfer                            Dr. Berg                            Dr. Erbguth

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:190225BAK13.25.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-87982