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BGH Beschluss v. - AK 12/25

Instanzenzug: Az: 2 BGs 595/24

Gründe

I.

1Der Beschuldigte wurde aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ) am festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

2Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich spätestens seit dem in Deutschland durch zwei selbstständige Handlungen in einem besonders schweren Fall an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen sei, und habe hierbei in einem Fall jeweils tateinheitlich eine Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“ [IS]) unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, sowie als Mitglied einer Bande dem Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 139 vom , S. 9) veröffentlichten, unmittelbar geltenden Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom , die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme diene, zuwidergehandelt, strafbar gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2, Abs. 5 Satz 3, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom (ABl. L 179 vom , S. 85).

II.

3Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

41. Der Beschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

5a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

6aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

7Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seitdem ernannte die Organisation mehrere Nachfolger, die ebenfalls getötet wurden.

8Dem Anführer des IS unterstanden ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah – Rasul – Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

9Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen werden vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er Massaker an Zivilisten und Terroranschläge außerhalb seines Machtbereichs. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.

10Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS – nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz – sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt. Tausende von IS-Kämpfern sowie Zehntausende Frauen und Kinder wurden in Gefängnissen und Lagern, etwa in Al-Hol oder Roj im Nordosten Syriens, interniert.

11Trotz des Zusammenbruchs des Kalifats war der IS als militant-dschihadistische und international agierende Organisation nicht vollständig zerschlagen. Vielmehr verblieb die Vereinigung unter Aufrechterhaltung ihrer ideologischen Ausrichtung in der Folgezeit in ihrem Kerngebiet, insbesondere in der syrisch-irakischen Grenzregion sowie der syrischen Wüste. Auch passte sich der IS an die veränderten Rahmenbedingungen an. So benannte er kurz nach der Tötung seines Anführers Abu Bakr al-Baghdadi und seines offiziellen Sprechers zwei Nachfolger, setzte seine Propagandatätigkeiten fort und operierte zunehmend aus dem Untergrund heraus. Schätzungen zufolge verfügt er im Kerngebiet weiterhin über 4.000 bis 6.000 aktive Kämpfer. In den Jahren 2019 bis 2021 verübte er mehrere Tausend terroristische Anschläge in Syrien und im Irak in Form von Sturm- und Raketenangriffen sowie Selbstmord- und Sprengstoffanschlägen. Derartige militärische Operationen führte er auch in Somalia, Ägypten/Sinai, Jemen, Nigeria, Tschad und Burkina Faso aus. Daneben nahm er gezielt Tötungen und Hinrichtungen von Einzelpersonen wie beispielsweise sunnitischen Stammesältesten, Kämpfern der „Syrian Democratic Forces“ (SDF) und solchen des syrischen Regimes vor.

12Mit der Ausrufung weltweiter Provinzen außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und fortwährender terroristischer Aktivitäten in zahlreichen Staaten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai, West- und Zentralafrika, sowie in der Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan – dort unter der Bezeichnung „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) – unterstreicht der IS seinen Anspruch, ein global handelnder Akteur zu sein.

13bb) Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem schlossen sich die Mitbeschuldigten A.              , Ak.     , B.            , E.              , K.        , M.          und Mu.             sowie weitere, derzeit noch unbekannte Personen dauerhaft zu dem Zweck zusammen, in Deutschland und weiteren europäischen Ländern, insbesondere Österreich, Belgien und Frankreich, Gelder zu akquirieren, um diese Empfängern in den Reihen des IS zur Verfügung zu stellen und hierdurch die Struktur und den Fortbestand des IS, auch nach dessen militärischer Niederlage, langfristig zu sichern. Der Beschuldigte gliederte sich spätestens am einvernehmlich in diese Gruppierung ein.

14Zur Finanzierung des IS wurden sowohl „Spendensammlungen“, insbesondere über soziale Medien, durchgeführt als auch Gelder von Dritten angenommen und monatliche Beiträge von mindestens 50 Euro pro Mitglied der Telegram-Chatgruppe „V.          “ in die gemeinsame Kasse eingezahlt. Anschließend fand ein Transfer der Gelder auf verschiedenen Wegen – unter anderem mittels Kryptowährungen und über Mittelsmänner – an die vereinbarten Empfänger statt.

15Zunächst wurden die eingenommenen Beträge zur Unterstützung und gegebenenfalls dem Freikauf von in syrischen Flüchtlingslagern internierten weiblichen IS-Mitgliedern und zur Deckung deren Lebensbedarfs verwendet. Spätestens ab dem erweiterte die Gruppierung ihre Ziele einvernehmlich dahin, die gesammelten Gelder auch zur Unterstützung von inhaftierten und aktiven Kämpfern des IS sowie sonstiger dem IS angehöriger Personen einzusetzen.

16Entscheidungen zur Verwendung der Gelder, deren Akquise sowie zum generellen Vorgehen wurden durch Abstimmung unter den Gruppenmitgliedern, insbesondere unter Nutzung der geschlossenen Kommunikationsplattform Telegram, getroffen. Die einzelnen Mitglieder waren bei der Entscheidungsfindung bezüglich der zu unterstützenden Projekte gleichberechtigt. Die Gruppierung war jedoch insoweit hierarchisch strukturiert, als der Mitbeschuldigte A.               spätestens am zum Oberhaupt gewählt wurde. Dem Mitbeschuldigten M.          kam ebenfalls eine herausgehobene Stellung zu. Beide waren auch IS-Mitglieder.

17Die erforderlichen Aufgaben zur Umsetzung der kriminellen Zielsetzung der Gruppierung wie die Entgegennahme und Weiterleitung von Geldern sowie die Rechnungslegung wurden arbeitsteilig von den einzelnen Mitgliedern wahrgenommen. Der Vorschlagende präsentierte den weiteren Beschuldigten die zu unterstützenden Projekte und stellte sie zur Disposition. Im Falle der Zustimmung der jeweiligen weiteren Beschuldigten wurde geprüft, ob ausreichende finanzielle Mittel vorhanden waren. Erst im Anschluss kam es mit Einverständnis der Mitglieder zu einer tatsächlichen Umsetzung.

18Die akquirierten Bargeldbeträge wurden, bedingt durch die räumliche Distanz, bei den einzelnen Beschuldigten für die gemeinsame Kasse gesammelt und verwahrt, bevor sie im Rahmen ihrer Zweckbestimmung weitergeleitet wurden.

19Zusätzlich zu der Kommunikation über Telegram fanden in regelmäßigen Abständen Vernetzungstreffen zwischen einer Mehrzahl der Beschuldigten und weiteren Unterstützern der Gruppierung statt, um sensible Sachverhalte und Vorhaben direkt zu besprechen. Die Zusammenkünfte dienten zudem der Weiterleitung von gesammelten Bargeldbeträgen.

20cc) Nach seiner Eingliederung war der Beschuldigte für die Gruppierung tätig. So nahm er an Vernetzungstreffen teil. Insbesondere war er in die logistische Planung der Entgegennahme von Spendengeldern, die von Dritten akquiriert wurden, eingebunden und trug die Verantwortung für die von ihm geführte gemeinsame Kasse, die er spätestens am , zusammen mit den noch bei ihm vorhandenen Bargeldmitteln der Gruppierung, an den Mitbeschuldigten Z.               übergab, der seinerseits kurze Zeit nach dem Beschuldigten der Gruppe beigetreten war.

21Der Mitbeschuldigte Z.                 übermittelte den Bargeldbetrag in Höhe von 14.500 Euro über einen Mittelsmann in der Türkei an das weibliche IS-Mitglied mit der Kunya „U.                 “. „U.                    “ organisierte ihrerseits Geldtransfers in die nordsyrischen Flüchtlingslager Al Hol und Roj zugunsten der dort internierten weiblichen IS-Mitglieder.

22b) Der dringende Tatverdacht beruht zu der auf die Unterstützung des IS ausgerichteten Gruppierung, der Ideologie ihrer Mitglieder und des Beitritts des Beschuldigten maßgeblich auf Auswertungen der gesicherten Nachrichten in den Telegram-Kanälen „S.                “ und „V.          “. Wesentliche Erkenntnisse sind in Vermerken des Bundeskriminalamtes dargetan, unter anderem zu der Zuordnung der in den Chatgruppen aktiven Mitglieder und der Auswertung von Mobiltelefonen, insbesondere desjenigen des Mitbeschuldigten E.             .

23Bezüglich der Weitergabe der zuvor durch den Beschuldigten geführten Kasse folgt der dringende Tatverdacht aus der Auswertung eines auf dem Mobiltelefon des Mitbeschuldigten E.               gesicherten Telegramchats. Der weitere Transaktionsweg wird belegt durch ausgewertete Telegramchatkommunikation auf dem sichergestellten Mobiltelefon des Mitbeschuldigten Z.                in Verbindung mit in Vermerken des Bundeskriminalamts dargestellten weiteren Erkenntnissen. Während nach dem Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt des Haftbefehlserlasses noch angenommen worden ist, dass sich der Bargeldbestand in der Kasse zum Zeitpunkt der Übergabe an den Mitbeschuldigten auf circa 12.000 Euro belief und dieser das Geld seinerseits an den Mitbeschuldigten M.            nach Österreich weiterleitete, haben die nachfolgenden Ermittlungen nunmehr konkretisierend den Transfer eines Bargeldbetrages in Höhe von 14.500 Euro an „U.                  “ ergeben.

24Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl und die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom Bezug genommen.

25c) In rechtlicher Hinsicht ist der Beschuldigte der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland und mit schwerer Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union dringend verdächtig, strafbar gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 2, § 52 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom (ABl. L 179 vom , S. 85).

26aa) Der Zusammenschluss der Beschuldigten erfüllt die Voraussetzungen einer inländischen kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 und 2 StGB.

27Die für eine Vereinigung nach § 129 Abs. 2 StGB in der seit dem gültigen Fassung erforderlichen Tatbestandsmerkmale in organisatorischer, personeller, zeitlicher und interessenbezogener Hinsicht (s. allgemein , BGHSt 66, 137 Rn. 19) liegen vor.

28Es besteht der dringende Verdacht, dass sich die Beschuldigten dauerhaft zusammenfanden, um arbeitsteilig in Deutschland und anderen Ländern Europas Gelder einzuwerben, mit denen die Zwecke und Ziele des IS durch finanzielle Zuwendungen gefördert werden sollten. Den in der Telegramgruppe „S.                  “ zwischen den Beschuldigten ausgetauschten Nachrichten ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gefestigte Organisationstruktur des Zusammenschlusses und damit auch ein fester Mitgliederstamm zu entnehmen. Hierbei kam einzelnen Personen eine Führungsrolle oder leitende Funktion zu. Die Beschuldigten gingen bei der Akquise, Verwaltung und Weiterleitung der vereinnahmten Gelder arbeitsteilig vor. Auch war die Organisation auf längere Dauer zu dem von den Mitgliedern anerkannten Zweck angelegt, den IS sowie dessen Zweck- und Zielrichtung durch finanzielle Unterstützung der ihm zugehörigen Personen zu fördern.

29Der Zweck und die Tätigkeit der Vereinigung waren damit hochwahrscheinlich darauf gerichtet, Straftaten zu begehen, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind, namentlich solche nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.

30Ob darin zugleich eine Katalogtat nach § 129 Abs. 5 Satz 3 StGB, § 100b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c StPO liegt oder eine solche nach der Gesetzesänderung durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet (BGBl. 2021 I S. 3544) nicht mehr anzunehmen ist, kann im Rahmen dieser Haftfortdauerentscheidung dahinstehen.

31Auch ist das vorläufige Beweisergebnis dahin zu beurteilen, dass es sich bei dem Zusammenschluss hochwahrscheinlich um eine eigenständige kriminelle Vereinigung und nicht um eine unselbständige Teilorganisation des IS handelte. Hierbei ist neben den bereits dargelegten organisatorischen, personellen, zeitlichen und interessenbezogenen Elementen der Vereinigung in den Blick zu nehmen, dass diese nicht nach Vorgaben des IS vorging, sondern ihre Willensbildung, namentlich bei der Auswahl der zu unterstützenden Projekte, selbstständig war (vgl. hierzu grundlegend , BGHSt 56, 28 Rn. 28 ff.; s. auch , juris Rn. 35 mwN).

32bb) Der Beschuldigte beteiligte sich hochwahrscheinlich an der kriminellen Vereinigung als Mitglied, da er sich nach derzeitigem Sachstand einvernehmlich in diese eingliederte und sie insbesondere durch die Entgegennahme von Spenden sowie die zwischenzeitliche Verwaltung der Kasse von innen heraus förderte.

33cc) Durch seine Handlung verwirklichte der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit zugleich die Straftatbestände der § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG.

34Abweichend von der rechtlichen Beurteilung im Haftbefehl, die sich an der im November 2024 aufgegebenen konkurrenzrechtlichen Senatsrechtsprechung orientiert hat, liegt lediglich eine Tat im sachlichrechtlichen Sinne vor, so dass die drei erfüllten Straftatbestände zueinander im Verhältnis der Tateinheit stehen; eine Entklammerung kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung keine zwei durch voneinander verschiedene Beteiligungsakte verwirklichten Delikte hinzutreten (vgl. hierzu , NJW 2025, 456 Rn. 11 ff.).

35dd) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt hinsichtlich der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung aus §§ 3, 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB. Die hierzu nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt vor.

362. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergibt sich aus § 125 Abs. 1, § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

373. Aus den in dem Haftbefehl dargelegten Erwägungen ist weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Für den Beschuldigten besteht angesichts der hochwahrscheinlichen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bei hierdurch zugleich verwirklichter Unterstützung der besonders gefährlichen terroristischen Vereinigung IS und eines Verstoßes gegen das AWG eine erhebliche Straferwartung und damit ein hoher Fluchtanreiz. Wesentliche fluchthindernde Gesichtspunkte stehen dem nicht gegenüber. Vielmehr ist der Beschuldigte russischer Staatsangehöriger und verfügt – nicht zuletzt aufgrund seiner vereinigungsbezogenen Kontakte – über enge Verbindungen ins Ausland, die eine Flucht zu begünstigen geeignet sind.

38Unter den gegebenen Umständen ist der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreichbar.

394. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen.

40Das Ermittlungsverfahren ist durchgehend mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Dieses zeichnet sich durch einen hohen Umfang auszuwertender Kommunikationsinhalte der Beschuldigten aus. Es haben Durchsuchungen in Deutschland, Belgien und Österreich stattgefunden, die zur Sicherstellung einer Vielzahl von Telekommunikationsgeräten mit allein über 1,7 Millionen gesicherten Chatnachrichten geführt haben. Der Ermittlungsaufwand ist hierbei neben der erforderlichen Rechtshilfe dadurch erhöht worden, dass die auszuwertenden Chatnachrichten fast ausschließlich in russischer oder tschetschenischer Sprache verfasst wurden und daher zunächst zu übersetzen gewesen sind. Auf die näheren Darlegungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom und dem Vermerk des Bundeskriminalamts vom wird verwiesen.

41Der Generalbundesanwalt beabsichtigt, gegen den Beschuldigten und zwei Mitbeschuldigte im Februar 2025 Anklage zu erheben.

425. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Prof. Dr. Schäfer                            Dr. Berg                            Dr. Erbguth

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:190225BAK12.25.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-87981