Instanzenzug: Az: I-18 U 9/22vorgehend LG Bielefeld Az: 9 O 405/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2018 von einem Dritten - teilweise durch einen Kredit finanziert - einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten VW Passat 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 ausgerüstet ist.
2Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe der geleisteten Anzahlung und der gezahlten Kreditraten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Antrag zu I), Freistellung von den noch offenstehenden Kreditraten (Antrag zu II), Feststellung des Annahmeverzugs (Antrag zu III) und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zuzüglich Zinsen (Antrag zu IV) gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat - ohne die begehrte Freistellung von Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Fahrlässige Verstöße, namentlich gegen Art. 3 Nr. 10, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder §§ 6, 27 EG-FGV, genügten nicht zur Begründung einer Haftung der Beklagten, weil diese Vorschriften nicht den Schutz eines Fahrzeugkäufers vor der Eingehung eines ungewollten Kaufvertrags bezweckten. Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheide ebenfalls aus. Der Vortrag des Klägers zum "Thermofenster" genüge nicht, um von einem Verhalten der Beklagten auszugehen, das als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers anzusehen sei. Denn es gebe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Die angefochtene Entscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben der (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) und vom (VIa ZR 347/22, juris) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer von ihm bislang unterstellten unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Vogt-Beheim
Messing F. Schmidt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:050225UVIAZR557.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-87757