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BSG Beschluss v. - B 5 RS 3/24 B

Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenzrüge - impliziter abstrakter Rechtssatz

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: SG Nordhausen Az: S 3 R 234/20 Urteilvorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 12 R 529/21 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem nach Nr 4 der Anlage 1 zum AAÜG (Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künst­lerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen).

2Der Kläger absolvierte in der DDR eine Ausbildung zum Veterinäringenieur und war von August 1978 bis Juni 1990 als solcher beschäftigt. Im Juli 2019 beantragte er die Einbeziehung seiner Beschäftigung für den vorgenannten Zeitraum in das Zusatzversorgungssystem nach der Anlage 1 zum AAÜG. Dies lehnte die Beklagte ab. Die hiergegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom ). Die Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Der Kläger habe keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung als obligatorisch Berechtigter in das Zusatzversor­gungssystem. Er sei kein approbierter Tierarzt und auch nicht als solcher beschäftigt gewesen. Eine Einbeziehung als tierärztlicher Gehilfe in verantwortlicher Tätigkeit scheide ebenfalls aus. Der insoweit erforderliche wertungsausfüllungsbedürftige und offene Beurteilungsspielraum sei den zuständigen Behörden vorbehalten gewesen und könne rückschauend nicht ersetzt werden (Urteil vom ).

3Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz geltend.

4II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger legt weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form dar.

5a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeu­tung der Rechtssache gestützt, muss dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechts­einheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungs­bedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breiten­wirkung) darlegen (stRspr; vgl zB  - SozR 4-1500 § 160a Nr 42 RdNr 5 mwN). Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebe­gründung nicht gerecht.

6Der Kläger benennt bereits keine konkrete Frage von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Soweit er eine Entscheidung des BSG zu der Verordnung über die Altersver­sorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen und medizinischen Einrichtungen der DDR vom (GBl DDR 1951, 675) vermisst, die sich mit einer nachträglichen Bestä­tigung des Vorliegens deren Tatbestandsvoraussetzungen durch den früheren Leiter einer staat­lich tierärztlichen Gemeinschaftspraxis befasse, formuliert er keine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zur Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit revisibler (Bun­des-)Normen mit höherrangigem Recht, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraus­setzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl zu diesem Erfordernis zB  - juris RdNr 8 mwN).

7Entnimmt man dem Beschwerdevorbringen sinngemäß die Frage, ob Ermessensentscheidungen der zuständigen Versorgungsgremien nachträglich - etwa durch die Bewertung eines Leiters der staatlich tierärztlichen Gemeinschaftspraxis als sachkundige Person - vorgenommen werden können, legt der Kläger jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der so verstandenen Frage nicht hin­reichend dar. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn ihre Beantwortung nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl stRspr; zB  - juris RdNr 8 mwN). Dass die aufgeworfene Rechtsfrage in diesem Sinne offen sein könnte, zeigt der Kläger nicht auf. Insbesondere befasst sich der Kläger nicht mit der Recht­sprechung des BSG zu dem angedeuteten Problemkreis und deshalb auch nicht mit dem vom LSG zitierten - SozR 3-8570 § 1 Nr 2), in dem zur Feststellung von Zugehörigkeitszeiten nach dem AAÜG bereits entschieden wurde, dass diese durch Bestätigungen und Versorgungszusagen der zuständigen Stellen in der DDR erteilt, später aber nicht mehr rückschauend "nachgeholt oder ersetzt werden" konnten (BSG aaO juris RdNr 29). Demzufolge prüft er nicht, ob sich bereits aus diesem Urteil oder auch aus anderen Entscheidungen des BSG Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihm insoweit zumindest angedeuteten Fragestellung ergeben.

8Darüber hinaus fehlen Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Insoweit hätte der Kläger aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die ange­sprochene Problematik entschieden werden muss. Soweit die Beschwerdebegründung Ausfüh­rungen zum Lebenssachverhalt gänzlich vermissen lässt, verfehlt sie die Darlegungserforder­nisse. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungs­beschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst heraus­zusuchen (stRspr; zB  - juris RdNr 5;  - juris RdNr 5;  - juris RdNr 10;  - juris RdNr 9). Ohne Sachverhaltsangabe kann das BSG die Entscheidungserheblichkeit von aufgeworfenen Rechts­fragen nicht beurteilen (stRspr; zB  - juris RdNr 7).

9b) Der Kläger hat auch nicht den Zulassungsgrund einer Divergenz hinreichend bezeichnet.

10Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemein­samen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Deshalb besteht eine Abweichung nicht schon dann, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die eines der vorgenannten Gerichte aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Beschwer­debegründung muss daher erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichter­lichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl stRspr; zB  - juris RdNr 6 mwN).

11Der Kläger gibt bereits keinen abstrakten Rechtssatz des LSG wieder, mit dem es von einem abstrakten höchstrichterlichen Rechtssatz abgewichen sein könnte. Der Kläger gibt keine Text­passagen aus dem angefochtenen Berufungsurteil wieder, aus denen sich ein divergierender Rechtssatz des LSG ergeben könnte. Zwar kann das Berufungsgericht einen abweichenden ent­scheidungstragenden abstrakten Rechtssatz auch nur implizit zugrunde legen, indem es einen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden abstrakten Rechtssatz nur sinn­gemäß und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet entwickelt hat. In einem solchen Fall muss der Beschwerdeführer jedoch darlegen, dass sich aus den Ausführungen des Beru­fungsurteils unzweifelhaft der sinngemäß zugrunde gelegte abstrakte Rechtssatz schlüssig ableiten lässt, den das LSG als solchen auch tatsächlich vertreten wollte (vgl  - juris RdNr 6 mwN). Dies ist nicht zu erkennen. Indem der Kläger darlegt, das LSG habe eine Einbeziehung des Klägers in den Anwendungsbereich der Versorgungsverordnung mit dem pauschalen Argument abgelehnt, die unbestimmten Rechts­begriffe der Verordnung seien lediglich ein Machtmittel willkürlicher Zuteilung von Begünstigun­gen im System der DDR, versäumt er darzulegen, an welcher Stelle und in welchem Kontext das LSG eine solche Aussage als einen tragenden Rechtssatz aufgestellt haben soll.

12Soweit der Kläger vorträgt, die Entscheidung des LSG weiche von den Entscheidungen des  ua - BVerfGE 100, 138; 1 BvL 22/95 - BVerfGE 100, 59), vom (1 BvL 3/98 ua - BVerfGE 111, 115) und vom (1 BvL 9/06 - BVerfGE 126, 233) ab, bleibt unklar, auf welche tragenden Rechtssätze aus diesen Ent­scheidungen der Kläger seine Divergenzrüge im Grundsätzlichen stützen will (vgl zu diesem Erfordernis zB  - juris RdNr 5 mwN). Zur formge­rechten Rüge einer Divergenz gehört es nicht nur, eine divergierende Entscheidung genau zu bezeichnen, es ist auch deutlich zu machen, worin genau die Abweichung bestehen soll.Hieran fehlt es gänzlich.Selbst wenn ein LSG die Rechtsprechung des BVerfG missversteht oder über­sieht und deshalb fehlerhaft anwendet, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG aufgestellt. Denn dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn das Berufungsgericht eine höchstrichterliche Entscheidung in seiner Trag­weite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl stRspr; zB  - juris RdNr 6;  - juris ). Insgesamt geht der Vortrag des Klägers zur behaupteten Divergenz nicht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge hin­aus.

13Soweit der Kläger geltend macht, er sei als verantwortlich tätiger tierärztlicher Gehilfe im Sinne der Verordnung tätig gewesen, und zudem moniert, das LSG habe verkannt, dass er als Veteri­näringenieur weitestgehend tierärztliche Aufgaben - von der Blutprobe bis zum Kaiser­schnitt - erfüllt habe und quasi als "Assistenztierarzt" tätig gewesen sei, macht er einen Rechts­anwendungsfehler geltend. Auf die (vermeintliche) inhaltliche Unrichtigkeit der angegriffenen Ent­scheidung lässt sich eine Revisionszulassung aber allein nicht stützen (stRspr; vgl zB  - juris RdNr 10 mwN).

14Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

152. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:190225BB5RS324B0

Fundstelle(n):
OAAAJ-87647