Leitsatz
Eine Durchbrechung der Bindungswirkung eines nach § 17a Abs. 1 GVG ergangenen Verweisungsbeschlusses kommt allenfalls bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (Bestätigung von , NJW-RR 2018, 250 Rn. 19; Beschluss vom - X ARZ 101/24, NJW-RR 2024, 994 Rn. 27).
Gesetze: § 17a Abs 1 GVG, § 17a Abs 2 S 3 GVG
Instanzenzug: LG Dessau-Roßlau Az: 4 O 542/24vorgehend ArbG Dessau-Roßlau Az: 10 Ca 92/24
Gründe
1Das Verfahren betrifft die Bestimmung des zuständigen Gerichts für einen Rechtsstreit, mit dem die Klägerin die Übertragung einer Stelle als Direktorin der Kulturstiftung der Beklagten verlangt.
2I. Die Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Klägerin war auf Grundlage eines befristeten Anstellungsvertrags im Zeitraum vom bis zum als Direktorin der Beklagten bestellt.
3Ab November 2021 führte die Beklagte ein Ausschreibungsverfahren für die Besetzung der Direktorenstelle ab dem durch. Die Wahl des dafür zuständigen Kuratoriums fiel im März 2022 auf eine Mitbewerberin. Die Klägerin beantragte daraufhin beim Landgericht Dessau-Roßlau, der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung die Besetzung der Stelle mit einem Mitbewerber zu versagen. Das Landgericht verwies die Sache an das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau. Dieses erließ die einstweilige Verfügung. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
4Im Oktober 2022 erhob die Klägerin beim Arbeitsgericht Klage auf Übertragung der Direktorenstelle. Im Februar 2023 brach die Beklagte das Besetzungsverfahren ab. Daraufhin begehrte die Klägerin ergänzend die Fortsetzung dieses Verfahrens. Das Arbeitsgericht stellte am unter Abweisung der Klage im Übrigen fest, dass die im März 2022 getroffene Auswahlentscheidung der Beklagten rechtswidrig gewesen ist. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
5Ab August 2023 führte die Beklagte ein neues Bewerberverfahren für die Direktorenstelle durch. Die Klägerin wurde nicht in die engere Auswahl der Kandidaten einbezogen. Sie stellte daraufhin beim Landgericht erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das Landgericht verwies auch diese Sache an das Arbeitsgericht. Dieses untersagte der Beklagten mit Urteil vom , die Stelle vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit einem anderen Bewerber zu besetzen. Die hiergegen von beiden Parteien eingelegten Berufungen sind noch anhängig.
6Mit einer am beim Arbeitsgericht eingereichten Klage verlangt die Klägerin die Übertragung der im August 2023 ausgeschriebenen Stelle, hilfsweise die Feststellung, dass die zu ihren Ungunsten ergangene Auswahlentscheidung unwirksam und das Auswahlverfahren unter Beachtung der Auffassung des Gerichts zu wiederholen ist.
7Mit Beschluss vom hat das Arbeitsgericht nach Anhörung der Parteien den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für nicht eröffnet erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen.
8Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten als nicht gegeben erachtet und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Das Arbeitsgericht hat die Übernahme des Verfahrens mit Beschluss vom abgelehnt.
9Mit Beschluss vom hat das Landgericht die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
10Mittlerweile hat die Beklagte das Ausschreibungsverfahren erneut abgebrochen. Die Klägerin hat daraufhin den Rechtstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Beklagte ist dieser Erklärung entgegengetreten.
11II. Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist zulässig.
121. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig.
13Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (, NJW 2001, 3631, juris Rn. 12; Beschluss vom - Xa ARZ 167/09, NJW-RR 2010, 209 Rn. 6; Beschluss vom - X ARZ 95/11, NJW-RR 2011, 1497 Rn. 4).
142. Der Antrag ist statthaft.
15Ein nach § 17a Abs. 2 GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Etwas anderes gilt jedoch, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von unanfechtbaren Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. nur , NJW 2001, 3631, juris Rn. 20).
16So liegt der Fall hier.
17Beide beteiligten Gerichte haben die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt, weil sie die Verweisung durch das jeweils andere Gericht für nicht bindend halten.
183. Die Voraussetzungen für die Gerichtsstandbestimmung sind nicht deswegen entfallen, weil die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt erklärt hat.
19Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Gerichtsstandbestimmung grundsätzlich nur zulässig, solange noch gerichtliche Entscheidungen durch das in der Hauptsache zuständige Gericht zu treffen sind (, NJW-RR 2023, 703 Rn. 16).
20Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
21Da die Beklagte der Erledigungserklärung widersprochen hat, ist über die ursprüngliche Zulässigkeit und Begründetheit der Klage zu entscheiden. Diese Entscheidung hat durch das in der Hauptsache zuständige Gericht zu ergehen (, NJW-RR 2023, 703 Rn. 17).
22III. Zuständig ist das Landgericht Dessau-Roßlau.
233. Der Verweisungsbeschluss des ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtswegs bindend.
24a) Eine Durchbrechung dieser Bindungswirkung kommt allenfalls bei, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat, "extremen Verstößen"gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht, etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. nur , NJW-RR 2024, 994 Rn. 27).
25Eine Durchbrechung der Bindungswirkung nach diesen Grundsätzen ist auf Ausnahmefälle beschränkt.
26Beide Parteien können einen nach ihrer Auffassung fehlerhaften Beschluss nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG mit der sofortigen Beschwerde anfechten. Machen sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, besteht grundsätzlich kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen (, MDR 2013, 1242 Rn. 12; Beschluss vom - X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 18).
27b) Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts leidet nicht an Mängeln, die die Bindungswirkung entfallen lassen.
28aa) Die vom Landgericht behandelte Frage, ob die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG vorliegen, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
29(1) Wie das Landgericht im Ansatz zutreffend dargelegt hat, unterliegt die Begründung, mit der das Arbeitsgericht diese Vorschrift als einschlägig angesehen hat, allerdings erheblichen rechtlichen Zweifeln.
30§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG setzt voraus, dass die betroffene Person zur Vertretung einer juristischen Person befugt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entfällt die Fiktion deshalb nach Beendigung der Organstellung (, DB 2024, 2371 Rn. 17; Beschluss vom - 10 AZB 98/14, NJW 2015, 718 Rn. 21).
31Für Personen, die noch nicht Organ sind, sondern sich um eine solche Stellung bewerben, kann kaum etwas anderes gelten.
32Im Streitfall dürfte § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG danach nicht schon deshalb anwendbar sein, weil die Klägerin die Stellung als Direktorin der Beklagten anstrebt. Dass die Klägerin diese Stellung früher innehatte, genügt nicht, weil diese Stellung mit Ablauf des geendet hat.
33(2) Wenn die Entscheidung des Arbeitsgerichts aus diesen Gründen rechtsfehlerhaft wäre, begründete dies jedoch keinen extremen Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung im oben aufgezeigten Sinne.
34Höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bei Rechtsstreitigkeiten mit Bewerbern um eine Organstellung greift, liegt - soweit ersichtlich - nicht vor.
35Vor diesem Hintergrund erscheint die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts zwar nicht ohne weiteres überzeugend, aber nicht schlechthin unvertretbar.
36bb) Ob das Arbeitsgericht nach § 2 Abs. 3 ArbGG zuständig ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung.
37Das Arbeitsgericht hat einen Zusammenhang zu den früheren Verfahren mit der Begründung verneint, diese beruhten auf einer anderen Stellenausschreibung.
38Wenn diese Beurteilung als rechtsfehlerhaft anzusehen wäre, begründete auch dies keinen extremen Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung, der eine Durchbrechung der gesetzlich vorgesehenen Bindungswirkung rechtfertigen könnte.
39cc) Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Durchbrechung der Bindungswirkung in Frage kommt, wenn der Verweisungsbeschluss keine ausreichende Begründung enthält, kann ebenfalls offenbleiben.
40Die oben aufgezeigten Erwägungen, auf die das Arbeitsgericht seine Entscheidung gestützt hat, lassen hinreichend deutlich erkennen, weshalb es sich als unzuständig angesehen hat. Dass diese Erwägungen inhaltlich nicht zweifelsfrei erscheinen, ist auch in diesem Zusammenhang nicht ausreichend, um die Bindungswirkung zu verneinen.
41dd) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Bindungswirkung auch nicht deshalb durchbrochen, weil das Arbeitsgericht nicht ausdrücklich begründet hat, weshalb es den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für eröffnet hält.
42Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten erscheint im Streitfall derart fernliegend, dass eine ausdrückliche Erörterung dieses Gesichtspunkts nicht geboten war.
43In Stellenbesetzungsverfahren hängt die Rechtswegzuständigkeit nach verbreiteter Auffassung davon ab, ob der Kläger eine dem Privatrecht zuzuordnende Beschäftigung als Angestellter oder eine dem öffentlichen Recht zuzuordnende Stelle als Beamter erstrebt (so etwa , NVwZ-RR 2004, 771 juris Rn. 9; M 5 K 18.3963, juris Rn. 13 f.; , juris Rn. 82; Hauck-Scholz in: Groeger, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 3. Aufl. 2020, Rn. 41.8).
44Im Streitfall strebt die Klägerin zwar eine Beschäftigung bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an. Es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es um eine Anstellung als Beamtin geht.
45Nach den Ausschreibungsunterlagen handelt es sich um eine zeitlich befristete Stelle und nicht um ein Beschäftigungsverhältnis auf Lebenszeit, wie es § 4 Abs. 1 BeamtStG für den Regelfall vorsieht. Die Vergütung soll nicht gemäß, sondern lediglich entsprechend der Besoldungsgruppe B5 des Besoldungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt erfolgen. Besondere Umstände, die für eine öffentlich-rechtliche Prägung des Auswahlverfahrens sprechen könnten (dazu , juris Rn. 83 ff.), sind ebenfalls nicht ersichtlich.
46ee) Der Umstand, dass das Arbeitsgericht zunächst Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und diesen mehrfach verlegt hat, führt nicht zu einer Selbstbindung.
47Dem Gericht steht es gemäß § 17a Abs. 4 Satz 1 GVG frei, vor einer Verweisung mündlich zu verhandeln.
48ff) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts nicht als willkürlich anzusehen.
49Dass zwischen den Parteien wegen der von der Klägerin angestrebten Beschäftigung schon mehrere Rechtsstreitigkeiten von den Arbeitsgerichten entschieden wurden, kann zwar für die Frage eines Zusammenhangs im Sinne von § 2 Abs. 3 ArbGG von Bedeutung sein. Eine unzutreffende Beurteilung dieser Frage führt jedoch nicht ohne weiteres zur Bejahung von Willkür. Besondere Umstände, die diesen Vorwurf rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.
504. Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom erfasst neben dem Hauptantrag auch die Hilfsanträge der Klägerin.
51a) Die Bindungswirkung einer Entscheidung gemäß § 17a GVG erfasst allerdings bei einer Mehrheit prozessualer Ansprüche grundsätzlich nur den Hauptanspruch (, BGHZ 225, 59 = GRUR 2020, 755 Rn. 23 - WarnWetter-App; Beschluss vom - III ZB 59/13, BGHZ 199, 159 = NZG 2014, 110 Rn. 14; , NZA 2015, 180 Rn. 19).
52b) Im Streitfall betreffen die Hilfsanträge jedoch denselben Streitgegenstand wie der Hauptantrag.
53Streitgegenstand eines Rechtsstreits ist der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung verstandene eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag (Rechtsfolge) und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. nur , NJW-RR 2006, 1502 Rn. 8; Urteil vom - XI ZR 66/08, NJW-RR 2009, 790 Rn. 17).
54Die Anträge der Klägerin beruhen auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich der im August 2023 erfolgten Stellenausschreibung der Beklagten.
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180225BXARZ546.24.0
Fundstelle(n):
NJW 2025 S. 9 Nr. 14
VAAAJ-87435