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BGH Beschluss v. - III ZB 33/24

Instanzenzug: LG München I Az: 13 T 12216/23

Gründe

I.

1    Die Antragstellerinnen (im angefochtenen Beschluss noch als Antragsgegnerinnen bezeichnet) verlangen von dem Notar die teilweise Auskehr eines bei diesem hinterlegten Geldbetrags.

2    Die Antragsgegnerin (im angefochtenen Beschluss noch als Antragstellerin bezeichnet) erhielt von der Bundesrepublik Deutschland den Auftrag, mehrere Fregatten zu bauen. In diesem Zusammenhang vergab sie Unteraufträge - unter anderem an die A.                 S.             GmbH (im Folgenden A.       ). Die Antragstellerinnen wiederum lieferten Systemkomponenten an dieses Unternehmen. Nachdem es zu Differenzen über die Qualität der Leistungen der Antragstellerinnen und in diesem Zusammenhang bestehende wechselseitige Rechte und Pflichten gekommen war, schlossen die Antragsgegnerin und die Antragstellerinnen (nachfolgend zusammenfassend auch Beteiligte) sowie die A.       einen Vertrag über die Erbringung von Leistungen und Vergütungen (sogenanntes Term Sheet). Im Zuge dessen erklärte sich die Antragsgegnerin bereit, den Antragstellerinnen einen Teil der gegen die A.        geltend gemachten Forderungen abzukaufen. Zwei Millionen Euro des Kaufpreises sollten jedoch auf einem Treuhandkonto (Notaranderkonto) des Notars hinterlegt werden, mit dem die Beteiligten einen "Treuhandvertrag nebst Verwahrungsanweisung" schlossen. Der hinterlegte Betrag sollte unter bestimmten Voraussetzungen an die Antragstellerinnen ausgezahlt werden (vgl. § 3 des Treuhandvertrags; § 5 Nr. 5 des Term Sheets). Die Auszahlung hing dabei unter anderem davon ab, ob die AA als Leistungsempfängerin innerhalb einer bestimmten Frist die Fälligkeit der der jeweiligen Forderung zugrunde liegenden Rechnung bestätigte oder sie qualifiziert (das heißt unter Angabe von Gründen) ablehnte.

3    Die Beteiligten streiten um die Auszahlung des auf die Rechnung vom (Nummer 3360) entfallenden Betrags von 1.050.637,43 €. Sie vertraten insoweit unterschiedliche Auffassungen dazu, ob sich die Auszahlungsvoraussetzungen nach § 3 Buchstabe c oder d des Treuhandvertrages richten sollten und ob diese Voraussetzungen vorlagen.

4    Mit Vorbescheid vom (Vorbescheid I) kündigte der Notar die Auszahlung der vorstehend genannten Summe an, weil er die Voraussetzungen von § 3 Buchstabe c als gegeben ansah. Dieser Vorbescheid war Anlass für ein dem vorliegenden Verfahren vorangegangenes Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht (13 T 7717/21), das den Notar seinerzeit mit Beschluss vom anwies, von der Auszahlung abzusehen, weil die Auszahlungsvoraussetzungen von § 3 Buchstaben c und d des Treuhandvertrags nicht vorlägen.

5    Mit Schreiben vom verlangten die Antragstellerinnen erneut die Auszahlung des Betrags aus der Rechnung Nr. 3360. Nachdem der Notar dies zunächst mit Vorbescheid vom in Aussicht gestellt hatte (Vorbescheid IV), erließ er am auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin einen Abhilfebescheid und erklärte stattdessen, den Betrag nicht auszuzahlen. Auf die hiergegen von den Antragstellerinnen eingelegte Beschwerde erging am ein weiterer Vorbescheid (Vorbescheid V), mit dem der Notar erneut die Auszahlung der 1.050.637,43 € ankündigte und den Vorbescheid IV bestätigte. Dies begründete er damit, dass die Antragstellerinnen einen für ihn bislang neuen Sachvortrag zu der vom Landgericht im (ersten) Beschwerdeverfahren in einer Hinweisverfügung geäußerten Rechtsauffassung über die (abschließende) Auslegung des Vertrags in das Verfahren eingeführt hätten, wonach die Behandlung der Rechnung Nr. 3360 eindeutig von der in § 3 Buchstabe d des Term Sheets vorgesehenen Regelung erfasst werde. Die hiernach erforderlichen Auszahlungsvoraussetzungen sah er als erfüllt an.

6    Dagegen hat die Antragsgegnerin (erneut) Beschwerde eingelegt. Der Notar hat dieser Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat den Vorbescheid V mit dem angefochtenen Beschluss aufgehoben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wollen die Antragstellerinnen die Wiederherstellung der Entscheidung des Notars vom hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht erreichen.

II.

7    Die Rechtsbeschwerde ist infolge der Zulassung statthaft (§ 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO iVm § 70 Abs. 1, Abs. 2 FamFG) und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Die Antragstellerinnen sind dadurch beschwert, dass das Beschwerdegericht den ihnen günstigen Vorbescheid des Notars vom (Vorbescheid V) aufgehoben hat.

8    Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

91.    Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der angefochtene Vorbescheid sei aufzuheben, weil dessen Erlass die materielle Rechtskraft des Beschlusses der Kammer vom im Verfahren mit dem Aktenzeichen 13 T 7717/21 entgegenstehe. Nach allgemeiner Auffassung seien in echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit - und um solche handele es sich bei Verfahren über die Feststellung eines Auszahlungsanspruchs aus einem Treuhandvertrag - die §§ 322, 325 ZPO entsprechend anzuwenden. Im Zeitpunkt der im vorausgegangenen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen hätten dem Notar die in den Vorbescheiden IV und V angeführten Tatsachen bereits vorgelegen, die in dem mit Beschluss vom abgeschlossenen Verfahren zu berücksichtigen gewesen wären. Der Notar habe daher in den Vorbescheiden IV und V einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der innerhalb der zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft des Kammerbeschlusses vom liege.

102.    Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat den Vorbescheid V zu Recht wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des am ergangenen Beschlusses (13 T 7717/21) aufgehoben.

11    a) Das gegen den Vorbescheid gerichtete Rechtsmittel der Antragsgegnerin war zulässig. Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die - allenfalls in Betracht zu ziehende - einmonatige Beschwerdefrist gemäß § 63 Abs. 1 FamFG im Notarbeschwerdeverfahren nach § 15 Abs. 2 BNotO keine Anwendung findet (vgl. dazu , DNotZ 2016, 220 Rn. 7). § 15 Abs. 2 Satz 1 BNotO, der keine Frist enthält, regelt die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Amtsverweigerung des Notars abschließend. Diese Regelung verdrängt die Bestimmungen über die Beschwerdefrist in § 63 FamFG und geht ihnen vor (BGH aaO Rn. 9). Dies gilt nach dem Wortlaut der Norm unabhängig davon, ob es um die Verweigerung einer Amtstätigkeit durch den Notar geht oder um die Ankündigung, eine Amtstätigkeit gegen den Willen der Beteiligten vornehmen zu wollen (vgl. zB BGH aaO Rn. 6; Hariefeld, RNotZ 2019, 365, 372). Es kommt daher nicht darauf an, dass der Notar - gegebenenfalls zu seiner eigenen haftungsrechtlichen Absicherung - mit dem Vorbescheid V eine im Vergleich zur Regelfrist kürzere zweiwöchige Frist zur Einlegung der Beschwerde gesetzt hat und diese Frist möglicherweise - was hier offenbleiben kann - nicht eingehalten worden ist (vgl. Hariefeld aaO).

12    b) Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass der Notar entgegen seiner Ankündigung in dem Vorbescheid V nicht berechtigt war, den von den Antragstellerinnen mit dem Ersuchen vom begehrten Betrag vom Treuhandkonto auszukehren, weil es ihn bereits mit Beschluss vom rechtskräftig angewiesen hatte, dies zu unterlassen.

13    aa) Eine Regelung über die materielle Rechtskraft enthält das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zwar nicht. Es entspricht jedoch einhelliger Auffassung, dass Entscheidungen in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit der materiellen Rechtskraft mit der Folge der analogen Anwendung der §§ 322, 325 ZPO jedenfalls dann fähig sind, wenn eine dem zivilprozessualen Streitverfahren vergleichbare Interessenlage besteht. Eine solche liegt bei echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor, weil auch hier der Ausgleich widerstreitender Interessen im Ergebnis einer verbindlichen Klärung durch das Gericht bedarf (vgl. zB , NJW 1964, 863; BayObLG WuM 2001, 410; dass. FamRZ 1998, 1055, 1056; NJW 1996, 3217, 3218 und MDR 1988, 872, 873; BeckOK-FamFG/Obermann, 52. Ed. [Stand ], § 45 Rn. 2a; Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl., § 45 Rn. 12; Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 45 FamFG Rn. 11; Bahrenfuss/Rüntz, FamFG, 3. Aufl., § 45 Rn. 14; Bumiller in Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 13. Aufl., § 45 Rn. 8; Haußleiter/Gomille, FamFG, 2. Aufl., § 45 Rn. 9). Hierbei handelt es sich um Verfahren, in denen verbindlich über subjektive Rechte entschieden wird (Zöller/Feskorn aaO). Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die Beteiligten über den Verfahrensgegenstand disponieren, ihn übereinstimmend für erledigt erklären oder ihren Antrag zurücknehmen können (Zöller/Feskorn aaO Vorbem. zu §§ 23-37 FamFG Rn. 4). Um nichts anderes geht es bei dem Vorbescheid eines Notars und den dagegen eingelegten Rechtsmitteln im Zusammenhang mit der Klärung der Frage, ob der Notar im Rahmen eines von ihm übernommenen (öffentlich-rechtlichen) Verwahrungsverhältnisses eine Auszahlung an einen der Verfahrensbeteiligten vornehmen darf. Auch vorliegend vertreten die an dem Treuhandvertrag beteiligten Parteien/Beteiligten unterschiedliche Auffassungen zu der Auszahlungsreife des hinterlegten Geldbetrags und insoweit gegenläufige Interessen. Umgekehrt wäre es ihnen ebenso unbenommen gewesen, dem Notar eine übereinstimmende Weisung zu erteilen, um etwaige Unklarheiten zu beseitigen. Ferner hätten die Antragstellerinnen ihren Auszahlungsantrag auch zurücknehmen können. Auf den Umfang der materiell-rechtlichen Prüfungskompetenz des zur Entscheidung über die Beschwerde gegen den notariellen Vorbescheid berufenen Gerichts (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom - V ZB 22/22, DNotZ 2024, 37 Rn. 4 und vom - V ZB 25/21, DNotZ 2022, 271 Rn. 5) kommt es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde für die Rechtskraft nicht an.

14    bb) Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, wegen der Rechtskraft des Beschlusses vom sei der Notar daran gehindert, dem erneuten Auszahlungsverlangen der Antragstellerinnen nachzukommen. Dies wäre - das Vorliegen der sonstigen Auszahlungsvoraussetzungen unterstellt - nur dann anders zu beurteilen, wenn der Antrag auf einer von der abgeschlossenen Streitsache nicht erfassten Änderung der Sach- und Rechtslage beruhte. Dies ist aber nicht der Fall.

15    (1) Die materielle Rechtskraft steht nach formell rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens in bestimmten gegenständlichen, zeitlichen und subjektiven Grenzen einer unmittelbaren oder mittelbaren Zweitentscheidung entgegen; sie schließt ein weiteres Verfahren mit identischem Verfahrensgegenstand oder dessen kontradiktorisches Gegenteil aus (vgl. zB , NJW 2023, 2343 Rn. 16; MüKoFamFG/Ulrici, 4. Aufl., § 48 Rn. 32; Bahrenfuss/Rüntz aaO Rn. 19). Ein gleichwohl gestellter Antrag ist unzulässig (vgl. Bahrenfuss/Rüntz aaO Rn. 20). In materielle Rechtskraft erwächst die Entscheidung des Gerichts über den Streit- beziehungsweise den Verfahrensgegenstand (vgl. zB Senat, Urteil vom - III ZR 184/81, NJW 1983, 2032; , NJW 2003, 585, 586 und vom - V ZR 111/80, NJW 1981, 2306; Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Aufl., § 45 Rn. 25; Zöller/Feskorn aaO, § 45 FamFG Rn. 12). Dieser wird - auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit - durch den Verfahrensantrag bestimmt, in dem sich die vom Antragsteller in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt (den Anspruchsgrund), aus dem der Antragsteller die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom - III ZB 36/06, NJW-RR 2006, 1502 Rn. 8 und vom - III ZB 59/13, NZG 2014, 110 Rn. 16; aaO und vom - VII ZR 15/85, NJW 1986, 1046; Sternal/Jokisch aaO; Zöller/Feskorn aaO). Der Gegenstand der Rechtskraft beschränkt sich auf das Bestehen oder Nichtbestehen der geltend gemachten Rechtsfolge aufgrund des vorgetragenen Tatsachenkomplexes (zB , NJW 1995, 967). Der Inhalt des Urteils - oder hier des rechtskraftfähigen Beschlusses - und damit der Umfang der Rechtskraft sind der Entscheidung im Ganzen zu entnehmen. Auszugehen ist von der Urteilsformel, die aber häufig - wie insbesondere bei abweisenden Entscheidungen - nicht erkennen lässt, worüber entschieden worden ist. Sofern die Urteilsformel allein nicht ausreicht, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu erfassen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe sowie erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen ergänzend heranzuziehen (vgl. zB Senat, Urteile vom - III ZR 13/23, WM 2024, 637 Rn. 26 mwN und vom aaO; und vom ; jew. aaO; Zöller/Feskorn aaO; Bahrenfuss/Rüntz aaO Rn. 11). Ob die rechtskräftige Entscheidung verfahrensfehlerfrei zustande gekommen und materiell-rechtlich richtig ist, spielt keine Rolle (Abramenko in Prütting/Helms aaO Rn. 10). Unterscheidet sich der in dem neuen Verfahren maßgebliche Sachverhalt hingegen seinem Wesen nach von dem des vorangegangenen, steht diesem die materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung nicht entgegen, und zwar auch dann nicht, wenn das verfolgte Ziel äußerlich unverändert geblieben ist (vgl. und vom ; jew. aaO).

16    Zu den Rechtskraftwirkungen gehört allerdings die Präklusion nicht nur im ersten Prozess vorgetragener Tatsachen, die zu einer Abweichung von rechtskräftig festgestellten Rechtsfolgen führen sollen, sondern auch der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern sie nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess beziehungsweise dem sonst im Verfahren maßgeblichen Zeitpunkt entstanden sind (vgl. aaO S. 968 mwN). Abzustellen ist insoweit auf das ganze einem Klage-/Verfahrensantrag zugrundeliegende Geschehen, das bei natürlicher Betrachtungsweise nach der Verkehrsauffassung zusammengehört. Ausgeschlossen sind danach Tatsachen, die bei einer vom natürlichen Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtung zu dem durch ihren Sachvortrag zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört hätten (vgl. BGH aaO m.zahlr.w.N.). Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft richten sich - unabhängig von der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 26 FamFG) - nach der möglichen richterlichen Erkenntnis im Zeitpunkt der (letzten) Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. MüKoFamFG/Ulrici aaO § 48 Rn. 45), hier des Beschwerdegerichts. Dieses tritt an die Stelle des Notars und hat das gesamte Sach- und Rechtsverhältnis, so wie es sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellt, und dabei insbesondere auch neue - in der Beschwerdeinstanz vorgetragene - Tatsachen zu berücksichtigen (§ 65 Abs. 3 FamFG iVm § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO; vgl. aaO Rn. 9; Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO, 6. Aufl., § 15 Rn. 45; BeckOK-BNotO/Sander, 11. Ed. [Stand ], § 15 Rn. 143). Es hat wie ein Erstgericht die Beschwerde auf alle Gründe zu prüfen, die ihr zum Erfolg verhelfen können (§ 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG) und hat dabei auch nach der Entscheidung des Notars bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen (BGH aaO). Dabei kann sich das Beschwerdegericht auf andere Gesichtspunkte als der Notar beziehen (vgl. Frenz in Frenz/Miermeister aaO).

17    Neue Tatsachen, auf die ein neues Gesuch eines Antragstellers gestützt werden kann, sind entsprechend den zivilprozessualen Grundsätzen nur solche, die im Erstverfahren objektiv nicht vorgebracht werden konnten, weil sie erst nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz entstanden sind (MüKoFamFG/Ulrici aaO). Dazu genügt es nicht, wenn die Sachverhaltsdarstellung des Vorprozesses lediglich abgewandelt, ergänzt oder korrigiert wird ( aaO S. 586). Der im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltende Untersuchungsgrundsatz ändert daran nichts. Ob die rechtskräftig gewordene Entscheidung prozessordnungsgemäß ergangen und materiell richtig ist, ist - wie ausgeführt - unmaßgeblich.

18    (2) Es kommt vorliegend daher darauf an, ob die Feststellungen in dem früheren Beschluss des Beschwerdegerichts in zeitlicher Hinsicht auch den Sachverhalt erfassen, auf den die Antragstellerinnen ihr erneutes Petitum stützen. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze bezogen sich die jeweils die Rechnung Nr. 3360 betreffenden in den notariellen Vorbescheiden I und IV/V behandelten gleichartigen Auszahlungsverlangen der Antragstellerinnen vom einerseits und vom andererseits auf denselben Lebenssachverhalt und damit einen identischen Verfahrensgegenstand.

19    Dem steht nicht entgegen, dass der Notar im Vorbescheid I die Auszahlungsvoraussetzungen gemäß § 3 Buchstabe c des Treuhandvertrags und in den Vorbescheiden IV/V gemäß Buchstabe d bejaht hat. Bereits im ersten Beschwerdeverfahren haben die Antragstellerinnen ihr Auszahlungsverlangen zwar (vornehmlich) auf die ihnen günstigere Bestimmung in § 3 Buchstabe c des Treuhandvertrags gestützt, während sie für ihr Gesuch - der Rechtsansicht des Beschwerdegerichts im ersten Beschwerdeverfahren folgend - nunmehr (allein) auf § 3 Buchstabe d des Treuhandvertrags abstellen und sich dabei auf eine mit E-Mail vom erfolgte Übersendung der Treuhandvereinbarung an die A.     verbunden mit der Aufforderung, eine qualifizierte Zurückweisung der Fälligkeit der Rechnung Nr. 3360 darzulegen, berufen. Jedoch waren ungeachtet der von den Antragstellerinnen im Vorprozess vorrangig vertretenen Rechtsauffassung, Buchstabe c und nicht d sei einschlägig, die Voraussetzungen einer Auszahlung nach § 3 Buchstabe d bereits damals Gegenstand des Verfahrens. Nach den Feststellungen des haben sich die Antragstellerinnen dort auf den Standpunkt gestellt, es seien nicht nur die Auszahlungsvoraussetzungen gemäß § 3 Buchstabe c des Treuhandvertrags, sondern auch - gegebenenfalls im Wege der analogen Anwendung - diejenigen nach dessen Buchstabe d gegeben, wenn sie auch die (analoge) Anwendung von Buchstabe c als sachnäher angesehen haben. Dementsprechend hat sich das Landgericht in den Gründen ebenfalls mit den Auszahlungsvoraussetzungen nach Buchstabe d befasst, deren Vorliegen aber auf der Grundlage des damals bekannten Sach- und Streitstands verneint (Beschluss vom S. 20 Abs. 3 unter 4). Es hat insoweit bereits mit Verfügung vom darauf hingewiesen, nach vorläufiger Prüfung falle die Rechnung Nr. 3360 (nur) in den Anwendungsbereich der Regelung nach § 3 Buchstabe d des Treuhandvertrages. Dessen Auszahlungsvoraussetzungen seien seiner vorläufigen Einschätzung zufolge aber nicht gegeben, weil es an der erforderlichen Aufforderung der A.     , sich zu der Rechnung zu erklären, fehle. Hierzu hat es den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Weiteren Tatsachenvortrag zu den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vertragsklausel haben die Antragstellerinnen daraufhin jedoch nicht gehalten. Insbesondere haben sie weder erklärt, sich auf die Auszahlungsvoraussetzungen gemäß Buchstabe d (doch) nicht berufen zu wollen, noch haben sie die während des ersten Beschwerdeverfahrens ergangene Aufforderung an die A.       vom , sich zu einer qualifizierten Zurückweisung der Rechnung zu äußern, vorgelegt, die sie nunmehr zur Grundlage ihres neuen Auszahlungsantrags machen. Die Existenz des Schreibens vom wird damit von den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft des Verfahrens 13 T 7717/21 erfasst.

20    Der Vorbescheid V beruht auch nicht deswegen auf neuen Erkenntnissen, weil dem Notar die im vorangegangenen Verfahren geäußerte Einschätzung des Beschwerdegerichts, für das Ersuchen der Antragstellerinnen sei - unbeschadet der hier nicht geltend gemachten Auszahlungsvoraussetzungen nach Buchstaben a und b der Klausel - allein § 3 Buchstabe d der Treuhandvereinbarung einschlägig, erst nach dessen Abschluss bekannt geworden ist. Denn darauf kam es aus vorstehenden Gründen nicht an.

21    Hiernach kann auf sich beruhen, ob die Rechtskraft des landgerichtlichen Beschlusses vom im ersten Beschwerdeverfahren der Berücksichtigung des Schreibens vom im vorliegenden Verfahren auch dann entgegengestanden hätte, wenn im ersten Verfahren die Auszahlungsvoraussetzungen nach § 3 Buchstabe d der Treuhandvereinbarung nicht thematisiert worden und die unterschiedlichen Auszahlungsvoraussetzungen nach Buchstaben c und d bei natürlicher Betrachtungsweise als ein Lebensvorgang aufzufassen gewesen wären.

22    cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es unbeachtlich, dass es zu der Frage, ob der mit der Rechnung Nr. 3360 geltend gemachte Betrag vom Treuhandkonto auszuzahlen ist, mehrere Vorbescheide des Notars gibt. Dies beeinflusst den Umfang der Rechtskraft nicht. Der Vorbescheid entspricht vielmehr einer erstinstanzlichen Entscheidung (vgl. Regler, MittBayNot 2010, 261, 263). Es kommt daher für die Bestimmung des Verfahrensgegenstands nicht auf die Anzahl der Vorbescheide oder den Zeitpunkt ihres Erlasses an, sondern - wie vorstehend ausgeführt - auf die darin beschiedenen Anträge - hier das konkrete Auszahlungsersuchen - und den im Verfahren unterbreiteten Lebenssachverhalt. Ob der Notar - möglicherweise irrtümlich - denselben Verfahrensgegenstand mehrfach bescheidet, ist unbeachtlich.

Herrmann                          Böttcher

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:270225BIIIZB33.24.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-87434