Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 14 U 46/22vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 9 O 1736/21
Tatbestand
1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Passat Variant Comfortline 2.0, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2 Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge weiterverfolgt.
Gründe
3 Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5 Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Auf Grundlage des Vortrags zu dem im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten "Thermofenster" und zur Funktionsweise des NOx-Speicherkatalysators lasse sich das Vorliegen des objektiven Tatbestands der Sittenwidrigkeit nicht bejahen. Der klägerische Vortrag zu weiteren Abschalteinrichtungen sei prozessual unbeachtlich. Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung Art. 12, Art. 18 Richtlinie Nr. 2007/46/EG; §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV schieden mangels Schutzgesetzcharakters aus. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Regelungen den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags hätten erfassen sollen.
II.
6 Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
7 1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
8 2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9 Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10angefochtene
11 Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der bislang unterstellten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Vogt-Beheim
F. Schmidt Tausch
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260225UVIAZR1037.22.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-87264