Suchen
BGH Urteil v. - VIa ZR 746/21

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 8 U 75/20vorgehend LG Gießen Az: 5 O 460/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im September 2016 von einem Händler - teilweise darlehensfinanziert - einen gebrauchten Mercedes Benz GLK 220 CDI 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

2Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises zuzüglich Finanzierungskosten und Prozesszinsen abzüglich einer nach der im Antrag wiedergegebenen Formel zu berechnenden Nutzungsentschädigung sowie Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen (Berufungsantrag zu 1). Er hat ferner die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu 2), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere Schäden wegen der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1 bis 3 weiter.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Das unstreitig in dem Fahrzeug verbaute Thermofenster begründe keine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. Der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei - unterstellt - einstelligen Außentemperaturen erheblich reduziert und letztlich ganz abgeschaltet werde, reiche für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Hierfür bedürfte es weiterer Umstände, zu denen es an hinreichend konkretem Sachvortrag des Klägers fehle.

6Ein Anspruch aus § 826 BGB lasse sich auch nicht auf die unstreitig in dem Fahrzeug eingesetzte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) stützen. Der auf "unzulässige Abschalteinrichtung bzw. unzulässige Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems" gestützte Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes reiche nicht aus, um in rechtlicher Hinsicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung auszufüllen. Umstände, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als anständig Geltenden verwerflich machen würden, seien anhand des klägerischen Vortrags nicht festzustellen. Bereits nach dem eigenen Vorbringen des Klägers sei die KSR im Grundsatz im Straßenbetrieb unter den gleichen Betriebsbedingungen wie auf dem Prüfstand aktiv. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, weil es sich nicht um Schutzgesetze handele.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. Das Berufungsgericht hat eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. nur , juris Rn. 12 f.; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) verneint, weil es dem klägerischen Vortrag keine greifbaren Anhaltspunkte für einen bewussten Gesetzesverstoß der Beklagten beziehungsweise eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde entnommen hat. Die darauf bezogene Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Substantiierungsanforderungen für die Behauptung des Einsatzes der KSR als prüfstandsbezogener und damit auf Täuschung angelegter Abschalteinrichtung in offensichtlicher Weise überspannt, hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die Berufungsentscheidung ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                                Möhring                                Vogt-Beheim

                        Katzenstein                             Ostwaldt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:040325UVIAZR746.21.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-87254