Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 168 – Recht auf Vorsteuerabzug – Erwerb von Verwaltungsdienstleistungen, die innerhalb einer Unternehmensgruppe erbracht werden – Versagung des Vorsteuerabzugsrechts
Leitsatz
Art. 168 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Steuerverwaltung das Recht auf Abzug der Vorsteuer, die ein Steuerpflichtiger beim Erwerb von Dienstleistungen von anderen, derselben Unternehmensgruppe angehörenden Steuerpflichtigen entrichtet hat, mit der Begründung versagt, dass diese Dienstleistungen gleichzeitig an andere Gesellschaften dieser Gruppe erbracht worden seien und ihr Erwerb nicht erforderlich oder zweckmäßig gewesen sei, entgegensteht, wenn erwiesen ist, dass der Steuerpflichtige diese Dienstleistungen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet.
Gesetze: RL 2006/112/EG Art. 2, RL 2006/112/EG Art. 9, RL 2006/112/EG Art. 11, RL 2006/112/EG Art. 168
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 und 168 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Weatherford Atlas Gip SA einerseits und der Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcția Generală de Soluționare a Contestațiilor (Nationale Steuerverwaltungsagentur – Generaldirektion für Rechtsbehelfe, Rumänien) sowie der Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcția Generală de Administrare a Marilor Contribuabili (Nationale Steuerverwaltungsagentur – Generaldirektion für die Verwaltung von Großsteuerzahlern, Rumänien) (im Folgenden zusammen: Steuerverwaltung) andererseits über die Entscheidung der Steuerverwaltung, das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer zu versagen, die als Vorsteuer für den Erwerb von innerhalb einer Unternehmensgruppe erbrachten Verwaltungsdienstleistungen entrichtet wurde.
Rechtlicher Rahmen
3 Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer.
4 Nach Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie gilt als „Steuerpflichtiger“, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.
5 Art. 11 der Richtlinie lautet:
„Nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer (nachstehend ‚Mehrwertsteuerausschuss‘ genannt) kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
Ein Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit in Anspruch nimmt, kann die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.“
6 Art. 168 der Richtlinie bestimmt:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
die Mehrwertsteuer, die für Umsätze geschuldet wird, die der Lieferung von Gegenständen beziehungsweise dem Erbringen von Dienstleistungen gemäß Artikel 18 Buchstabe a sowie Artikel 27 gleichgestellt sind;
die Mehrwertsteuer, die für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i geschuldet wird;
die Mehrwertsteuer, die für dem innergemeinschaftlichen Erwerb gleichgestellte Umsätze gemäß den Artikeln 21 und 22 geschuldet wird;
die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
7 Weatherford Atlas Gip gehört zur Unternehmensgruppe Weatherford, die auf Dienstleistungen im Erdölsektor spezialisiert ist.
8 Am übernahm Weatherford Atlas Gip im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme die Foserco SA, eine rumänische Gesellschaft, einschließlich ihrer Rechte und Pflichten. Die Tätigkeit von Foserco bestand darin, Hilfsdienstleistungen zur Förderung von Erdöl und Erdgas zu erbringen.
9 In den Jahren 2015 und 2016 hatte Foserco in Rumänien Bohrdienstleistungen für zwei Kunden erbracht, nämlich OMV Petrom und Petrofarc. Um diese Dienstleistungen erbringen zu können, hatte Foserco von Gesellschaften der Weatherford-Gruppe allgemeine Verwaltungsdienstleistungen erworben, insbesondere im Zusammenhang mit IT, Personalwesen, Marketing, Buchhaltung und Beratung. Diese allgemeinen Verwaltungsdienstleistungen wurden von außerhalb Rumäniens ansässigen Unternehmen erbracht, und zur Berechnung der Mehrwertsteuer auf diese Dienstleistungen wurde die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft angewandt. Andere Unternehmen der Gruppe profitierten ebenfalls von den Dienstleistungen.
10 Nach der oben genannten Verschmelzung ordnete die Steuerverwaltung mit Bescheid vom eine erneute Prüfung der Körperschaftsteuer- und Mehrwertsteuerpflichten von Weatherford Atlas Gip für den Zeitraum vom bis zum an. Diese Prüfung erstreckte sich somit auch auf die von Weatherford Atlas Gip übernommenen Verpflichtungen von Foserco.
11 Im Anschluss an die Prüfung erließ die Steuerverwaltung einen Steuerbescheid und einen Steuerprüfungsbericht, mit denen sie das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer in Höhe von 1 774 419 rumänischen Lei (RON) (ca. 356 540 Euro), die Foserco für die erworbenen Verwaltungsdienstleistungen als Vorsteuer entrichtet hatte, mit der Begründung versagte, dass zum einen kein Dokument vorgelegt worden sei, um den Zusammenhang zwischen den erworbenen Dienstleistungen und der Tätigkeit des von der Prüfung betroffenen Steuerpflichtigen nachzuweisen, und zum anderen aus den vorgelegten Dokumenten weder die Art der erbrachten Dienstleistungen noch die Identität der Personen, die diese Dienstleistungen erbracht hätten, noch der Zeitraum, in dem sie erbracht worden seien, noch die Notwendigkeit dieser Dienstleistungen für Foserco hervorgingen.
12 Weatherford Atlas Gip legte gegen diesen Steuerbescheid und diesen Steuerprüfungsbericht Einspruch ein. Nachdem der Einspruch von der Steuerverwaltung mit Entscheidung vom zurückgewiesen worden war, erhob Weatherford Atlas Gip eine Anfechtungsklage beim Tribunalul Prahova (Regionalgericht Prahova, Rumänien), dem vorlegenden Gericht. Im Rahmen der Erhebungen im Zusammenhang mit dieser Klage führte die Steuerverwaltung aus, sie stelle nicht in Frage, dass die betreffenden Dienstleistungen tatsächlich erworben worden seien, jedoch habe Weatherford Atlas Gip keinen Zusammenhang zwischen diesen Dienstleistungen und ihren besteuerten Umsätzen nachgewiesen. Ein solcher Zusammenhang lasse sich nicht feststellen, da diese Dienstleistungen an mehrere Gesellschaften der Weatherford-Gruppe erbracht worden und damit anderen Mitgliedern dieser Gruppe oder dieser Gruppe als solcher zugutegekommen seien. Auch wenn die Kosten der Dienstleistungen zwischen den betreffenden Gesellschaften aufgeteilt worden seien, hätten sie Weatherford Atlas Gip nicht in Rechnung gestellt werden dürfen, da sie für sie nicht erforderlich gewesen seien.
13 Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Steuerverwaltung nicht bestreite, dass die fraglichen Verwaltungsdienstleistungen tatsächlich erbracht worden seien, und auch keine Steuerhinterziehung geltend mache, sondern die Anerkennung des Rechts auf Vorsteuerabzug mit der Begründung verweigere, es sei nicht nachgewiesen worden, dass der Steuerpflichtige diese Dienstleistungen benötigt habe. Das vorlegende Gericht fragt sich insoweit, ob das Recht auf Vorsteuerabzug nach der Mehrwertsteuerrichtlinie auf der Grundlage einer subjektiven Beurteilung der Steuerverwaltung hinsichtlich der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit des Erwerbs solcher Dienstleistungen versagt werden kann, wenn erwiesen ist, dass die damit verbundenen Kosten zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen im Sinne der u. a. auf das Urteil vom , Investrand (C‑435/05, EU:C:2007:87, Rn. 24), zurückgehenden Rechtsprechung gehören.
14 Vor diesem Hintergrund hat das Tribunalul Prahova (Regionalgericht Prahova) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Licht des Grundsatzes der Steuerneutralität dahin auszulegen, dass er in Sachverhalten wie jenem des Ausgangsverfahrens der Steuerbehörde verbietet, einem Steuerpflichtigen das Recht auf den Vorsteuerabzug der für erworbene Verwaltungsdienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer zu versagen, sofern festgestellt wird, dass alle für die erworbenen Dienstleistungen verbuchten Kosten in die allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen eingeflossen sind und der Steuerpflichtige nur besteuerte Umsätze tätigt, dass die Erbringung der Dienstleistungen von der Steuerbehörde ausdrücklich bestätigt wird und dass die steuerliche Behandlung nach dem Reverse-Charge-Verfahren erfolgt (wodurch ein Schaden für den Fiskus ausgeschlossen wäre)?
Können für die Zwecke der Auslegung der Art. 2 und 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Sachverhalten wie jenem des Ausgangsverfahrens Verwaltungs- und Managementdienstleistungen (genauer Beistands- und Beratungsleistungen in verschiedenen Bereichen, Finanz- und Rechtsberatung), die zwischen Gesellschaften eines Konzerns zugunsten mehrerer Konzernmitglieder erbracht werden, von jedem einzelnen Mitglied als für die Zwecke besteuerter Umsätze verwendet bzw. für den eigenen Bedarf erworben angesehen werden?
Kann für die Zwecke der Auslegung von Art. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, sofern festgestellt wird, dass die konzerninternen Dienstleistungen nicht zugunsten eines der Konzernmitglieder erbracht werden, eine Gesellschaft, die dem Konzern angehört, aber von der angenommen wird, dass sie diese Dienstleistungen nicht in Anspruch genommen hat, als Steuerpflichtiger angesehen werden, der als solcher handelt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten und zur zweiten Frage
15 Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die Steuerverwaltung das Recht auf Abzug der Vorsteuer, die ein Steuerpflichtiger beim Erwerb von Dienstleistungen von anderen, derselben Unternehmensgruppe angehörenden Steuerpflichtigen entrichtet hat, mit der Begründung versagt, dass diese Dienstleistungen gleichzeitig an andere Gesellschaften dieser Gruppe erbracht worden seien und ihr Erwerb nicht erforderlich oder zweckmäßig gewesen sei.
Zur Zulässigkeit
16 Die rumänische Regierung macht geltend, diese Fragen seien unzulässig, weil die erste Frage auf einer nicht untermauerten tatsächlichen Prämisse beruhe und insofern hypothetischer Natur sei, während die zweite Frage auf einer Sachverhaltsdarstellung beruhe, die nicht erkennen lasse, warum das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht habe.
17 Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom , Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
18 Im vorliegenden Fall ist es in Bezug auf die erste Frage nicht Sache des Gerichtshofs, die Richtigkeit der tatsächlichen Prämisse zu prüfen, auf der diese Frage beruht. Jedenfalls erscheint diese Frage in Anbetracht des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits, wie er vom vorlegenden Gericht beschrieben wird, nicht offensichtlich hypothetisch. Gegen die Zulässigkeit dieser Frage bestehen daher keine durchgreifenden Bedenken.
19 Zur zweiten Frage ist festzustellen, dass die Darstellung des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens des Ausgangsrechtsstreits erkennen lässt, warum das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, und dass diese Darstellung die tatsächlichen und rechtlichen Angaben enthält, die für eine zweckdienliche Beantwortung dieser Frage erforderlich sind. Somit kann auch deren Zulässigkeit nicht in Abrede gestellt werden.
20 Folglich sind die ersten beiden Fragen zulässig.
Zur Beantwortung der Vorlagefragen
21 Nach ständiger Rechtsprechung stellt das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen geschuldet wird oder entrichtet wurde, einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar. Das in den Art. 167 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug ist somit integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Es kann für die gesamte Mehrwertsteuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Steuerpflichtige nämlich vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden (Urteil vom , Feudi di San Gregorio Aziende Agricole, C‑341/22, EU:C:2024:210, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet demnach die völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von deren Zweck und deren Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich ihrerseits der Mehrwertsteuer unterliegen. Soweit ein Steuerpflichtiger zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands oder einer Dienstleistung als solcher handelt und den Gegenstand bzw. die Dienstleistung für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, ist er berechtigt, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung abzuziehen (Urteil vom , Feudi di San Gregorio Aziende Agricole, C‑341/22, EU:C:2024:210, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug setzt voraus, dass auf einer vorausgehenden Umsatzstufe ein Umsatz vorliegt, der selbst der Mehrwertsteuer unterliegt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine Dienstleistung nur dann im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie gegen Entgelt erbracht wird und somit der Mehrwertsteuer unterliegt, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (Urteil vom , Apcoa Parking Danmark, C‑90/20, , Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Im vorliegenden Fall wird das vorlegende Gericht daher als Erstes zu prüfen haben, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erwerbe von Verwaltungsdienstleistungen der Mehrwertsteuer unterliegende Umsätze im Sinne der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung sind. Zu diesem Zweck wird das vorlegende Gericht prüfen müssen, ob zwischen diesen Dienstleistungen und dem von Foserco gezahlten Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
25 Außerdem geht aus Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie hervor, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn zum einen der Betroffene „Steuerpflichtiger“ im Sinne dieser Richtlinie ist und zum anderen die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet werden und auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Global Ink Trade, C‑537/22, , Rn. 33, sowie vom , Feudi di San Gregorio Aziende Agricole, C‑341/22, EU:C:2024:210, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Im vorliegenden Fall wird das vorlegende Gericht daher als Zweites zu prüfen haben, ob Foserco und die Gesellschaften, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsdienstleistungen erbracht haben, Steuerpflichtige im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie sind und ob diese Dienstleistungen von Foserco auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke ihrer eigenen besteuerten Umsätze verwendet wurden.
27 Insoweit ist zu ergänzen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Unternehmensgruppe aus unterschiedlichen Steuerpflichtigen zu bestehen scheint und offenbar nicht im Sinne von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie einen einzigen Steuerpflichtigen, nämlich eine Mehrwertsteuergruppe, bildet. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den schriftlichen Erklärungen von Weatherford Atlas Gip geht nämlich hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsdienstleistungen an Foserco, eine rumänische Gesellschaft, von außerhalb Rumäniens ansässigen Gesellschaften erbracht wurden. Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt, ist eine Mehrwertsteuergruppe aber zwangsläufig auf das Gebiet ein und desselben Mitgliedstaats beschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Danske Bank, C‑812/19, , Rn. 24).
28 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen muss. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer setzt voraus, dass die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (Urteil vom , C [Insolvenzverwalter und Liquidatoren], C‑696/22, EU:C:2024:499, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Gegenstände und Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (Urteil vom , Voestalpine Giesserei Linz, C‑475/23, , Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass das Bestehen von Zusammenhängen zwischen Umsätzen anhand des objektiven Inhalts der betreffenden Umsätze zu beurteilen ist. Die Finanzverwaltungen und die nationalen Gerichte haben konkret alle Umstände zu berücksichtigen, unter denen die betreffenden Umsätze ausgeführt wurden, und nur die Umsätze heranzuziehen, die objektiv im Zusammenhang mit der der Steuer unterliegenden Tätigkeit des Steuerpflichtigen stehen. Daher sind die tatsächliche Verwendung der vom Steuerpflichtigen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen und der ausschließliche Grund für diesen Erwerb, der als ein Kriterium für die Bestimmung des objektiven Inhalts anzusehen ist, zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , C [Insolvenzverwalter und Liquidatoren], C‑696/22, EU:C:2024:499, Rn. 89, und vom , Voestalpine Giesserei Linz, C‑475/23, , Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass der Teil der Ausgaben des Steuerpflichtigen, der nicht mit den vom Steuerpflichtigen selbst bewirkten Umsätzen, sondern mit Umsätzen eines Dritten zusammenhängt, kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Vos Aannemingen, C‑405/19, , Rn. 38, und vom , Finanzamt R [Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag], C‑98/21, , Rn. 55).
32 Sollte sich im vorliegenden Fall erweisen, dass ein Teil der Dienstleistungen, für die die im Ausgangsverfahren fraglichen Ausgaben getätigt wurden, nicht für die Zwecke der eigenen Umsätze des Steuerpflichtigen, sondern für die Zwecke von Umsätzen Dritter verwendet wurde, wäre der direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen diesen Dienstleistungen und den besteuerten Umsätzen dieses Steuerpflichtigen teilweise unterbrochen, so dass dieser die auf diesen Teil der Ausgaben entfallende Mehrwertsteuer nicht abziehen dürfte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Vos Aannemingen, C‑405/19, , Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Um zu bestimmen, in welchem Umfang der Steuerpflichtige die Vorsteuer abziehen darf, muss das vorlegende Gericht insbesondere anhand der Dienstleistungsverträge sowie der wirtschaftlichen und geschäftlichen Gegebenheiten ermitteln, inwieweit die betreffenden Dienstleistungen tatsächlich erbracht wurden, um es dem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, seine besteuerten Umsätze zu bewirken. Denn nur insoweit belastet die Vorsteuer dem Steuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Vos Aannemingen, C‑405/19, , Rn. 40 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Der Umstand, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsdienstleistungen an mehrere Empfänger gleichzeitig erbracht werden, erscheint insoweit unerheblich. Dagegen ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass der vom Steuerpflichtigen getragene Anteil der Kosten für diese Dienstleistungen tatsächlich den Dienstleistungen entspricht, die der Steuerpflichtige für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze in Anspruch genommen hat.
35 Die Frage, ob der Erwerb der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsdienstleistungen erforderlich oder zweckmäßig war, erscheint ebenfalls unerheblich, da die Mehrwertsteuerrichtlinie die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht von einem Kriterium der wirtschaftlichen Rentabilität des Eingangsumsatzes abhängig macht. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem soll nämlich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von deren Zweck und deren Ergebnis gewährleisten, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Daher bleibt das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug bestehen, selbst wenn die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit später nicht ausgeübt wurde und somit nicht zu besteuerten Umsätzen führte oder wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen steuerpflichtiger Umsätze verwenden konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , C [Insolvenzverwalter und Liquidatoren], C‑696/22, EU:C:2024:499, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Was schließlich die Beweislast betrifft, ist es nach ständiger Rechtsprechung Sache des Steuerpflichtigen, der einen Vorsteuerabzug vornehmen möchte, nachzuweisen, dass er die hierfür vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt. Die Steuerbehörden können somit vom Steuerpflichtigen die Belege verlangen, die ihnen für die Beurteilung der Frage notwendig erscheinen, ob der verlangte Abzug gewährt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Kemwater ProChemie, C‑154/20, EU:C:2021:989, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , DGRFP Cluj, C‑519/21, EU:C:2023:106, Rn. 99 und 100).
37 Die Würdigung dieser Belege hat das nationale Gericht gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts anhand einer umfassenden Beurteilung aller Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 36, und vom , Global Ink Trade, C‑537/22, , Rn. 34).
38 Folglich ist Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Steuerverwaltung das Recht auf Abzug der Vorsteuer, die ein Steuerpflichtiger beim Erwerb von Dienstleistungen von anderen, derselben Unternehmensgruppe angehörenden Steuerpflichtigen entrichtet hat, mit der Begründung versagt, dass diese Dienstleistungen gleichzeitig an andere Gesellschaften dieser Gruppe erbracht worden seien und ihr Erwerb nicht erforderlich oder zweckmäßig gewesen sei, entgegensteht, wenn erwiesen ist, dass der Steuerpflichtige diese Dienstleistungen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet.
Zur dritten Frage
39 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob für die Zwecke der Auslegung von Art. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, sofern festgestellt wird, dass die konzerninternen Dienstleistungen nicht zugunsten eines der Konzernmitglieder erbracht werden, eine Gesellschaft, die dem Konzern angehört, aber von der angenommen wird, dass sie diese Dienstleistungen nicht in Anspruch genommen hat, als Steuerpflichtiger angesehen werden kann, der als solcher handelt.
40 Wie die Europäische Kommission ausgeführt hat, erscheint diese Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich. Im Rahmen dieses Rechtsstreits scheint nämlich keineswegs bestritten zu werden, dass Foserco Steuerpflichtiger im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie war. Wie auch die rumänische Regierung ausgeführt hat, handelt es sich hierbei um eine andere Frage als die, ob für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsdienstleistungen ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht.
41 Nach Maßgabe der in Rn. 17 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung ist die dritte Frage daher unzulässig.
Kosten
42 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 168 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Steuerverwaltung das Recht auf Abzug der Vorsteuer, die ein Steuerpflichtiger beim Erwerb von Dienstleistungen von anderen, derselben Unternehmensgruppe angehörenden Steuerpflichtigen entrichtet hat, mit der Begründung versagt, dass diese Dienstleistungen gleichzeitig an andere Gesellschaften dieser Gruppe erbracht worden seien und ihr Erwerb nicht erforderlich oder zweckmäßig gewesen sei, entgegensteht, wenn erwiesen ist, dass der Steuerpflichtige diese Dienstleistungen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet.
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:1024
Fundstelle(n):
BAAAJ-87057