Verfahrensrecht | Erkennbarkeit der Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO (FG)
Die Ablaufhemmung gemäß
§ 171 Abs.
5 Satz 1 AO erfordert., dass für den Steuerpflichtigen
erkennbar sein muss, auf welchen Sachverhaltskomplex sich die Ermittlungen
beziehen (,
Revision zugelassen).
Hintergrund: Nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gilt: Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO gilt dabei sinngemäß, sodass § 171 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 AO nicht gilt, wenn eine Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die Behörde zu vertreten hat.
Sachverhalt und Verfahrensverlauf: Der BFH hatte sich zuvor in seinem mit der Frage beschäftigt, ob der im Streitfall ergangene Durchsuchungsbeschluss die inhaltlichen Mindestanforderungen, die für den Eintritt der verjährungsunterbrechenden Wirkung gemäß § 171 Abs. 7 AO erforderlich sind, erfüllt sind (vgl. siehe hierzu unsere Online-Nachricht v. 18.7.2024)
Der BFH hat in diesem Zusammenhang nicht die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO geprüft, da das FG Münster in seinem keine Feststellungen zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO getroffen hat. Daraufhin hat der BFH die Sache an den Senat zurückverwiesen.
Im dritten Rechtsgang wurde mit Urteil v. – 12 K 19/14 E nun darüber entschieden, ob der Eintritt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erfordert, dass für den Betroffenen erkennbar ist, auf welchen Sachverhaltskomplex sich die Ermittlungen der Steuerfahndung beziehen.
Hierzu führen die Richter des FG Münster weiter aus:
Auf der Grundlage des gesamten Prozessstoffs im vorliegenden Streitfall ist nicht zu erkennen, dass die Voraussetzungen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO rechtzeitig vor Fristablauf vorgelegen hätten.
Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO umfasst in objektiver Hinsicht nicht den gesamten Steueranspruch. Vielmehr tritt die Hemmung der Festsetzungsfrist nur in dem Umfang ein, in dem sich die Ergebnisse der Ermittlungen der Steuerfahndung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer auswirken. Die Ablaufhemmung ist also nicht auf eine bestimmte Steuerart und einen bestimmten Veranlagungszeitraum bezogen, sondern auf einen bestimmten Sachverhalt bzw. Sachverhaltskomplex. Sie tritt nur hinsichtlich der Steuern ein, die sich aus Sachverhalten ergeben, die Gegenstand der Ermittlungen waren (vgl. ).
In subjektiver Hinsicht erfordert der Eintritt der Ablaufhemmung – darüber hinaus – nach allgemeiner Einschätzung die Erkennbarkeit der Ermittlungsmaßnahmen für den Steuerpflichtigen.
Nicht abschließend geklärt ist insoweit allerdings, ob es ausreicht, wenn für den Steuerpflichtigen erkennbar wird, auf welche (zusätzlichen) Streitjahre sich die Ermittlungen erstrecken, es also ausreicht, wenn für den Steuerpflichtigen erkennbar ist, dass bzw. in welchen konkreten Steuerangelegenheiten ermittelt wird (vgl. , BStBl II 2002, 586).
Der Senat vertritt hierbei die Auffassung, dass der Steuerpflichtige Kenntnis vom Eintritt der Ablaufhemmung nehmen können soll (vgl. BT-Drucks. 7/4292, S. 33).
Aufgrund des punktuellen und in objektiver Hinsicht sachverhaltsbezogenen Charakters des Hemmungstatbestandes gehört hierzu, dass zumindest in groben Zügen der objektive Umfang des Hemmungstatbestandes auch in tatsächlicher Hinsicht erkennbar werden muss.
Der Tatbestand der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist folglich nicht erfüllt, wenn und weil dieser nach der dargelegten Rechtsauffassung des Senats voraussetzt, dass zumindest in groben Zügen der Sachverhalt, im Sinne eines Ausschnitts aus der Lebenswirklichkeit, beim Steuerpflichtigen bekannt ist. Eine solche Kenntnis kann allerdings auch dem Beschlagnahmenachweis nicht entnommen werden.
Das Gericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der rechtlichen Anforderungen an die erforderliche Erkennbarkeit zugelassen. Die vom BFH in seinem nur aufgeworfene, aber nicht beantwortete Rechtsfrage ist für eine Vielzahl von Anwendungsfällen von Bedeutung und bedarf der abschließenden höchstrichterlichen Klärung.
Quelle: (lb)
Fundstelle(n):
LAAAJ-86582