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EuGH Urteil v. - C-436/23

Vorlage zur Vorabentscheidung – Direkte Besteuerung – Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Steuer auf die Gewinne von Gesellschaften – Nationale Rechtsvorschriften, die eine Fairness Tax vorsehen – Nationale Entscheidung, mit der diese Rechtsvorschriften für nichtig erklärt werden – Aufrechterhaltung der Wirkungen – Von einer gebietsfremden Gesellschaft mit einer Betriebsstätte in dem Mitgliedstaat nicht geschuldete Steuer – Von einer Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft geschuldete Steuer – Rechtsformwahl – Vergleichbarkeit der Situationen

Leitsatz

Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der die gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft einer als „Fairness Tax“ bezeichneten Steuer unterliegt, die sich auf die Ausschüttung von Gewinnen bezieht, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht im endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis dieser Tochtergesellschaft enthalten sind, wohingegen eine gebietsfremde Gesellschaft, die in diesem Mitgliedstaat über eine Betriebsstätte oder Zweigniederlassung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, dieser Steuer nicht unterliegt.

Gesetze: AEUV Art. 49

Instanzenzug:

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV.

2Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Belgische Staat/Federale Overheidsdienst Financiën (Belgischer Staat/Föderaler Öffentlicher Dienst Finanzen) und der Volvo Group Belgium NV, der in Belgien ansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, über die Folgen, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften, mit denen gebietsansässigen Tochtergesellschaften gebietsfremder Gesellschaften mit einer Fairness Tax belegt werden, für die Volvo Group Belgium ergeben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Art. 49 AEUV lautet:

„Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.

Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.“

Belgisches Recht

4 Das Wetboek van de inkomstenbelastingen 1992 (Einkommensteuergesetzbuch 1992) wurde durch die Wet houdende diverse bepaligen (Gesetz zur Festlegung verschiedener Bestimmungen) vom (Belgisch Staatsblad, ) geändert. Kapitel 15 dieses Gesetzes enthält einen Abschnitt 2, dessen Unterabschnitt 1 mit „Fairness Tax“ überschrieben ist. Dieser Unterabschnitt umfasst die Art. 43 bis 51 des Gesetzes, mit denen die Art. 198, 207, 218, 219ter, 233, 246, 275 und 463bis des Einkommensteuergesetzbuchs 1992 geändert wurden.

5 Art. 198 § 1 1° des Einkommensteuergesetzbuchs 1992 in der durch das Gesetz zur Festlegung verschiedener Bestimmungen vom geänderten Fassung (im Folgenden: EStGB 92) bestimmt:

„Werbungskosten umfassen nicht:

1° die Gesellschaftssteuer einschließlich der aufgrund der Artikel 219bis und 219quater geschuldeten getrennten Steuern, der Summen, die auf die Gesellschaftssteuer vorausgezahlt werden, und des Mobiliensteuervorabzugs, den der Schuldner des Einkommens unter Missachtung von Artikel 261 zur Entlastung des Empfängers trägt, jedoch ausschließlich der aufgrund von Artikel 219 geschuldeten getrennten Steuer“.

6 Art. 207 Abs. 2 EStGB 92 sieht vor:

„Keiner dieser Abzüge noch ein Ausgleich des Verlusts des Besteuerungszeitraums darf auf den Teil des Ergebnisses angewandt werden, der aus den in Artikel 79 erwähnten ungewöhnlichen oder freiwilligen Vorteilen hervorgeht, noch auf erhaltene finanzielle Vorteile oder Vorteile jeglicher Art, die in Artikel 53 24° erwähnt sind, noch auf die Grundlage der besonderen getrennten Steuer, die gemäß Artikel 219 auf nicht nachgewiesene Ausgaben oder Vorteile jeglicher Art festgelegt wird, noch auf den Teil der Gewinne, der für die in Artikel 198 § 1 9° und 12° erwähnten Ausgaben bestimmt ist, noch auf den Teil der Gewinne, die aus der Nichteinhaltung von Artikel 194quater § 2 Absatz 4 und der Anwendung von Artikel 194quater § 4 hervorgehen, noch auf Mehrwerte, die in Artikel 217 3° erwähnt sind, noch auf Dividenden, die in Artikel 219ter erwähnt sind.“

7 Art. 219ter EStGB 92 bestimmt:

  • § 1. Für den Besteuerungszeitraum, in dem im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 1° bis 2° bis Dividenden ausgeschüttet werden, wird eine getrennte Steuer festgelegt, die gemäß den Bestimmungen der nachstehenden Paragrafen berechnet wird.

    Diese getrennte Steuer ist unabhängig von und gegebenenfalls ergänzend zu anderen Steuern, die aufgrund anderer Bestimmungen des vorliegenden Gesetzbuches oder gegebenenfalls in Anwendung besonderer Gesetzesbestimmungen geschuldet werden.

  • § 2. Die Grundlage für diese getrennte Steuer bildet die Plusdifferenz zwischen einerseits den für den Besteuerungszeitraum ausgeschütteten Bruttodividenden und andererseits dem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis, das tatsächlich dem in den Artikeln 215 und 216 erwähnten Gesellschaftssteuersatz unterliegt.

  • § 3. Die so festgelegte Besteuerungsgrundlage wird um den Teil der ausgeschütteten Dividenden verringert, die aus den zu einem früheren Zeitpunkt und spätestens im Steuerjahr 2014 besteuerten Rücklagen stammen. Für die Anwendung dieser Verringerung wird die Entnahme aus den bereits besteuerten Rücklagen vorrangig auf die letzten gebildeten Rücklagen angerechnet.

    Für das Steuerjahr 2014 können in demselben Steuerjahr ausgeschüttete Dividenden niemals als Entnahmen aus den in demselben Steuerjahr besteuerten Rücklagen gelten.

  • § 4. Der so erhaltene Saldo wird anschließend gemäß einem Prozentsatz begrenzt, der das Verhältnis ausdrückt zwischen:

    – einerseits im Zähler de[n] für den Besteuerungszeitraum tatsächlich vorgenommenen Abzügen für Verlustvorträge und Risikokapital,

    – andererseits im Nenner dem steuerlichen Ergebnis des Besteuerungszeitraums ausschließlich der steuerfreien Wertminderungen, Rückstellungen und Mehrwerte.

  • § 5. Die gemäß den vorhergehenden Paragrafen festgelegte Grundlage kann auf keine andere Weise begrenzt oder verringert werden.

  • § 6. Die getrennte Steuer entspricht 5 Prozent der so berechneten Grundlage.

  • § 7. Gesellschaften, die aufgrund von Artikel 15 des Gesellschaftsgesetzbuches für das Steuerjahr, das sich auf den Besteuerungszeitraum bezieht, in dem die Dividenden ausgeschüttet werden, als kleine Gesellschaften gelten, unterliegen nicht der vorerwähnten Steuer.“

8 Art. 233 Abs. 3 EStGB 92 lautet:

„Eine getrennte Steuer wird darüber hinaus gemäß den in Artikel 219ter bestimmten Regeln festgelegt. In Bezug auf belgische Niederlassungen versteht man für die Anwendung dieser Regelung unter ‚ausgeschütteten Dividenden‘ den Teil der von der Gesellschaft ausgeschütteten Bruttodividenden, der verhältnismäßig mit dem positiven Teil des Buchführungsergebnisses der belgischen Niederlassung im gesamten Buchführungsergebnis der Gesellschaft übereinstimmt.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9 In den Jahren 2015 und 2016 wurden von der Volvo Group Belgium Gesellschaftssteuerzahlungen für das Steuerjahr 2015 in Höhe von 1.056.466,18 Euro erhoben, wovon 1.052.467,14 Euro auf die Fairness Tax entfielen, und für das Steuerjahr 2016 in Höhe von 773.573,17 Euro, wovon 769.881,87 Euro auf die Fairness Tax entfielen.

10 Im Verlauf des Jahres 2016 legte diese Gesellschaft Einsprüche gegen die betreffenden Festsetzungsbescheide ein und machte geltend, die Fairness Tax verstoße gegen das Unionsrecht, gegen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und gegen die belgische Verfassung. Hierzu führte sie aus, dass zu diesem Zeitpunkt beim Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof, Belgien) eine Nichtigkeitsklage anhängig gewesen sei und dass dieser dem Gerichtshof Fragen zur Fairness Tax und ihrer Vereinbarkeit mit der in Art. 49 AEUV verankerten Niederlassungsfreiheit vorgelegt habe.

11 Mit Urteil vom erklärte der Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof) die Bestimmungen über die Fairness Tax, mithin die Art. 43 bis 49 sowie Art. 51 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Festlegung verschiedener Bestimmungen vom , für nichtig. Im Anschluss an dieses Urteil wurden die Einsprüche der Volvo Group Belgium mit Bescheiden vom als unbegründet zurückgewiesen, da der Verfassungsgerichtshof die Wirkungen der für nichtig erklärten Bestimmungen für die Steuerjahre 2014 bis 2018 aufrechterhalten hatte.

12 Am erhob die Volvo Group Belgium bei der Rechtbank van eerste aanleg Oost-Vlaanderen, afdeling Gent (Gericht Erster Instanz Ostflandern, Abteilung Gent, Belgien) Klage. Mit Urteil vom erklärte dieses Gericht die Bescheide über die Festsetzung der Gesellschaftssteuer für die Steuerjahre 2015 und 2016 für nichtig, soweit der Volvo Group Belgium darin eine Fairness Tax auferlegt worden war.

13 Gegen dieses Urteil legte der Belgische Staat/Föderaler Öffentlicher Dienst Finanzen beim Hof van beroep te Gent (Appellationshof Gent, Belgien), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

14 Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Entscheidung des Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof), die Wirkungen der von ihm für nichtig erklärten Bestimmungen des Gesetzes zur Festlegung verschiedener Bestimmungen vom aufrechtzuerhalten, dadurch gegen die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit verstößt, dass diese Entscheidung nur für Tochtergesellschaften gebietsfremder Gesellschaften gilt, wohingegen gebietsfremde Gesellschaften, die über eine Betriebsstätte in Belgien verfügen, nicht von dieser Aufrechterhaltung betroffen sind und folglich nicht der Fairness Tax unterliegen.

15 Unter diesen Umständen hat der Hof van beroep te Gent (Appellationshof Gent) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 49 AEUV dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der vor dem vorlegenden Gericht angefochtenen (die nämlich vom Grondwettelijk Hof für nichtig erklärt worden ist, deren Wirkungen jedoch unter Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit aufrechterhalten wurden, weshalb die aufrechterhaltene nationale Regelung in Bezug auf Gewinne unangewendet zu lassen ist, die durch Gesellschaften ausgeschüttet wurden, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und über eine belgische Betriebsstätte verfügen) entgegensteht, wonach

– eine Steuer auf die Ausschüttung von Gewinnen zu zahlen ist, die nicht im endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis einer gebietsansässigen Gesellschaft enthalten sind, auf deren Geschäftspolitik eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft einen solchen Einfluss hat, dass sie ihre Tätigkeiten bestimmen kann,

– während diese Steuer auf solche Gewinne nicht zu zahlen wäre, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft ihre Tätigkeiten in Belgien durch eine Betriebsstätte/Zweigniederlassung ausüben würde?

Zur Vorlagefrage

16 Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft einer als „Fairness Tax“ bezeichneten Steuer unterliegt, die sich auf die Ausschüttung von Gewinnen bezieht, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht im endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis dieser Tochtergesellschaft enthalten sind, wohingegen eine gebietsfremde Gesellschaft, die in diesem Mitgliedstaat über eine Betriebsstätte oder Zweigniederlassung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, dieser Steuer nicht unterliegt.

17 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die belgische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, dass die vom Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof) angeordnete Aufrechterhaltung der Wirkungen der Fairness Tax entgegen den Angaben des vorlegenden Gerichts nicht nur Tochtergesellschaften, sondern auch Betriebsstätten gebietsfremder Gesellschaften betreffen könne. Die Fairness Tax sei nämlich für die Steuerjahre 2014 bis 2018 allgemein aufrechterhalten worden, ausgenommen lediglich die Fallgestaltung, bei der eine gebietsfremde Tochtergesellschaft Gewinne an eine belgische Muttergesellschaft ausschütte, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 2011, L 345, S. 8) falle.

18 Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Reichweite der Anordnung des Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof) über die Aufrechterhaltung der Wirkungen der Fairness Tax zu prüfen. Es ist allerdings nicht Sache des Gerichtshofs, im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Systems der justiziellen Zusammenarbeit die Richtigkeit der Auslegung des nationalen Rechts durch das nationale Gericht zu überprüfen oder in Frage zu stellen, da diese Auslegung in die ausschließliche Zuständigkeit dieses Gerichts fällt. Der Gerichtshof hat demnach, wenn ihm ein nationales Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, von der Auslegung des nationalen Rechts auszugehen, die ihm dieses Gericht vorgetragen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Instituto do Cinema e do Audiovisual, C‑411/21, EU:C:2022:836, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19 Damit ist im Rahmen der Prüfung der Vorlagefrage und im Einklang mit der Auslegung des vorlegenden Gerichts von der Prämisse auszugehen, dass die Aufrechterhaltung der Wirkungen der Fairness Tax nicht für Betriebsstätten gebietsfremder Gesellschaften, sondern ausschließlich für Tochtergesellschaften gebietsfremder Gesellschaften wie die Volvo Group Belgium gilt.

20 Die Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Angehörigen der Europäischen Union zuerkennt, umfasst für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörige festgelegten. Mit ihr ist nach Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil vom , X, C‑68/15, EU:C:2017:379, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21 Der Sitz einer Gesellschaft im Sinne von Art. 54 AEUV dient – ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen – dazu, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen. Somit betrifft die Anwendung einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, auf der einen und auf eine Zweigniederlassung oder Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft auf der anderen Seite zum einen die steuerliche Behandlung einer gebietsansässigen Gesellschaft und zum anderen die einer gebietsfremden Gesellschaft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Cofidis, C‑340/22, EU:C:2023:1019, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22 Wie sich aus Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV ergibt, wird den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit gelassen, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen. Diese freie Wahl darf nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden (Urteil vom , Cofidis, C‑340/22, EU:C:2023:1019, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23 Die Freiheit, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen, hat somit insbesondere zum Ziel, es den Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten (Urteile vom , CLT‑UFA, C‑253/03, EU:C:2006:129, Rn. 15, vom , Philips Electronics UK, C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , Cofidis, C‑340/22, EU:C:2023:1019, Rn. 39).

24 Nach ständiger Rechtsprechung sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung der in Art. 49 AEUV garantierten Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil vom , Eqiom und Enka, C‑6/16, EU:C:2017:641, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25 Konkret auf steuerliche Vorschriften bezogen, geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass es Sache jedes Mitgliedstaats ist, sein System der Gewinnbesteuerung unter Wahrung des Unionsrechts auszugestalten, sofern diese Gewinne der Steuerhoheit des betreffenden Mitgliedstaats unterliegen. Demzufolge ist der Aufnahmemitgliedstaat frei darin, den Steuertatbestand, die Steuerbemessungsgrundlage und den Steuersatz, die für die verschiedenen Niederlassungsformen von in diesem Mitgliedstaat tätigen Gesellschaften gelten, festzulegen, vorausgesetzt, er gewährt gebietsfremden Gesellschaften eine Behandlung, die gegenüber vergleichbaren inländischen Niederlassungen nicht diskriminierend ist (Urteil vom , X, C‑68/15, EU:C:2017:379, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26 Im vorliegenden Fall betrifft die Entscheidung, die Wirkungen der Fairness Tax aufrechtzuerhalten, vorbehaltlich einer vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung gebietsfremde Gesellschaften, soweit sie ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten in Belgien über eine Tochtergesellschaft und nicht über eine Betriebsstätte oder Zweigniederlassung ausüben. Damit erlaubt es die Aufrechterhaltung der Wirkungen der Fairness Tax Tochtergesellschaften gebietsfremder Gesellschaften nicht, ihre Tätigkeiten unter den gleichen Bedingungen wie den für Betriebsstätten gebietsfremder Gesellschaften geltenden auszuüben, so dass Erstere im Hinblick auf die nationale Regelung gegenüber Letzteren benachteiligt werden.

27 Unter diesen Umständen ist eine solche Entscheidung über die Aufrechterhaltung geeignet, es für Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat weniger attraktiv zu machen, ihre Tätigkeiten in Belgien über eine Tochtergesellschaft auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Eqiom und Enka, C‑6/16, EU:C:2017:641, Rn. 55 und 56).

28 Eine Ungleichbehandlung, die geeignet ist, die freie Wahl der geeigneten Rechtsform für die Ausübung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat im Sinne der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung einzuschränken, kann eine Beschränkung der in den Art. 49 und 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Cofidis, C‑340/22, EU:C:2023:1019, Rn. 47).

29 Diese Ungleichbehandlung ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann mit den Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Urteile vom , Cofidis, C‑340/22, EU:C:2023:1019, Rn. 48, und vom , Groupe Steria, C‑386/14, EU:C:2015:524, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30 Im Hinblick auf die objektive Vergleichbarkeit der Sachverhalte geht es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darum, einen grenzüberschreitenden Sachverhalt mit einem innerstaatlichen Sachverhalt zu vergleichen. Um einen grenzüberschreitenden von einem innerstaatlichen Sachverhalt abzugrenzen, ist auf den Sitz der in Rede stehenden Gesellschaften abzustellen, der, wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dazu dient, die Zugehörigkeit einer Gesellschaft zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen. Daraus folgt, dass die Anwendung einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf eine gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft auf der einen und auf eine gebietsansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft auf der anderen Seite zum einen die steuerliche Behandlung einer gebietsansässigen Gesellschaft und zum anderen die einer gebietsfremden Gesellschaft betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , X, C‑68/15, EU:C:2017:379, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

31 Dieser objektive Vergleich wird unter Berücksichtigung des mit der betreffenden nationalen Steuerregelung verfolgten Ziels durchgeführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , X, C‑68/15, EU:C:2017:379, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32 Zur Vergleichbarkeit der Sachverhalte und zum von der seinerzeit geltenden belgischen Regelung zur Fairness Tax verfolgten Ziel hat der Gerichtshof Folgendes ausgeführt: Hinsichtlich einer Steuerregelung des Aufnahmemitgliedstaats, mit der verhindert werden soll, dass die in diesem Mitgliedstaat erzielten Gewinne aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen ausgeschüttet werden, ohne beim Steuerpflichtigen besteuert worden zu sein, ist die Situation eines gebietsfremden Steuerpflichtigen, der in diesem Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, der eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen vergleichbar. In beiden Fällen soll diese Steuerregelung diesem Mitgliedstaat nämlich ermöglichen, seine Befugnis zur Besteuerung der seiner Steuerhoheit unterliegenden Gewinne auszuüben (Urteil vom , X, C‑68/15, EU:C:2017:379, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33 Im Ausgangsverfahren unterliegen Betriebsstätten und Zweigniederlassungen gebietsfremder Unternehmen aber nicht der Fairness Tax.

34 Daraus folgt, dass das Königreich Belgien im Rahmen der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Wirkungen der Fairness Tax, so wie sie vom vorlegenden Gericht ausgelegt wird, seine Befugnis zur Besteuerung der Gewinne von Betriebsstätten oder Zweigniederlassungen gebietsfremder Gesellschaften nicht mehr ausübt. Damit befinden sich diese gebietsfremden Gesellschaften nicht in einer Situation, die mit der gebietsansässiger Gesellschaften – wie etwa der Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft – vergleichbar wäre.

35 Folglich liegt bei einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden keine Beschränkung der in Art. 49 AEUV gewährleisteten Niederlassungsfreiheit vor.

36 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der die gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft einer als „Fairness Tax“ bezeichneten Steuer unterliegt, die sich auf die Ausschüttung von Gewinnen bezieht, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht im endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis dieser Tochtergesellschaft enthalten sind, wohingegen eine gebietsfremde Gesellschaft, die in diesem Mitgliedstaat über eine Betriebsstätte oder Zweigniederlassung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, dieser Steuer nicht unterliegt.

Kosten

37 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der die gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft einer als „Fairness Tax“ bezeichneten Steuer unterliegt, die sich auf die Ausschüttung von Gewinnen bezieht, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht im endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis dieser Tochtergesellschaft enthalten sind, wohingegen eine gebietsfremde Gesellschaft, die in diesem Mitgliedstaat über eine Betriebsstätte oder Zweigniederlassung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, dieser Steuer nicht unterliegt.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:1023

Fundstelle(n):
KAAAJ-86552