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EuGH Urteil v. - C-388/23

Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 – Gemeinsamer Zolltarif – Zolltarifliche Einreihung – Kombinierte Nomenklatur – Position 1516 – Fette und Öle sowie deren Fraktionen – Fischöl in Form von Ethylestern – Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol – Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661 – Gültigkeit

Leitsatz

1. Die Position 1516 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1602 der Kommission vom

ist wie folgt auszulegen:

Fischöl, das in Form von Ethylestern vorliegt und durch Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol gewonnen wurde, fällt nicht unter sie.

2. Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661 der Kommission vom zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur berühren könnte.

Gesetze: VO (EWG) Nr. 2658/87, DVO (EU) 2019/1661, KN Pos. 1516

Instanzenzug:

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft zum einen die Auslegung der Position 1516 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1602 der Kommission vom (ABl. 2018, L 273, S. 1) (im Folgenden: KN) und zum anderen die Gültigkeit der Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661 der Kommission vom zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. 2019, L 251, S. 1).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Golden Omega S.A. und dem Inspecteur van de Belastingdienst/Douane kantoor Rotterdam Rijnmond (Inspektor der Finanzverwaltung/Zollstelle Rotterdam Rijnmond, Niederlande) (im Folgenden: Inspektor der Finanzverwaltung) wegen der zolltariflichen Einreihung (KN) von Fischöl in Form von Ethylestern mit der Handelsbezeichnung „Fish Oil EE 1050“.

Rechtlicher Rahmen

Internationales Recht

HS

3 Das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) wurde vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens, jetzt Weltzollorganisation (WZO), ausgearbeitet, der durch das am in Brüssel geschlossene Abkommen zur Gründung eines Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens errichtet wurde. Es wurde mit dem am in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (United Nations Treaty Series, Bd. 1503, S. 4, Nr. 25910 [1988]) eingeführt und mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom (ABl. 1987, L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt (im Folgenden: HS-Übereinkommen).

4 Die WZO genehmigt unter den in Art. 8 des HS-Übereinkommens festgelegten Voraussetzungen die Erläuterungen und Einreihungsavise, die von dem durch Art. 6 des HS-Übereinkommens eingesetzten Ausschuss für das HS angenommen werden.

5 Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a des HS-Übereinkommens verpflichtet sich jede Vertragspartei, ihre Zolltarifnomenklatur und ihre Statistiknomenklaturen mit dem HS in Übereinstimmung zu bringen, indem sie erstens alle Positionen und Unterpositionen des HS sowie die dazugehörigen Codenummern verwendet, ohne etwas hinzuzufügen oder zu ändern, zweitens die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung des HS sowie alle Anmerkungen zu den Abschnitten, Kapiteln und Unterpositionen anwendet und deren Tragweite nicht verändert und drittens die Nummernfolge des HS einhält.

WZO-Erläuterungen

6 In den WZO-Erläuterungen zu Kapitel 15 des HS heißt es:

„A) Zu diesem Kapitel gehören:

1) Fette und Öle tierischen, pflanzlichen oder mikrobiellen Ursprungs, roh, gereinigt, raffiniert oder auf bestimmte Weise bearbeitet (z. B. gekocht, geschwefelt, hydriert).

2) Bestimmte Waren aus Fetten oder Ölen, insbesondere Erzeugnisse ihrer Spaltung, wie rohes Glycerin.

3) Zubereitete Speisefette und Speiseöle, wie Margarine.

4) Wachse tierischen oder pflanzlichen Ursprungs.

5) Rückstände aus der Verarbeitung von Fettstoffen oder von tierischen oder pflanzlichen Wachsen. Nicht zu diesem Kapitel gehören jedoch:

e) Fettsäuren, Ölsäuren aus der Raffination, Fettalkohole, Glycerin (anders als rohes Glycerin), zubereitete Wachse, Arzneiwaren, Anstrichfarben, Lacke, Seifen, zubereitete Riech‑, Körperpflege- und Schönheitsmittel, sulfonierte Öle und andere aus Fettstoffen gewonnene Waren des Abschnitts VI;

Mit Ausnahme von Walratöl und Jojobaöl sind Fette und Öle tierischen, pflanzlichen oder mikrobiellen Ursprungs Ester von Glycerin mit Fettsäuren, insbesondere Palmitin‑, Stearin- und Ölsäure.

…“

7 In den WZO-Erläuterungen zu der HS-Position 1516 heißt es:

„…

Zu dieser Position gehören tierische, pflanzliche oder mikrobielle Fette und Öle, die durch Verfahren der nachstehend genannten Art eine spezifische chemische Umwandlung erfahren haben, jedoch nicht weiterverarbeitet wurden.

Zu dieser Position gehören auch in gleicher Weise behandelte Fraktionen von tierischen, pflanzlichen oder mikrobiellen Fetten und Ölen.

B) Umgeesterte, wiederveresterte oder elaidinierte Fette und Öle.

1) Umgeesterte Öle. Die Konsistenz eines Öles oder eines Fettes kann durch Positionstausch der Fettsäurereste in den Triglyceriden beeinflusst werden. Reaktion und Austausch werden durch Katalysatoren angeregt.

2) Wiederveresterte Fette und Öle (auch als verestert bezeichnet) sind Triglyceride, die durch direkte Synthese aus Glycerin und freien Fettsäuren oder Raffinationsfettsäuren gewonnen werden. Die Stellung der Fettsäurereste in den Triglyceriden ist unterschiedlich gegenüber derjenigen, die üblicherweise in natürlichen Ölen vorgefunden wird.

…“

Vom Ausschuss für das HS angenommene Einreihungsavise

8 In dem Einreihungsavis 1516.10/1, den der Ausschuss für das HS auf der 61. Tagung (März 2018) angenommen hat, heißt es:


„1. Ein Produkt, bestehend aus 90 % wieder veresterten Triglyceriden auf Basis von konzentrierten Omega-3-Fettsäuren EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure), das aus rohem Sardellenöl hergestellt wird. Die restlichen 10 % des Produktes bestehen hauptsächlich aus Mono- und Diglyceriden. Das Produkt enthält EPA (400 mg/g) und DHA (300 mg/g). Dem Produkt wurde Vitamin E (Tocopherol) als Antioxidant zugesetzt. Das rohe Sardellenöl hat folgende Verarbeitungsschritte durchlaufen: Entsäuerung, Ethylesterifizierung, Destillation, Filtration, Bleichen, Wiederveresterung und Desodorierung. Das Produkt wird in Fässern aufgemacht und bei der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln verwendet.“

9 In dem Einreihungsavis 2106.90/36, den der Ausschuss für das HS auf der 61. Tagung (März 2018) angenommen hat, heißt es:


„36. Ein Produkt, bestehend aus Ethylestern auf Basis von hochkonzentrierten Omega-3 Fettsäuren EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure), das aus rohem Sardellenöl hergestellt wird. Dem Produkt wurde Vitamin E (Tocopherol) als Antioxidant zugesetzt. Das rohe Sardellenöl hat folgende Verarbeitungsschritte durchlaufen: Entsäuerung, Ethylesterifizierung, Destillation, Filtration, Bleichen und Desodorierung. Das Produkt wird in Fässern aufgemacht und bei der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln verwendet.“

Unionsrecht

KN

10 Bei Waren, die in die Europäische Union eingeführt werden, richtet sich die zolltarifliche Einreihung nach der KN. Die KN beruht auf dem HS. Sie übernimmt die sechsstelligen HS-Positionen und -Unterpositionen. Lediglich die siebte und die achte Stelle sind eigene Untergliederungen.

11 In den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN in Anhang I Teil I Titel I Abschnitt A der Verordnung Nr. 2658/87 heißt es:

„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1. Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

6. Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und – sinngemäß – die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“

12 Teil II der KN enthält einen Abschnitt III mit einem Kapitel 15 („Tierische, pflanzliche oder mikrobielle Fette und Öle und Erzeugnisse ihrer Spaltung; genießbare verarbeitete Fette; Wachse tierischen oder pflanzlichen Ursprungs“) und einen Abschnitt IV mit einem Kapitel 21 („Verschiedene Lebensmittelzubereitungen“).

13 Kapitel 15 der KN umfasst folgende Positionen und Unterpositionen:

„…


Tabelle in neuem Fenster öffnen
KN-Code
Warenbezeichnung
Vertragsmäßiger Zollsatz (%)
1516
Tierische, pflanzliche oder mikrobielle Fette und Öle sowie deren Fraktionen, ganz oder teilweise hydriert, umgeestert, wiederverestert oder elaidiniert, auch raffiniert, jedoch nicht weiterverarbeitet:
1516 10
– tierische Fette und Öle sowie deren Fraktionen:
1516 10 10
– – in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 1 kg oder weniger
12,8
1516 10 90
– – in anderer Aufmachung
10,9

…“

14 Kapitel 21 der KN umfasst folgende Positionen und Unterpositionen:

„…


Tabelle in neuem Fenster öffnen
KN-Code
Warenbezeichnung
Vertragsmäßiger Zollsatz (%)
2106
Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen:
2106 90
– andere:
2106 90 92
– – – kein Milchfett und keine Saccharose, Isoglucose, Stärke oder Glucose enthaltend, oder weniger als 1,5 GHT Milchfett, 5 GHT Saccharose oder Isoglucose, 5 GHT Glucose oder Stärke enthaltend
12,8

…“

Durchführungsverordnung 2019/1661

15 Der Anhang der Durchführungsverordnung 2019/1661 besteht aus einer Tabelle mit drei Spalten. In Spalte 1 ist die Warenbezeichnung angegeben, in Spalte 2 die Einreihung der Waren in die KN und in Spalte 3 die Begründung für diese Einreihung. Zu der KN-Unterposition 2106 90 92 enthält die Tabelle folgende Angaben:

„…


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Warenbezeichnung
Einreihung (KN-Code)
Begründung
(1)
(2)
(3)
Eine hellgelbe, flüssige Ware, die zu 93 % aus Fettsäureethylestern sowie zu 7 % aus Oligomeren und Partialglyceriden besteht.

Die Ware wird aus Fischölen von Fischarten wie Sardellen, Sardinen und Makrelen hergestellt. Das Herstellungsverfahren umfasst die Raffination, Hydrolyse, Ethylveresterung und Fraktionierung. Während der Hydrolyse und der Ethylveresterung werden die Triglyceride in Fettsäureethylester umgewandelt.

Die Ware ist zur Weiterverarbeitung in der Lebensmittel‑, Futtermittel- und Pharmaindustrie bestimmt. Sie wird unter Schutzatmosphäre in Stahlfässern mit einem Fassungsvermögen von 190 kg verpackt und versandt.
2106 90 92
Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur, Anmerkung 1 b zu Kapitel 38 und dem Wortlaut der KN-Codes 2106, 2106 90 und 2106 90 92.

Eine Einreihung in die Position 1516 ist ausgeschlossen, da die Ware hauptsächlich aus Ethylester besteht, die durch die Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol und nicht mit Glycerin gewonnen werden. Die Ware wurde daher in einem Maße verarbeitet, das den nach Position 1516 zulässigen Umfang überschreitet, da nur wiederveresterte Triglyceride unter diese Position fallen (siehe auch die HS-Erläuterungen zu Position 1516, Teil B, Nummer 2).

Des Weiteren handelt es sich bei Fettsäureethylester nicht um tierische oder pflanzliche Fette und Öle (siehe auch die HS-Erläuterungen zu Kapitel 15, Allgemeines, Teil A, Absatz 2).

Eine Einreihung der Ware in Kapitel 38 ist ausgeschlossen, da sie einen Nährwert hat und für die Zubereitung von Lebensmitteln verwendet wird (siehe Anmerkung 1b) zu Kapitel 38).

Die Ware ist daher als andere Lebensmittelzubereitung unter den KN-Code 2106 90 92 einzureihen (siehe auch HS-Einreihungsavis Nummer 2106.90/3[6]).

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16 Golden Omega verkauft Fischölfraktionen, darunter eine mit der Handelsbezeichnung „Fish Oil EE 1050“, die aus Ethylestern besteht (im Folgenden: in Rede stehende Ware).

17 Der Inspektor der Finanzverwaltung erteilte Golden Omega am eine verbindliche Zolltarifauskunft (im Folgenden: vZTA) für die in Rede stehende Ware, mit der diese mit Wirkung vom bis zum in die KN-Unterposition 2106 90 92 eingereiht wurde. Für Waren, die in diese KN-Unterposition eingereiht sind, beträgt der Zollsatz 12,8 %.

18 Golden Omega legte gegen die vZTA von 2019 Einspruch ein. Sie vertritt die Auffassung, dass die in Rede stehende Ware wie Fischöl in Form von Trigylceriden in die KN-Position 1516 10 90 einzureihen sei, so dass ein Zollsatz von 10,9 % anzuwenden sei.

19 Der Inspektor der Finanzverwaltung wies den Einspruch mit Bescheid vom zurück. Golden Omega erhob dagegen bei der Rechtbank Noord-Holland (Bezirksgericht Nordholland, Niederlande), dem vorlegenden Gericht, Klage.

20 Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, hatte der Inspektor der Finanzverwaltung Golden Omega am eine erste vZTA erteilt, mit der die in Rede stehende Ware in die KN-Unterposition 2106 90 92 eingereiht worden war. Golden Omega hatte diese Einreihung angefochten. Mit Urteil vom hatte das vorlegende Gericht ihrer Klage stattgegeben und die 2016 erlassene vZTA aufgehoben. Das vorlegende Gericht hatte insbesondere angenommen, dass die Vorgänge der Verarbeitung des Rohfischöls, die Golden Omega vornehme, vom Wortlaut der HS-Position 1516 erfasst seien, und war zu dem Schluss gelangt, dass die in Rede stehende Ware, da sie unter die HS-Position 1516 falle, nicht in die HS-Position 2106 eingereiht werden könne.

21 Weiter geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Inspektor der Finanzverwaltung gegen das Urteil vom keine Berufung eingelegt hat. Er hat sich in Abstimmung mit der Europäischen Kommission wegen der Einreihung der in Rede stehenden Ware an den Ausschuss für den Zollkodex gewandt. Daraufhin wurde dann die Durchführungsverordnung 2019/1661 erlassen, nach der eine Ware wie die in Rede stehende in die Unterposition 2106 90 92 einzureihen ist.

22 In dem Verfahren vor dem vorlegenden Gericht macht Golden Omega geltend, dass die in Rede stehende Ware nach den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN in die KN-Position 1516 einzureihen sei. Sie meint, die Fette und Öle, die unter diese KN-Position fielen, entsprächen den tierischen Fetten und Ölen, aus denen die in Rede stehende Ware zusammengesetzt sei. Und die Vorgänge der Behandlung und/oder Weiterverarbeitung, von denen in dieser KN-Position die Rede sei, entsprächen den Vorgängen, die bei der in Rede stehenden Ware durchgeführt würden, nämlich Raffination, Veresterung und Fraktionierung. Es sei ohne Belang, dass die in Rede stehende Ware nicht mit Glycerin, sondern mit Ethanol verestert werde. Mit der Durchführungsverordnung 2019/1661 habe die Kommission ihre Befugnisse überschritten. Sie habe sich nicht an den rechtlich verbindlichen Wortlaut der KN-Position 1516 gehalten und damit rechtswidrig die Tragweite dieser Position verändert. Die Durchführungsverordnung 2019/1661 sei daher ungültig.

23 Das vorlegende Gericht teilt die Auffassung von Golden Omega. Es weist insbesondere darauf hin, dass, da in der KN-Position 1516 von der Verarbeitung durch „Veresterung“ die Rede sei, ohne dass danach unterschieden werde, welche Art von Alkohol hierzu verwendet werde, angenommen werden könne, dass auch die Veresterung mit Ethanol unter diese KN-Position falle. Wie sich aus den WZO-Erläuterungen zu Kapitel 15 des HS ergebe, könne zwar angenommen werden, dass Fettsäureethylester chemisch betrachtet keine tierischen Fette seien. Damit sei aber nicht ausgeschlossen, dass Ethylester in Anbetracht des Wortlauts der KN-Position 1516 in diese einzureihen seien. Die WZO-Erläuterungen, auf die in der Begründung der Durchführungsverordnung 2019/1661 Bezug genommen wird, seien insoweit nicht verbindlich, weshalb es auf sie nicht entscheidend ankommen könne.

24 Die Rechtbank Noord-Holland (Bezirksgericht Nordholland) hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Ist die KN-Position 1516 dahin auszulegen, dass sie Beschränkungen in Bezug auf die Wahl des Vorgangs der Veresterung eines tierischen Öls und den Stoff, mit dem diese vorgenommen wird, enthält, und, wenn ja, worin bestehen dieses Beschränkungen?

  2. Muss ein tierisches Öl wie Fischöl mit Glycerin verestert worden sein, damit es unter die KN-Position 1516 fällt?

  3. Ist ein tierisches Öl wie Fischöl, das mit Ethanol verestert wurde, von einer Einreihung in die KN-Position 1516 auszuschließen?

  4. Kommt es für die Beantwortung der vorstehenden Fragen darauf an, inwieweit die Ware den in der KN-Position 1516 genannten Verarbeitungen unterzogen wurde, und, wenn ja, anhand welcher Kriterien ist diese Beurteilung vorzunehmen?

  5. Wirkt sich die Beantwortung der vorstehenden Fragen auf die Gültigkeit der Durchführungsverordnung 2019/1661 aus und, wenn ja, wie?

Zu den Vorlagefragen

25 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es die betreffenden Waren richtig in die KN einreihen kann, nicht aber, die Einreihung selbst vorzunehmen. Diese beruht auf einer reinen Tatsachenfeststellung, die nicht Sache des Gerichtshofs im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens ist (Urteil vom , NOVA TARGOVSKA KOMPANIA 2004, C‑292/22, EU:C:2023:492, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26 Das vorlegende Gericht wird die in Rede stehenden Waren folglich anhand der Hinweise einzureihen haben, die der Gerichtshof zu den Vorlagefragen gibt (Urteil vom , NOVA TARGOVSKA KOMPANIA 2004, C‑292/22, EU:C:2023:492, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen dem nationalen Gericht und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom , NOVA TARGOVSKA KOMPANIA 2004, C‑292/22, EU:C:2023:492, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass bei dem Verfahren der Herstellung der in Rede stehenden Ware das raffinierte Fischöl, das in Form von Triglyceriden vorliegt, durch Veresterung in Fischöl umgewandelt wird, das dann in Form von Ethylestern vorliegt. Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass sich die beiden Fischöle hinsichtlich des Alkohols unterschieden, der die Fettsäuren verbinde. Bei der Bildung eines Ethylesters werde als Alkohol Ethanol verwendet, bei der Bildung eines Triglycerids Glykol. Das vorlegende Gericht weist außerdem darauf hin, dass sich die Parteien des Ausgangsverfahrens darüber einig seien, dass Fischöl in Form von Triglyceriden in die KN-Position 1516 einzureihen sei.

29 Das vorlegende Gericht möchte wissen, wie die KN-Position 1516 bei der zolltariflichen Einreihung von Fischöl auszulegen ist, das in Form von Ethylestern vorliegt und durch Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol gewonnen wurde (Fragen 1 bis 4), und ob die Durchführungsverordnung 2019/1661 danach gültig ist (Frage 5).

Zu den Fragen 1 bis 4

30 Es bietet sich an, die Fragen 1 bis 4 zusammen zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die KN-Position 1516 dahin auszulegen ist, dass Fischöl, das in Form von Ethylestern vorliegt und durch Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol gewonnen wurde, unter sie fällt.

31 Nach der Allgemeinen Vorschrift 1 für die Auslegung der KN ist für die zolltarifliche Einreihung von Waren in die KN der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln maßgebend, während die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise sind. Im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit ist das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN-Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteil vom , BIOR, C‑344/23, EU:C:2024:696, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32 Nach ihrem Wortlaut fallen unter die KN-Position 1516 „[t]ierische, pflanzliche oder mikrobielle Fette und Öle sowie deren Fraktionen, ganz oder teilweise hydriert, umgeestert, wiederverestert oder elaidiniert, auch raffiniert, jedoch nicht weiterverarbeitet“. Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass es sich bei den Waren, die unter die KN-Position 1516 fallen, demnach um Fette oder Öle oder Fraktionen dieser Fette oder Öle handelt.

33 Insoweit ist festzustellen, dass der Begriff „Fette und Öle“ weder in der KN noch in den Erläuterungen zur KN definiert ist.

34 Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Unionsrecht nicht definiert, anhand ihres Sinnes nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen (Urteil vom , Danish Fluid System Technologies, C‑368/22, EU:C:2023:427, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35 Hinsichtlich des gewöhnlichen Sprachgebrauchs ist bei dem Begriff „Fette und Öle“ festzustellen, dass unter „Fetten und Ölen“ in der französischen, der deutschen und der englischen Sprache gemeinhin aus Tieren oder Pflanzen gewonnene fettige Stoffe, die hauptsächlich aus Glyceriden, den Estern von Glycerin mit Fettsäuren, bestehen, verstanden werden, wie aus mehreren Wörterbüchern hervorgeht.

36 Eine Bestätigung findet diese Definition in den WZO-Erläuterungen zu Kapitel 15 der HS. Darin heißt es: „Mit Ausnahme von Walratöl und Jojobaöl sind Fette und Öle tierischen, pflanzlichen oder mikrobiellen Ursprungs Ester von Glycerin mit Fettsäuren“.

37 Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die Erläuterungen zum HS zwar nicht verbindlich sind, aber wichtige Hilfsmittel darstellen, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten, und als solche wertvolle Hinweise für dessen Auslegung liefern (Urteil vom , BIOR, C‑344/23, EU:C:2024:696, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Ein charakteristisches Merkmal von Fetten und Ölen ist mithin, dass sie hauptsächlich aus Estern von Glycerin mit Fettsäuren (Triglyceride) bestehen. Eine Ware, die hauptsächlich aus Ethylestern, d. h. künstlich aus Ethanol und Fettsäuren gewonnenen Estern von Ethanol mit Fettsäuren, besteht, fällt demnach nicht unter die KN-Position 1516.

39 Nach dem Wortlaut der KN-Position 1516 können tierische oder pflanzliche Fette und Öle sowie deren Fraktionen „ganz oder teilweise hydriert, umgeestert, wiederverestert oder elaidiniert, auch raffiniert, jedoch nicht weiterverarbeitet“ worden sein. Demnach fallen unter die KN-Position 1516 tierische, pflanzliche oder mikrobielle Fette und Öle, die durch Verfahren der in der KN-Position 1516 genannten Art eine spezifische chemische Umwandlung erfahren haben, jedoch nicht weiterverarbeitet wurden.

40 Was die Verfahren der Umesterung und der Wiederveresterung von Fetten und Ölen angeht, die im Ausgangsverfahren von Bedeutung sind, wird in den WZO-Erläuterungen zu der HS-Position 1516 erläutert, worin die chemische Umwandlung besteht, die durch diese Verfahren erreicht wird.

41 So heißt es in Teil B Nr. 1 der WZO-Erläuterungen zu der HS-Position 1516 zu „[u]mgeesterte[n] Öle[n]“: „Die Konsistenz eines Öles oder eines Fettes kann durch Positionstausch der Fettsäurereste in den Triglyceriden beeinflusst werden. Reaktion und Austausch werden durch Katalysatoren angeregt.“

42 Zu den „wiederveresterte[n] Fette[n] und Öle[n] (auch als verestert bezeichnet)“ heißt es in Teil B Nr. 2 der WZO-Erläuterungen zu der HS-Position 1516: „Wiederveresterte Fette und Öle (auch als verestert bezeichnet) sind Triglyceride, die durch direkte Synthese aus Glycerin und freien Fettsäuren oder Raffinationsfettsäuren gewonnen werden. Die Stellung der Fettsäurereste in den Triglyceriden ist unterschiedlich gegenüber derjenigen, die üblicherweise in natürlichen Ölen vorgefunden wird.“

43 Nach den WZO-Erläuterungen zu der HS-Position 1516 handelt es sich bei den Waren, die durch diese chemischen Verfahren entstehen, immer noch um Triglyceride. Mithin fallen diese Waren, nachdem sie solchen Verfahren unterzogen worden sind, nur dann unter die KN-Position 1516, wenn sie immer noch der Definition der „Fette oder Öle“ (siehe oben, Rn. 38) entsprechen, also hauptsächlich aus Estern von Glycerin mit Fettsäuren (Triglyceride) bestehen. Eine Ware, die nach der Veresterung hauptsächlich aus Ethylestern besteht, kann daher nicht unter die KN-Position 1516 fallen.

44 Diese Auslegung wird auch durch die Einreihungsavise bestätigt, die der Ausschuss für das HS auf der 61. Tagung (März 2018) angenommen hat. So heißt es in dem von der WZO genehmigten Einreihungsavis 1516.10/1 zu den tierischen Fetten und Ölen sowie deren Fraktionen, dass eine Ware, wenn sie unter die HS-Position 1516 fallen soll, aus 90 % wieder veresterten Triglyceriden auf Basis von Fettsäuren bestehen muss. Hingegen ist eine Ware, die aus Ethylestern auf Basis von Fettsäuren besteht, nach dem von der WZO genehmigten Einreihungsavis 2106.90/36 in die HS-Position 2106 einzureihen.

45 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass WZO-Avise, mit denen Waren in das HS eingereiht werden, obwohl sie rechtlich nicht verbindlich sind, im Hinblick auf die Einreihung dieser Waren in die KN wichtige Hinweise zur Auslegung der einzelnen KN-Positionen darstellen (Urteil vom , Viterra Hungary, C‑366/22, EU:C:2023:876, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46 Somit ist auf die Fragen 1 bis 4 zu antworten, dass die KN-Position 1516 dahin auszulegen ist, dass Fischöl, das in Form von Ethylestern vorliegt und durch Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol gewonnen wurde, nicht unter sie fällt.

Zu Frage 5

47 Mit Frage 5 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Durchführungsverordnung 2019/1661 im Hinblick auf die Auslegung der KN-Position 1516, wie sie mit der Antwort auf die Fragen 1 bis 4 vorgenommen wurde, gültig ist.

48 Nach der Vorlageentscheidung ist im Ausgangsverfahren unstreitig, dass die in Rede stehende Ware dieselben Merkmale aufweist wie die Ware, die in Spalte 1 der Tabelle im Anhang der Durchführungsverordnung 2019/1661 beschrieben ist.

49 Bei der Ware, auf die sich die Durchführungsverordnung 2019/1661 bezieht, hat die Kommission die Einreihung in die KN-Unterposition 2106 90 92 unter anderem wie folgt begründet: „Eine Einreihung in die [KN‑]Position 1516 ist ausgeschlossen, da die Ware hauptsächlich aus Ethylester besteht, die durch die Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol und nicht mit Glycerin gewonnen werden. Die Ware wurde daher in einem Maße verarbeitet, das den nach Position 1516 zulässigen Umfang überschreitet, da nur wiederveresterte Triglyceride unter diese Position fallen“. In der Durchführungsverordnung wird, was diesen letztgenannten Gesichtspunkt angeht, auf Teil B Nr. 2 der WZO-Erläuterungen zu der HS-Position 1516, verwiesen.

50 Weiter heißt es in der Durchführungsverordnung 2019/1661, dass „[es] sich bei Fettsäureethylester nicht um tierische oder pflanzliche Fette und Öle handelt“, wobei insoweit auf Teil A Abs. 2 des Abschnitts „Allgemeines“ der WZO-Erläuterungen zu Kapitel 15 der HS verwiesen wird.

51 In Anbetracht der Antwort auf die Fragen 1 bis 4 entsprechen die Begründung für die Einreihung der Ware, auf die sich die Durchführungsverordnung bezieht, und die Einreihung der Ware selbst somit der gebotenen Auslegung der KN-Position 1516.

52 Folglich hat die Kommission mit dem Erlass der Durchführungsverordnung 2019/1661 weder den Inhalt noch die Tragweite der KN-Position 1516 verändert und damit auch ihre Befugnisse nicht überschritten.

53 Deshalb ist auf Frage 5 zu antworten, dass die Prüfung der Vorlagefragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Durchführungsverordnung 2019/1661 berühren könnte.

Kosten

54 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

  1. Die Position 1516 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1602 der Kommission vom

    ist wie folgt auszulegen:

    Fischöl, das in Form von Ethylestern vorliegt und durch Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol gewonnen wurde, fällt nicht unter sie.

  2. Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661 der Kommission vom zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur berühren könnte.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu


ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:1022

Fundstelle(n):
LAAAJ-86423