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BGH Urteil v. - X ZR 34/22

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 71/21vorgehend AG Frankfurt Az: 387 C 418/20 (98)

Tatbestand

1Der Kläger beansprucht die Rückzahlung der Anzahlung des Reisepreises für eine Pauschalreise.

2Der Kläger buchte bei der Beklagten am eine Flug- und Busreise "Mallorca zum Verlieben", die vom 7. bis stattfinden und 1.395 Euro kosten sollte. Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 279 Euro.

3Mit Schreiben vom erklärte der Kläger aus Angst und Unsicherheit aufgrund des Kursierens des Corona-Virus am Reiseort und wegen der Befürchtung, bei Wiedereinreise in Quarantäne zu müssen, den Rücktritt von der Reise.

4Am wurde aufgrund steigender Inzidenzen eine Reisewarnung für Mallorca erlassen. Die Beklagte sagte die Reise daraufhin ab.

5Dem Begehren des Klägers nach Rückzahlung der Anzahlung kam die Beklagte nicht nach.

6Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 279 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der ordnungsgemäß geladene Kläger war in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vertreten.

Gründe

7Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8I.    Da der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden.

9Das Urteil beruht jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf einer umfassenden Sachprüfung (vgl. , BGHZ 37, 79, 81 ff.; Urteil vom - X ZR 134/13, NJW 2014, 2955 Rn. 4).

10II.    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

11Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung der Anzahlung verurteilt. Die Beklagte könne gegenüber dem Kläger nicht mit einem Entschädigungsanspruch aufrechnen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.

12Die Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zu einer nahezu vollständigen Einstellung des internationalen Flugverkehrs geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.

13Der Kläger schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.

14III.    Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

151.    Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet.

162.    Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.

17a)    Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.

18Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23, Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22 RRa 2024, 62, juris Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im September 2020.

19b)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.

20Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).

21IV.    Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

22Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts des Klägers konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.

23Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.

24Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.).

25Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).

26Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise eine wesentlich höhere Infektionsrate gegeben und mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen ( Rn. 22).

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Bacher                                Hoffmann                                Deichfuß

                        Marx                                  von Pückler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR34.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-86344