Instanzenzug: LG Aachen Az: 86 KLs 9/22 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in elf Fällen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und „Verstoßes gegen das Waffengesetz“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Außerdem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.381.650 Euro angeordnet.
2Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
31. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gebotene Nachprüfung des Urteils führt zu einer Abänderung des Schuldspruchs. Er bedarf, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat, in mehrfacher Hinsicht der Korrektur:
4a) Bezüglich der abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten ist der Schuldspruch an das am in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG) anzupassen, auf welches gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO bei der revisionsrechtlichen Kontrolle als das hier mildere Gesetz abzustellen ist.
5aa) Der Angeklagte hat sich hinsichtlich des von ihm gegen Provision vermittelten Weiterverkaufs von jeweils mindestens 15 Kilogramm Marihuana mit Wirkstoffgehalten zwischen 7,5 und 10 % (Fälle II.22/23 und 24 der Urteilsgründe) des Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Nr. 4 KCanG schuldig gemacht.
6bb) Soweit sich der Angeklagte in den Fällen II.16/19, 17 und 33 der Urteilsgründe als Nachrichtenmittler zwischen den über den An- bzw. Verkauf von 20, 60 und 150 Kilogramm Marihuana verhandelnden Käufern und Verkäufern betätigte, hat er sich der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in drei Fällen gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Nr. 4 KCanG, § 27 StGB schuldig gemacht.
7cc) Die neue Rechtslage unter dem Konsumcannabisgesetz ist in den Fällen II.22/23 und 24 der Urteilsgründe bei der nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen Betrachtung (vgl. , Rn. 6 mwN) für den Angeklagten günstiger als die nach Tatzeitrecht zur Anwendung kommenden Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Der danach maßgebliche Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren liegt unterhalb des von der Strafkammer zur Anwendung gebrachten Strafrahmens des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 15 Jahren.
8Auch in den Fällen II.16/19, 17 und 33 der Urteilsgründe, in denen die Strafkammer unter Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes der Beihilfe (§ 27 StGB) einen minder schweren Fall (§ 29a Abs. 2 BtMG) bejaht hat, erweist sich die Anwendung des Konsumcannabisgesetzes als für ihn günstiger. Der danach maßgebliche Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren entspricht zwar dem Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG. Das Tatgericht hat jedoch die Möglichkeit, mittels des (dann noch nicht verbrauchten) Strafmilderungsgrunds der Beihilfe die Indizwirkung des Regelbeispiels als entkräftet zu erachten und auf den Grundstrafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG (Geldstrafe bis drei Jahre Freiheitsstrafe) zuzugreifen. Eine solche Bewertung obliegt grundsätzlich dem Tatgericht (vgl. Rn. 4 mwN).
9b) Soweit der Angeklagte wegen „Verstoßes gegen das Waffengesetz“ in zwei tatmehrheitlichen Fällen – unerlaubter Besitz von Munition gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 2b, § 1 Abs. 4 WaffG iVm Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 Nr. 1.1 (Fall II.37 der Urteilsgründe) und Besitz eines verbotenen Gegenstands gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 1, § 1 Abs. 2 Nr. 2a WaffG iVm Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.1 (UA S. 103: Stahlrute mit Federelementen, Fall II.38 der Urteilsgründe) – verurteilt worden ist, ist der Schuldspruch infolge der fehlerhaften konkurrenzrechtlichen Bewertung ebenfalls zu korrigieren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen, verschiedene verbotene Gegenstände oder Munition zur Folge, dass die verschiedenartigen Verstöße gegen das Waffengesetz tateinheitlich zusammentreffen (vgl. Rn. 4 mwN).
10Darüber hinaus ist der Schuldspruch dahin klarzustellen, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Munition in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstands (Stahlrute) schuldig ist. Die Urteilsformel „wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz“ reicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur rechtlichen Bezeichnung der Tat (§ 260 Abs. 4 Satz 1 StPO) nicht aus (vgl. Rn. 8 mwN).
11c) Der Senat ändert den Schuldspruch gemäß § 354a StPO und entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
122. Die Änderung des Schuldspruchs infolge des Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes sowie die Korrektur der Konkurrenzen bei dem Vergehen nach dem Waffengesetz ziehen die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.16/19, 17, 22/23, 24, 33 und 38 der Urteilsgründe sowie des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung der milderen Strafrahmen des § 34 KCanG zu niedrigeren Einzelstrafen und einer milderen Gesamtstrafe gelangt wäre.
13Darüber hinaus ist die Festsetzung der Einzelstrafe in dem Fall II.11 der Urteilsgründe klarzustellen. Denn die Strafkammer hat wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in Fall II.11 eine Einzelstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt, für die gewerbsmäßige Steuerhehlerei in Fall II.9 dagegen nur eine Einzelstrafe von drei Jahren und drei Monaten (UA S. 127), obwohl Gegenstand beider Taten jeweils 960 Kartons unversteuerter Zigaretten und ein Verkaufserlös von jeweils 696.000 Euro waren und ihnen damit derselbe Schuldgehalt zugrunde liegt. Der Strafkammer ist insoweit jedoch lediglich ein Schreibversehen unterlaufen; denn bei der Gesamtstrafenbildung hat sie die Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten als „höchst[e] Einzelfreiheitsstrafe“ (UA S. 131) bezeichnet und diese sodann als Einsatzstrafe für die Bildung der Gesamtstrafe herangezogen. Deshalb war – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat – diese Strafhöhe offenkundig die der beiden Fälle II.9 und II.11 der Urteilsgründe, sodass das Schreibversehen berichtigt werden kann.
143. Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Infolge des Fehlens jeglicher Begründung ist nicht nachvollziehbar, wie sich der von der Strafkammer festgesetzte Betrag von 3.381.650 Euro errechnet. Sie ist deshalb aufzuheben.
15a) Es ist bereits unklar, ob die Strafkammer in Fall II.22/23 und Fall II.24 der Urteilsgründe gemäß § 73 Abs. 1 StGB jeweils lediglich die von dem Angeklagten erlangte Provision berücksichtigt hat oder auch den ihm jeweils vom Käufer übergebenen Kaufpreis. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte seine Provision jeweils selbst dem ihm vom Käufer ausgehändigten Kaufpreis entnommen und den Restbetrag an eine Mittelsperson des Verkäufers weitergereicht.
16Bei einem Absatz von Betäubungsmitteln in einer Handelskette werden von einem als Zwischenhändler oder – wie der Angeklagte – als selbständigem Vermittler agierenden Täter auch solche Geldbeträge wirtschaftlich erlangt, die er von seinem Abnehmer vereinnahmt und in der Folgezeit an den Lieferanten weitergibt, falls er jedenfalls vorübergehend die tatsächliche Verfügungsgewalt über sie ausüben konnte und nicht lediglich „transitorischen Besitz“ innehatte ( Rn. 17 f. und vom – 4 StR 78/18 Rn. 9, jeweils mwN). Die Feststellungen hierzu reichen zur Beurteilung dieser Frage nicht aus.
17b) Darüber hinaus lässt sich der Einziehungsentscheidung nicht entnehmen, ob und inwieweit die Strafkammer die Auswirkungen des in der Hauptverhandlung erklärten Einverständnisses des Angeklagten mit der form- und entschädigungslosen Einziehung des sichergestellten Bargelds in Höhe von 4.530 Euro sowie von Fremdwährung (UA S. 47) bedacht hat.
18aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs ist Bargeld aufgrund des erklärten Einverständnisses mit der außergerichtlichen Einziehung von dem errechneten Wertersatzbetrag in Abzug zu bringen. Durch den in dieser Erklärung liegenden wirksamen Verzicht ist der staatliche Zahlungsanspruch erloschen, so dass sich der Betrag der zu erstattenden Taterträge entsprechend vermindert (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 93/24 Rn. 13; vom – 5 StR 569/23 Rn. 4; vom – 1 StR 279/22 Rn. 3; vom – 4 StR 358/21 Rn. 4; vom 26. September 2019 – 5 StR 456/19 Rn. 3 f. und vom – 5 StR 198/18 Rn. 33; jeweils mwN).
19bb) Das von dem Angeklagten erklärte Einverständnis verringerte den nach § 73c StGB zu titulierenden staatlichen Zahlungsanspruch auch insoweit, als es sich auf die bei ihm sichergestellten Fremdwährungen erstreckte. Die Strafkammer hätte daher, um den Umfang des Erlöschens bestimmen und den danach ausstehenden Restbetrag beziffern zu können, die Fremdwährungsbeträge in Euro umrechnen müssen, bezogen auf den Umrechnungskurs am Tag des Bewirkens des (teilweisen) Untergangs des Einziehungsanspruchs (anders noch Rn. 2). Dies wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.
204. Im Revisionsverfahren ist nach Ablauf der einmonatigen Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO im November 2023 das Gebot zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt worden. Diese Verzögerung ist auf die Sachrüge hin zu berücksichtigen ( mwN). Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom ausgeführt:
„Zwischen dem Eingang der Revisionsakten bei der Staatsanwaltschaft Aachen im November 2023 (Sachakte Band VII, Bl. 1939) und deren Weiterleitung an die Bundesanwaltschaft im August 2024 (Sachakte Band VIII, nach Bl. 2089) sind - ohne dass hierfür ein Grund zu erkennen ist - neun Monate vergangen. Es ist somit eine rechtsstaatswidrige Verzögerung im Revisionsverfahren eingetreten, die von Amts wegen zu beachten ist. Zu deren Kompensation genügt die Feststellung des Konventionsverstoßes (vgl. ; Beschluss vom – 5 StR 88/24).“
21Dem schließt sich der Senat an. Zur Kompensation genügt hier deren Anerkennung durch eine entsprechende Feststellung, weil das Ausmaß der Verzögerung durch die zügige Bearbeitung der Revisionssache bei dem Generalbundesanwalt deutlich gemildert worden ist.
225. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen bleiben von der Aufhebung des Straf- und Einziehungsausspruchs unberührt und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um widerspruchsfreie neue Feststellungen ergänzt werden.
236. Eine Erstreckung der Entscheidung über die Schuldspruchänderung infolge des Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes auf die Nichtrevidenten (§ 357 StPO) findet nicht statt. Denn diese beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung beim Erlass des Urteils, sondern auf einer nachträglichen, vom Senat gemäß § 354a StPO zu berücksichtigenden Rechtsänderung (vgl. Rn. 11 mwN).
Jäger Fischer Bär
Munk Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224B1STR405.24.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-86267