Instanzenzug: LG München I Az: 3 KLs 366 Js 199566/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts unterstützte der – zu den Tatvorwürfen schweigende – Angeklagte als Mitglied einer Bande unter anderem die gesondert verfolgten und bereits verurteilten B. , A. und Ba. sowie seinen flüchtigen Bruder Y. bei deren gewinnbringenden Drogengeschäften. Zur Organisation dieser Geschäfte bediente sich die Bande kryptierter Mobiltelefone.
3Im Fall C. I. der Urteilsgründe übergab er am einem Kurier 150.000 € in bar. Mit diesem Bargeld flog der Kurier nach Spanien und bezahlte damit die Lieferanten für eine Lieferung von 174,4 Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 22,72 Kilogramm Tetrahydrocannabinol (THC). Das Cannabis wurde, hinter Obst und Gemüse versteckt, am zu einer Großmarkthalle in M. geliefert und in einen Kleintransporter umgeladen; dieses Fahrzeug hatte der Angeklagte am angemietet. Die Polizei überwachte den Transport ab Passieren der deutschen Grenze, beschlagnahmte am das Marihuana und nahm B. sowie den ebenfalls bereits verurteilten Su. fest.
4Am nahm der Angeklagte 15.000 € Bargeld aus dem Abverkauf eines Teils einer anderen Marihuanalieferung (insgesamt 20 Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von mindestens einem Kilogramm THC, aus Spanien über K. nach M. geliefert) entgegen, um es an seinen Bruder weiterzuleiten (Fall C. II. der Urteilsgründe).
5Am entlohnte der Angeklagte auf Geheiß seines Bruders den Fahrer eines weiteren Transports (46,4 Kilogramm Marihuana und 10 Kilogramm Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von insgesamt mindestens 2,82 Kilogramm THC, wiederum aus Spanien geliefert) mit 6.500 €. Zudem nahm er am 45.200 € Bargeld aus der Weiterveräußerung eines Teils der dritten Lieferung für die anderen Bandenmitglieder entgegen (Fall C. III. der Urteilsgründe).
6b) Das Landgericht hat seine Überzeugung (§ 261 StPO), dass sich der Angeklagte mit seinen Gehilfenbeiträgen am Handel mit Cannabis beteiligte, allein auf die Auswertung von Chatprotokollen des Krypto-Messengerdienstes SkyECC stützen können.
72. a) Die Revision ist teilweise begründet. Am ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis vom (KCanG; BGBl. I Nr. 109) in Kraft getreten und nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. §§ 354a, 354 Abs. 1 StPO bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage des gebotenen Gesamtvergleichs kann vom Revisionsgericht nicht beurteilt werden, ob die Anwendung der § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3 KCanG, § 27 Abs. 1 StGB ein für den Angeklagten günstigeres Ergebnis zulässt:
8Das Landgericht ist bei Zumessung der Einzelstrafen vom Strafrahmen des minder schweren Falles des § 30a Abs. 3 BtMG, also von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, ausgegangen; dazu hat es nach Abwägung der allgemeinen Strafzumessungsgründe den vertypten Milderungsgrund der Beihilfe (§ 27 StGB) verbraucht. Eine mögliche Sperrwirkung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG und des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat es – den Angeklagten für sich genommen nicht belastend – nicht erörtert.
9Der Senat kann unter diesen Umständen und den weiteren Strafzumessungserwägungen des Landgerichts nicht hinreichend sicher annehmen, dass das Tatgericht bei Anwendung des KCanG einen minder schweren Fall des § 34 Abs. 4 KCanG mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zugrunde gelegt hätte; es bleibt möglich, dass das Landgericht den Ausgangsstrafrahmen des § 34 Abs. 4 KCanG nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB auf einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu elf Jahren drei Monaten Freiheitsstrafe verschoben hätte. Welches Recht im Ergebnis milder ist, muss – auch unter Berücksichtigung der übersehenen Sperrwirkung des 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG und des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – nach alledem der Wertung des Tatgerichts vorbehalten bleiben (vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 272/24 Rn. 7-9 und vom – 2 StR 279/24 Rn. 8-10; jeweils mwN); daher ist es dem Senat verwehrt, selbst den Schuldspruch neu zu fassen. Daraus folgt zugleich, dass der gesamte Strafausspruch aufzuheben ist. Die zugehörigen Feststellungen bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO) und können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
10b) Im Übrigen erweist sich die Revision aus den zutreffenden Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts als erfolglos. Der weiteren Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte die Verwertung von Daten des Kommunikationsdienstes SkyECC beanstandet (§ 261 StPO). Diese Beanstandung ist bereits unzulässig; sie wäre auch unbegründet.
11aa) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
12(a) SkyECC war ein Ende-zu-Ende verschlüsseltes, vom Unternehmen H. mit Sitz in V. (Kanada) vertriebenes Kommunikationssystem. Es umfasste die Funktionen E-Mail, Chat, Gruppenchat, Sprachnachrichten, Sprachanrufe, Bilder und Selbstvernichtung. Die Nachrichten wurden für einen einstellbaren Zeitraum gespeichert; im Anschluss wurden sie für alle Teilnehmer der Unterhaltung gelöscht. Die Mobiltelefone mit der vorinstallierten SkyECC-Anwendung waren für die alleinige Nutzung derselben eingerichtet und konnten nicht über einen Online-Shop erworben werden. Vielmehr wurden die Verkäufe in bar ohne Rechnungen und ohne Vorlage von Identifizierungsnachweisen abgewickelt. Die Nutzungslizenz hatte eine Gültigkeit von sechs Monaten und kostete „mehrere tausend Euro“; im Anschluss bedurfte es eines erneuten Abschlusses. Bereits im Jahr 2016 wurden in den Niederlanden und in Belgien Ermittlungsverfahren gegen „die Firma SkyECC“ eingeleitet, die nach Auskunft belgischer Behörden auch nach einer richterlichen Anordnung nicht mit den dortigen Sicherheitsbehörden kooperierte. Bei einem Betäubungsmittelfund im Hafen von An. wurden Telefone beschlagnahmt, auf denen die Anwendung SkyECC installiert war. Die Ermittlungsbehörden stellten dabei fest, dass SkyECC ausschließlich der „Vereinfachung krimineller Aktivität“ diente und es sich bei dem Server, auf dem die SkyECC-Kommunikation gehostet wurde, um einen des Typs Bl. (Bu. ) handelte. Der Serverstandort war in R. (Frankreich).
13Am leitete die Staatsanwaltschaft in L. wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten oder Verbrechen, die mit zehn Jahren Haft bestraft werden, des Transports, Besitzes, Verkaufs und Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie der Erbringung von Verschlüsselungsdiensten zur Sicherstellung der Vertraulichkeit ohne entsprechende Anmeldung Vorermittlungen ein. An den Ermittlungen beteiligten sich im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe neben den französischen, belgischen und niederländischen Strafverfolgungsbehörden auch Eurojust und Europol. Die niederländischen Behörden übermittelten eine Aufstellung von etwa 9.000 Mitteilungen französischer SkyECC-Nutzer aus dem Zeitraum 2016 bis Mitte 2017, deren Kommunikationsinhalte sich hauptsächlich auf den Handel mit Betäubungsmitteln (Kokain und Cannabis) bezogen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft L. genehmigte am ein Untersuchungsrichter des Landgerichts L. auf der Grundlage der Artikel 706-73, 706-73-1 und 706-95, 100, 100-1 und 100-3 bis 100-8 der französischen Strafprozessordnung (Code de procédure pénale) sowie des Artikels L.32 des französischen Gesetzbuchs über die Post und die elektronische Kommunikation (Code de postes et des communications électroniques) für die Dauer von einem Monat das Abfangen, das Aufzeichnen und die Transkription der elektronischen Kommunikation zwischen den beiden zwischenzeitlich ermittelten Servern sowie die ein- und ausgehende elektronische Kommunikation des Hauptservers. Seine Entscheidung begründete der Untersuchungsrichter damit, nach den bisherigen Ermittlungen würden die SkyECC-Endgeräte für kriminelle Zwecke verwendet. Der Verdacht basiere auf der Beschlagnahme der SkyECC-Telefone im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelschmuggel im Hafen von An. , auf der Heimlichkeit der Verkaufsprozesse sowie der Aufstellung über die 9.000 SkyECC-Nachrichten.
14Die Abfang- und Registrierungssonden für die Überwachung des Datenflusses zwischen den Servern und die Sonde für die externe Kommunikation des Hauptservers wurden im Juni 2019 eingerichtet. Die Nachrichten der Nutzer und die damit verbundenen Metadaten konnten zwar abgefangen, aber nicht entschlüsselt werden. Jedoch gelang es den Ermittlungsbehörden, die von SkyECC vergebenen Nutzerkennzahlen mit den IMEI-Nummern der Endgeräte in Verbindung zu bringen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft L. genehmigte der Untersuchungsrichter des Landgerichts L. die Verlängerung der Überwachungsmaßnahme am zunächst für einen weiteren Monat. Das spätere Anbringen technischer Mittel für eine Echtzeitüberwachung der Server oder Nutzerterminals sollte ermöglicht werden. Im Anschluss wurde die Maßnahme für weitere zwei und letztlich für weitere vier Monate, im Ergebnis also bis zum , genehmigt.
15Da nur die Hälfte der SkyECC-Kommunikation abgefangen werden konnte, beantragte der Divisionskommissar am , den gesamten ein- und ausgehenden „Netztraffic“ der beiden Server zu überwachen. Am erließ ein Untersuchungsrichter des Ordentlichen Gerichts L. für vier Monate bis zum einen Ermittlungsauftrag zur Überwachung des Hauptservers; später wurden auch der Back-Up Server und die interne Kommunikation der Server aufgrund richterlicher Anordnungen überwacht.
16Anfang Oktober 2020 bemerkten die Ermittlungsbehörden, dass das Unternehmen Se. einen dritten Server angemietet hatte. Auf Antrag des Divisionskommissars vom erließ ein Untersuchungsrichter des Ordentlichen Gerichts L. am einen Ermittlungsauftrag zur Überwachung dieses Servers bis zum . Die Überwachung der anderen Server wurde durch gerichtliche Ermittlungsaufträge ebenfalls zunächst bis zum und im Anschluss, einschließlich der Überwachung des dritten Servers, bis zum verlängert.
17Ende 2020 war es erforderlich, einen Server, der die Rolle des „Man in the Middle“ übernahm, an der externen Verbindung des Sicherungsservers anzuschließen. Durch diesen Server konnten die bei Versand einer Nachricht übermittelten kryptographischen Elemente, die für die Entschlüsselung der von diesem Telefon enthaltenen individuellen Nachrichten erforderlich waren, erfasst werden. Die Kommunikation wurde unverändert weitergeleitet. Am billigte die in Bezug auf Materialien, die gegen die Privatsphäre und das Briefgeheimnis (Artikel R. 226-2 des französischen Strafgesetzbuches) verstoßen könnten, beratende Kommission den Einsatz des Geräts. Auf entsprechenden Antrag des Divisionskommissars vom genehmigte der Untersuchungsrichter des ordentlichen Gerichts P. gemäß Artikel 706-102-1 und 706-102-5 der französischen Strafprozessordnung das Anbringen eines technischen Geräts zur Erfassung der EDV-Daten für vier Monate. Der Ausführungsauftrag enthielt auch die Beschlagnahmeanordnung der aufzuzeichnenden Daten, die derart eingeschränkt war, dass in der Verfahrensakte keinerlei Sequenzen in Bezug auf das Privatleben aufgenommen werden dürfen, es sei denn, diese stünden in Verbindung mit den in der Anordnung zur Genehmigung der Maßnahme genannten Straftaten.
18Das Gerät wurde am installiert und aktiviert. Im Februar 2021 verzeichneten die niederländischen Ermittler einen erheblichen und anhaltenden Rückgang der entschlüsselten Nachrichten. Dies gründete darin, dass durch eine Änderung der Infrastruktur die Daten nicht mehr nur über den Sicherungs-, sondern auch über den Hauptserver liefen. Auf Antrag des Divisionskommissars vom genehmigte der Untersuchungsrichter des ordentlichen Gerichts P. am selben Tag das Anbringen eines technischen Geräts zur Erfassung von EDV-Daten an dem Hauptserver für vier Monate. Am durchsuchten die Ermittlungsbehörden bei einem „Aktionstag“ in den Niederlanden und Belgien zahlreiche Wohnungen, nahmen mehrere Personen fest und beschlagnahmten Beweismittel. Europol gab dies am nächsten Tag in einer Pressemitteilung bekannt.
19(b) In von der Staatsanwaltschaft M. geführten Ermittlungsverfahren (Az. und ) gegen namentlich bekannte Bandenmitglieder ergaben die Ermittlungen, dass die Gruppierung in allen Hierarchieebenen SkyECC-Telefone nutzte. Bei der Festnahme der an der Tat C. I. der Urteilsgründe beteiligten B. und Su. am wurden SkyECC-Telefone sichergestellt und ausgewertet. Ende Mai 2021 wurden den deutschen Polizeibehörden über Europol – mit Genehmigung der gemeinsamen Ermittlungsgruppe – bereits Inhaltsdaten von in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft M. als Beschuldigte geführten SkyECC-Nutzern und weiteren beteiligten Personen zur Verfügung gestellt. Am stellte die Staatsanwaltschaft M. in diesem Verfahren eine Europäische Ermittlungsanordnung (nachfolgend: EEA), um die Inhaltsdaten von SkyECC-Nutzern mit näher bezeichneten Sky-IDs zu erlangen. Die zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Beschuldigten wurden unter Abschnitt E der Anordnung namentlich bezeichnet; der Angeklagte befand sich nicht darunter. Gestützt auf die Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (nachfolgend: RL EEA) sowie gemäß Artikel 18, 81, 151 ff. der französischen Strafprozessordnung genehmigte der zuständige Vizepräsident des Ortsgerichts P. die Übermittlung der Daten und die Verwendung derselben in dem der EEA zugrundeliegenden Gerichtsverfahren. Zeitgleich führte die Generalstaatsanwaltschaft F. , Z. , ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Verdachts von Betäubungsmittelstraftaten und der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (Az. ). Am erging in diesem Verfahren eine EEA zur Erlangung von Informationen oder Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der französischen Vollstreckungsbehörde befinden, sowie von Informationen aus den von Polizei- oder Justizbehörden geführten Datenbanken. Die französischen Justizbehörden wurden um Übermittlung der Beschlüsse, die den strafprozessualen Maßnahmen zur Erlangung der SkyECC-Daten zugrunde lagen, und um die Erlaubnis ersucht, diese in deutschen Ermittlungsverfahren nutzen sowie sie an deutsche Staatsanwaltschaften weiterleiten zu dürfen. Am genehmigte der Vizepräsident des Ordentlichen Gerichts P. dies. Im von der Staatsanwaltschaft M. geführten Ermittlungsverfahren Az. erging am eine weitere EEA, durch welche die französischen Justizbehörden ersucht wurden, der Verwendung der zuvor übermittelten SkyECC-Inhaltsdaten in den Verfahren gegen die weiteren, nun namentlich bekannten Beschuldigten, zuzustimmen. Hinsichtlich des in Abschnitt E (Identität der betroffenen Person) u.a. namentlich genannten Angeklagten bestehe der Verdacht des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen. Die Zustimmung erteilte der Vizepräsident des Ordentlichen Gerichts P. am .
20bb) Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.
21(a) Sie ist bereits unzulässig, weil sie in einem für maßgeblich gehaltenen, von der Stoßrichtung umfassten Punkt nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend vorträgt (vgl. dazu unter 1. mwN); dies schlägt auf die Verfahrensrüge insgesamt durch. Die Revision behauptet, die deutschen Strafverfolgungsbehörden hätten spätestens ab März 2020 von der laufenden SkyECC-Kommunikationsüberwachung gewusst und diese entgegen ihrer Verpflichtung aus § 91g Abs. 6 IRG nicht untersagt; hierin unterscheide sich die Beweiserhebung maßgeblich von den sogenannten EncroChat-Fällen. Die Verfahrensbeanstandung stützt sich insoweit auf einen verfahrensfremden Vermerk des Bundeskriminalamts vom , in dem auf der ersten Seite ausgeführt wird, die SkyECC-Überwachung sei im März 2020 durch eine mediale Berichterstattung allgemein bekannt geworden. Dass es sich bei der Datumsangabe „März 2020“ um ein Schreibversehen handelt, ergibt sich zum einen aus dem Vermerk selbst. Denn dort wird auf Seite fünf angegeben, im März 2021 sei über Europol bekannt geworden, dass bei Ermittlungen in Frankreich Daten des Kryptodienstes SkyECC erhoben worden seien. Allein dies deckt sich zum einen mit der am durch Europol veröffentlichten Pressemitteilung über den „Aktionstag“ vom . Zum anderen belegt der gesamte zeitliche Ablauf der Ermittlungen, dass die Strafverfolgungsbehörden SkyECC-Daten erst Ende des Jahres 2020 entschlüsseln konnten; vorher wurde darüber wegen der Gefährdung des Ermittlungserfolgs nicht in den Medien berichtet.
22(b) Im Übrigen hätte die Verfahrensrüge auch in der Sache keinen Erfolg. Die von den französischen Strafverfolgungsbehörden erhobenen und im Wege der Beweismittelrechtshilfe für deutsche Strafverfolgungszwecke zur Verfügung gestellten Daten von SkyECC-Nutzern sind verwertbar. Aufgrund des ähnlichen Verfahrensablaufs wie bei Verwertung der über den Messengerdienst EncroChat erhobenen und transferierten Daten gelten die in der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des , BGHSt 67, 29 Rn. 24 ff.) aufgestellten Maßstäbe. Mit Blick auf die im Anschluss ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs () und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom – 2 BvR 684/22) ist ergänzend auszuführen:
23(aa) Die Beweismittelgewinnung der französischen Behörden verstößt nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen oder europäischen ordre public (vgl. Artikel 1 Abs. 4 RL EEA, § 73 IRG). Aus der Beschlagnahme der SkyECC-Telefone zusammen mit dem Betäubungsmittelfund im Hafen von An. ergab sich ein Anfangsverdacht für die Begehung von Betäubungsmittelstraftaten. Dieser wurde durch die dargestellten Besonderheiten der Telefone, dem Verhalten der kanadischen Firma und der Auswertung der 9.000 Chat-Nachrichten von französischen SkyECC-Nutzern erhärtet. Dass bei einer solchen Verdachts- und Beweislage zunächst ein Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber des Unternehmens eingeleitet und im Zuge dessen die zeitlich befristete Erhebung aller Nutzerdaten des SkyECC-Dienstes richterlich angeordnet und überprüft wird, lässt – wie bei der Überwachung der EncroChat-Nutzer (vgl. hierzu BGH aaO Rn. 34 ff.) – auch angesichts der Gesamtdauer der Überwachung, die ersichtlich der zunächst erforderlichen Analyse der Server zur Entwicklung einer Entschlüsselungslösung geschuldet war, grundlegende Rechtsstaatsdefizite oder einen Verstoß gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte nicht erkennen. Auch eingedenk der großen Anzahl der überwachten Mobilfunkanschlüsse sind die Ermittlungsmaßnahmen weit von geheimdienstlichen „anlasslosen Massenüberwachungen und Massendatenauswertungen“ entfernt. Der Austausch der Nachrichten wurde nicht aufgrund eines allgemeinen Verdachts gegen eine verschlüsselte Kommunikationsinfrastruktur überwacht, sondern – wie zuvor aufgezeigt – aufgrund konkreter Verdachtsmomente. Die französischen Behörden gingen ersichtlich davon aus, dass der gezielt auf die Bedürfnisse der organisierten Kriminalität ausgerichtete Absatzweg gepaart mit den erheblichen Kosten des Erwerbs und Betriebs der Krypto-Telefone sowie des durch die Ermittlungen bestätigten kriminellen Einsatzbereichs die Erfassung Unverdächtiger ausschloss.
24(bb) Aus dem Verstoß der französischen Behörden gegen die Pflicht zur Benachrichtigung des von einer grenzüberschreitenden Telekommunikationsüberwachung betroffenen Zielstaates Deutschland aus Artikel 31 RL EEA bzw. gegen die diese Vorgaben umsetzende französische Vorschriften (wonach die RL EEA unmittelbar in die französische Rechtsordnung integriert wurde, vgl. hierzu BGH, aaO Rn. 39 mwN) folgt kein Beweisverwertungsverbot. Zwar handelt es sich bei Artikel 31 RL EEA um eine rechtshilferechtliche Bestimmung, die neben der Achtung der Souveränität des zu unterrichtenden Zielstaats auch den Schutz der Zielperson u.a. vor einer Verwendung der Daten in diesem Mitgliedstaat – hier also Deutschland – bezweckt (vgl. Rn. 121, 124 und 125) und somit individualschützenden Charakter hat. Aber bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das des Staates an einer umfassenden Aufklärung besonders schwerer Straftaten. Insoweit gilt (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom – 2 BvR 684/22 Rn. 98; Beschluss vom – 2 BvR 2500/09 und 1857/10, BVerfGE 130, 1 Rn. 117 mwN):
25(1) Nicht jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften zieht ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich; darüber ist nach den Umständen im Einzelfall, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägen der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Nur ausnahmsweise ist ein Beweisverwertungsverbot aufgrund gesetzlicher Vorschrift wie etwa § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO oder aus übergeordneten wichtigen Gründen anzunehmen. Denn ein Beweisverwertungsverbot schränkt eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, und zwar den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der danach vorzunehmenden Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob das staatliche Ermittlungsorgan den Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen hat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen wurden, nicht bejaht werden, wenn dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein.
26(2) Nach diesen Maßstäben folgt aus einem Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht kein Beweisverwertungsverbot: Es geht um die Aufklärung besonders schwerwiegender Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO, nämlich Verbrechen nach § 30a Abs. 1 BtMG, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von 15 Jahren bedroht sind (vgl. zur Notwendigkeit der effektiven Bekämpfung solcher Straftaten; u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 57; Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, ABl. L 335, S. 8). Andere Beweismittel stehen hier für die Überführung des Angeklagten nicht zur Verfügung. Die SkyECC-Protokolle sind als Beweismittel besonders ergiebig, da die Beteiligten darin offen über Drogengeschäfte in erheblichem Umfang kommunizierten. Der Angeklagte konnte sich im Strafprozess auch mittelbar gegen die Abhörmaßnahme durch einen Verwertungswiderspruch wehren, so dass er unter anderem hierdurch seine Verteidigungsrechte effektiv wahren konnte (vgl. zu diesem Erfordernis Rn. 130 und vom , La Quadrature du Net u.a. – C-511/18, C-512/18, C-520/18 Rn. 226). Demgegenüber fällt der Umstand, dass den französischen Behörden bereits früh klar war, dass die Überwachung der Telekommunikation eine Vielzahl von Personen in anderen Ländern betrifft, wegen des geringen Grads der Persönlichkeitsrelevanz der Chatnachrichten nicht erheblich ins Gewicht. Zudem durfte der Kernbereich der Lebensführung infolge der Einschränkung der Beschlagnahmeanordnung nicht aufgezeichnet werden.
27(cc) Gegen Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA ist ebenfalls nicht verstoßen worden.
28(1) Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA, der die EEA zur Übermittlung von Beweismitteln regelt, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates befinden, setzt für deren Rechtmäßigkeit voraus, dass die Übermittlung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte angeordnet werden können. Dagegen verlangt Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA gerade nicht, dass der Erlass einer EEA, die auf einen Beweismitteltransfer gerichtet ist, denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie im Anordnungsstaat (Deutschland) für die Erhebung dieser Beweise gelten (vgl. Rn. 91 ff.). Selbst unter Heranziehung einer Online-Durchsuchung nach § 100b StPO, deren Erkenntnisse der strafprozessual restriktivsten Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO unterliegen, hätten die Beweismittel in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter den gleichen Bedingungen übermittelt werden können. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden ersuchten die französischen Behörden in einem gegen namentlich bekannte Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren u.a. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG), mithin einer Katalogtat nach § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO, um Übermittlung von Inhaltsdaten konkreter SkyECC-Nutzer. Der Tatverdacht, der auch im Einzelfall besonders schwer wog (§ 100b Abs. 1 Nr. 2 StPO), ergab sich aus technischen Überwachungsmaßnahmen, der Beschlagnahme des Marihuanas sowie der Sicherstellung und Auswertung der von gesondert verfolgten Beschuldigten genutzten SkyECC-Telefone. Das weitere Aufklären des Sachverhalts sowie die Ermittlung der an der Tatbegehung maßgeblich beteiligten, durch die jeweiligen SkyECC-IDs konkretisierten, jedoch noch namentlich unbekannten Personen wie der Angeklagte wären ohne diese Beweismittel nicht möglich gewesen. Die sich hieraus gegen den Angeklagten nach § 100b Abs. 1 und Abs. 2 StPO ergebende erforderliche Verdachtslage, die auch im Einzelfall schwer wiegt, bestand spätestens im Verwertungszeitpunkt der Beweisergebnisse (vgl. dazu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom – 2 BvR 684/22 Rn. 99; BGH, aaO Rn. 70 mwN). Die Daten betreffen zudem keine Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung (§ 100d Abs. 2 Satz 1 StPO).
29(2) Schließlich führt die Neuregelung durch das KCanG zu keiner anderen Beurteilung. Denn das bandenmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG) ist Katalogtat der Online-Durchsuchung (§ 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO).
30(dd) Ein Beweisverwertungsverbot ergibt sich letztlich auch nicht aus einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers.
31Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greift zwar in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG ein. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nach Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen zulässig, wenn sie durch oder auf Grundlage eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, gerechtfertigt sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom – 2 BvR 684/22 Rn. 95 mwN). Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung im Strafprozess ist § 261 StPO, wobei für die Verwertung von aus dem Ausland in ein deutsches Strafverfahren eingeführten Beweise grundsätzlich keine Besonderheiten gelten. Selbst bei rechtswidrig erlangten Informationen besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz, wonach die Verwertung der gewonnenen Informationen stets unzulässig wäre. Da Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die einem aus Artikel 1 Abs. 1 GG folgenden absoluten Beweisverwertungsverbot im Strafprozess unterliegen (vgl. nur u.a. Rn. 125, BVerfGE 109, 279, 314; Beschluss vom – 2 BvR 454/71 Rn. 30, BVerfGE 34, 238), in dem Urteil des Landgerichts nicht verwertet wurden, bestimmt sich das Beweisverwertungsverbot auch hier nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen. Aus dieser Würdigung folgt, wie bereits aufgezeigt, kein aus einem Verfahrensfehler abgeleitetes Beweisverwertungsverbot. Nichts anderes gilt, wenn zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zudem – und um jede denkbare Benachteiligung des Betroffenen auszuschließen – die Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) herangezogen wird (vgl. hierzu BGH, aaO Rn. 68). Wie dargelegt, sind selbst die Voraussetzungen für einen hypothetischen Ersatzeingriff nach § 100e Abs. 6 Nr. 1, § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO gegeben.
Jäger Wimmer Bär
Leplow Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:090125B1STR142.24.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-86180